Hubertus Meyer-Burckhardt

Die Talk-Formate sind nicht braver geworden, das Gegenteil ist der Fall.

Hubertus Meyer-Burckhardt über 30 Jahre „NDR Talkshow“, seine Art des Fragens, den Umgang mit Kritik und den Unterschied zwischen Moderator und Gastgeber

Hubertus Meyer-Burckhardt

© NDR/Thorsten Jander

Herr Meyer-Burckhardt, am 27. Februar feiert der NDR den 30. Geburtstag der „NDR Talkshow“. Wie erklären Sie sich den langjährigen Erfolg der Sendung?
Meyer-Burckhardt: Meiner Meinung nach gibt es drei wesentliche Punkte, die zum Erfolg der Sendung beitragen. Zum einen bin ich der festen Überzeugung, dass ein Publikum kein Programm guckt, ein Publikum guckt Gewohnheiten. Insofern ist der feste Sendeplatz am Freitagabend um 22 Uhr, wenn man gewissermaßen ins Wochenende hineinsurft, sicherlich der erste Grund für den Erfolg. Der zweite Grund ist, dass die Gastgeber der Sendung eigentlich schon immer überwiegend keine ausgebildeten Moderatoren waren, sondern eine andere berufliche Verankerung hatten. Hermann Schreiber war „Spiegel“-Journalist, Barbara Schöneberger ist Entertainerin, ich selbst bin Fernsehproduzent und Professor an der „Hamburg Media School“.

Inwiefern profitiert die Sendung davon?
Meyer-Burckhardt: Es ist für die Sendung wichtig, dass die Moderatoren ein anderes Leben, einen anderen Hintergrund mitbringen – auf diese Weise können sie anders fragen und anders mit den Gästen umgehen.

Und der dritte Punkt?
Meyer-Burckhardt: Der dritte entscheidende Punkt ist letztlich, dass es keine andere Sendung gibt, in der Werner Herzog und Ireen Sheer oder Marcel Reich-Ranicki und Bernhard Brink nebeneinander sitzen. Wir haben vom Schlagerstar über den Autorenfilmer und Politiker bis hin zum Schlafforscher Menschen der unterschiedlichsten Herkunft und mit den unterschiedlichsten Lebensläufen zu Gast. Diese Bandbreite macht das Salz in der Suppe aus.

Als die „NDR Talkshow“ am 9. Februar 1979 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, waren Sie 22 Jahre alt. Haben Sie die erste Ausgabe damals gesehen?
Meyer-Burckhardt: Nein, leider nicht, da ich nicht im Sendegebiet des Norddeutschen Rundfunks groß geworden bin. Damals musste man dort wohnen, um den NDR empfangen zu können. Offen gestanden kam ich erst mit der Sendung in Berührung, als man mich fragte, ob ich sie gerne moderieren würde. Ich hatte mich nie mit dem Format beschäftigt – als ich die „NDR Talkshow“ zum ersten Mal moderierte, habe ich sie gewissermaßen auch zum ersten Mal gesehen. (lacht)

Bereits von 1994 bis 2001 haben Sie gemeinsam mit Alida Gundlach durch die Sendung geführt. Hat sich die Talkshow-Landschaft über die Jahre verändert?
Meyer-Burckhardt: Nein. Die Gesellschaft hat sich verändert, nicht so sehr die Talkshow-Landschaft selbst. Viele Menschen haben den Eindruck, dass es früher mehr Skandale in Talkshows gab, dennoch sind die Talk-Formate meiner Meinung nach nicht braver geworden. Ich glaube sogar, das Gegenteil ist der Fall, denn an Provokationen herrscht schließlich kein Mangel. Wir hatten beispielsweise vor einem Dreivierteljahr Charlotte Roche mit ihrem Buch „Feuchtgebiete“ in der Sendung. Ich schätze Frau Roche sehr, aber wenn sie das, was sie bei uns aus ihrem Buch vorgelesen hat, vor fünfzehn Jahren vorgetragen hätte, dann wäre mit Sicherheit der Rundfunkrat zusammengetreten und der Staatsanwalt gekommen. Mit anderen Worten: provokant sind die Talkshows und die „NDR Talkshow“ mehr oder minder immer noch. Nur die Menschen sind heutzutage weniger leicht zu beeindrucken, vielleicht abgestumpfter oder auch liberaler. Die Tabus sind alle gebrochen und insofern ist es heute sehr viel schwieriger, zu provozieren, als früher.

Haben Sie als Gastgeber der Sendung eine bestimmte Frage-Strategie?
Meyer-Burckhardt: Als Gastgeber ist man natürlich immer bemüht, seinem Gegenüber etwas Neues oder Außergewöhnliches zu entlocken, möchte demjenigen aber auch nicht zu nahe treten. Daher ist es empfehlenswert, wenn die erste gestellte Frage eine offene Frage ist, die den Gast in die Lage versetzt, etwas ausführlicher zu antworten. Wenn er dies getan hat, kann ich mit der zweiten oder dritten Frage spitzer nachfragen. Die erste Frage sollte den Gast ein bisschen ins Reden bringen und auf diese Weise eine entspannte Atmosphäre herstellen.

Was tun Sie in Situationen, in denen Sie merken, dass zwischen dem Gast und Ihnen die Chemie nicht stimmt und die Antworten immer einsilbiger werden?
Meyer-Burckhardt: Zunächst einmal muss ich immer mehr Fragen vorbereitet haben, als ich wahrscheinlich stellen werde. Normalerweise stelle ich jedem Gast etwa fünfzehn Fragen, ich bereite jedoch immer dreißig Fragen vor, um während des Gesprächs auswählen zu können. Darüber hinaus muss ich zuhören. Denn ein Gast, der sich verweigert, sagt in dem wenigen, was er sagt, häufig etwas, was der Schlüssel für die nächste Frage sein könnte. Ich kann nicht einfach stur ein vorher ausformuliertes Fragenkonzept abarbeiten, sondern muss schauen, welche Signale mir ein Gast gibt. Der letzte wichtige Punkt hat mit dem schönen, alten Marketing-Satz „Verkauf beginnt, wenn der Kunde ‚nein’ sagt“ zu tun. Ich muss als Gastgeber einfach darauf gefasst sein, dass sich jemand – sei es aus Lampenfieber oder weil wirklich die Chemie nicht stimmt – verweigert. Aber das ist dann nun mal so, das muss man akzeptieren und damit muss ich klarkommen.

Wie sehen die Vorbereitungen auf eine „NDR Talkshow“ aus?
Meyer-Burckhardt: Das Prozedere läuft in etwa immer gleich ab. Ich erfahre in der Regel montags vor der Sendung, welche Gäste wir im Studio haben werden. Am Dienstag oder Mittwoch erhalten Barbara Schöneberger und ich von der Redaktion dann einen Ablaufplan, in dem bereits die Reihenfolge der Gäste festgelegt ist und in dem die einzelnen Gesprächspartner auch bereits Barbara oder mir zugeteilt sind.

Die Zuteilung der Gäste erfolgt durch die Redaktion?
Meyer-Burckhardt: Ja, und ich bin froh, dass sie es macht – zum einen, weil sie es wirklich fabelhaft macht und zum anderen, weil ich gar nicht die Zeit habe, mich selbst mit der Einladungspolitik zu befassen, da ich eine gutgehende Produktionsfirma und eine Professur an der Uni habe. Die Dossiers mit den Informationen über die Gäste erhalten wir mittwochs und hier arbeiten wir uns dann immer durch einen kleineren Leitz-Ordner hindurch. Am Freitag, also am Tag der Sendung, gehe ich gemeinsam mit Barbara Schöneberger um zwölf Uhr mittags in den Sender und verlasse ihn dann erst wieder nach der Sendung gegen ein Uhr nachts. Ich mache also von zwölf Uhr mittags bis abends nichts anderes, als mich auf die Sendung vorzubereiten. 

Zitiert

Ein Publikum guckt kein Programm, ein Publikum guckt Gewohnheiten.

Hubertus Meyer-Burckhardt

Ihr ganz persönlicher Höhepunkt aus Ihrer langjährigen Tätigkeit als Moderator der „NDR Talkshow“?
Meyer-Burckhardt: Ich muss vorweg sagen, dass ich das Wort „Moderator“ eigentlich nicht sonderlich mag, die Bezeichnung „Gastgeber“ gefällt mir besser, die Amerikaner sagen „Host“ dazu. Und ich glaube, das sagt schon viel aus. Ein Moderator moderiert, was ja eigentlich nichts anderes bedeutet, als dass es seine Aufgabe ist, zwischen den Gästen zu vermitteln. Das ist leider eine deutsche Sehnsucht – bloß nicht zu viele Akzente, bloß nicht zu viel Profil. Ein „Host“ dagegen ist ein Gastgeber, der vor allem gut zuhören und sich auch einmal zurücklehnen kann. Und in diesem Sinne ist für mich jeder Gast ein Höhepunkt, denn wenn ich mich zurücklehne und zuhöre, dann hat jeder Gast etwas, wo ich mir sage: schön, dass er da ist.

Gibt es dennoch eine Persönlichkeit aus der Geschichte, die Sie gerne einmal interviewt hätten?
Meyer-Burckhardt: Wir bemühen uns zwar darum, ausschließlich deutschsprachige und keine englischsprachigen Gäste in der Sendung zu haben, aber ich hätte sehr gerne einmal den großen Soul-Sänger James Brown befragt. Ich bedauere es sehr, ihn nicht kennengelernt zu haben, denn ich bewundere ihn und halte ihn für einen grandiosen Sänger und Musiker. Unter den deutschsprachigen Persönlichkeiten hätte mich der Dichter Georg Büchner interessiert, mit dem ich mich während meines Studiums beschäftigt habe und der solche großartigen Stücke wie „Dantons Tod“, „Leonce und Lena“ oder „Woyzeck“ geschrieben hat. Büchner hätte ich wirklich gerne eingeladen, aber dafür bin ich ein paar Hundertjahre zu spät dran. Und ob er sich in eine Talkshow gesetzt hätte, halte ich auch für fraglich. (lacht)

Ein Kritiker spottete über Sie, das Aufregendste an Ihnen seien Ihre roten Socken. Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?
Meyer-Burckhardt: Das muss man aushalten. Ich selbst bin froh, kein Kritiker zu sein, denn Kritiker wissen ja immer, wie alles besser geht, ohne es jemals einlösen zu müssen. Auf der anderen Seite bin ich beruflich so eingespannt, dass ich überhaupt keine Zeit habe, mich lange mit solcher Kritik zu beschäftigen. Ich muss Filme produzieren, die „NDR Talkshow“ moderieren und meine Ansprüche an mich selbst somit jeden Tag aufs Neue einlösen. Und nebenbei bemerkt hatte der Kritiker unrecht: ich trage keine roten Socken, sondern rote Kniestrümpfe. (lacht)

Was hat es eigentlich damit auf sich?
Meyer-Burckhardt: Ich habe als Filmstudent einige Zeit in England verbracht und dort ist es üblich, dass man zum dunklen Anzug fliederfarbene oder rote Strümpfe trägt. Meine roten Kniestrümpfe sind also eine Hommage an meine englische Studienzeit.

Sie bezeichnen sich gerne als „Nebenerwerbs-Moderator“, denn eigentlich sind Sie TV-Produzent. Können Sie sich privat überhaupt noch ganz in Ruhe einen Film ansehen?
Meyer-Burckhardt: Nein, obwohl sich bei mir zu Hause neben dem Fernseher immer um die 50 DVDs stapeln. Ich muss mir bei diesen Filmen aber natürlich immer nur einen bestimmten Schauspieler, Filmdesigner oder Regisseur ansehen, insofern gucke ich mir Filme immer mit dem Auge des Produzenten und meist nie länger als zehn Minuten an. Es gibt nur ein einziges Regisseurpaar, bei dem ich eine Ausnahme mache – das sind die Coen-Brothers, also Ethan und Joel Coen. „The Big Lebowski“ oder „Burn After Reading“ sind großartige Filme, die ich unheimlich gerne mag. Sie sind aber wirklich die große Ausnahme, ansonsten sehe ich mir privat keine Filme an.

Nach dem Wirbel, den Marcel Reich-Ranicki im vergangenen Jahr bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises auslöste, kommentierten Sie in der SZ: „Während die Börse tobt, der Dax in den Keller geht und der Nordpol schmilzt, diskutiert Deutschland über Qualität im Fernsehen.“ Spielt das Fernsehen in unserer Gesellschaft mittlerweile eine zu große Rolle?
Meyer-Burckhardt: Zunächst einmal finde ich es natürlich herrlich, dass das Fernsehen in unserer Gesellschaft eine so große Rolle spielt, denn als Produzent lebe ich schließlich davon. (lacht) Medien beeinflussen unsere Gesellschaft ganz zwangsläufig – egal, ob es sich jetzt um Zeitungen, Radio, Internet oder Fernsehen handelt. Ich halte es aber für einen sehr tröstenden Moment, dass ausgerechnet ein Literaturkritiker in der Boulevardpresse fünf Tage zum Thema „Qualität im Fernsehen“ auf der ersten Seite verhandelt wird. Ich kenne weltweit kein anderes Boulevardblatt, das sich so sehr der Qualität des Fernsehens verschrieben hat wie die „Bild“-Zeitung. Das beruhigt mich.

Bei einer ARD-Podiumsdiskussion unter dem Titel „Spitzenunterhaltung oder Einheitssauce?“ sagten Sie vor einigen Wochen in Hamburg, dass sich Ihnen der überall thematisierte Jugendwahn nicht erkläre. Inwiefern?
Meyer-Burckhardt: Mir erklärt sich der Jugendwahn und auch die Suche nach jungem Publikum nicht, weil wir heute zum ersten Mal eine Entkopplung von biologischem und mentalem Alter haben. Sehen Sie sich Tina Turner an, die mit 68 Jahren immer noch die Massen begeistert. Gleiches gilt für die Rolling Stones oder Aerosmith, die Mitglieder dieser beiden Bands sind auch schon weit über 60. Gleichzeitig ist jedoch mein Anlageberater bei der Bank erst 30 Jahre alt, mental aber um einiges älter als ich. Insofern ist die Suche nach jungem Publikum für mich nicht zielführend, da auch ein junges Publikum mental sehr alt sein kann.

Gemeinsam mit Richard Reitinger leiten Sie die „Hamburg Media School“ und sind dort auch als Dozent tätig. Was gefällt Ihnen an dieser Tätigkeit?
Meyer-Burckhardt: Mir macht natürlich vor allem die Arbeit mit den Studenten Spaß. Mit ihnen zu arbeiten, ihnen eine Orientierungshilfe und ein gutes Rüstzeug für den Beruf des Produzenten, Regisseurs, Drehbuchautoren oder Kameramanns zu geben, bereitet mir große Freude und bereichert mich selbst.

Als Sie der „Focus“ im Jahr 2006 fragte, was Ihnen an sich besonders gefalle, antworteten Sie: „Angstfrei geworden zu sein.“ Kennen Sie Angstgefühle wirklich überhaupt nicht mehr?
Meyer-Burckhardt: Wenn jemand überhaupt keine Angst mehr hat, dann ist er natürlich ein thumber Thor. Angst haben wir alle – und sei es, dass wir Angst um diejenigen haben, die wir lieben. Aber ich bin durch ein eisernes, diszipliniertes Programm in den täglichen Dingen des Lebens soweit gekommen, dass ich mittlerweile jede Verzagtheit abgelegt habe und jede Herausforderung angehe.

Letzte Frage: Wer wird in der Jubiläumsausgabe der „NDR Talk Show“ am 27. Februar zu Gast sein?
Meyer-Burckhardt: Wir werden unter anderem Sandra Maischberger, Cordula Stratmann, Verona Pooth, Nora Tschirner, James Last und Sasha in der Sendung haben. Alles Gäste, auf die ich mich schon sehr freue und mit denen wir sicherlich einen spannenden und unterhaltsamen Abend verbringen werden.

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