Oliver Welke

Der Tabubruch an sich ist nicht mehr Trumpf

TV-Moderator und Comedian Oliver Welke über schlechte Umgangsformen im Fernsehen, seine neue „heute-show“, den modernen Medienwahlkampf der Parteien und wie die Neuauflage der Sat1-Sendung „ran“ zum Erfolg werden soll

Oliver Welke

© ZDF

Herr Welke, Sie dürfen heute mal mutig sein.
Oliver Welke: Oh, wieso? Ich glaub’, ich bin heute nicht besonders mutig.

Schade. Schließlich haben Sie vor ein paar Jahren gesagt, dass sie in Interviews manchmal gerne mutiger wären. Das wäre jetzt Ihre Chance.
Welke: Ist das so? Wie alt war ich denn da, als ich das gesagt habe?

2002 war das. Nach Adam Riese müssten Sie also 36 gewesen sein.
Welke: Guck an! Wenn ich jetzt noch wüsste, was ich damit gemeint habe, wäre ich happy.

Keine Idee?
Welke: Naja, möglicherweise habe ich mir damals gewünscht, hin und wieder mal ein bisschen frecher oder böser zu sein.

Ist Ihnen das im Verlauf der letzten Jahre gelungen?
Welke: Ich bin älter geworden – und beides geht ja, wie die meisten Menschen selbst erfahren, oft Hand in Hand. Man wird vielleicht nicht direkt böser, aber desillusionierter.

Inwiefern?
Welke: Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Neulich habe ich in meiner alten Uni in Münster, wo ich Publizistik studiert habe, einen Vortrag zum Thema Fernsehen und Sport gehalten. Hinterher war ich ziemlich deprimiert. Gar nicht mal weil die Studenten alle unfassbar viel jünger waren als ich, sondern weil sie alle diese Die-Welt-wartet-auf-mich-Einstellung hatten, die mir in der Medienrealität über die Jahre natürlich ein bisschen abhanden gekommen ist. Mich hat das sehr melancholisch gestimmt, da ich mich in dem Augenblick gut an meine Studentenzeit erinnern konnte.

Mal abgesehen von Ihrer Desillusioniertheit – es verwundert, dass Sie sich selbst als nicht frech genug gesehen haben. Schließlich haben Sie sich in der Vergangenheit selbst Kollegen-Bashing zugetraut, als Sie über Waldemar Hartmann sagten, das jahrelange Saufen mit den Spielern wäre Ihnen zu anstrengend. Hartmann fand das gar nicht lustig.
Welke: Das war damals von den Kollegen der „TV Spielfilm“, die das Interview geführt haben, aber auch ein bisschen unglücklich gemacht. Denn das was ich gesagt habe, bezog sich gar nicht auf Waldemar Hartmann, sondern auf Sat1-Kollegen, die tatsächlich mit jungen Spielern um die Häuser gezogen sind. In der veröffentlichten Fassung klang es später dann so, als hätte ich Waldemar Hartmann gemeint, der Zusammenhang war aber ein ganz anderer. Immerhin: Ich bin so sogar auf die Titelseite der „tz“ in München gekommen.

Oha. Ist es erstrebenswert, in Boulevardblättern eine Rolle zu spielen?
Welke: Nein, das auch wieder nicht (lacht). Ganz ehrlich: Selbst wenn ich der Meinung wäre, dass ein Kollege mit Spielern säuft, würde ich das in einem Interview nicht sagen – das wäre einfach unnötig. Jedenfalls haben sich viele Leute in dem Moment darüber gefreut, dass sie endlich mal das schreiben konnten, was sie schon immer schreiben wollten – und ich war dann halt der Doofe.

Gilt der selbstverpasste Maulkorb in Bezug auf Kollegen nur für Interviews oder auch für Ihre Comedy-Sendungen?
Welke: Also, ich glaube, ich habe mich in Comedy-Sendungen nie unflätlich gegenüber Sport-Kollegen geäußert, weil ich ja mitkriege, dass man in einem Volk mit gefühlten 80 Millionen Bundestrainern, eh genug einstecken muss. Da muss ich mich nicht auch noch anschließen. Diesbezüglich habe ich schon einen gewissen Corpsgeist.

Wissen Sie eigentlich, was Sie mit Johannes B. Kerner und Oliver Pocher gemein haben?
Welke: Wir sind ab Herbst alle für Sat1 tätig.

Ja, und außerdem wurde Sie alle drei ausgezeichnet mit dem „Preis der beleidigten Zuschauer“, einem Negativpreis, den man für „herausragende Unverschämtheiten“ im Fernsehen bekommt. Sie haben den Preis 2004 bekommen, Kerner 2002 und Pocher gerade im letzten Jahr.
Welke: Ach ja, richtig (lacht). Für eine völlig harmlose Äußerung über eine Kollegin von einem Boulevard-Magazin. Es ist natürlich so, dass man in einem Format wie damals „7 Tage – 7 Köpfe“, wo man viele Boulevard- und Promithemen aufgreifen muss, um Namensnennungen nicht ganz herumkommt. Humor ohne Bezug auf Prominente ist in so einem Format quasi ausgeschlossen.

Sie haben den Preis für die laut Jury „im Fernsehen üblich gewordenen schlechten Umgangsformen bekommen“. Sind Sie stolz drauf?
Welke: Stolz würde ich nicht sagen, aber es ist ja in jedem Fall eine weitere Auszeichnung.

Gibt es für Sie so etwas wie eine persönliche Niveaugrenze?
Welke: Absolut. Und ich finde auch, dass die in dem konkreten Fall gar nicht überschritten wurde. Aber der Verleger, der diesen Preis im Namen der Zuschauer vergibt, hat das halt so empfunden und mich ausgezeichnet. Und Kerner und Pocher offensichtlich auch – Glückwunsch nachträglich!

Ist denn an der damals formulierten Kritik, dass sich die Umgangsformen im Fernsehen verschlechtert haben, nicht auch etwas Wahres dran?
Welke: Die Phase, wo man meinte, dass man mit gezielten Tabubrüchen noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken könnte, ist seit langem vorbei. Das Tabu, das heute noch einen Aufschrei auslöst, soll mir mal jemand zeigen. Okay: Wenn Pocher im Nazi-Kostüm aufläuft, regen sich irgendwelche Gremien bei der ARD vielleicht noch auf. Aber ich glaube, im Großen und Ganzen ist der Tabubruch an sich nicht mehr Trumpf, weil er in aller Regel auch gar nicht witzig ist.

Man muss ja vielleicht gar nicht immer soweit gehen, um von Tabubrüchen zu reden. Kann man nicht aber sagen, dass das Niveau des Fernsehens in gewisser Weise gesunken ist, wenn Schmidt und Pocher wie selbstverständlich mit Wörtern wie „Arschficktranse“ um sich werfen oder Dieter Bohlen im Rahmen der „Superstar“-Suche auf RTL den Begriff „Bitch“ in den normalen Sprachgebrauch einführt?
Welke: Das sind Entwicklungen, die ich nicht durchgängig gutheiße. Um beim Beispiel Bohlen zu bleiben: Wenn eine 18-jährige (gemeint ist die „DSDS“-Kandidatin Annemarie Eilfeld, d.R.), egal ob sie nun singen kann oder nicht und ob sie sich schlecht selbst vermarktet oder nicht, vor einem Millionenpublikum als „Everybody’s Arschloch“ bezeichnet wird, werde ich konservativer, als ich mich sonst gebe. Vielleicht auch, weil ich selber Kinder habe und denke, dass man mit jemandem, der gerade 18 ist, etwas vorsichtiger umgehen müsste.

Mussten Sie sich vor Ihren beiden Söhnen schon mal für irgendeinen Spruch rechtfertigen?
Welke: Ich habe ja zwei Kinofilme gemacht, die ich zusammen mit Oliver Kalkofe und Bastian Pastewka geschrieben habe – die heißen „Der Wixxer“ und „Neues vom Wixxer“. Mein jüngerer Sohn geht in den Waldorf-Kindergarten. Und wenn er dort, wo die Eltern eigentlich nicht mal einen Fernseher haben sollten, sagt „Mein Vater spielt im ‚Wixxer’ mit“, tut es mir schon leid, wenn er deswegen kurz komisch angeguckt wird.

Wie wird im Hause Welke denn über solche Themen diskutiert?
Welke: Fernsehen ist zwischen mir und meiner Frau sowieso gelegentlich ein Diskussionspunkt. Ich habe selbst immer gerne Fernsehen geguckt. Zum Beispiel habe ich auch sehr früh damit angefangen, meine Söhne an die „Simpsons“ heranzuführen, weil ich die Serie schon immer gemocht habe – auch als sie in Deutschland idiotischerweise noch als Kinderprogramm galt. Mir ist klar, dass es keine Kindersendung ist, aber ich wollte, dass meine Kinder die Serie mitgucken, weil es aus meiner Sicht eine intelligente, lustige Sendung ist. Aber ich habe den Kleineren damit komplett überfordert, so dass es mir von meiner Frau verboten wurde, weiterhin die „Simpsons“ zu gucken.

Nun starten Sie am 26. Mai beim ZDF mit der „heute-show“, einer politischen Satiresendung, in der Sie aktuelle Fernsehbilder aus Politik- und Nachrichtensendungen kommentieren wollen. Was erwartet uns?
Welke: Eine klassische Nachrichtensatire, also ein Format, das in anderen Ländern sehr erfolgreich läuft. In Australien gibt’s zum Beispiel „CNNNN“ und „Newstopia“ – und auch bei uns gab es so etwas ja vor zig Jahren mit „Rudis Tagesschau“. Die Idee besteht darin, dass man reale Nachrichtensendungen nimmt, sich anschaut, wie bestimmte Themen bei N24, dem ZDF oder den „Action News“ auf RTL2 behandelt werden – und daraus anschließend eine eigene fiktive Nachrichtensendung baut. Auch mit Reportern, die von Schauspielern und Comedians gespielt werden und sich vermeintlich aus Washington oder Paris zuschalten lassen– in Wirklichkeit aber drei Meter von mir entfernt im Studio stehen. Wir setzen auch echte Reporter ein, die Fragen stellen, die andere lieber weg lassen. Es wird für den oberflächlichen Betrachter immer so aussehen wie ein normales Nachrichtenformat, bis hin zu meiner Krawatte, die ich zum ersten Mal in einer Sendung anziehen muss.

Welcher Art soll der Beitrag sein, den Ihre Sendung im Superwahljahr leisten möchte?
Welke: In erster Linie wollen wir unterhalten. Denn was man sich kaum vorstellen mag: Auch ein trockenes Geschäft wie Politik hat sehr viele heitere Seiten. Und damit meine ich nicht nur Versprecher. Wir wollen auch Sachen zeigen, die nicht jeder sofort mitkriegt. Zum Beispiel wenn Frau Merkel kürzlich in ihrer Rede zum 60. Geburtstag der Bundesrepublik vor „allzu großzügigen Steuersenkungsversprechen“ warnt, wo sie selbst die ganzen Tage zuvor Steuersenkungen für den Fall einer CDU-Mehrheit nach der Wahl angekündigt hat. Im Grunde hat sie es fertig gebracht, vor sich selbst zu warnen. Aktuell haben wir auch sehr viel Freude an den Youtube-Channels, die die Parteien eingerichtet haben. Sie versuchen dort ihr eigenes Fernsehen zu machen – und das ist einfach ein unfassbarer Quell der Freude.

Was genau belustigt Sie?
Welke: Man sieht dort FDP-Abgeordnete, die sich bei ihrem Osterspaziergang selbst mit einer Digicam filmen und dabei über Armut schwadronieren. Es sind regelrechte Sketche, die dort gespielt werden, gegen die Kienzle und Hauser damals Burgschauspieler waren. Man kann es wirklich nicht fassen und es ist für jeden zugänglich. Nur wir bringen es ins Fernsehen.

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Wenn ein Ministerpräsident etwas sagt, das für den Moment überraschend klingt, kann man fast die Uhr danach stellen, bis er entweder von der Fraktion oder der Kanzlerin wieder zurückgepfiffen wird.

Oliver Welke

Politische Satire lebt also inzwischen davon, dass Politiker sich selbst parodieren?
Welke: Ja, deshalb werden wir ja auch keine Politiker-Imitatoren auflaufen lassen. Wir lassen die Politiker selbst sprechen, was für sie doppelt schmerzhaft ist. Denn so können sie nie beim ZDF anrufen und sich beschweren, dass sie verzerrt dargestellt worden seien. Schließlich haben sie alle Ausschnitte selbst verzapft.

Eigentlich sind Politiker heute doch zunehmend Medienprofis.
Welke: Ja, die Eins-zu-Eins-Interviews sind auch superschwierig. Da erhält man selten ein völlig überraschendes Statement. Oft ist es leider so, dass man als Zuschauer die Antworten vorhersagen kann. Das ist natürlich schade, aber auch eine logische Folge der medialen Entwicklung, da jeder Politiker in einem Interview schon einmal richtig böse auf die Schnauze gefallen ist. Alle Ecken und Kanten werden daher nach und nach abgeschliffen. Man kann es nicht mehr mit der seligen Wehner-Strauß-Ära vergleichen. Denen war’s wurscht, was sie sagten – aber ihnen wurde auch nicht 500-mal am Tag ein Mikrofon unter die Nase gehalten.

Trotzdem hat man oftmals nicht den Eindruck, dass man weiß, wofür ein Politiker steht und was er wirklich meint.
Welke: Was daran liegt, dass die Halbwertszeit von Zitaten immer kürzer wird. Wenn ein Ministerpräsident etwas sagt, das für den Moment überraschend klingt, kann man fast die Uhr danach stellen, bis er entweder von der Fraktion oder der Kanzlerin wieder zurückgepfiffen wird. Es gibt immer weniger mutige Leute, die in der eigenen Partei gegen den Strom schwimmen. Offiziell heißt es, der Abgeordnete sei nur seinem Gewissen unterworfen. Was da aber mittlerweile in Sachen Fraktionszwang ausgeübt wird, finde ich tatsächlich sehr bedenklich.

Jemand wie Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen schwimmt gegen den Strom.
Welke: Ein paar Leute, die Spaß daran haben und sich gegen ihre eigene Partei profilieren, gibt es sicherlich – das hat ja auch Gerhard Schröder über Jahre vorexerziert. Auch in der CSU gibt es ja noch Paradiesvögel wie Peter Gauweiler.

Sie selbst hatten mit Politik bisher eigentlich nicht so viel am Hut, oder?
Welke: Die drei Jahre, die ich bei „7 Tage – 7 Köpfe“ war, haben wir natürlich tendenziell mehr Boulevard- als Politikthemen behandelt. Aber sie kamen durchaus vor. Deshalb habe ich auch in dieser Zeit natürlich sehr viel Zeitung gelesen. Jetzt kommt noch hinzu, dass ich sehr viele politische Sendungen gucken muss – mehr als ich privat gucken würde. Schließlich bin ich bei dem Projekt auch als Autor mit an Bord und helfe mit, Material zu suchen. Ich sehe zurzeit deutlich zu viele Talkshows.

Ihr Eindruck bislang?
Welke: Sehr langweilig (lacht). Aber man bekommt halt mit, dass diese Talkshows in ganz vielen Fällen nur noch Selbstdarstellungsbühnen sind, wo manchmal gefühlte fünf bis sieben Minuten am Stück durch- und gegeneinander gequatscht wird. Die Gesprächskultur ist teilweise erschreckend.

Geht es Ihnen in Ihrer Sendung also auch um eine Reflektion der Medienberichterstattung?
Welke: Ja, wir gucken auch, wie Politik in den Medien verkauft wird. Wenn man sich anguckt, wie in den Nachrichtenkanälen die Schweinegrippe behandelt wird, durfte man in den ersten Tagen mit dem unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang rechnen. Inzwischen hat sich alles stark relativiert – aber daran wie diese „Breaking News“ da andauernd rein kamen, hat man sehr deutlich gesehen, dass Nachrichten oft dramatisiert werden.

Ist die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise förderlich für Ihre Sendung?
Welke: Glaube ich schon, denn durch die Krise betreffen politische Entscheidungen das Leben der Leute viel praktischer. Gerade jetzt in der Phase, wo viele Menschen Angst um ihren Arbeitsplatz haben, hat jedes Wahlkampfversprechen zum Thema Steuerpolitik eine ganz andere Relevanz für die Leute. Insofern glaube ich schon, dass 2009 ein Jahr ist, in dem die Leute viel politischer sind als normalerweise und dass das nicht nur mit den vielen Wahlen zu tun hat, sondern auch konkret mit der Krise. Wir befinden uns in einer politischen Zeit.

Das ZDF nutzt das ja, indem es in diesem Jahr neben der „heute-show“ auch mit dem Casting-Event „Ich kann Kanzler“ auf so genanntes „Politainment“ setzt. Was für Erwartungen hätten Sie denn an einen zukünftigen Kanzler?
Welke: Ich bin einer von den vielen Menschen, die angefangen haben, politisch zu denken, als Helmut Schmidt Kanzler war. Zwar bin ich vom Ausmaß der Vergötterung seiner Person etwas irritiert, aber ich fand es toll, dass er sich nie als Medienkanzler verstand, sondern immer auch unpopuläre Entscheidungen getroffen hat. Man hatte immer das Gefühl von sehr viel Fachkompetenz, gerade in Wirtschaftsfragen. Bei vielen, die danach kamen, habe ich das vermisst. Heute ist mir alles zu viel symbolische Politik und zu viel Inszenierung.

Etwas, das man aus den USA kennt. Von Obamas Medienwahlkampf wollen sich nun alle etwas abgucken.
Welke: Wir werden deshalb sehr genau gucken, wie viele der Rituale wir aus dem amerikanischen Wahlkampf wiederfinden. Die Regel ist: Bei der Verbindung von Politik und Show machen uns die Amerikaner immer noch etwas vor. Bei uns sieht es immer ein bisschen amtlicher aus. Als Hubertus Heil versuchte „Yes, we can“ in den Saal zu rufen, haben ihn 200 verdutzte Leute angeguckt.

Drängelt sich gerade ein Politiker als Entertainer in den Vordergrund?
Welke: Eigentlich nicht. Aber es gibt viele Sachen, die gerade Spaß machen. Zum Beispiel das, was die Linke gerade veranstaltet. Einerseits wird verzweifelt versucht, ein bisschen mehr nach der Mitte zu schielen und die Weltrevolution aufzuschieben, andererseits bekommt man den ganz linken Flügel nicht wieder eingefangen, weil der ja auch weiter Interviews gibt und nach wie vor das komplette System kippen will. Themenarmut ist im Moment also nicht das Problem.

Warum senden Sie die „heute-show“ dann nur einmal im Monat?
Welke: Wir fangen jetzt erstmal so an, weil wir ja eine Strecke mit „Neues aus der Anstalt“ bilden sollen, die direkt vor uns läuft. Für die erste Phase ist es super, weil man weiß, dass Politik- und Humor-interessierte Leute gerade vor dem Fernseher sitzen und die Chance, einen Audience Flow hinzubekommen recht gut ist.

Ist der moderne Medienwahlkampf, den Sie vorhin bereits in Zusammenhang mit den Youtube-Channels angesprochen haben, in Ihren Augen eine erfolgversprechende Entwicklung im Kampf um Wählerstimmen? Selbst in Social Communities wie Facebook und Studivz haben Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier mittlerweile ein Profil.
Welke: Das ist ein Phänomen, vor dem ich staunend davor stehe. Aber nur weil ich am Anfang darüber gelacht habe und nicht wusste, was „twittern“ ist, heißt es ja nicht, dass es etwas Schlechtes ist. Das einzig Gefährliche konkret am twittern ist, dass sich mittlerweile häufig Leute als irgendeinen Promi ausgeben und in deren Namen twittern. Das macht mir ein bisschen Angst – schließlich haben zuletzt mehrfach Agenturen etwas aufgegriffen, was sich später als falsch herausstellte. Jeder, der so wie ich im Fall Waldi Hartmann schon mal Gegenstand einer verzerrt dargestellten Geschichte war, weiß, wie schwer es ist, anschließend mit der Wahrheit hinterher zu kommen. Es liegen auch gewisse Risiken darin. Wenn es jedoch dazu beiträgt, dass sich eine Generation, die sich immer weniger fürs Fernsehen interessiert und nur noch im Internet ist, wieder mehr für Politik interessiert, ist es nichts Verkehrtes.

Sie waren aktuell auch Gegenstand einer in den Medien verbreiteten Twitter-Nachricht, die in dem Fall auf Ihren Kollegen Ingolf Lück zurückgehen soll. Er soll in Bezug auf Johannes B. Kerners Wechsel zu Sat1 getwittert haben: „Na, da wird der Welke Olli ja jubiliert haben! Du machst dir schön das Bett und Johannes liegt schon drin.“ 
Welke: …und dpa hat das dann aufgegriffen. Ich habe allerdings davon Abstand genommen, ihn zu fragen, ob er das wirklich war oder jemand anders – weil ich Angst hatte, dass er es tatsächlich war. Und dann hätte ich ihm ja sagen müssen, wie ich das finde.

Also offensichtlich nicht so ganz gut.
Welke: Für mich war es in dem Moment ein unnötiger Spruch.

Aber, Hand aufs Herz: Was haben Sie gedacht, als der Wechsel von Johannes B. Kerner zu Sat1 bekannt gegeben wurde? Zuvor waren bereits Sie für die Neuauflage von „ran“ und als Moderator für die Champions League verpflichtet worden. Nun spielen Sie hinter Kerner in der Fußballberichterstattung bei Sat1 die zweite Geige.
Welke: So wurde es in vielen Meldungen ausgelegt. Ich wusste es einen Tick länger als der Rest von Deutschland, war jedoch genauso überrascht, weil ich gedacht hatte, dass Kerner als Moderator und vor allem als Produzent mittlerweile mit dem ZDF so verwurzelt ist, dass Sat1 gar keine Chance hätte. Aber ich habe einen Dreijahresvertrag, der mir eine bestimmte Zahl an Einsätzen zusichert. Abgesehen davon, dass Johannes und ich dann auch sehr schnell telefoniert haben, weiß ich, dass er ein Teamplayer ist. Deshalb war die Situation für mich sehr schnell entspannt, so dass ich mich dann nur noch über die Kommentatoren geärgert habe. Aber da muss man darüberstehen.

Sie fühlen sich also nicht als zweite Geige?
Welke: Nein, wir haben ja fast 50 Sendungen und es war immer klar, dass wir mindestens zwei Moderatoren brauchen, um das zu stemmen. Mir war immer klar, dass noch jemand kommt. Und das der nicht weniger Einsätze als ich haben würde, war auch klar. Es gibt also keinen Grund, sein Ego nach vorne zu schieben und zu schmollen. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass Kerner wieder mitmischt, wertet die Marke „ran“ noch mal auf. Es reicht ja nicht nur, wieder „ran“ dran zu schreiben, man muss es auch irgendwie mit Inhalt füllen.

Und das passiert mit Kerner?
Welke: Er gehört natürlich zur Gründergeneration der Sendung – insofern ist es für die Sendung auf jeden Fall super.

„Ran“ war bis Anfang des Jahrtausends ein sehr erfolgreiches Aushängeschild von Sat1. Wie soll es gelingen, die Marke wieder genauso stark zu machen – ohne die Bundesliga-Berichterstattung?
Welke: Natürlich wird es sich rein formell sehr stark unterscheiden von dem, was wir bis 2003 gemacht haben. Damals haben wir eine Bundesliga-Sendung vor Publikum gemacht – jetzt sind wir im Stadion und machen Champions League und UEFA-Cup. Eine Berichterstattung aus den Stadien gehorcht logischerweise ganz anderen Gesetzmäßigkeiten. Wir sitzen jetzt gerade zusammen und denken darüber nach, was die Sachen aus dem „ran“-Universum waren, die jetzt noch zeitgemäß sind, die eine Innovation waren und die auch im Abstand gut waren.

Und das war?
Welke: Was bei „ran“ wirklich besonders war, war die Qualität der Beiträge, mit denen Themen gesetzt wurden. Es waren Geschichten, die Sat1-Mitarbeiter selbst recherchiert haben. Heute ist es zu oft so, dass der Sportteil der BILD-Zeitung verfilmt wird, weil die das größte Netz der Informanten haben. Man muss nun wieder an das anknüpfen, mit dem man damals selbst für Gesprächsstoff gesorgt hat.

Wen wünschen Sie sich denn als Experten an Ihrer Seite? Früher haben Sie mit Paul Breitner und Oliver Bierhoff zusammengearbeitet. Bei den Einsätzen, die Sie aktuell für Sat1 bereits wieder bestreiten, ist es Ex-Schalke-Trainer Mirko Slomka. (Anm. d. Red.: am 25. Mai wurde bestätigt, dass Sat1 Franz Beckenbauer als Experte für „ran“ unter Vertrag genommen hat)
Welke: Schwer zu sagen. Ich glaube, dass man in der Europa-League (künftiger Name des UEFA-Cups, d.R.), gut beraten wäre, wenn man eher auf wechselnde Experten setzt, die eine Kompetenz für einen bestimmten Verein haben. Es gibt leider viel zu viele Experten, die zu allem in der gesamten Fußballwelt etwas zu sagen haben. Für die Champions-League wäre ein fester Experte wohl nicht schlecht – aber es gibt weit weniger gute als man so denkt.

 

Sie sagen, es gibt zu viele Experten, die zu allem in der Fußballwelt etwas zu sagen haben. Das dürfte Ihnen doch aber bekannt vorkommen, als jemand, der auch überall – nämlich in der gesamten Fernsehlandschaft – mitmischt. Mal moderieren Sie Fußball, mal moderieren Sie ein Event von Stefan Raab, dann wieder sitzen Sie in einer Comedy-Sendung oder spielen Jürgen Vogels Untermieter in der „Schillerstraße“.
Welke: Aber das ist was anderes, als wenn es um Experten im Fußball geht. Wenn sich jemand dazu äußert, ob es schlau ist, dass Felix Magath zu Schalke geht oder nicht, wäre es schon gut, wenn man bei Schalke auch zwei oder drei Leute kennt und weiß wie es da im Aufsichtsrat zugeht.

Sie dürften sich auskennen. Was halten Sie denn von Magaths Wechsel zu Schalke?
Welke: Ich war sehr überrascht. Ich dachte, diese Konstellation in Wolfsburg, wo er als Manager jeden Vertrag mit sich selbst aushandeln kann, wäre eine Traumsituation. Aber scheinbar hat er den Ehrgeiz noch mal bei einem großen Verein Erfolg zu haben. Ich glaube, dass ihm die Entlassung bei den Bayern immer noch ein bisschen in den Knochen steckt.

Etwas anderes: Haben Sie Fans, Herr Welke?
Welke: Also, mir schreiben Leute, die Autogramme wollen. Und wenn es sich dabei nicht nur um professionelle Autogrammsammler handelt, die zehn Autogramme von mir gegen eines von Jörg Wontorra eintauschen, dann habe ich Fans, ja.

Es gibt aber auch zahlreiche Leute, die sagen: „Ein Fußballmoderator sollte nicht in Quatschsendungen auftreten“.
Welke: Solange ich nicht versuche, in einer Sportsendung unnötig witzig zu sein oder daraus eine Comedy-Sendung machen will, finde ich es in Ordnung. Ich weiß, dass es auch Fußballfans gibt, die es gut finden, wenn ich mal eine etwas ironischere Formulierung in der Fußballberichterstattung benutze. Ich kann es im Endeffekt nur so machen, wie ich es selbst gut finde – und mich nicht plötzlich langweiliger und ernster geben als ich es privat bin.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Welke: Ich habe immer „Isnogud, der Großwesir“ sehr gut gefunden. Das ist ein französischer Comic über einen bösen Großwesir, der anstelle des Kalifen selbst Kalif werden will – die Hauptfigur ist eigentlich ein Schurke. Er scheitert jedes Mal grandios, fängt dann aber wieder von vorne an. Das hat mir immer sehr imponiert.

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