Analyse von Talkshows zu Corona in Das Erste und ZDF

Es gab in der Vergangenheit schon einige ausführliche Studien über die Auswahl der Interview-Partner der großen Politik-Talks in Das Erste und ZDF (zwei habe ich unten verlinkt). Doch die Situation der Monate März und April 2020 ist ein besonderer Anlass, eine Analyse erneut vorzunehmen. Denn zu keiner Zeit seit der Wiedervereinigung gab es bundesweit so weitreichende Maßnahmen, wie durch den Corona-Lockdown. Betroffen sind nicht nur Infizierte, sondern der Lockdown trifft jeden Rundfunkbeitragszahler. Kitas und Schulen wurden landesweit geschlossen, Betriebsschließungen und Insolvenzen drohen überall im Bundesgebiet, in allen Bundesländern wurden Gaststätten und Hotels geschlossen, Großveranstaltungen abgesagt.

Also habe ich 59 Sendungen, die Corona thematisieren, genauer angeschaut. Für die Analyse (PDF) ausgewählt habe ich Markus Lanz, Maybrit Illner, Hart aber Fair, Anne Will und Sandra Maischberger. Die Woche, in der Zeit vom 26.02. bis 04.05.2020.

In den Vordergrund habe ich dabei gestellt, welche Parteien in den Sendungen vorkommen und wie häufig – 30 Jahre nach der Wende – ostdeutsche Gesprächspartner eingeladen werden (etwa jeder sechste Bürger lebt in den ’neuen‘ Bundesländern, vgl. de.statista.com).

Hier einige der Ergebnisse:

Auftritte von Politikern (97) nach Parteien:
– SPD 42, CDU/CSU 35, FDP 10, Bündnis90/Die Grünen 8, Die Linke 2, AFD 0
– Auftritte Regierungsparteien: 77
– Auftritte Opposition: 20
– Hart aber Fair verzichtet in acht Corona-Sendungen vollständig auf Politiker der Oppositionsparteien im Bundestag.

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– westdeutsche Politiker-Auftritte: 85 (87,6%)
– ostdeutsche Politiker-Auftritte: 12 (12,4%)
– Karl Lauterbach (SPD) ist mit 12 Auftritten genauso häufig zu sehen wie alle ostdeutschen Politiker zusammen.

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Auftritte insgesamt im Verhältnis West/Ost
– Gezählte deutsche Talkgäste der 59 Sendungen: 296
– von 293 Talkgästen arbeiten in/stammen aus West: 265 (91,5%)
– von 293 Talkgästen arbeiten in/stammen aus Ost: 28 (9,5% oder jeder Zehnte)
[Talkgäste aus Deutschland ohne Ost/West-Zuordnung: 3]
– Anzahl der Sendungen mit ostdeutscher Beteiligung: 23 von 59 (39%);
– über 60% der Sendungen finden komplett ohne ostdeutsche Beteiligung statt

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Lässt man die Politiker einmal außer Acht, reduzieren sich die in den ’neuen‘ Bundesländern wirkenden Talkgäste auf 5 Personen, von denen nur 3 gebürtig aus Ostdeutschland stammen:
– Ärzte: 2 (Alexander Kekulé / Isabelle Oberbeck)
– Gesundheitswissenschaflter: 1 (Joachim Kugler)
– Juristen: 1 (Karoline Preisler)
– Schriftsteller: 1 (Juli Zeh)
– Pflegekräfte: 0
– Unternehmer: 0
– Gastronomen: 0
– Journalisten: 0


Nebenbefunde:

Virologen-Charts (Auftritte):
Melanie Brinkmann (8)
Alexander Kekulé (7)
Hendrik Streeck (6)
Jonas Schmidt-Chanasit (5)
Christian Drosten (4)
Susanne Herold (4)
Michael Meyer-Hermann (2)
Gérard Krause (2)

Talk-Gäste mit Migrationshintergrund: 3
– Ranga Yogeshwar (lux./dt.)
– Gabriel Felbermayr (österr./dt.)
– Jolanta Schlippes (poln./dt.)

Wie wurde die Unterscheidung Ostdeutscher/Westdeutscher vorgenommen?

Als erstes Kriterium diente hierfür der Wirkungsort, sprich wo der/diejenige aktuell wirkt oder die meiste Lebenszeit gewirkt hat. Bei Bundespolitikern wurde der Geburtsort als Kriterium hinzugezogen, bei Bundestagsabgeordneten Wirkungsort mit Wahlkreis gleichgesetzt.
Beispiele: Juli Zeh = Ost, Alexander Kekulé = Ost, Franziska Giffey = Ost, Sahra Wagenknecht = West. 3 Personen wurden weder Ost noch West zugeordnet.

Liegt die geringe Zahl ostdeutscher Talk-Gäste daran, dass das Infektionsgeschehen in West-Deutschland größer war?

Das ist eine mögliche Erklärung. Jedoch ist auch nach Einsetzen der Lockdown-Maßnahmen, die alle Bürger bundesweit betreffen, keine Zunahme an ostdeutschen Talk-Gästen erkennbar, der Ost-Anteil verharrt auf niedrigem Niveau.

Gibt es Vergleichszahlen zum Anteil Ostdeutscher in den Talkshows von ZDF und Das Erste?

Ja. Zeit-Journalist Götz Hamann formulierte 2017: „So versucht die ARD ihren Mangel an ostdeutschen Gästen zu kaschieren und deren Quote wenigstens auf etwa fünf Prozent zu hieven.“ Aktuellere Zahlen sind in der Studie von Fabian Goldmann (s.u.) enthalten, der bei seiner Analyse auf einen Ost-Anteil von 12 Prozent kommt.

+++

Fragen, die sich aus den Zahlen ergeben könnten:

– Die durch den Shutdown ausgelöste Wirtschaftskrise betrifft das ganze Land und jeden Beitragszahler. Warum schaffen es fünf Talkshow-Redaktionen in 59 Sendungen nicht ein einziges Mal, einen ostdeutschen Unternehmer, Gastronomen oder Vertreter der Tourismusbranche einzuladen?

– Schulen und Kitas wurden im gesamten Land geschlossen, für Pflegeheime ein Besuchsverbot erlassen. Warum schaffen es fünf Talkshow-Redaktionen in 59 Sendungen nicht ein einziges Mal, mit ostdeutschen Pflegern, Schul- oder Kita-Direktoren zu sprechen?

– Wie erklären ARD und ZDF, dass in 59 Sendungen unter 296 Talkgästen kein Vertreter der stärksten Oppositionspartei im Bundestag (AfD) ist? (Update 06.05.: Die AfD erklärt auf Anfrage, dass sie die untersuchten Talksendungen nicht boykottiert. Auf die Frage, ob AfD-Politiker Einladungen erhalten haben, schreibt die AfD-Pressestelle: „Über den Daumen gepeilt: Kaum eine. Wir wurden nicht eingeladen, weil die Redaktionen uns bzw. unsere Positionen gezielt nicht vorkommen lassen wollten.“)

– Findet sich wirklich kein einziger in den ’neuen‘ Bundesländern aktiver Journalist, den man in die genannten Talkshows einladen könnte?

UPDATE 15.05.: Alle Redaktionen der hier genannten Talkshows haben inzwischen auf mehrere Fragen zur Gäste-Auswahl geantwortet.


Andere Talkshow-Analysen

– Marco Bülow MdB: Talkshows einseitig und verzerrend
Untersuchung und Bewertung von über 200 politischen Talkshows der öffentlich-rechtlichen Medien, März 2017

– Fabian Goldmann: Wie divers sind deutsche Talkshows?
135 Themen, 728 Gäste, 8800 Sendeminuten: Analyse sämtlicher Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen des Jahres 2019 im Hinblick auf Diversität, Dezember 2019

2 Kommentare zu “Analyse von Talkshows zu Corona in Das Erste und ZDF”

  1. Stefan |

    Man sollte diese Analyse mit den Standpunkten der Teilnehmer ergänzen. Pro und Contra der verordneten Maßnahmen. Und auch erwähnen, das andere, hochrangige, Experten gar nicht zu Wort kommen.

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  2. Peter |

    2018 lebten 70,6 Mio in den alten und 12,5 Mio in den neuen Bundesländern, also ca. 15% der Deutschen leben in den neuen Bundesländern, da ist die Zahl der Talkshow Auftritte doch im Verhältnis, wenn man die Bevölkerungsverteilung anlegt.

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