Burghart Klaußner

Das höchste Gut ist die Autonomie.

Schauspieler Burghart Klaußner über seinen Drang nach Unabhängigkeit, Popularität und den Film „Der Mann von der Botschaft“

Burghart Klaußner

© Arsenal Filmverleih

Herr Klaußner, Sie sagten vor einigen Jahren in einem Interview: „Ich musste am Anfang viele Umwege gehen, weil ich mit meinem Drang nach Unabhängigkeit viele vor den Kopf gestoßen habe.“ Wie stark ist dieser Drang nach Unabhängigkeit heute?
Klaußner: Ausgesprochen stark, denn das höchste Gut ist die Autonomie! Wer es erreicht, selbst über sich zu bestimmen, der hat gewonnen. Wer will sich schon sagen lassen, was er zu tun hat? Allerdings ist man nicht immer alleine auf der Welt, deshalb muss man immer wieder aufs Neue um diese Autonomie kämpfen.

Aber vermutlich verbessern sich die Bedingungen, umso älter und erfolgreicher man ist.
Klaußner: Man hat ein paar mehr Möglichkeiten, das stimmt. Aber allein der Wunsch, gleichermaßen oft Theater zu spielen wie Filme zu drehen, vielleicht auch zu singen oder selber Regie zu führen, ist kaum realisierbar. Es ist sehr schwierig, diese verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bekommen, weil man den einen Strang immer ein Stück weit beschneiden muss, sobald man mit dem nächsten beginnt. Während der Zeit, in der ich am Theater Regie führe, komme ich logischerweise etwas weniger zum Spielen. Darüber bin ich selbst zwar nicht traurig, aber diejenigen, die mit mir Filme machen wollen, finden es natürlich blöde, wenn ich dazu gezwungen bin, ein Projekt abzusagen. Und Absagen erteilen zu müssen ist nie angenehm.

Trotz Ihrer vielen Projekte haben Sie sich dafür entschieden, an der eher kleinen deutsch-georgischen Produktion „Der Mann von der Botschaft“ mitzuwirken. Auch ein Zeichen Ihrer Unabhängigkeit?
Klaußner: Klar. Entweder entscheidet man sich ganz bewusst für einen Film – oder man nimmt ein Angebot an, weil es halt gerade da ist, vielleicht auch, weil man viel Geld damit verdienen kann. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man seinen Beruf verstehen kann. Bei denen, die sich für eine bestimmte eingeschränkte Ausübung des Schauspielerberufs entschließen, läuft es nach einigermaßenem Erfolg praktisch wie von selbst. So dass sie weder denken noch handeln müssen und nur noch zu konsumieren brauchen. Das ist jedoch nicht mein Interesse.

Wieso die ganz bewusste Entscheidung für „Der Mann von der Botschaft“?
Klaußner: Die Geschichte ist absolut glaubwürdig, alles andere als dumm, platt und bescheuert. Es war ziemlich spannend, sich mal anzuschauen, was mit einem solchen Diplomaten in einem fremden Land passiert. Denn eigentlich ist er ja nur ein kleiner Angestellter in dieser Botschaft. So etwas wie ein Kaufhausangestellter auf dem Planeten Ausland, ein Flüchtling auf hohem Niveau, der immer nur kurz an einem Ort ist und den es kurze Zeit später wieder woanders hin führt. Er hat keine feste Familienbindung und versucht, in dieser sehr einsamen Situation irgendeine Art von Anschluss zu finden. Das Verhältnis mit seiner Kollegin scheint für ihn nicht weiter von Bedeutung zu sein. An diesem Mädchen, dem er schließlich begegnet, gibt es jedoch etwas, das ihn an die Ursprünge von Menschlichkeit und Freundschaft heranführt.

Gegenüber einer Freundschaft zwischen einem älteren Mann und einem jungen Mädchen gibt es ganz automatisch auch Vorurteile.
Klaußner: Ja, es gibt schließlich auch schlimme Erfahrungen auf dem Gebiet der Pädophilie und Kinderpornographie. Aber das heißt natürlich nicht, dass jede Beziehung zwischen zwei Menschen sexualisiert sein muss, schon gar nicht Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern, und auch nicht die zwischen einem Mann und einem Mädchen. Es ist absurd, davon auszugehen. Dieser Film setzt sich bewusst diesem Vorurteilsschema aus, um zu zeigen: Sexuelle Ausbeutung kann nicht überall das erste Erklärungsmuster sein. Wenn man das hinter jeder solcher Beziehung vermutet, stimmt wahrscheinlich etwas mit einem selbst nicht.

Könnten Sie sich vorstellen, das Leben eines Botschafters zu führen?
Klaußner: Ich mag es gerne, unterwegs zu sein. Aber man sollte immer eine Talstation haben, denn wenn man versucht, Klimmzüge zu machen, muss man auch wieder zurück nach unten kommen, auf einen Heimatboden. Grundsätzlich bedeutet Unterwegssein für mich die Abwesenheit von Tod. Deshalb kann ich diejenigen gut verstehen, die eine solche Fluchtenergie in sich tragen.

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Ich lege es nicht darauf an, die Popularität zu erreichen, die ein Schauspieler hat, der in einer Serie mitspielt.

Burghart Klaußner

Ist der Film eine Nischenproduktion?
Klaußner: Nein, ich finde, es ist ein absoluter Mainstream-Film. Wenn man Augen zum Sehen und Ohren zum Hören hat, kann sich wirklich jeder dafür interessieren. Gerade auch, wenn man den Film auch mal aus der Perspektive des Mädchens sieht. Da begegnen sich zwei Menschen auf einer Wegkreuzung und werden kurz darauf wieder auseinander gesprengt. Für dieses Kind ist die Begegnung mit diesem Erwachsenen ein wichtiger Schritt zur Emanzipation. Es geht auch darum, zu beschreiben, wie man von Begegnungen mit Älteren profitieren kann und was es bedeutet, wenn sie dann wieder auseinander gehen. Hat man ein Stück weit an Autonomie – da ist das Wort von vorhin wieder – und an Souveränität gewonnen? In diesem Fall ist das so, glaube ich.

Profitieren Sie in Ihrem Beruf von Begegnungen mit jungen Kollegen?
Klaußner: Von jungen Leuten kann man unheimlich viel lernen, klar. Ich lerne aber auch noch von Älteren, weil ich mich selbst schließlich noch nicht ganz am Ende der Alterspyramide befinde. Neugierde ist ein Konstitutum des Menschen an sich. Wenn man nicht neugierig ist, hat man verloren. Egal ob es Neugierde gegenüber Älteren oder Neugierde gegenüber Jüngeren ist: etwas Neues lernen kann man immer.

Gab es in der Vergangenheit Rollen, für die Sie richtig gekämpft haben?
Klaußner: Ja, die letzte Rolle, die ich unbedingt spielen wollte, war die Rolle in Hans Christian Schmids Kinofilm „Requiem“. Ich habe einen Schlosser gespielt, deren Tochter vermeintlich vom Teufel besessen ist. Der Regisseur war sich zunächst über die Besetzung der Figur nicht ganz sicher und überlegte, sie vielleicht mit einem etwas beleibten Schauspieler zu besetzen. Im Nachhinein war ich sehr froh, dass ich die Rolle spielen durfte…

…und wurden für diese Rolle für den Deutschen Filmpreis nominiert, erneut für die beste Nebenrolle. 2005 hatten Sie den Preis für „Die fetten Jahre sind vorbei“ bereits bekommen. Man hatte in den letzten Jahren ein wenig den Eindruck, dass Sie auf Nebenrollen abonniert sind.
Klaußner: Den Eindruck konnte man haben, aber es stimmt nicht so ganz. Mir kommt es im Endeffekt immer darauf an, dass es eine anständige Arbeit ist. Ob es nun eine Nebenrolle oder eine kleine Produktion ist, ist nicht die entscheidende Frage. Eine tolle Nebenrolle ist oft interessanter als eine blöde Rolle in einer Riesenproduktion. Natürlich kostet das alles seinen Preis und manchmal muss man bei Low Budget-Filmen das Geld geradezu mitbringen. Meistens lohnt es sich dann aber auch, in solche Produktionen zu investieren.

Es ist allerdings schwer, auf diese Weise große Popularität zu erreichen.
Klaußner: Ich lege es nicht darauf an, die Popularität zu erreichen, die ein Schauspieler hat, der in einer Serie mitspielt. Diesen Status zu erreichen ist nicht schwer, da müsste man einfach öfter mit gewissen Medien kooperieren oder etwas tun, was einem beruflich nicht so nahe steht, was aber sehr massenkompatibel ist. Wenn ich da irgendwann auch mal Lust drauf habe, dann mache ich das. Im Moment bin ich noch nicht soweit.

Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Klaußner: Ich wäre Gaston Lagaffe aus den Spirou-Comics – ein total durchgeknallter Typ, der immer fast die Hälfte der Welt in die Luft sprengt.

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