Benjamin Heisenberg

Rauben ist das nächste Level nach dem Laufen.

Benjamin Heisenberg über seinen Film „Der Räuber“, den realen Bankräuber Johann Kastenberger und eine Diskussion mit Oskar Roehler über das Nebeneinander von Arthouse und Blockbustern

Benjamin Heisenberg

© Zorro Film

Herr Heisenberg, was hat Sie am Stoff zu Ihrem Film „Der Räuber“ gereizt?
Benjamin Heisenberg: Von Anfang an die Story eines Hochleistungssportlers, der auch noch Bankraube wie einen Sport betreibt, dem dann aber eine Liebesgeschichte in die Quere kommt.

Mit welchen Worten würden Sie Ihren Film „Der Räuber“ bewerben?
Heisenberg: Es ist ein anarchischer Film, da ein Mensch in eine Bank geht und sich dort einfach Geld nimmt, was ihm aber total egal ist. Es geht ihm scheinbar nur um diesen anarchischen Akt. Auf der anderen Seite ist es ein Film über eine Form von Mensch, die sich selbst an die Grenze bringen muss, um sich zu spüren. Das ist ein Teil unserer Gesellschaft.

Im Unterschied zum Film soll der wahre „Pumpgun Ronnie“, wie Johann Kastenberger genannt wurde und der Ihrer Filmfigur als Vorlage diente, einige Morde begangen haben…
Heisenberg: Das ist so nicht ganz belegt. Ich kann das weder bestätigen, noch etwas dagegen sagen. Ihm wurden mehrere Morde nachgesagt, bewiesen wurde aber nur einer. Er war in jedem Fall eine noch psycho-pathologischere Figur als die, die wir zeigen. Wir haben ihn ein wenig sympathischer gemacht. Es ging mir darum das Motiv des Laufens zu verstärken und nicht einen psychopathischen Killer darzustellen.

Ihrem Hauptdarsteller Andreas Lust haben Sie erzählt eine Tierdoku zu drehen, bei der Sie einen Puma in freier Wildbahn beobachten. Ging es Ihnen hauptsächlich darum diese Energie in Szene zu setzen?
Heisenberg: Absolut. Ich habe ihn eher als Phänomen, denn als psychologische Figur betrachtet, die dann mit seiner Liebe zu Erika doch zu einer psychologischen Figur wird, was ihn zum Menschen macht – aber auch völlig aus der Bahn wirft. Das ist ein erster Bruch der Geschichte. Vorher funktioniert er nämlich gut. Er ist kein gebrochener Mann, der seine Taten aufgrund irgendwelcher sozialen Hintergründe begeht, sondern er funktioniert aus seiner Natur heraus. Im übrigen ist es das, was ihn für Erika attraktiv macht, nämlich dass er so viel Energie in sich trägt. Energie, die raus muss, um sich überhaupt zu spüren. Die Liebesgeschichte ist eine Flucht in sich hinein und führt so zu einem anderen Ende, als in der realen Geschichte. Ich empfand das letzte Aufflammen der Liebe berührender und für die Figur passender. Den Selbstmord des realen Kastenberger würde ich eher auf eine Form von suizidaler Geltungssucht zurückführen und weniger auf ein existentielles Moment.

Wie herausfordernd war es für Sie, dieses Laufen zu inszenieren?
Heisenberg: Das ist sehr reizvoll, weil er jemand ist, der sich aus eigener Kraft bewegt. Wir Menschen sind von Tieren sehr fasziniert und im Film wird der Mensch zu einem Tier, dem wir zuschauen können. Das fasziniert mich ähnlich, wie wenn ich einem Kenianer beim Marathon oder einem 100 Meter Sprint zusehe. Seine Serie von Banküberfällen übt auf mich eine ebensogroße Faszination, wie auch einen großen Spaß aus. Die kaltschnäuzige Art, mit der er seine Verbrechen vollzieht und anschließend davon im Radio hört. Daran habe ich als Filmautor, wie als Zuschauer Spaß.

Sie stellen die Banküberfälle eher kontrolliert und wenig reißerisch da…
Heisenberg: Die anderen sind hysterisch. 90 Prozent der Banküberfälle – und davon gibt es sehr viele – laufen ab, wie ich sie schildere. Sie entsprechen sehr stark der Realität der Kastenberger Überfälle. Seine Banküberfälle gehen sehr schnell und unterscheiden sich sehr stark von anderen, in denen Leute als Geisel genommen werden und aufschreien oder geprügelt werden. Das ist einfach ein anderes Genre des Bankräuberfilms.

Interessant bei Ihrer Figur des Räubers ist, wie wenig er an seinem Beutegeld, aber auch generell am Leben interessiert ist. Er packt das Geld in einen schwarzen Müllsack, versteckt es unterm Bett und dort endet sein Interesse. Ist das eine neue Variante der Figur des Räubers?
Heisenberg: Absolut. Er ist jemand, bei dem der Weg das Ziel ist. Er handelt aus sich selbst heraus und spürt sich selbst erst, wenn er raubt. Rauben ist das nächste Level nach dem Laufen. Eine gesteigerte Form davon. So tritt er mit sich selbst in Kontakt und entwickelt ein Gefühl für sich selbst. Die Beute ist nicht wichtig für sein Leben. Er braucht vielleicht mal eine neue Uhr oder einen neuen Rechner, aber das war es dann auch. Sein Glück findet er woanders.

Zitiert

90 Prozent der Banküberfälle laufen ab, wie ich sie schildere.

Benjamin Heisenberg

Wiederholt er mit seinen Überfällen das so genannte „Runners High“ von Läufern an anderer Stelle?
Heisenberg: Der Endorphin-Kick spielt eine große Rolle. Wobei ich aber nicht glaube, dass er eine Wahl hätte. Es ist in seiner Natur so angelegt, der folgt er. Erst die Liebesgeschichte, die schicksalhaft zum Scheitern verurteilt, stört das. Sie führt zum Wunsch doch eine Liebe zu leben oder eine Perspektive zu entwickeln.

Ist das eine Interpretation der Filmfigur oder der realen Figur?
Heisenberg: Das ist interessant. Es ist eine Interpretation der Filmfigur. Die reale Figur ist in dieser Hinsicht nur sehr schwer zu durchschauen. Kastenberger hat sehr widersprüchliche Sachen gemacht und ist schwerer zu durchleuchten, als unsere Filmfigur. Er hat sicherlich geliebt, wie meine Figur, hat aber auch sehr egoistisch und sehr hart gehandelt. Er war einerseits bei vielen Menschen sehr beliebt, hat aber andererseits brutal gehandelt. Er war in jedem Fall eine gespaltene Persönlichkeit. Ob dem aber die Psychologie gerecht wird, mit der ich ihn beschreibe, weiß ich nicht.

Wie trafen Sie Ihre Schauspieler-Wahl? Wie wichtig war Ihnen der körperliche Aspekt?
Heisenberg: Andreas Lust ist ein super Schauspieler, genau wie Franzsika Weisz auch. Besonderheit bei der Besetzung seiner Figur waren die ausgeprägten Lauftests, bei denen ich teilweise beim Laufen mit der Kamera mitgefahren bin. Dazu hatten wir einen professionellen Lauftrainer, der für uns einschätzte, wie wahrscheinlich es ist, dass der Schauspieler nach einigen Monaten Training überhaupt einen Schritt entwickeln kann, der nach einem Profi-Läufer aussieht. Andreas kam dem am nächsten, gerade weil er es als Herausforderung betrachtete, dieses Training durchzuziehen.

Ein FAZ-Interview zur Berlinale mit Ihnen, Oskar Roehler und Angela Schanelec wollte Roehler vorzeitig beenden, weil es ihn „nicht inspiriere“. Wie empfanden Sie diese Situation?
Heisenberg: Was ihn dazu inspirierte, gehen zu wollen, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber die Diskussion, die anschließend daraus entstand war sehr anregend. Zu hören, wie sich Leute fühlen, die Blockbuster-Filme machen und wie die, die eher Arthouse machen. Zu sehen, wie gehen die miteinander um und wie ist das Spannungsfeld zwischen denen in der Filmwirtschaft. Ich empfinde es als wichtig, dass die beiden Ebenen nicht getrennt werden. Film hat verschiedene Ausdrucksformen und die müssen nebeneinander existieren können.

Roehler bemängelte, dass Regisseure, die aufwendige Filme an großen Sets drehen, hierzulande zu wenig gewürdigt werden.
Heisenberg: Natürlich wäre es ein Fehler, wenn ein Film wie „Vickie und die starken Männer“ nicht mehr gemacht werden würde. Wir dürfen nur nicht so tun, als würde das eine dem anderen schaden. Natürlich sind wir Konkurrenten am gleichen Markt um dieselben Zuschauer, aber man muss sich klarmachen, dass ein Film, der mit der Prämisse gedreht wird, in erster Linie Geld einzuspielen, nicht als künstlerisch wertvoller Film wahrgenommen wird.
Die Grenzen dabei sind natürlich schwimmend und jede Partei fühlt sich im Lager des anderen. Die einen sehen sich als Künstler und die anderen wundern sich, warum nicht Millionen Zuschauer kommen. Insofern ist die Diskussion nicht auflösbar. Wir dürfen uns dabei aber nicht zu sehr auf die Füße treten, weil wir uns damit nur gegenseitig wehtun.

Sie sind Mit-Herausgeber der Filmzeitschrift „Revolver“. Was ist überhaupt die Funktion von Filmkritik? Schließlich ist mehr oder weniger erwiesen, dass der Erfolg an der Kasse weitgehend von der Filmkritik unabhängig ist…
Heisenberg: Absolut. Mein letzter Film „Schläfer“ war in jedem Feuilleton auf der ersten Seite und kam bei der Kritik super weg, wurde positiv besprochen, aber das bewirkte im Endeffekt für die Zuschauerzahl sehr wenig. Daran sieht man, wie wenige Leute das leider lesen. Gleichzeitig ist es eine Art Grundstein für Diskussion. Zum einen zwischen dem Filmkritiker und dem Regisseur und zum anderen zwischen Öffentlichkeit und Feuilleton. Diese Kommunikation ist wichtig, um überhaupt eine profunde Diskussion zu führen. Die Filmkritik macht sich die Mühe einen Film zu sehen und zu bewerten, wo die Boulevard-Presse eher darauf aus ist, einen Star abzubilden. Es ist für uns als Filmemacher wichtig, dass es diese Auseinandersetzung gibt, da wir die auch innerhalb der Branche lesen.

Welche Rolle spielt ein Festival wie die Berlinale für Ihren Film?
Heisenberg: Die Berlinale ist eine tolle Plattform, gerade der Wettbewerb. Gerade für die Öffentlichkeitsarbeit ist sie ein wunderbarer Startschuss für so einen Film. „Der Räuber“ steht so in einer Reihe mit Filmen wie „The Ghostwriter“, „Shutter Island“, „Jud Süss“ oder auch „Honig“. „Der Räuber“ steht da irgendwo dazwischen. Er ist kein absoluter Arthouse-Film. Man vergleicht Filme miteinander, indem man schaut, was gewollt und letztlich erreicht wurde. Diese Fragen kann man „Shutter Island“ oder eben „Vickie“ stellen und kommt zur Prämisse des Films, anhand der er zu beurteilen ist.

Hätten Ihren Film mehr Krimi-Elemente fürs breite Publikum attraktiver machen können?
Heisenberg: Vielleicht. Er ist ungewöhnlich erzählt und konzentriert sich stark auf die Beobachtung anstatt auf das Psychologische, wie es Krimis sonst tun. Gerade Krimis sind sehr oft daran interessiert, klare psychologische Begründungen zu liefern, damit der Zuschauer schnell mit den Figuren Identifikation aufbaut. Bei mir setzt sich diese Identifikation anders zusammen, da die Spannung durch Beobachtung dessen entsteht, was eben passiert und weniger durch die Identifikation mit einer Figur. Das entsteht erst in der zweiten Hälfte des Films, wenn sich die Puzzleteile ineinander fügen und ein emotionaler Strom entsteht.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.