Monsieur Libaux, wie gehen Sie mit Kritik um?
Olivier Libaux: Ich weiß, dass es einige Leute gibt, die Nouvelle Vague nicht mögen. Und die schreien sehr laut. Andererseits weiß ich, dass viele Leute Nouvelle Vague ok finden.
Können Sie es nachvollziehen, wenn jemand komisch auf die Musik von Nouvelle Vague reagiert?
Libaux: Ich kann verstehen, dass einige Leute überrascht sind von unserer Musik. Es macht sie nervös und verwirrt sie, weil sie daran nicht gewöhnt sind, besonders bei unseren Coverversionen von Punk- und New Wave-Songs.
Aber wir haben auch festgestellt, dass besonders die Künstler dieser Zeit, beispielsweise Jaz Coleman von Killing Joke, Yello Biafra von den Dead Kennedys oder auch Martin Gore von Depeche Mode sehr aufgeschlossen sind. Diese Leute mögen Nouvelle Vague.
Versuchen Sie immer den Original-Künstler zu kontaktieren?
Libaux: Nein. Aber einige unserer Coverversionen wurden ja schon sehr häufig gespielt, im Radio, im Fernsehen, in Bars. Da ist es dann nicht unwahrscheinlich, dass der ein oder andere unsere Version zu hören bekommt. Und dann kriegen wir manchmal sehr gutes Feedback: Zum Beispiel vor zwei Tagen, da hat Blur im Londoner Hyde-Park gespielt, vor vielen Tausend Leuten. Sie haben zwei Sets gespielt – und dazwischen liefen Songs von unserem neuen Album. Daran sehe ich, dass es viele Leute gibt, die mutig sind und unsere Idee unterstützen.
Wie wichtig ist Ihnen denn die Meinung der Original-Interpreten?
Libaux: Also, wir waren schon immer große Fans von all diesen Leuten. Doch als wir anfingen, als wir die ersten Songs aufgenommen haben, dachten wir über alles mögliche nach – nur nicht darüber, wie diese Musiker auf unsere Cover reagieren könnten. Hätten wir darüber nachgedacht, dann wären wir wohl nie am Ende dieses kreativen Prozesses angelangt. Denn das kann ja auch etwas sehr Blockierendes, Hemmendes haben.
Auf unserem ersten Album haben wir zum Beispiel einen Song von „The Cure“ gecovert, und ich erinnere mich, dass wir das alles nur zu unserem eigenen Vergnügen gemacht haben. Wir haben uns nicht gefragt, was Robert Smith davon halten würde. Sonst hätten wir den Song wahrscheinlich nie fertigbekommen.
Was ist aber notwendig auf der rein formalen Ebene, bei Copyright-Fragen?
Libaux: Nichts, weil wir das sogenannte Autorenrecht (Eng: Author’s Right), das Recht am Songwriting, nicht berühren. Das heißt auch, wenn der Song in unserer Version im Radio oder im TV läuft gehen 100 Prozent der Tantiemen an den Original-Künstler.
Und woran verdienen Sie?
Libaux: Wir verdienen nur am Verkauf der Platten und an den Konzerten.
Wie ist es bei Werbung?
Libaux: Wenn ein Song für eine Werbung zum Beispiel im Fernsehen verwendet wird, dann bekommen wir einen prozentualen Anteil, das wird dann mit dem jeweiligen Original-Publisher ausgehandelt.
Gibt es theoretisch eine Möglichkeit, für einen Original-Interpreten, Ihnen eine Coverversion zu untersagen?
Libaux: Es gibt ein Risiko, ja, das kann passieren. Wenn ein Künstler wirklich sauer ist und uns verklagen will…
Doch das geschieht offenbar alles im Nachhinein. Vorher fragt man nicht.
Libaux: Wir haben darüber nachgedacht, ganz am Anfang. Und wir kamen zu dem Schluss: Wenn wir das tun müssten, jeden Original-Künstler und Verlag um eine Erlaubnis zu bitten, dann würde kein einziges Nouvelle Vague-Album existieren. Weil das wahrscheinlich zehn Jahre brauchen würde. Sie können sich das nicht vorstellen, wie schwierig das ist. Viele der Songs der damaligen Zeit sind Teil von Rechtekatalogen, die erst von hier nach da verkauft wurden, dann wieder dorthin – da kann es passieren, dass Sie am Ende niemanden finden, der weiß, wer jetzt für diesen einen Song zuständig ist.
Wir haben einen Song von "The Cure" gecovert. Wir haben uns aber nicht gefragt, was Robert Smith davon halten würde.
Aber normalerweise müssten Sie fragen?
Libaux: Das hängt vom Land ab. In Frankreich kannst du jeden Song covern, den du willst. Der einzige Punkt ist, und das ist sehr wichtig, dass du den Originalkünstler angibst und respektvoll mit seinem Werk umgehst, dass du die Melodie respektierst und die Texte. Also verändern wir alles, außer die Melodie und den Text. Und wir sind sehr respektvoll dem Künstler gegenüber.
Nun wurde Ihnen in einer Kritik des deutschen Nachrichtenmagazins Spiegel Online vorgeworfen, Sie würden den Songs ihre Bedeutung rauben und „einst bedeutungsvolle Lieder komplett bedeutungslos machen“. Was entgegnen Sie dem?
Libaux: Oh…. Nein, ich würde sagen, wir rauben den Songs gar nichts. Wir spielen die Songs einfach nur 30 Jahre später. Ich vermute, der Journalist bezog sich da auf unser Cover von „God Save the Queen“ von den Sex Pistols, was sicher auch ein bisschen kontrovers ist. Die Sex Pistols haben diesen Song glaube ich 1976/77 rausgebracht. Das war ein Schrei, der genau in der Zeit und an dem Ort angesiedelt ist: England, 1976/77 haben sie der Königin und allen den Stinkefinger gezeigt.
So, heute haben wir 2009, die Queen ist eine liebevolle, alte Dame, die Zeit hat sich verändert, die Punks sind, wenn sie noch Punks sind, total anders – alles ist komplett anders. Ich würde es nicht verstehen, warum man jetzt weiter diesem Regime „God Save the Queen“ entgegenschreien sollte. Das macht für mich keinen Sinn.
Andererseits gehen Sie so weit mit Ihrer Verfremdung, dass es teilweise nach Fahrstuhlmusik klingt, wie Kritiker raunen.
Libaux: Also, als wir das erste Album gemacht haben, haben wir wirklich nicht gedacht, dass man das später mal in Bars oder Restaurants spielen würde. Das ist einfach so passiert. Uns hat es überrascht, ich bekam SMS von Freunden, die mir aus ganz verschiedenen Städten und Ländern schrieben, dass sie gerade unser Album im Restaurant hören. Wir waren froh darüber – trotzdem haben wir kein Album für Restaurants aufgenommen.
Aber was sagt es über die Musik, wenn sie in Hotelbars gespielt wird oder als Hintergrundmusik auf der Website von Air France?
Libaux: Air France hat den XTC-Song „Making Plans fo Nigel“ verwendet, meiner Meinung nach ein wunderbarer Song, das Cover ist sehr emotional. Zuerst klingt es wie sehr schöne, sanfte Musik, aber dann wird es sehr emotional, meiner Meinung nach. In meinen Ohren ist es so, als ob sich diese Nigel-Situation aus dem Song jahrzehntelang wiederholt hat, wenn ich unsere Version höre, habe ich das Gefühl dieser unendlichen traurigen Geschichte.
Ich kenne natürlich den Vorwurf, dass es zu loungy klingt, diese Kritik haben wir von Anfang an gehört – aber wir werden damit nie einverstanden sein. Es ist mehr als nur Musik für schicke Hotellobbys. Und wenn wir sie aufnehmen, versuchen wir keineswegs, oberflächliche Versionen zu machen. Wenn das passiert, sind wir keine guten Musiker.
Würden Sie Nouvelle Vague eher als Unterhaltung oder als Konzept-Kunst bezeichnen?
Libaux: Es ist ein Konzept, bei dem wir versuchen, die Songs unterschiedlich zu lesen und etwas Interessantes damit zu machen. Auch wenn es manchmal kontrovers ist.
Ich denke, wenn man einen Song nimmt, der im Original absolut Punk war, dann ist es doch keine schlechte Idee, beim Covern mit genau der gleichen Anti-Haltung heranzugehen. Nehmen wir „Too drunk to fuck“ von den Dead Kennedys: Wenn du einen Song hast, der so gewaltsam und rockig war, und den heute von einer sanften Frauenstimme singen lässt, können die Original-Fans der Dead Kennedys jetzt so reagieren, wie man damals auf Punk reagiert hat: „Oh, ist das schrecklich!“
Die Punks waren die ersten, die zu allen gesagt haben „Fuck you!“, die alle schockiert haben. Das heißt, um einen Punk-Song angemessen zu covern, muss man etwas machen, was die Leute provoziert.
Also geht es bei Nouvelle Vague auch um Provokation?
Libaux: Es geht darum, beim Covern etwas Interessantes zu machen. Das heißt nicht, dass wir mit jeder Version provozieren wollen. Es hängt vom Song ab und in was man ihn verwandeln kann.
Es gibt heute Jazz-Sänger, die die Beastie Boys oder Britney Spears covern und Mädchenchöre, die Rammstein singen – ist in der Welt der Coverversionen alles möglich?
Libaux: Also, ich denke, dass diese Sache mit dem Covern vielleicht noch ganz am Anfang steht. Ich meine, wenn wir uns den Jazz angucken, die Songs, die von Ella Fitzgerald oder Count Basie interpretiert wurden….
….wurden auch hunderte Male gecovert.
Libaux: Ja, das war die Art Musik zu machen, damals. Wenn also heute jemand gleich die Nase rümpft, nur weil jemand eine Coverversion gemacht hat, finde ich das falsch. Ich denke, wenn verrückte Leute komische Versionen machen wollen, dann sollten sie das auch dürfen. Weil dies ein Weg ist, diese Musik wiederzuentdecken und neu zulesen.
Und es gibt auch keinen Song, wo Sie sagen würden: Stop! Don’t touch it?
Libaux: Nein. Was sollte das für ein Song sein?
Es ist immer eine Frage des Respekts. Wir haben jetzt insgesamt 40 bis 45 Coverversionen von New Wave-Songs gemacht haben – und sie sind alle voller Respekt. Wir haben ja nie behauptet, dass wir die Originale ersetzen wollen, wobei manchmal das Gegenteil angenommen wird. Es kommt ja manchmal vor, dass das Publikum sehr jung ist, und Leute dabei sind, die einen Song in unserer Version zuerst entdecken. Aber an der Stelle sagen wir immer ganz klar: Es ist nicht unser Song.