Herr Brandt, seit wann gucken Sie eigentlich Fernsehen?
Brandt: Mein erstes großes Fernsehereignis, an das ich mich erinnere, war die Ermordung John F. Kennedys. Da war bei uns Zuhause ganz schlechte Stimmung. Ich muss zwei oder drei Jahre alt gewesen sein, kann mich aber genau erinnern, dass ich irgendwie dabei war. Später habe ich mal heimlich, als meine Eltern gerade auf der Bühne standen, „Das Millionenspiel“ von Wolfgang Menge gesehen. Ich hatte tagelang Alpträume und habe gespürt, was TV kann.
Und wie wurde Fernsehen im Hause Brandt sonst konsumiert?
Brandt: Ach, bei uns war TV eher Mist und Kultur wurde hochgehalten. „Die Stimme der Kritik“ mit Friedrich Luft, eine Radiosendung im SFB, war zum Beispiel Pflichtprogramm. Doch eines Tages, als mein Vater die Synchronstimme von Michael Douglas wurde und als „Tatort“-Kommissar anfing, hat sich das verwässert. „Schweinchen Dick“, „Flipper“, „Daktari“, „Die Väter der Klamotte“ und „Bonanza“ habe ich immer bei einem Nachbarsjungen in Berlin gesehen und die Schnittchen da waren übrigens auch besser als Zuhause!
Haben Sie in Ihrer Jugendzeit schon daran gedacht, später einmal Fernsehen zu machen?
Brandt: Nein, eigentlich nicht, denn gelernt habe ich ja Werbekaufmann. Ich habe mal einen Film gesehen, da spielte Gregory Peck einen Werbekaufmann und in einer Szene ging er völlig unvorbereitet in eine Präsentation. Alles was er gemacht hat, war, dass er den richtigen Satz zur richtigen Zeit gesagt hat. Dann war er der Held des Tages und durfte der Sekretärin ungestraft auf den Po klatschen! Da habe ich gedacht: Das ist doch ein Job für mich – Werber. Das war dann auch meine Berufswahl. Der Rest hat sich dann logisch entwickelt.
Und wie konsumieren Sie heute Fernsehen?
Brandt: Das eingeschränkte Medienangebot meiner Eltern und die Erziehung, bei der es viel um Werte und Kultur ging, ist bei mir völlig ins Gegenteil umgeschlagen, ich habe mich immer für Musik, Kino und Fernsehen interessiert. Ich kenne die Anfänge des Privatfernsehens, jede Sekunde habe ich verschlungen. Ich fand die „Traumhochzeit“ und alle neuen Ideen immer schon super, von der ersten Sendung an und ich bin ein großer Freund von Emotionsfernsehen. Ich gucke viel und ärgere mich sehr über schlechtes Handwerk.
Das Fernsehen wird oft als Spiegel der Gesellschaft bezeichnet. Sehen Sie das auch so?
Brandt: Ja, klar. Das Volk sieht, was noch Platz in seinem Leben hat und was ihm ein besseres Gefühl gibt. Beim Schuldenberater sehen wir Menschen, denen es noch schlechter geht. Beim Kochen kann ich was lernen. Bei „Wer wird Millionär“ kann man mitmachen und sich gut fühlen, wenn man was weiß. Und bei Talk- und Gerichtsshows am Nachmittag kann ich Menschen und Schicksale sehen, die schlimmer sind als ich und mein eigenes Leben. So ist es halt. Und wenn es unangenehm wird beim Sehen, wenn man ein schlechtes Gefühl hat, oder die Bilder, Moderatoren, Charaktere einfach am Volk vorbei gehen, dann schaltet ‚die Gesellschaft’ immer schneller weg!
Inwieweit beeinflusst das Geschehen in der Welt das Fernsehprogramm?
Brandt: In Zeiten, in denen es draußen ungemütlich ist, in denen die wirtschaftliche Lage schwer ist und Krisen auf uns zukommen, möchte der Zuschauer im Fernsehen keine Überraschungen erleben. Deswegen funktionieren traditionelle Formate gut, wie die Freitagskrimis, „Wer wird Millionär“, „Simpsons“, die ganzen Events von Superstar bis Heidi Klum, oder „Vermisst“ und die traditionellen Nachmittags- und Latenight-Talks. Das ist ganz klares, warmes und kalkulierbares Fernsehen.
Und sind Sie mit dem aktuellen TV-Angebot zufrieden?
Brandt: Wir haben grundsätzlich exzellent gemachtes Fernsehen. Nehmen wir als Beispiel „Deutschland sucht den Superstar“, „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“, “Ladykracher“, „Das Supertalent“ oder „Wer wird Millionär“, viele Tatorte oder die grandiosen internationalen Serien und die englischen Krimis im ZDF. Alles handwerklich prima gemachtes Fernsehen!
Aber die Anzahl, der wirklich lieblos und schäbig gemachten Sachen nimmt parallel auch deutlich zu. Das hat mit Budgets zu tun, aber auch damit, dass es immer weniger Leute gibt, die ein Fernsehherz haben.
Was heißt es denn, wenn die Macher kein „Fernsehherz“ haben?
Brandt: Heute machen viele Leute Fernsehen, die nicht mehr für große innovative Kraft bezahlt werden, sondern dafür, dass sie möglichst wenig Fehler machen. Wenn man nur für wenig Fehler belohnt wird, anstatt für Ideen, Mut und Phantasie, entstehen auch Konzepte und Programme, ohne Ecken und Kanten, ohne große Innovationen und oft leider auch billige Kopien. Das Volk bekommt dann etwas, was wenig stört, was man gefahrlos gucken kann. Aber das heißt noch lange nicht, dass es das Beste ist, was man bekommen könnte.
Wie sehen Sie die Öffentlich-rechtlichen gegenüber dem Privatsendern?
Brandt: Die öffentlich-rechtlichen Sender sind zurzeit schwer im Kommen, weil sie zum Teil die Erfolgsformeln der privaten Sender kopieren aber eben dazu die deutlich gesünderen Budgets haben. Und was da manchmal im dritten Programm passiert, ist das Fernsehen, was man eigentlich bei den Privaten erwartet hätte, speziell auch im Comedy-Bereich. In der Fiction ohnehin, da macht eine gesunde Kombination von Geld, Zeit und Fachkompetenz es den Öffentlich-Rechtlichen zurzeit leichter.
Sieben Jahre und sieben Monate waren Sie Deutschlandchef der Firma Endemol. Nun sitzt Marcus Wolter auf Ihrem Platz und der Produktionsriese zieht ohne Sie weiter. Wie kam es dazu?
Brandt: Nun ja, Marcus Wolter sitzt ja nicht auf meinem Platz, sondern auf seinem. Weil meinen Platz als General Manager gibt es ja nicht mehr. Normalerweise gibt es in unserer Branche nach drei, vier Jahren sowieso Schichtwechsel. Ich habe in den letzten fast acht Jahren sechs Chefs und drei Besitzer erlebt und alle haben mit mir wunderbar gearbeitet. Wir hatten 2008 auch das erfolgreichste erste Halbjahr seit drei Jahren, die traditionellen Endemol-Formate liefen Klasse und wir konnten neue Shows etablieren.
Aber dann, so heißt es, haben Sie sich mit den Shareholdern von Endemol verkracht.
Brandt: Wir hatten ein erstes Gespräch, auf das ich mich entsprechend vorbereitet habe. Aber wenn dann jemand vor mir sitzt und mit seinem Blackberry spielt, nicht zuhört, und nix von dem versteht, was ich sage und sich auch gar nicht für die Argumente interessiert, dann ist „Schicht“ für mich! Ich arbeite nicht mit Ignoranten und schon gar nicht lasse ich mich mit Druck ‚überzeugen’ Dinge zu unterzeichnen, hinter denen ich nicht stehe.
Können Sie konkreter werden?
Brandt:. Die Bedingungen, die eintreten müssen, damit die von den Shareholdern anvisierten Ziele erreicht werden, sind eher unwahrscheinlich und die Diskussion darum war nicht fachgerecht! Phrasendreschen und Sixpack zeigen reicht nicht, um den Wert eines Unternehmens zu mehren.Als verantwortlicher Manager musste ich einfach sagen: „Da mache ich nicht mit“! Ich kann keine Prognosen ausgeben, hinter denen ich nicht zu 100% stehe. Ich bin ja auch gerne mal ein rosabebrillter Optimist, aber es gibt Grenzen. Und die ersten 100 Tage Endemol ohne mich geben mir ja mehr als recht…
In Zeiten, in denen es draußen ungemütlich ist und die wirtschaftliche Lage schwer ist, möchte der Zuschauer im Fernsehen keine Überraschungen erleben.
Ist man aber auch etwas wehmütig, wenn man ein Unternehmen nach so langer Zeit verlässt?
Brandt: Endemol ist ja nicht meine einzige und alleinige Welt! Da kamen echt Kollegen zu mir und fragten, was ich denn jetzt mache, wenn ich nicht mehr ‚dabei’ bin. Endemol ist doch keine Sekte, das ist nur eine ganz normale Firma! Dort gab es mal Menschen, vor denen ich riesig Respekt habe. John de Mol zum Beispiel war der Grund für mich, überhaupt zu Endemol zu gehen. Um dort etwas zu lernen und für und mit dem Menschen zu arbeiten, der mir im Fernsehen mit am meisten Freude bereitet hat. Und John zum Beispiel ist ja auch nicht mehr aktiv bei Endemol. Menschen zu denen man hochblicken kann, die Herz haben, Programmherz, solche Leute gibt es da fast nicht mehr. Und wir hatten mal so viele davon.
Sind monetäre Ziele eigentlich wichtiger als gutgemachtes Fernsehen?
Brandt: Ja, klar. In unserer Branche ist es so – wie in fast jeder Branche -, dass die Firma ihre Arbeit macht, um Geld zu verdienen. Mein Job ist nicht in erster Linie, das Volk kulturell zu befruchten. Das kann doch Marcel Reich-Ranicki machen. Oder Lothar Matthäus….
Sie sprachen aber bereits von Ihrem ‚Fernsehherz’. Haben Sie im Hinblick auf Ihre letzten Jahre auch Fernsehen ohne finanzielle Ziele angestoßen?
Brandt: Ich habe mich auch stark gemacht für Sachen, die ganz wenig mit Geld zu tun hatten. Wir haben auch echt ambitioniertes Fernsehen gemacht, leider hat das oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.
Zum Beispiel?
Brandt: Wir haben eine Doku-Soap für den MDR gemacht, über die ärmste Stadt Deutschlands, daran haben wir keinen Cent verdient. Das gleiche gilt für ein Projekt, das für mich eines der ambitioniertesten überhaupt war, „Der Chor“ auf RTL II. Das war ein Projekt, bei dem wir Jugendliche aus kritischen Gegenden, in dem Fall aus Berlin-Neukölln, in einem Chor zusammengebracht haben. Die haben mit einem Chorleiter zusammen gearbeitet und versucht, ihrem Leben einen ganz anderen Sinn zu geben. Das war unfassbar emotionales und wirklich wunderbares Fernsehen, mit einer spannenden Entwicklung. Leider hat Deutschland davon nur drei Folgen gesehen, wir hatten nur eine Quote von vier oder fünf Prozent – insofern können ambitionierte Fernsehkünste auch in die Hose gehen.
Wesentlich erfolgreicher waren Sie in Deutschland mit „Big Brother“, wovon inzwischen die neunte Staffel läuft. Welche Meinung haben Sie eigentlich zu dem Format?
Brandt: Ich denke ehrlich gesagt, dass die letzten vier Staffeln von „Big Brother“ in Steigerung zueinander die besten waren, die es je gegeben hat. Da konnte man sehen, dass ein Programm, das vermeintlich als „Unterschichten-Fernsehen“ bezeichnet wird, handwerklich sauber gemacht sein kann. Da bin ich sehr stolz drauf. Die Staffel neun zeigt dagegen, was ohne mich davon übrig blieb. Ich bin gespannt, ob die Ex Kollegen das handwerkliche Unglück noch auffangen können – die ersten Wochen waren echt bitter.
In Zusammenhang mit Ihrer Arbeit bei Endemol wurden Sie einmal als Mann beschrieben, der erste Klasse lebt, doch Fernsehen für die zweite Klasse macht. Zu Unrecht?
Brandt: Ich lebe prima und mache meinen Job möglichst gut und erfolgreich und für die, denen es gefällt. Zuhause, in der Firma, im Fernsehen.
Dieses ganze Gerede über Fernsehqualität ist doch auch zum Erbrechen. Dieser selbstverliebte Literaturpapst ist nur deshalb so bekannt, weil er so lustig zerquetscht spricht und so skurril aussieht. Das war es auch schon.
Immerhin hat er eine große Debatte über Qualität im TV entfacht.
Brandt: Aber Reich-Ranicki hat von Fernsehen und Unterhaltung keine Ahnung, der ist gar nicht in der Welt, in der die meisten Menschen unterwegs sind. Wenn man sieht, mit wie viel Liebe so etwas wie zum Beispiel „Vermisst“ gemacht ist, dann kann man nicht sagen: Alle, die das gucken sind Vollidioten und Dumpfbacken! Herr Reich Ranicki spricht für sich, seine Kumpel und vielleicht noch die intellektuellste Oberschicht, aber das war’s. Ich würde gern Spaß für und mit dem Rest machen.
Wo wir schon von Schichten sprechen – was halten Sie von der Bezeichnung „Unterschichtenfernsehen“? Gibt es das?
Brandt: Fernsehen ist Unterhaltung. Wenn auf der Straße ein Musiker steht und ein paar Leute unterhält, geht ja auch keiner hin und sagt: „Das ist jetzt aber nicht qualitativ hochwertig!“ Da geht man hin, bleibt stehen wenn es einem gefällt oder eben nicht. Es ist genauso unfair, als wenn man pauschal behaupten würde, die Unterschicht kauft bei Aldi oder trägt Jeans. Das ist einfach Blödsinn.
Dann hat „Big Brother“ zu Unrecht diesen Stempel?
Brandt: Da hat es am Anfang den Skandal mit Zlatko gegeben, dann hieß es auf einmal Blödenfernsehen und seitdem behaupten alle, sie gucken es nicht mehr an. Aber wir hatten ja die Quoten. Wir wissen ja, wie viele Menschen das gucken. Man kommt einfach nur von dem Image schwer weg.
Sie haben einmal gesagt, Sie würden sogar Ihre eigene Tochter in das „Big Brother“-Haus einziehen lassen, ist das noch Ihre aktuelle Meinung?
Brandt: Klar, aber nur wenn die Staffel unter meiner Führung produziert wird. In die jetzige „Big Brother“-Staffel allerdings bestimmt nicht!
Fernsehmachern haftet das Klischee an, sich gern mal „die Nase zu pudern“. Werden denn tatsächlich speziell in der Medien- und TV-Branche mehr Drogen konsumiert?
Brandt: Ich glaube ehrlich gesagt, dass an der Börse mehr Drogen genommen wurden, das sieht man ja an den Ergebnissen (lacht). Bei uns ist inzwischen sehr viel nüchternes Handwerk dazugekommen. Im Verhältnis von vor zehn, zwanzig Jahren, denke ich, dass der Drogenkonsum in der Fernsehbranche nicht mehr so hoch ist. Wenn unser heutiges Fernsehprogramm „auf Nase“ gemacht würde, dann würde das sicherlich anders aussehen und nicht so erfolgreich sein.
Mit welcher Idee haben Sie sich nun nach Ihrem Weggang von Endemol selbstständig gemacht?
Brandt: Ich habe ja einen noch gültigen Vertrag bei der Firma Endemol und diesen möchte ich auch noch erfüllen. Mal sehen, was die Richter dazu sagen und dann geht’s weiter mit den eigenen Ideen.
Hätten Sie denn schon ein Rezept dagegen, dass das Medium Fernsehen generell an Bedeutung verliert?
Brandt: Es lohnt sich extrem daran zu arbeiten, dass der Fernsehabend wieder stattfindet, wie er vor zwanzig Jahren mal war, als so eine Art Lagerfeuer der Familie. Doch ich denke, dass es eben zunehmend schwerer wird. Auch durch die Diversifikationen in allen Bereichen. Wo es früher zwei oder drei Sender gab, gibt es eben heute zweihundert.
Ich wäre schon froh, wenn ich dazu beitragen könnte, dass der Fernsehabend wieder öfter zum Lagerfeuer wird. Und ich denke, Events wie „DSDS“, „Wetten Dass…?“, „Schlag den Raab“, „Popstars“, „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ etc. zeigen ja, wie es geht.
Gibt es auch ein TV-Format, dass Sie am liebsten aus der Fernsehunterhaltung verbannen würden?
Brandt: Ich bin ja sogar bereit, Volksverblödung zu akzeptieren und es gibt ja sogar ganze Sender die Volkverblödung betreiben, weil es ein Publikum dafür gibt. Im Grunde gibt es nichts, was ich verbannen würde. Es gibt nur Menschen, die ich nicht mehr ertragen kann, aber solange es das Publikum dafür gibt, bitteschön.