Jan Henrik Stahlberg und Marcus Mittermeier

In der deutschen Piefigkeit entsteht kein unsterblicher Star.

Jan Henrik Stahlberg und Marcus Mittermeier über Casting, Viertel- und Achtel-Stars, Gesetze der Medien und den amerikanischen Mythos

Jan Henrik Stahlberg und Marcus Mittermeier

© Central Film

Herr Stahlberg, Herr Mittermeier,  in einer Szene von „Short Cut To Hollywood“ lässt sich Ihr Held John Salinger einen Finger amputieren, während gleichzeitig ein Musik-Video mit Dieter Bohlen und Mark Medlock im Fernsehen läuft. Was empfinden Sie als schlimmere Qual?
Jan Henrik Stahlberg: In der Szene sind die beiden Extreme des Films verpackt, gerade wenn ich höre, wie der Typ singt „You Can Get What You Want“ und John Salinger anfängt seine Geschichte zu planen, in der er dann kriegen wird, was er will.
Marcus Mittermeier: Ich würde sagen der Finger. Ganz knapp.

In Ihrem Film zieht ein Männer-Trio in die USA um Popstars zu werden, mit allem drum und dran. Wie ist denn Ihre Meinung zu den „Popstars“, „Superstars“, „Next Topmodels“, etc. die das Fernsehen hierzulande produziert?
Mittermeier: Wir befinden uns da meiner Meinung auf dem Zenit, wo einfach alles gecastet wird. In erster Linie geht es aber bei diesen Castings überhaupt nicht um ein Talent, ein Model oder einen Superstar. Es geht darum, Menschen in Situationen zu bringen, die ihnen Hoffnung vorspielen und Träume suggerieren, aber über Enttäuschungen soll ein Voyerismus-Bedürfnis des Zuschauers befriedigt werden. Diese Mechanismen stecken dahinter. John Salinger treibt das auf die Spitze.

Der Traum an sich ist sehr einfach: Bekannt sein, weil man schön ist oder gut singt. Ohne jegliche weitere Qualifikation vorweisen zu müssen…
Mittermeier: Das wird einem ständig suggeriert. Dabei ist nicht der Star das Ziel der Vermarktung, sondern der Konflikt, der darum kreist: Wie werde ich zum Star? Habe ich das Zeug dazu? Um das Scheitern, die Tränen und das Ausscheiden geht es. Das wird zelebriert. Das siegreiche Ende ist kurz: Freude, eine Platte und dann war´s das. Es geht um den Weg dahin und das Scheitern, einen Weg, der nebenbei eine Reihe halbe, Viertel- und Achtel-Stars produziert.

Dieser Gedanke, des für einen Moment Star zu sein, kulminiert in der Aussage von Salinger: „Einmal im Leben leben.“ Aber ist es das wirklich?
Stahlberg: So würde ich das nicht zuspitzen. Wir erzählen zwei Geschichten: Einmal den Traum nach Ruhm und zum anderen die Sehnsucht nach einem erfüllten Leben. Das muss man nicht so brutal sehen, wie es die Geschichte erzählt. Da steckt mehr dahinter, die Angst abzutreten, ohne das eigene Leben als erfüllt wahrzunehmen, da spielen die Liebe und Zuneigung, die John Salinger sucht, auch eine große Rolle.

Sie beschießen diese Art minderwertiger Unterhaltung satirisch. Wie sieht für Sie intelligente Unterhaltung aus, abseits von Satire?
Stahlberg: Die gibt es. Aber „intelligente Unterhaltung“ klingt so, als müsste man sich unheimlich anstrengen, als gäbe es eine Bildungsvoraussetzung. Gute Unterhaltung nimmt beispielsweise eine Komödien-Figur ernst. Das ist nicht leicht. Schauspieler, die einen Doofmann spielen, leisten sich häufig einen Augenzwinkerer zum Publikum, das ist schade.

Was machen Sie anders?
Stahlberg: Marcus und ich haben uns in Deutschland eine Nische aufgebaut, mit Filmen die gut unterhalten, obwohl die Figuren darin total abscheulich, aber auch lustig und nachvollziehbar sind. Es baut sich ein widersprüchliches Gefühl in einem auf. Dies ist wichtig in unseren Satiren, die unterhaltend sind. Dennoch darf sich der Zuschauer nicht zu sicher sein. Der Filmemacher erzählt mir nicht was Scheiße ist, sondern er erweckt jemanden zum Leben, bei dem ich nach spätestens 45 Minuten weiß: OK, der hat ein Rad ab. Aber ich habe ihn irgendwo schon schätzen gelernt, seine Sehnsucht kann ich irgendwo verstehen. Mit diesem widersprüchlichen Gefühl gehst du auf die Reise, deswegen ist der Film eine Komödie und manchmal komisch, manchmal aber auch überhaupt nicht komisch. Der Film ist eine Komödie von Marcus Mittermeier und Jan Stahlberg.

In Ihrem Film geht es nicht nur um die ‚bösen’ Medien, sondern eurer Protagonist Salinger bedient sich ganz bewusst den Mechanismen der Medienwelt. Wie wichtig war es, Ihren Protagonisten als einen solchen selbst-bestimmten Helden zu präsentieren?
Mittermeier: Wahnsinnig wichtig. Der Zuschauer kann sich nicht auf bekannte Bilder berufen, die die Medien als die Bösen markieren. Der Typ benutzt, was ihm zur Verfügung steht: Nämlich das Bedürfnis nach Quote beim Fernsehsender, das Bedürfnis nach Voyeurismus beim Zuschauer und seinen eigenen Traum als Ziel. Das ist neu an unserer Analyse: Wir betrachten diesen Dreiklang in unserer Satire als Ganzes. Im Prinzip geht der Zuschauer aus dem Film und erkennt, dass er der ist, an dem die ganze Scheiße hängen bleibt, da nur er auswählt, ob er das anschaut oder nicht.

Zitiert

Selbst den größten Unsympathen, den ich bei "Popstars" sehe, kann ich zu zehn Prozent verstehen, auch wenn er mir irgendwie Leid tut.

Jan Henrik Stahlberg und Marcus Mittermeier

Also ist Ihr Film, der sich eher an die Konsumenten richtet, vielmehr eine Gesellschafts-, als eine Medien-Satire?
Mittermeier: Vielmehr. Zwar bewegen wir uns in einer Medienwelt, doch ist die eine Parabel der westlichen Gesellschaft, in der die Verpackung wichtiger ist, als der Inhalt.
Stahlberg: Für mich sind die Worte Medien-Satire und Gesellschafts-Satire total langweilig, weil dann immer die anderen Schuld sind. Auch wir drei sind Teil der Gesellschaft. Sprechen wir aber von der Gesellschafts-Satire, sprechen wir über die anderen und kritisieren sie. Vielmehr ist unser Film eine Menschen-Satire!

Was macht ihn dazu?
Stahlberg: Der Film erzählt von der Sehnsucht eines Menschen, ein Leben zu leben, das er bisher noch nicht gelebt hat, das er wahrscheinlich auch nie erleben wird. Der feststellt, dass er aber auch nur ein Leben hat. Ein Gefühl, was ich per sé nachvollziehen kann. Ich habe zwar meinen Beruf zu meinem Hobby gemacht oder andersherum, aber seine Angst, seine Sehnsucht, kann ich absolut nachvollziehen. Diese Angst nimmt der Film ernst. Unser Film bedient sich eines Systems, das heute Unsterblichkeit verspricht, wie es bei den alten Griechen der Krieg war, in den die wie Achilles marschierten. Heute gehst du zur Casting-Show.

Ist dieser Wunsch also eine menschliche Rechtfertigung für Casting-Teilnehmer?
Stahlberg: Selbst den größten Unsympathen, den ich bei Popstars sehe, kann ich zu zehn Prozent verstehen, auch wenn er mir irgendwie Leid tut. Ich kann den 19-jährigen Friseur verstehen, der das nicht bis zu seinem Lebensende machen will und deshalb zur Show geht und einfach mal singt. Deshalb kann ich die Menschen verstehen, auch wenn die Sendungen noch so kacke sind und mich noch so sehr nerven. Und deshalb ist der Film ist eine Menschen-Satire!

Die Geschichte spielt nicht in Deutschland, sondern in den USA, die Sie als „das Urbild der westlichen Gesellschaft“bezeichnen. Kann ein Salinger in Deutschland kein Weltstar sein?
Mittermeier: Wir wollten jemand zeigen, der weltberühmt ist, das geht nicht, wenn der in Passau auszieht und über die Stationen Düsseldorf und Leipzig seine Aktionen startet, um dann in seiner in Deutschland übertragenen Show weltberühmt zu werden. Das geht nicht! Darüber hinaus ist der visuelle Effekt wichtig, wenn Jan Stahlberg alias John Salinger am Grand Canyon steht, einem Bild, was von hier nicht bekannt ist, anders als die Hochhäuser und Highways, die wir seit 100 Jahren kennen, nämlich seit wir amerikanisches Kino gucken. Das ist gleichbedeutend mit „Bigger Than Life“, großem Kino, großen Geschichten, großen Menschen, großen Helden, usw. Salinger am Brandenburger Kopfsteinpflaster mit seinem weißen Cadillac wäre unglaubwürdig. So erinnert er an Nicolas Cage in seinen Krokodil-Cowboy-Stiefeln.
Stahlberg: In der deutschen Piefigkeit entsteht kein unsterblicher Star. Daher bemühen wir ironisch diesen amerikanischen Mythos, wo nun mal die amerikanischen Mythen entstanden. Wir bemühen die Bilder eben nur ironisch. Ich bin nicht Nicolas Cage. Sehe ich Salinger mit seinen Stiefeln, denke ich mir: was ist das für ein Spasti, das ist doch der Stahlberg. Diese Auto-Ironie ist lustig. Man muss die Bilder gar nicht brechen. Drei Deutsche Stars am Grand Canyon, ist wie ne Blondine vor der Uni. Da sagt jeder: Leute, ihr seid peinlich.

In „Short Cut To Hollywood“ präsentieren Sie offenherzig einige Markenprodukte. Haben Ihre zahlreichen im Film sichtbaren Sponsoren den Dreh in Amerika ermöglicht?
Mittermeier: Drehen in Amerika ist wegen des Dollar-Kurses billiger als hier.
Stahlberg: Köstritzer waren die einzigen, die unseren Film unterstützt haben. Sie haben verstanden, dass sie profitieren können, obwohl wir ihre Marke durch den Kakao ziehen. Die anderen haben akzeptiert in unserem Film zu sein. Uns war wichtig Salinger in einer realen Welt zu zeigen, also mit Sponsoren, die auch in Wirklichkeit solche Formate unterstützen. Daher konnten wir das satirisch überhöhen. Das war mit unseren Justiziaren abgesprochen.

Ihre Karriere ist seit der Schauspiel-Schule verbandelt. Sie haben gemeinsam „Muxmäuschenstill“ gedreht, der Sie bekannt gemacht hat und haben dieses mal gemeinsam Jans Buch als Regisseure umgesetzt, geschnitten und die Hauptrollen übernommen. Wie wichtig ist für Sie das blinde Verständnis? Was zeichnet den anderen aus?
Mittermeier: Ein solches Projekt wäre mit keinem anderen denkbar, weil die Kommunikationswege durch unsere Vergangenheit unkompliziert und direkt sind.
Stahlberg: Uns vereint derselbe Humor, was bei einer Komödie sehr wichtig ist und wir machen Filme, die chronisch unterfinanziert sind. Bei „Short Cut“ konnten wir zum ersten Mal stolz vermelden, die Leute, die mit uns nach Amerika gingen, bezahlt zu haben. Reich wird mit dem Film niemand. Der Produktionswert, dieses Films, der aussieht, als habe er sieben Millionen Euro gekostet, wo aber ein Drittel reichen musste, erreicht oft Grenzen. Alleine steht man als Regisseur die Belastung nicht aus und macht Kompromisse, zu zweit hinterfragt und unterstützt man sich gegenseitig. Es fällt leichter keine Kompromisse einzugehen.

Der Film erscheint kurz vor der Bundestagswahl. Wie sieht Ihr Wunschergebnis der Wahl aus?
Stahlberg: Ich würde mir wünschen, dass sich Westerwelle als Außenminister in Ahmedinidschad verliebt, dann sind beide weg vom Fenster.

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