Frei.Wild – eine aufgeblähte Debatte

Falls ich jetzt Mails bekomme mit Fragen wie „Warum bietest du so einer Band eine Plattform?“ oder „Warum hast du sie nicht gefragt, ob Sie Nazis sind?“ hier prophylaktisch ein paar Anmerkungen zu meinem Gespräch mit Frei.Wild und allgemein zum Umgang der Medien mit der Deutschrock-Band aus Südtirol.

Als neulich eine Einladung zum Interview mit Frei.Wild bei mir eintrudelte, habe ich nicht lange gezögert und bei der von der Band engagierten PR-Agentur mein Interesse bekundet. Deutschrock ist zwar nicht meine Musik und bei politischen Ansichten habe ich mit Frei.Wild nicht so viele Überschneidungen, aber beides ist eben nicht ausschlaggebend für die Frage: Interview ja oder nein.

Frei.Wild ist wohl noch immer Deutschlands meistdiskutierte Band, das ist für einen Journalisten erstmal reizvoll. Allerdings musste ich während meiner Recherche schnell feststellen: Frei.Wild ist auch eine der… nein, wahrscheinlich ist es DIE meistanalysierte Band der letzten Jahre. 600 Seiten umfassen allein die beiden von Klaus Farin vorgelegten Bücher, der dafür über 4000 Fans via Fragebogen und 400 Fans in Einzel-Interviews befragte. Hinzukommen diverse TV-Berichte, Artikel in Musikzeitschriften, Tageszeitungen, Online-Medien etc.

D.h.: Viele Fragen wurden schon gestellt – und von der Band viele Male beantwortet. Hier ein paar schnelle Links zu Aussagen von Frontmann Philipp Burger:

Ist Frei.Wild eine Rechtsrock-Band?
„Nein.“

Tolerieren Frei.Wild Nazis auf ihren Konzerten?
„Nein.“

Aber Phlipp war doch bei den „Kaiserjägern“ in deren CD-Booklett er den Hitlergruß zeigt?
„Meine Zeit bei Kaiserjäger ist mit großer Sicherheit die beschissenste Zeit meines Lebens gewesen und zum Glück habe ich damals nach drei Jahren verstanden, worauf es im Leben wirklich ankommt. Und ich habe es keinen Tag bereut, als ich gesagt habe: Nein, das ist nicht mein Leben, das kann nicht mein Weg sein.“

Seinen Ausstieg, der nach einer Schlägerei verfeindeter Neonazi-Gruppen erfolgte, beschreibt Philipp ausführlich in Farins Buch „Frei.Wild“ (2016) auf den Seiten 188ff. Frei.Wild distanzieren sich regelmäßig von Extremismus und meinen damit auch konkret Rechtsextremismus.

Aber das erzählen die doch nur, weil der Manager ihnen das so vorschreibt!
Ich habe eine Stunde mit der Band zusammengesessen, da war kein Manager dabei, kein PR-Berater oder Ähnliches. Die meisten Antworten für die Band gibt Philipp, und was er sagt, wirkt auf mich nicht einstudiert oder auswendig gelernt. Die Band hat das Interview zur Autorisierung bekommen und dabei inhaltlich nichts verändert. Wenige Sätze wurden hinzugefügt und nachträglich die Frage zum Echo beantwortet, die mir beim Interview-Termin durchgerutscht war.

– Ich finde aber, dass die Texte von denen ganz bestimmt voll rechts sind.
„Ich glaube, dass es relativ schwierig ist, wirklich eindeutig rechtsradikale Sachen in den Texten von Frei.Wild festzustellen“, sagt zum Beispiel der Spiegel-Redakteur Tobias Rapp – und fügt hinzu: „Es gibt Tendenzen, es gibt Andeutungen, es gibt ein Spiel damit.“
Im gleichen Artikel von 2013 sagt der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs gegenüber dem Deutschlandfunk: „Frei.Wild bedient Sujets, die letzten Endes durchaus auch recht anschlussfähig sind. Die Kleinen gegen die Großen, wir hier unten, die da oben, eine Verweigerung gegenüber dem System, was auch immer das System ist, einschließlich der Medienschelte und der Schelte der ‚Gutmenschen’“. Ehrlich gesagt, mit Ausnahme des letzten Aspekts trifft diese Beschreibung auch auf die Texte vieler Punk-Bands zu. Hindrichs hat sich fünf Jahre später aber auch gegenüber dem Bayerischen Rundfunk geäußert, wo er die Band noch klarer in die rechte Ecke stellt (Link im Internet Archive). „Sie sind rechtspopulistisch“ und in den Texten der Band gibt es laut Hindrichs eine „Blut-und-Boden-Ideologie“.

Nun, die Texte von Frei.Wild stehen alle online, auf der Homepage der Band. Jeder kann sich also selbst ein Bild davon machen. Ich kann aber vorweg nehmen: In 99% der Texte von Frei.Wild geht es nicht um „Blut-und-Boden-Ideologie“, auch nicht um Rechtspopulismus. Sondern um so Dinge wie
Aids, Alkohol, Arschlöcher, Besaufen, Depressionen, Fantreue, Frei.Wilds Kritiker, Fußballclubs, Hochmut, Liebe, Medien, Meinungsfreiheit, Opposition, Selbstbewusstsein, Terrorismus, Verbotene Liebe usw. usf.

Es fällt mir schwer, anhand der Texte nachzuvollziehen, was der BR-Autor Klaus Walter schreibt (Link im Internet Archive): „Frei.Wild (…) wettern gegen alles Fremde. (…) Frei.Wild definiert Identität vor allem über Abgrenzung. Abgrenzung gegen das Andere, das Fremde. Ihre Identität sei stets und ständig bedroht, ohne die Werte der Heimat sterbe unser kleines Volk.“ Wo bitte wettern Frei.Wild gegen alles Fremde? Wo definieren sie sich über Abgrenzung?

Klaus Walter, dessen Artikel die Überschrift trägt „Warum Frei.Wild doch eine rechte Band sind“, liefert für seine These genau einen Songtext als Beleg: „Wahre Werte“. Darin heißt es u.a.

Wann hört ihr auf, eure Heimat zu hassen
Wenn ihr euch Ihrer schämt, dann könnt ihr sie doch verlassen
Du kannst dich nicht drücken, auf dein Land zu schauen
Denn deine Kinder werden später darauf bauen
Sprache, Brauchtum und Glaube sind Werte der Heimat
Ohne sie gehen wir unter, stirbt unser kleines Volk

OK, das kann man jetzt als Heimatliebe, Volkstümelei und Patriotismus interpretieren, und die letzte Zeile ist möglicherweise Panikmache vor dem Untergang der Heimat (wobei das für Frei.Wild nicht Deutschland sondern Südtirol ist). Aber ein „Wettern gegen alles Fremde“? „Blut-und-Boden-Ideologie“? (Nur mal nebenbei: genau diese Ideologie wird in dem Frei.Wild-Song „Schlauer als der Rest“ parodiert.) Und warum ist, laut Walter, ausgerechnet „Wahre Werte“ ein „Signatursong“ der Band, wo er bei den meistgeclickten Songs von Frei.Wild lediglich auf Platz 10 rangiert und wo es doch in den allermeisten Texten von Frei.Wild um ganz andere Dinge geht?

Ich hatte tatsächlich bei einigen Artikeln über Frei.Wild das Gefühl, dass hier manche Journalisten aus einer konservativen, heimatbesoffenen, systemkritischen, sich als Rebellen feiernden Maus einen fiesen, propagandistischen Nazi-Elefanten machen wollen.

Das funktioniert auch, allerdings NUR, wenn man bestimmte Songzeilen von Frei.Wild ignoriert und weglässt, wie zum Beispiel:

Wir hassen Faschisten, Nationalsozialisten
Unsere Heimat hat darunter gelitten
(aus „Wahre Werte“)

Haut euch die Knüppel in die Schnauze
Scheiß-Extremistenpack
(…)
Sie wehen braun und wehen rot
Atme sie nicht ein
Ihre Winde bringen dir den Tod
(aus „Macht euch endlich alle platt“)

Unsere Liebsten, unsere Freunde sind von verschiedenster Couleur
Sprechen viele, viele Sprachen, kommen von überall her
(…)
Du verfolgst gute Menschen, sonderst wieder aus
Mich überkommt das Kotzen, ja nur mehr blanker Graus
(aus „Akzeptierter Faschist“)

Schlage Brücken durch Sprache
Will sie lernen, will sie verstehen
Euer Land kennenlernen
Und will euch von meinem erzählen
Ich weiß, dass das alles
Für keinen hier einfach wird
Doch halte dran fest
Weil es nur ein Zusammen gibt
Ein Zusammen, das ich ohne euch so nicht leben kann
(aus „Ich bin neu, ich fange an“)

Wahren Frieden kann es nur dann geben
Wenn endlich wirklich alle aufeinander zugehen
(aus „Es braucht nicht viel um glücklich zu sein“)

Denn ganz weit rechts und ganz weit links, da stinkt`s!!!
(aus „Zeig große Eier und ihnen den Arsch!!!“)

Verschweigt den Menschen, dass wir Nazis hassen
Keine Extremisten auf Konzerte lassen
(aus „Schlagzeile groß, Hirn zu klein“)

Falsche Propheten marschieren schon wieder
Sie nutzen euern „Eiertanz“
Die wahre Hilfe für die Ärmsten
Verliert durch beide Lob und Glanz
(aus „Unrecht bleibt Unrecht“)

Mit den „falschen Propheten“ dürften AfD und Pegida gemeint sein, welche die Band 2015 in einem Statement mit den folgenden Worten (und geklemmter Feststelltaste) bedachte: „IHR SEID SCHEISSE UND DIESE SCHEISSE WERDEN WIR NICHT ZULASSEN! NICHT BEI UNS UND NICHT MIT DIESER BAND!!!“

In dem Statement aus einem Newsletter an die Fans heißt es weiter: „Freunde, gegen Rassismus zu sein, ist für uns eine Frage des An- und Verstandes! (…) Wer Menschen, die gerade mit knapper Not einem grausamen Krieg oder einer Verfolgung aus religiösen oder anderen Gründen entkommen sind, die ihrer Heimat (und ihr wisst, wie viel Heimat uns bedeutet) entfliehen mussten oder auf der Flucht ihre Liebsten verloren haben, wer solche Menschen hier wieder bedroht und terrorisiert, der ist schlichtweg ein asoziales Arschloch ohne Verstand und, viel schlimmer, ohne Herz und hassgesteuert.“

Klaus Farin schreibt: „Frei.Wilds Aussagen für eine solidarische Welt – um es mal plakativ auf einen Nenner zu bringen – sind so eindeutig, dass es schon einer hohen Ignoranz bedarf, sie zu ‚übersehen‘.“ (in „Frei.Wild“, S.292)

Auch auf Noisey.Vice.com, wo einige Male über Frei.Wild berichtet wurde, habe ich davon wenig gefunden. Dafür aber diese Zeilen von einem anonymen Autor: „Ihr Frei.Wild-Fans, Ignoranten und latenten Faschos da draußen, hört auf diese Scheiße zu kaufen. (…) Frei.Wild ist scheiße und es gibt kein Argument, diese Musik zu hören.“

Wahrscheinlich bewirkt der anonyme Autor (der hier, vermutlich unfreiwillig, einen Nazi-Slogan covert) damit genau das Gegenteil. Denn nicht zuletzt hat eben jenes undifferenzierte Rumhacken die Band zum Elefanten gemacht. Das ganze Medien-Bashing scheint die Fans nur noch mehr zusammenzuschweißen. Vor meinem Interview-Termin in Erfurt bin ich an den wartenden Konzertbesuchern vorbeigegangen: Und die trugen alle, bis auf sehr, sehr wenige Ausnahmen, ein T-Shirt der Band. Mir fällt gerade keine Band und kein Künstler ein, wo ich das schon mal so beobachtet hätte.

Auf einem T-Shirt steht die Songzeile: „Eure Lügen, euer Hassen, Sind der Antrieb weiterzumachen“ (aus „Schlagzeile groß, Hirn zu klein“). Die Kritiker und Boykotteure bieten der Band jede Menge Vorlagen, sie machen es für die Band zum Kinderspiel, sich als Rebellen zu präsentieren.

„Bei Frei.Wild wird sehr stark an einem mythischen Opferstatus gearbeitet. Mittlerweile ist ja das vorrangige Thema der Band, die Band selbst. Sie sind sehr selbstreflexiv in den Texten. Schon seit einigen Jahren geht es in den Texten mehr darum, wie die Bandtexte rezipiert werden und wie sehr sie missverstanden werden von der Öffentlichkeit“, so der österreichische Autor, Journalist und Extremismus-Experte Thomas Rammerstorfer im Interview bei Radio Bremen.

Um solche Missverständnisse zu beseitigen, empfiehlt es sich, mit der Band zu sprechen. Die Musiker sind zwar etwas genervt, wenn man ihnen immer wieder die gleichen Songzeilen vorhält, trotzdem entziehen sie sich dem nicht. Ein Gespräch beispielsweise von Marcus Staiger mit Philipp Burger wäre nur zu begrüßen – und sicherlich kein Ding der Unmöglichkeit. Denn die Band spricht sich ganz klar für Dialog aus. Übrigens auch mit Organisationen wie „Kein Bock auf Nazis“ und „Exit“. Allerdings hätten diese in der Vergangenheit, so erzählte es mir die Band, eine Zusammenarbeit mit Frei.Wild abgelehnt. (Exit allerdings dementiert diese Darstellung, siehe Ergänzung unter dem Interview.)

Mein Fazit: Wer über Frei.Wild berichtet, der kann natürlich schreiben, dass er die Texte blöd findet, oder zu martialisch, aggressiv, macho-mäßig, patriotisch, heimatverliebt usw., der kann die Naziband-Vergangenheit von Philipp Burger rauskramen und seine Sympathie für die Partei der Freiheitlichen in Südtirol hinterfragen. Doch der- oder diejenige sollte dann auch so fair sein, und genauso die versöhnlichen, anti-nazi, anti-extremistischen und auf friedliches Zusammenleben ausgerichteten Textzeilen und Statements der Band zitieren.

8 Kommentare zu “Frei.Wild – eine aufgeblähte Debatte”

  1. Olli |

    Vielen herzlichen Dank für diese sachliche und emotionslose Auseinandersetzung mit einer Band, deren Rock-Erfolg im deutschsprachigen Raum jede andere Band blass aussehen lässt. Gut zu wissen, dass man nicht von allen in die rechtsextreme Ecke gestellt wird.

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  2. Steffen Schmidt |

    Ein sehr gut recherchierter und an den tatsächlichen Fakten orientierter Bericht und nicht diese ewige Kopier-/Abschreibenummer irgendwelcher Ich-will-wichtig-sein-„Journalisten“!
    Diejenigen, die der Band und ihren Fans unterstellen, rechts zu sein, sollten mal draüber nachdenken, dass sie damit hunderttausende Menschen diskreditieren und in eine Ecke stellen (wollen), wo die nun überhaupt nicht hingehören! Sie sollten sich lieber die Frage stellen, warum die Band mit diesen vielen klasse Fans so erfolgreich ist(?). Aber einer offenen und zielorintierten Diskussion weichen diese Polemiker, mit ihrem manifestierten Vorurteil, ja stets und ständig aus. Irgendwie richtig feige.

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  3. Ragtag |

    Ich muss sagen, dass ich überrascht bin. Dass endlich mal eine ehrliche und unpopulistische Rezesszion zu Frei.Wild geschrieben wird, tut echt gut. Ja, auch ich bin bekennender FW-Fan und trage den Bandnamen auf der Haut. Und ich bin wahrlich alles andere als Rechts. Ich bin ganz normaler Deutschrock-Fan und habe nichts mit diesen kleingeistigen politischen Bauernfängern und deren dumpfen und dümmlichen Parolen am Hut.

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  4. Torsten Jahn |

    Gleich vorweg Ich bin Fan dieser Band.
    Aber Hut ab, das erste Mal lese ich eine realistische Einschätzung dieser Band und ihrer Fans. Es verlangt ja keiner Frei.Wild zu mögen oder auf ihre Konzerte zu gehen. Aber einen fähren Umgang und nicht durch Vorurteile abzustempeln!

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  5. Sebastian |

    „Übrigens auch mit Organisationen wie „Kein Bock auf Nazis“ und „Exit“.“ Wurde dazu auch mal bei den entsprechenden Einrichtungen nachgefragt, oder wird hier nur die Selbstdarstellung übernommen? Erzählen kann man ja viel.

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    1. Jakob Buhre Artikelautor|

      Bei beiden Organisationen habe ich nachgefragt, eine Antwort erhielt ich bislang nur von Exit, siehe Ergänzung unter dem Interview.

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      1. Sebastian |

        Danke für die Konkretisierung.

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    2. Carsten |

      Wer lesen kann ist klar im Vorteil.
      Die Organisationen wurden befragt und eine dementiert!

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