Jonas Kaufmann

Mehr Engagements kann man nicht kriegen.

Opernsänger Jonas Kaufmann über seinen Beruf, Plattengeschäft, Opernschals und romantische Arien

Jonas Kaufmann

© Decca / Uli Webber

Herr Kaufmann, hatten Sie früher eine romantische Vorstellung vom Dasein als Opernsänger?
Kaufmann: Ich hatte sicher eine wesentlich romantischere Vorstellung als es sich in der Wirklichkeit darstellt. Ich meine, jeder Außenstehende stellt sich das unheimlich toll vor und man bekommt immer zu hören: „Super, du singst überall, du siehst die ganze Welt…“

Und, stimmt das nicht?
Kaufmann: Die meisten Sänger müssen dann gestehen, dass sie außer den Hotelzimmern, der Limousine und dem Theater oder Konzerthaus eigentlich gar nichts sehen. Weil sie immer nur hin- und herfahren und ansonsten da sitzen und auf den nächsten Auftritt warten. Bei mir ist es Gott sei Dank nicht ganz so extrem. Aber es passiert schon mal – wenn ich merke, dass ich krank werde – dass ich mich in meinem Hotelzimmer einschließe und dort den ganzen Tag verbringe, nichts tue, außer Warten, Tee trinken und hoffen, dass es besser wird, um irgendwie die nächste Vorstellung zu retten. Aber jeder Beruf hat seine Vor- und Nachteile, und insgesamt würde ich sagen, überwiegen bei diesem die Vorteile.

Wie schützt man die Stimme am besten?
Kaufmann: Ich versuche, ganz normal zu leben. Klar, man raucht nicht, trinkt nicht, weil sich das bemerkbar macht. Aber ansonsten habe ich nie festgestellt, wenn ich aus reiner Prävention besondere Schutzmaßnahmen ergriffen habe, dass das irgendwas gebracht hätte. Diese berühmten drei Sängerschals – das ist alles relativer Kokolores. Wenn der Körper sich so daran gewöhnt, immer nur behütet und bemuttert zu werden, dann reicht der kleinste Windhauch für eine Erkältung, weil er es einfach nicht gewohnt ist.

Sie haben 2007 einen Plattenvertrag bei Decca/Universal Music unterschrieben. Was ändert sich für einen Opernsänger dadurch?
Kaufmann: Erstens, ganz klar: Die Popularität steigt. Und dann ist es so, dass ich zu einem schon ziemlich üppig gefüllten Kalender plötzlich weitere Termine hinzubekommen habe, die vorher nicht zur Diskussion standen. Sprich, zu meinem „normalen“ Beruf im Opernbetrieb kommen Plattenaufnahmen, Presseveranstaltungen und Recital-Konzerte hinzu. Die sind dann nicht unbedingt ein 100-prozentiges Qualitätsmerkmal, sondern viel mehr Ausdruck dessen, dass man ein breiteres Publikum erreichen kann.
Aber abgesehen von diesen zusätzlichen Terminen, die das Ganze zugegebenermaßen ein bisschen stressiger machen, ist der Beruf genau der gleiche. Ich mache immer noch die gleichen Aufführungen, in den gleichen Städten, daran ändert sich nichts.

Ist es nicht so: Je mehr CDs man verkauft, desto mehr Opernengagements bekommt man?
Kaufmann: Mehr Engagements kann man nicht kriegen, zumindest nicht in meinem Fall. Ich habe die Opernkarriere ja schon gehabt, ich habe in Häusern wie Covent Garden und an der Met gesungen bevor ich einen Plattenvertrag unterschrieben habe. Dementsprechend gab es in der Richtung keine Steigerung mehr. Man kann den eigenen Kalender ja auch nicht zwei, drei Mal mit Terminen auffüllen.

Was liegt Ihnen denn mehr, eine Opernaufführung oder ein Recital?
Kaufmann: Für mich ist klar: Ich liebe Oper und werde das nie abschreiben. Ich glaube, es wäre auch ein falscher Gedanke, wenn ich jetzt nur noch Konzerte machen würde, weil das halt irgendwie bequemer ist, oder einem besser gefällt. Wobei ein Konzert auch extrem schwierig ist, weil man den ganzen Abend gefordert ist. In der Oper folgt nach der eigenen Arie vielleicht ein Duett von zwei Kollegen und man kann sich ausruhen, in einem Recital kommt aber ein Stück nach dem anderen, die Höhepunkte, die schwierigsten Stellen aus den Opern hintereinander weg. Und doch ist es so, dass in weiten Teilen des Opernmetiers normale Opernaufführungen mehr geachtet werden, als solche Recitals.

Zitiert

Wenn der Körper sich so daran gewöhnt, immer nur behütet und bemuttert zu werden, dann reicht der kleinste Windhauch für eine Erkältung.

Jonas Kaufmann

Warum?
Kaufmann: Wenn einer sagt, „ich mache jetzt nur noch die großen Recital-Tourneen“, wird er wahrscheinlich nach kurzer Zeit feststellen, dass ihn die richtigen Operngeher nicht mehr ernst nehmen. Die fragen sich: „Was will der denn? Das ist ja kein Opernsänger sondern ein Event-Singer.“ Da muss man schon aufpassen, dass man die Waage hält.

Auf Ihrer aktuellen CD steht „Romantic Arias“. Was bedeutet dieses „romantic“? Ist es wirklich das, wofür die CD auch massenweise gekauft wird?
Kaufmann: Sie meinen, die Leute kaufen meine CD als ideale Hintergrundmusik für ein Candlelight-Dinner?

Im Plattenregal findet man zumindest einige Klassik-CDs, die als „romantisch“ verkauft werden, ohne dass die Epoche gemeint ist. Die heißen dann „Romantic Dreams“, „Romantic Moments“, „Romantic Classics“…
Kaufmann: Das ist doch aber eigentlich ein Missbrauch des Wortes! Die Romantik ist eine ganz deutliche Periode, ein fest stehender Begriff in der Literatur, wie auch in der Musik. Da kommt man nicht drum herum. Und ich hoffe mal, wenn man als Deutscher von Romantik spricht, dass man dann zumindest irgendwo im Hinterkopf hat: „Das habe ich schon mal gehört, da gibt es doch eine Zeit, die man so nennt.“ Sicher ist der Begriff heute sehr stark abgedriftet und steht in vielen Köpfen kurz vor „Schnulze“. So ist es aber um Gottes Willen nicht gemeint.

Sondern?
Kaufmann: Natürlich ist – im weitesten Sinne – jede Oper irgendwo romantisch. In 99 Prozent der Opern geht es um Liebe, und durch die Liebe und falsche Liebe entstehen dann diese Schwierigkeiten. Die Rollen, die ich auf der CD singe, das sind eigentlich alles Charaktere, die irgendwo in eine romantische Affäre verstrickt sind, die dann entweder glücklich sind oder ihre Verzweiflung darbringen, weil es offensichtlich nicht so gut klappt. Die Blumenarie des Don José, wie er der Carmen die Liebe gesteht, sozusagen fast unter Zwang, weil sie ihn so fertig macht. Oder Walther in den „Meistersingern“, wo er sich auf der Festwiese dieser schrecklichen Prüfung stellt und hofft, mit seiner Dichtkunst die Angebetete zu kriegen. Das sind alles verschiedene Phasen und Situationen, aber es hat doch letztlich alles mit diesem romantischen Gedanken zu tun, für jemanden eine Arie zu singen.

Fänden Sie es denn schade, wenn Ihre CD bei einem Candlelight-Dinner im Hintergrund läuft?
Kaufmann: Ich glaube es funktioniert nicht, ganz ehrlich. Gut, man kann das gerne machen, aber ich denke, es ist nicht die ideale Musik zum Dahinplätschern. Diese Arien sind nicht so seicht, dass man da einfach so weghören  kann. Dafür ist das Programm auch zu bunt, zu kontrastreich. Spätestens beim zweiten Stück wird man sagen: „Halt, was war das?“

Wie hören Sie privat Musik?
Kaufmann: Also, Oper kann ich unmöglich entspannt hören, ich kann mich dabei nicht zurücklehnen. Ich bin schon als Kind sehr viel in Sinfonie-Konzerte gegangen, durch meine Eltern, die überall ihre Abonnements hatten. Ich mag Komponisten wie Rachmaninow, Schostakowitsch, Mahler und Bruckner sehr gerne, aber ich höre genauso ‚normale’ Sachen, auch Popmusik. Wobei es da Grenzen gibt, wo man sich fragt: Ist das noch Musik oder nur noch Rhythmus? Diese ewigen Warteschleifen in der Musik, im Musical sagt man dazu „Vamp“, wenn eine bestimmte Passage einfach immer wieder wiederholt wird, so lange bis die Szene mit ihren Dialogen an der richtigen Stelle ist – und dann geht’s weiter. Es gibt heute ja genug Musikstücke, die einfach unendlich das Gleiche wiederholen, aber manche Leute scheint das trotzdem sehr zu beeindrucken. Ich habe eine Tochter, die gerade in das Alter kommt, wo sie sich die ersten HipHop-CDs von ihren Freundinnen ausleiht – da werde ich wohl bald auch in diese Bereiche vordringen.

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