Hilary Hahn

Für mich ist klassische Musik keine Entspannungsmusik.

Hilary Hahn über Energie auf der Bühne, den Kreislauf zwischen Musiker und Publikum, Mund-zu-Mund-Propaganda im Klassik-Business und Haustiere on Tour

Hilary Hahn

© KASSKARA/DG

Frau Hahn, nicht nur Klassik-Hörer sind bereits in den Genuss Ihres Spiels gekommen, sondern auch Fans der texanischen Rockband „…And You Will Know Us By The Trail of Dead“, auf deren letztem Album Sie zu hören sind. Ich habe mir kürzlich eine Band-Bio durchgelesen, in der stand allerhand kurioses Zeug: dass sie sich der Maya-Forschung widmen, dass sie alle Kulturen mit musikalischen Mitteln vereinen wollen…
Hilary Hahn: Das ist alles Unsinn! Da sind zwar ein paar schöne Geschichten dabei, aber das ist alles Fake. Auch was sie auf ihrer Website schreiben ist alles frei erfunden. Ihr Frontmann Conrad Keely hat mir erzählt, dass er zum Beispiel mal statt einer angeforderten Band-Biografie die Geschichte der klassischen Musik auf zwei, drei Seiten aufgeschrieben und abgeschickt hat.

Und wie kam die Band auf Sie?
Der Conrad ist ein richtiger Klassik-Fan und die anderen kennen sich auch ganz gut mit klassischer Musik aus und haben in dem Bereich bereits verschiedene Projekte gemacht. Conrad ist dann mal in Texas zu einem Konzert von mir gekommen und danach hat er mich gefragt, ob ich auf ihrer nächsten Platte ein Instrumental spielen würde.

Woraus dann ein anderthalbminütiger Folk-Walzer wurde.
Ja, den hat Conrad auf dem College geschrieben, als er einen Kurs für klassische Komposition besucht hat. Er wollte das Stück halt irgendwann mal verwenden und meinte, ich sei die richtige Interpretin dafür. Wir haben das Stück dann gemeinsam ausgearbeitet, die Tonart, das Tempo, die Verzierungen. Viel von dem, was man dort hört, kommt also auch von mir.

Sind Sie auch schon live mit denen aufgetreten?
Nein, dafür ist mir meine Geige glaube ich zu wertvoll.

Sie meinen, weil die Band dafür berüchtigt ist, dass die Musiker nach einem Konzert hin und wieder das gesamte Band-Instrumentarium auseinander nehmen?
Richtig. Da müsste ich erst mal eine Ersatzgeige finden, um mit denen live zu spielen. Wobei, Lust hätte ich schon. Aber ich habe mir vor kurzem eins ihrer Konzerte auf Video angeschaut: sie zerstören wirklich alles. Und das mitten auf einer Tour. Auf dem Video hört man dann auch deren Tourmanager laut fluchen. Weil sie zu dem Zeitpunkt in Australien waren, das nächste Konzert war an einem Sonntag und kein Geschäft war geöffnet, wo sie sich neue Instrumente hätten besorgen können. Darauf meint noch einer der Musiker, „vielleicht ist ja doch noch etwas auf der Bühne übrig geblieben“ und stiefelt so durch diesen großen Haufen Schrott und findet aber absolut gar nichts, was noch heil geblieben ist.

Klingt auch ein wenig nach Show.
Ich weiß es auch nicht so genau, es ist schon komisch, dass die vor manchen Dingen sehr großen Respekt haben, vor anderen aber überhaupt nicht. Ich habe Conrad auch mal gefragt, was das alles soll. Er meinte nur, das sei einfach die Energie des Moments.

Gibt es solche Momente auch in Ihren Konzerten?
Nein, nein. Ich spiele ja nicht auf Drogen.

Was passiert eigentlich in Ihrem Kopf vor, während Sie auf der Bühne stehen und mit Orchester ein großes Violinkonzert spielen?
Ziemlich viel. Erst mal spielen alle auf der Bühne, das Orchester und ich, da wird viel Energie frei. Außerdem sitzt das Publikum da und hofft, dass es ein gutes Konzert wird. Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig, aber für mich ist das immer wie ein großer Kommunikationskreis. Vom Publikum her bekommt man so ein Gefühl, einen Gefühlsstrom, der geht dann durch den ganzen Saal, kommt auf die Bühne, breitet sich zwischen den Musikern aus und geht dann wieder zum Publikum zurück. Wobei das keine einzelnen Wellen sind, sondern mehr so ein konstanter Kreislauf.

Gibt es auch Tage, wo dieser Kreislauf nicht zustande kommt?
Sagen wir es so: das Gefühl, was man vom Publikum bekommt, ist nicht immer ein gutes Gefühl. Manchmal kann man spüren, dass die nicht ganz bei der Sache sind, dass sie gelangweilt oder müde sind, dass sie schlecht gelaunt sind, oder dass sie jetzt am liebsten zuhause sein würden. Man spürt das einfach, auch wenn ich nicht genau sagen kann, wie. Klassische Konzerte sind ja auch nicht wie Rockkonzerte, wo man genau sehen kann, wie das Publikum die Musik aufnimmt.

Und wenn das Publikum nun schlecht gelaunt ist, wie muntern sie es wieder auf?
Indem ich noch ein bisschen mehr zeige, was an der Musik interessant ist. Ich versuche dann, mich mit meinem Spiel sozusagen ganz weit Richtung Publikum auszustrecken, um die Leute zu erreichen, um sie in diesen Kreislauf reinzubringen. Normalerweise klappt das auch. Sowieso: je mehr Energie man gibt, desto mehr bekommt man vom Publikum auch zurück.

Ist das Spielen denn anstrengender für den Körper oder für den Kopf?
Ich würde sagen, für den Kopf. Du denkst auf der Bühne immer sehr schnell, weil du einen sehr hohen Adrenalinspiegel hast. Und wenn du mit einem Orchester spielst, musst du sehr aufmerksam sein und auf all die Musiker achten und aufpassen, dass du nichts wirklich Unerwartetes machst.

Was meinen Sie damit?
Es kann passieren, dass ich etwas ganz Neues ausprobieren will, der Dirigent und das Orchester mich aber nicht verstehen. Dann kommt die Musik schnell aus dem Gleichgewicht und es dauert ein bisschen, bis man sich wieder geeinigt hat. Das Publikum merkt davon aber meistens gar nichts. Selbst ich merke das manchmal nicht, wenn ich in Konzerte von Kollegen gehe, die mir dann danach erzählen, dass sie mit dem Orchester und dem Dirigenten überhaupt nicht zusammen gewesen wären.

Versuchen Sie, bei jedem Auftritt anders zu spielen?
Ja, weil wenn man versucht, sich zu kopieren, die gleiche Interpretation immer wieder nachzumachen, dann ist das wie mit einem Bild, von dem man eine Kopie macht, die man dann wieder kopiert und wieder kopiert usw.: mit jeder weiteren Kopie wird das Bild unschärfer. Und natürlich muss ich mir auch immer neue Dinge einfallen lassen, weil ich ja größtenteils sehr alte Werke spiele, von denen es schon so viele Interpretationen gibt. Ich versuche den Leuten immer etwas Neues anzubieten.

Noch mal zu dem Punkt, was die körperliche Belastung anbelangt. Hat da das ständige Geigenspiel nicht auch bestimmte Auswirkungen?
Doch, doch, schauen Sie mal auf den Mittelfinger. (Hilary Hahn hebt ihre linke Hand hoch; Mittelfinger, sowie ein wenig auch Ring- und Zeigefinger sind verdreht, was man vor allem daran erkennt, dass die Fingernägel fast auf der Seite liegen und nicht – wie normalerweise – oben auf.) Komisch oder? Das liegt daran, dass man die Saiten der Geige nicht seitlich, sondern nur von oben greifen kann. Ich spiele ja schon seit dem ich vier Jahre alt bin und inzwischen hat sich der Körper daran angepasst. Die Finger an meiner linken Hand sind übrigens auch ein bisschen länger als die an der rechten.

Sie wurden 2001 vom Time Magazine als „America’s Best Young Classical Musician“ ausgezeichnet. Das mag für die Leser interessant sein – aber was bedeutet so eine Auszeichnung unter Musikern?
Gar nichts, das spielt keine Rolle. Die Leute denken vielleicht, dass sich die Musiker über so etwas ärgern, wenn einer so besonders hervorgehoben wird. Aber eigentlich wissen wir Musiker alle, dass solche Auszeichnungen eher zufällig zustande kommen. Bei Musikwettbewerben ist das ganz ähnlich, da hängt die Entscheidung für den ersten Preis viel mehr von den Jurys ab, als von den Musikern, die vorspielen.

Man klopft sich also auch nicht gegenseitig auf die Schultern?
Nein, da redet auch keiner drüber. Das ist halt nicht relevant. Wenn mich zum Beispiel ein Orchester nicht engagieren möchte, dann wird sich das nicht ändern, nur weil ich im Time Magazine war.

Sie spielen mittlerweile als Solistin mit den wichtigsten Orchestern der Welt – wie kommt man denn auf dieses Top-Level?
Ich glaube, das funktioniert größtenteils durch Mund-zu-Mund-Propaganda, so kriegt man raus, wer wessen Interpretation mag, wer mit wem arbeiten möchte. Ein Dirigent bringt dann meistens seine Lieblings-Solisten zu seinem Orchester, als Solist lernst du verschiedene Orchestermanager kennen, die kommen in dein Konzert, engagieren dich… – das ist insgesamt ein großes Netz von vielen Künstlern und Verantwortlichen und da kann man als Künstler den Erfolg auch nicht erzwingen.

Woran machen Sie für sich den Unterschied zwischen einer guten und einer schlechten Geigerin fest?
Also, erst mal sage ich gar nicht: die ist gut, oder die ist schlecht. Es gibt einerseits Geiger, wo ich denke, ich würde gerne wie die spielen können. Auf der anderen Seite gibt es Musiker, deren Manierismen ich nicht mag. Das heißt nicht, dass sie schlecht spielen. Weil ich glaube, wenn jemand sie im Konzert hören will, dann sind sie gut genug. Ich weiß nur für mich, welche Aufnahme ich immer wieder hören möchte und welche ich nicht hören möchte. Es gibt auch viele Aufnahmen, von denen ich weiß, dass sie gut sind, die ich aber trotzdem nicht anhöre, damit ich deren Spiel nicht im Ohr habe. Weil sonst würde ich die vielleicht unbewusst kopieren. Ich habe generell beim Hören von klassischer Musik nicht so viel Spaß, für mich ist das eher Arbeit, weil ich immer automatisch auf bestimmte, musikalische Details achte.

Und es gibt keine Klassik-CD, bei der Sie sich mal so richtig entspannen können?
Nein. Für mich ist klassische Musik keine Entspannungsmusik. Ich kann halt nicht anders, als da immer genau zuzuhören. Ich kann das nicht abschalten. Das kommt natürlich auch dadurch, dass ich im Zusammenspiel mit anderen Musikern immer sehr gut zuhören muss. Das heißt, ich höre Musik sowieso ganz anders als das normale Publikum. Und wenn ich entspannen möchte, dann schaue ich einen Film an, oder ich höre nicht-klassische Musik oder ich höre einfach gar nichts. Manchmal brauche ich von der Klassik auch mal eine Pause.

Sie gehören mit 25 Jahren nun schon zu den meistbeschäftigten Musikern in der Klassik – gibt es Dinge, die Sie bei all den Tourneen und Konzerten vermissen?
Ich würde gerne mehr Haustiere haben.

Wie viel haben Sie denn momentan?
Eine Maus. Er heißt Mars und ich nehme ihn manchmal mit auf Tournee. Anscheinend gefällt ihm das auch ganz gut, zu reisen, er hat jedenfalls kein Problem damit. Ich habe in meiner Reisetasche so ein kleines Häuschen für ihn. Und im Hotelzimmer ist es dann halt nicht so einsam, wenn da noch jemand lebendiges ist. Das Reisen macht so auch viel mehr Spaß, so eine Maus macht unterwegs alles ein bisschen lustiger.

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