Friedrich Ani

Ich teile die Welt nicht in Gut und Böse ein.

Krimi-Autor Friedrich Ani über Vorzüge des Hotellebens, sein Krimi-Personal, produktive Neugier und das Kindsein als Autor

Friedrich Ani

© Peter-Andreas Hassiepen

Herr Ani, Sie waren 2007 „Writer in Residence“ im Münchner Sheraton-Hotel und man liest, dass Sie das Hotelleben lieben.
Ani: Ja, das stimmt, ich würde auch sofort wieder in einem Hotel wohnen, wenn ich es mir leisten könnte.

Was fasziniert Sie daran?
Ani: Das wäre für mich die ideale Form von Leben, von Alltagsleben. Ich bräuchte keine eigenen Möbel. Ich bräuchte nichts Eigenes außer dem, was ich tue: mein Schreiben und meine Bücher zum Lesen. Ich würde jeden Tag, jeden Abend in der Umgebung von Fremden sein, die sich für einen kurzen Zeitraum dort, wo ich wohne, aufhalten.

Sie sind dann selbst ein Fremder unter Fremden. Was ist das Reizvolle am Fremdsein für Sie?
Ani: Die Anonymität. Für mich wäre es die optimale Form, anonym zu leben, außerhalb meiner Bücher, außerhalb dessen, was ich schreibe. Ich bin nicht so ein nachbarschaftlicher Typ. Also ich bin schon wachsam und versuche mitzukriegen, wenn nebenan einer den ganzen Tag weint und auch, wenn er lacht, wäre es unheimlich, so den ganzen Tag. Ich bin kein Mensch, der gern umzingelt ist von Nachbarn. Ich kann gut ohne auskommen. Abgesehen davon ist das Hotelleben sehr lebendig. Jede Woche, jeden Tag neue Gesichter. Man trifft sozusagen neue Leute, ohne dass man sich bewegen muss.

Wenn Ihnen Abgeschiedenheit und Anonymität wichtig sind, dann könnte doch auch ein Kloster für Sie infrage kommen, oder?
Ani: Ein Kloster wäre sicher vorübergehend sehr interessant. Ich habe schon viel Recherchen in Klöstern gemacht, weil ich einen Kommissar erfunden habe, der früher mal ein Mönch war. Ich mag Klöster sehr als Ort, um sich als weltlicher Mensch mal dahin zurück zu ziehen. Aber ein Kloster ist für mich keine Option auf lange Sicht gesehen, also um länger dort zu leben. Das wäre mir einfach zu karg.

Wie sieht es mit dem Landleben aus? Wäre ein Dorf für Sie eine Lebensumgebung?
Ani: Ein kleines Dorf auf gar keinen Fall. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, Koche am See, in der Nähe von München, das reicht mir für das ganze Leben. Das ist das Gegenteil von Anonymität, da beobachtet ja jeder jeden.

Später haben Sie sich dann für München als Wohnort entschieden.
Ani: Ich habe mich nicht für München entschieden, München hat sich für mich entschieden. München war immer meine Anlaufstadt, auch schon als Kind. Natürlich gab es Phasen, auch schon vor der Wende, in denen ich überlegt habe nach Berlin zu ziehen. Ich war schon längere Zeit dort, hatte Stipendien und fahre auch immer wieder hin. Berlin wäre die einzige Stadt außerhalb Münchens, die für mich zum Leben in Frage käme. Aber es hat sich nicht ergeben.

Spielt dabei der Heimatgedanke eine Rolle?
Ani: Nein, ich glaube nicht. Es ist tatsächlich eine Mischung aus einem Arrangement, das ich mit meinem Leben getroffen habe – mein Leben hat sich von jeher in München abgespielt – und Faulheit. Ich bin einfach ein fauler Mensch. Mir genügt mein Schreiben. Ich sitze dann in meinem Zimmer und vergesse wieder, dass ich eigentlich umziehen könnte oder sollte – und so gehen die Jahre ins Land. Ich bleibe also nicht in München wegen München.

Sie schreiben Drehbücher für Fernsehproduktionen und arbeiten an mehreren Krimi- und Kinderbuch-Reihen. Wie erarbeiten Sie sich Ihre Stoffe und Figuren? Und warum sind es so viele verschiedene?
Ani: Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich so viele verschiedene sind. Es sind schon ein paar Hauptfiguren, die sich aber in manchen Dingen nicht so unterscheiden. Es gibt Parallelen zwischen meinen Hauptfiguren, sie sind eigentlich alle Randfiguren, was ihr Leben angeht. Es ist eine Sehnsucht von mir, Menschengeschichten zu erzählen und anscheinend hören die nicht auf. Es gibt immer wieder neue Charaktere, die auftauchen und erzählt werden wollen und ich tue das dann.

…weshalb Sie in manchem Jahr bis zu drei Bücher veröffentlichen.
Ani: Ja, in dem einen Jahr hat sich das mal ergeben, dass tatsächlich drei erschienen sind. Manchmal sind es zwei und manchmal ist es auch nur eines. Ich arbeite übrigens nicht parallel, sondern nur hintereinander, ganz chronologisch. Ich schreibe nie zwei Bücher gleichzeitig. Das ist mir ganz und gar unmöglich, weil ich so mit den Figuren verhaftet bin, dass ich mich nicht am Vormittag mit dem einen und am Nachmittag mit dem andern Personal beschäftigen kann.

Sie bevorzugen den Kriminalroman, welche Vorzüge bietet Ihnen dieses Genre gegenüber anderen?
Ani: Ich habe festgestellt, dass ich im Kriminalroman meine Geschichten am besten und am klarsten erzählen kann. Dass ich meine oft sehr dramatisch agierenden Charaktere dort am besten unterbringen kann. Es hat sich als die beste Bühne für meine Figuren herausgestellt.

Lesen Sie selbst gerne Kriminalromane?
Ani: Ja natürlich. Das hab ich immer schon getan, auch bevor ich selber so viele geschrieben habe. Das war immer ein Teil meiner Wahrnehmung als Leser.

Zitiert

Ich glaube, dass die Kindhaftigkeit ein wesentlicher Bestandteil des Autorendaseins ist.

Friedrich Ani

Sie sagten, dass Sie in Kriminalromanen am besten Ihre Stoffe erzählen können. Hängt das damit zusammen, dass Sie früher Polizeireporter waren?
Ani: Nein, ich glaube, das hat damit nichts zu tun. Das ist über 25 Jahre her und ich habe dann auch viele andere Dinge gemacht – also nicht nur geschrieben. Möglicherweise war es trotzdem kein Zufall, dass ich damals Polizeireporter war bzw. diesen Job eine Zeit lang gemacht habe. Denn dieses Milieu hat mich schon immer interessiert.

In Ihren Büchern findet man sehr verschiedene, größtenteils ungewöhnliche und auch verschrobene Charaktere. Was ist der Reiz dieser charakterlichen Ausprägungen für Sie?
Ani: Ich kenne keine anderen. Das ist mein Personal. Ich habe das selber erst festgestellt als ich ein Buch nach dem anderen geschrieben habe, als die Geschichten dann auch gedruckt wurden, so dass ich sie auch von außen anschauen konnte. Ich habe offensichtlich die Welt nie anders wahrgenommen als über diese Art von Menschen.
Es stimmt schon, das sind seltsame Kerle und auch die Frauen sind nicht unbedingt Madonnen. Aber ich habe erkannt: das sind meine Leute. Vielleicht bin ich nicht ganz so verschroben wie sie, aber einer muss ja aus der Reihe tanzen. Und das bin ich.

Tabor Süden, einer Ihrer Protagonisten, arbeitet in einer Vermisstenstelle. Das bedeutet, in jedem Roman wird einer gesucht, der verschwunden ist. Welche Rolle spielt das Suchen für Tabor? Was sucht er, außer den Vermissten?
Ani: Abgesehen von seinem Vater, der ja auch verschwunden ist, sucht er eine Erklärung dafür, warum er verschwunden ist. Er sucht wie jeder Mensch ein Motto für sein Leben. Er glaubt es zu finden, indem er diesen Leuten unendlich lange zuhört und versucht herauszufinden, was das Motto der Leute ist, mit denen er beruflich zu tun hat. Ich glaube, er versucht wirklich das Schicksal zu verstehen, und eine ganz elementare, gleichwohl einfache und sehr nachvollziehbare Formel für sein Leben zu finden.

Ein anderer Ihrer Kommissare ist Polonius Fischer? Was sucht er?
Ani: Für den würde ich sagen, dass er nicht sucht. Zumindest nicht in den beiden Büchern, die im Moment existieren. Er war im Kloster und hat Gott gesucht, was ihm nicht gelungen ist. Deswegen ist er zurück zur Polizei gegangen und übt dort den Beruf des Mordermittlers aus, den er offensichtlich sehr gut kann. Er sucht aber nicht. Und er ist wahrscheinlich die klarste Figur, die ich jemals erfunden habe. Er weiß sehr genau, was er will – und das kann natürlich nicht lange gut gehen.

Wie ist es mit Ihnen persönlich. Wie halten Sie es mit der Religion oder mit dem Glauben?
Ani: Locker. Ich bin nach wie vor Mitglied der katholischen Kirche, was mich manchmal sehr beschäftigt, weil ich in einem Verein bin, dessen Vorsitzender nicht mein Lieblingsvorsitzender ist. Ich muss mich mit vielen Dingen beschäftigen, die mir zuwider sind. Ich habe es auch noch nicht geschafft auszutreten – das liegt vielleicht an meiner bayerisch-katholischen Prägung. Nicht weil ich Angst habe, dass ich vor den Stadttoren verscharrt werde, wenn ich irgendwann tot umfalle. Sondern es ist eine, mit einer gewissen Gläubigkeit verbundene Einstellung zum Leben an sich. Was sich aber nicht darin äußert, dass ich jeden Sonntag in die Kirche gehe oder dazu neige, zu beten. Ich habe auch festgestellt, dass mir das Beten in schwierigen Situationen oder wenn jemand aus dem Bekannten- oder Freundeskreis stirbt, dass mir in dem Moment das Beten am allerwenigsten gelingt. Ich bin da viel rationaler und neige zu Pragmatismus, ohne jetzt die Trauer kleinreden zu wollen. Ich glaube an Gott, aber ich erwarte ihn nicht unbedingt im Moment der Not.

Hilft der Glauben, die Welt in Gut und Böse einzuteilen?
Ani: Nein. Ich teile die Welt überhaupt nicht in Gut und Böse ein. Und das tun die klugen Priester und Mönche genauso wenig wie die klugen Kriminalisten, die ich in meinem Leben getroffen habe. Niemand von denen teilt die Welt in Gut und Böse ein.

Sie erfinden Kriminalfiguren, Kriminalgeschichten, Sie leben gern in Hotels wegen der Anonymität, aber auch wegen der häufig wechselnden Besucher – das klingt, als seien Sie ein Detektiv im Leben – im Fremden mehr als im Eigenen. Fühlen Sie sich als Ermittler, als Lebensermittler?
Ani: Ermittler klingt so positiv. Ich würde mich eher als Voyeur sehen. Ich glaube, dass das Schauen ein Großteil meiner Arbeit ist. Das war es schon immer. Ich denke, dass es beim Schriftsteller überhaupt sehr viel auf das Schauen ankommt. Ich habe das Beobachten, das heimliche Hingucken immer als Teil meiner Arbeit empfunden, ich finde das spannend, es ist sozusagen eine produktive Neugier. Insofern sehe ich das nicht so sehr als ein ermittelnde Tätigkeit, aber auf jeden Fall als eine voyeuristische und eine schwer beobachtende.

Sie denken dabei auch viel über andere Menschen nach. Ist es Ihnen im Gegenzug wichtig, was die Öffentlichkeit von Ihnen denkt?
Ani: Das ist mir absolut egal. Es gibt überhaupt nichts, was mir gleichgültiger ist, als das, was die Öffentlichkeit oder irgendwelche Nachbarn – wie groß die Öffentlichkeit auch immer ist – über mich denkt. Das ist mir ganz fremd und das war es auch immer schon.

Ihr 2008 erschienenes Kinderbuch führt das Wort „Memoiren“ im Titel, es widerlegt aber den Eindruck, als wären Sie dem allgemeinen Biographiewahn erlegen. Oder gibt es da auch von Ihrer Seite Bedürfnisse?
Ani: Nein, die gibt es nicht. Der Titel „Meine total wahren und überhaupt nicht peinlichen Memoiren mit genau elfeinhalb“ ist schon auch ein ironischer Blick auf diese Memoiren. Also dass Leute, Fußballspieler zum Beispiel, schon mit achtzehn Jahren glauben, Sie müssten uns ihr Leben erst mal erzählen. Da hat es mich gereizt, zu versuchen, einen Titel zu finden, der in diese Richtung geht. Der den derzeitigen Memoirenwahn sozusagen ironisiert.

Bei diesem Buch handelt es sich um ein Kinderbuch. Es zeigt einfühlsam und überzeugend die Welt eines Elfjährigen, der das erste Mal verliebt ist. Uns interessiert: Was ist für Sie als Autor das Schöne an jungen Protagonisten? Warum schreiben Sie Kinderbücher?
Ani: Ich hatte früher schon, ohne dass ich jetzt so definierte Bücher für Jugendliche geschrieben hätte, immer in meinen Erwachsenengeschichten, auch in meinen ganz normalen Krimis, jugendliche Protagonisten und Helden, die unter zwanzig waren. Aber ich hatte nie darüber nachgedacht ein Jugendbuch zu schreiben. Dazu kam es dann auf Anregung meines Verlegers Michael Krüger, der mich fragte, ob ich Lust hätte, ein Buch für das Jugendbuchprogramm des Hanser Verlags zu schreiben. Ich habe dann festgestellt, dass es mir große Freude macht und dass es toll ist, junge Protagonisten direkt zu erzählen. Sie ohne den Umweg über die Erwachsenen direkt sprechen zu lassen und die ganze Geschichte um sie herum zu bauen. Ich habe festgestellt, dass ich das mag und dass mir das von der Hand geht – wenigstens meistens. Und jetzt ist dieser Simon Kesselbeck noch jünger – und er ist verliebt. Also er ist in einer Situation, die man als Erwachsener kaum begreift und als elfeinhalbjähriger wahrscheinlich überhaupt nicht. Das fand ich reizvoll.

Würden Sie selbst gern ein Kind sein oder genießen Sie zu stark die Vorzüge des Erwachsenseins? Man sieht es an Simon. Er ist verliebt, stößt aber an die Grenzen der Realität. Seine Angebetete reist nach Berlin zurück und als Kind kann er an dieser Situation nichts ändern.
Ani: Er stößt schon früher an die Grenzen der Realität. Er rennt ja gegen die Glastür. Das ist schon ein klares Zeichen dafür, dass es schwierig ist, mit dieser Art  Realität. Ich glaube, dass ich ein Kind bin, wenn ich schreibe und auch manchmal, wenn ich über Erwachsene schreibe. Ich habe festgestellt, dass der Beruf des Schriftstellers tatsächlich so ist, als würde man von Beruf Kind sein. Als würde man ein Leben führen, dass aus einem Großteil Naivität, aus Staunen und aus Gefühlen besteht, die man versucht zu begreifen, in den Griff zu bekommen und in Worte zu fassen. Wenn man das als Autor zulässt dann kann man glaube ich ganz viele Dinge entdecken – auch für sich selbst.

Das bedeutet, als Schriftsteller behält man die Möglichkeit zu spielen…
Ani: Genau. Das ist es, was wir tun, wir Autoren. Wir spielen ständig. Wir schieben die Figuren hin und her wie Bauklötze. Wir staunen auch wie Bauklötze. Ich glaube, dass die Kindhaftigkeit ein wesentlicher Bestandteil des Autorendaseins ist – jedenfalls meines Autorendaseins (lacht).

Friedrich Ani, geboren am 7. Januar 1959 in Kochel am See, zählt zu den wichtigsten deutschen Krimi-Autoren. Er hat zahlreiche Romane um seine Kommissare Tabor Süden, Polonius Fischer und Jonas Vogel geschrieben, außerdem mehrere Jugendbücher und mehr

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