Oliver Uschmann

Sei murpig!

Autor Oliver Uschmann über über seine Romanhelden "Hartmut und ich", mentale Selbstverteidigung, Kafka und Rebellion in Form eines Landhauses

Oliver Uschmann

© David Klammer/Fischer-Verlage

Herr Uschmann, warum haben Sie einen vierten „Hartmut und Ich“-Roman geschrieben? Weil die bisherigen Bände so erfolgreich waren, die Fans gedrängelt haben oder gab es noch etwas Wichtiges zu sagen?
Uschmann: Es gab mehr zu sagen als je zuvor. Hartmut ist stinksauer und schreibt ein Buch im Buch. Das Manifest für die Unvollkommenheit, einen Anti-Ratgeber. „Wandelgermanen“, der Vorgängerband war l’art pour l’art. Es war eine Komödie über Glaubenssysteme. Ein Hochsitz, über den man auf die verschiedenen Weltanschauungen guckt und sich über fast alle lustig macht. Murp dagegen will etwas. Hartmut sagt: „Jetzt ist Schluss“. Er plädiert für das Recht auf Selbstbestimmung und Unvollkommenheit. Insofern ist Murp das Buch, das am meisten zu sagen hat.

Wer oder was ist Murp? Worum geht es?
Uschmann: Murp ist ein Wort, das Hartmut erfunden hat. Murp ist ein Zustand, in dem man etwas macht, was weder etwas bringt noch Sinn hat. Murp ist zum Beispiel, wenn am nächsten Morgen der Umzugstransporter kommt, ich mich aber trotzdem bis sieben Uhr morgens im Nachblättern meiner alten Kindheitsnotizen verliere und einfach nicht packe.  Murp ist jede Handlung, die man nur aus einem Fluss aus Sich-Verlieren macht und die damit eine Befreiung ist.

Ihre Kritiker sind sich nicht einig: Für manche sind die HUI-Bücher bloße Spaßliteratur, andere entdecken auch eine gesellschaftskritische Ebene hinter der Oberfläche des schlichten Humors…
Uschmann: Es gibt mehrere Ebenen dahinter. Ich habe den Kopf voll von Theorien, weil ich Germanist bin. Hartmut ist auch so einer, der jede Theorie im Kopf hat und auch ausprobiert. Die Bücher sind voller Ostereier. Es gibt unendlich viele Anspielungen. Wenn Hartmut ein Bein von einem Schrank findet und der Schrank existiert nicht mehr, dann fängt er an wie Paul Auster zu philosophieren: „Ist das noch ein Schrankbein oder ist es nicht etwas anderes? Was ist mit  der Begrifflichkeit?“ Dann fängt er mit Adorno an…die Anspielungen muss man nicht nachvollziehen können, aber sie sind alle da. Man kann Murp einfach als Entertainment lesen oder man findet diese ganzen Ebenen.

Ein Rezensent der Süddeutschen Zeitung hat über „Wandelgermanen“ geschrieben „dem Stil des Autors hätte ein gründlicheres Lektorat gut getan“. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Uschmann: Einen Zweispalter in der Süddeutschen zu kriegen, das war super. Wenn es dann ein Verriss ist, spielt das keine Rolle. Auf derselben Seite war, glaube ich, so ein super anspruchsvoller Buchautor Thema. Der Rezensent hätte mich einfach nicht auf derselben Seite loben können. Diese Haltung wird auch in Murp veräppelt.
Ein paar sprachliche Schlampigkeiten gibt es. Die gebe ich auch öffentlich zu. In den ersten beiden Bänden gibt es das Wort „plötzlich“ ungefähr achttausend Mal. Das habe ich verändert. Das fällt mir auch selber erst nachher beim Lesen auf. Darüber mache ich mich mittlerweile selber lustig. Ansonsten würde ich meinen Schreibstil als filmisch, rhythmisch, schnell beschreiben und geprägt von der großartigen Hamburger Schule. Ende der Neunziger hat die Autorenvereinigung „Macht“ ein Dogma entwickelt, bei dem es vor allem um radikale Reduktion geht. Das hat mich sehr beeindruckt.

Was ist die Kernaussage von Murp? Was sollte der Leser aus der Lektüre mitnehmen?
Uschmann: Sei murpig! Im Grunde folgt Hartmut der guten alten Weisheit von Kant: „Gebrauche deinen eigenen Verstand.“ Das ist ja gar nicht so einfach. Die öffentliche Meinung, die ganzen ungeschriebenen Regeln – wenn man das alles zusammennimmt, bleibt nicht viel übrig, was man noch machen darf. Hartmut ist ein Individualanarchist. Er hinterfragt alles. Hartmut ist kein Aktivist, der anderen vorschreibt, wie sie zu leben haben. Er würde sagen: Denke selbst, sei ruhig, auch mal albern und übermütig und lass dich nicht fangen von niemandem. Ich wäre froh, wenn Hartmut den Menschen helfen könnte, eine geistige Unabhängigkeit zu erreichen von all dem Mist, der auf uns einströmt und uns die Synapsen total verklebt.

In Ihren Hartmut-Büchern lamentieren Sie über Missstände in der Gesellschaft, bieten jedoch kaum Lösungsansätze. Ist das nicht wenig konstruktiv?
Uschmann: Es ist konstruktiv. Ich finde, es gibt nichts Konstruktiveres als die individuelle Selbstermächtigung zu geistiger Freiheit. Hartmut stellt immer Theorien vor, auf lustige Art, und man kann ihnen folgen, wenn man will. An der Uni arbeiten alle an ihren Forschungen, die kein Mensch versteht. Die politische Debatte ist fürchterlich. Das sind ja nur noch Luftblasen. Mit der Wirklichkeit hat das auch nichts zu tun. Insofern ist das, was Hartmut will, individuelle mentale Selbstverteidigung, das Konstruktivste was es gibt.

Verzweifeln Sie oft an der Gesellschaft?
Uschmann: Ja. (Pause) Aber ich bin nicht zynisch. Pocher ist zynisch. Hartmut ist schon Humanist. Aber nicht auf diese schrecklich moralische, betroffene Bundestagspräsidentenart. Das hasst er selbst. Der klassische Gutmensch ist ihm auch ein Greul. Der ist auf seine Art ja auch wieder ein Meinungsführer und Erzieher.

Sie haben mal gesagt, dass in Ihnen etwas von Hartmut und etwas von Ich steckt.  Sollte sich der Leser freuen, wenn er selbst auch den Hartmut in sich entdeckt?
Uschmann: Ja, auf jeden Fall. Dann würden mehr skeptische Individualisten herumlaufen, die sich alles Mögliche trauen. Das würde mich sehr freuen.

Wie sind Sie überhaupt auf das Männer-Duo Hartmut und Ich gekommen?
Uschmann: Durch die WG, die ich mit einem Freund hatte. Es ist exakt die WG, die in den ersten beiden HUI-Büchern und auf der Homepage beschrieben ist. Räumlich. Die Charakterzüge meines Mitbewohners, meine Charakterzüge, Charakterzüge verschiedener Freunde mischen sich natürlich. Dass ich überhaupt humoristische Sachen schreibe, hat mit meiner Verlobten zu tun, die mich davon weggebracht hat, düsteren, schwurbeligen existentialistischen Kram zu schreiben, wie ihn Germanisten nun mal schreiben. Früher habe ich im Studentenwohnheim gesessen und jeden Tag mit einem halben Kasten Bier im Schädel versucht Kafka nachzumachen. Ich habe immer so geschrieben, als wollte ich unbedingt Preise gewinnen. Sie hat mir gesagt: „Mach Dinge nicht für andere, sondern für dich oder für mich.“ Und dann habe ich gemerkt, dass Humor mein Medium ist.

Zitiert

Ich finde, es gibt nichts Konstruktiveres als die individuelle Selbstermächtigung zu geistiger Freiheit.

Oliver Uschmann

Hartmut und Ich haben ihre WG aufgelöst und leben ein Nomadenleben auf Autobahnraststätten. Gibt es Parallelen zu Ihrem eigenen Leben?
Uschmann: Das folgt schon ein bisschen meinem Leben. Wir haben jetzt auch ein Haus auf dem Land. Als Popliterat lebt man ja eigentlich in Hamburg oder Köln. Unser Rausziehen auf ein erzkatholisches, münsterländisches Dorf ist von daher schon wieder rebellisch. Am liebsten wären wir noch autarker: Solarzellen auf dem Dach, unabhängig von Eon, gar keine Nachbarn, eigenen Brunnen. Das wäre das Beste.

Gibt es einen fünften Band?
Uschmann: Den gibt es auch jeden Fall. Anfang 2010. Die Hartmut-Reihe ist auf endlos ausgelegt. Die Figuren kann man wie „Die ???“ oder die Leute aus Schreibenwelt immer wieder in neue Situationen setzen.

Haben Sie keine Angst, dass der kommerzielle Erfolg nachlässt?
Uschmann: Nein, habe ich nicht. Ich bin ja noch nicht so präsent wie Mario Barth. Jetzt wird HUI erst langsam so bekannt, dass nicht mehr nur junge Leute zu den Lesungen kommen. Auch wenn ich mich damit nicht vergleichen möchte, weil es ein ganz anderes Genre ist: Von den Scheibenwelt-Romanen von Terry Pratchett gibt es mittlerweile 35 Bände und der Typ ist Kult.

Und Ihr Ziel ist es auch, Kult zu werden?
Uschmann: Ja. (grinst). Das nutzt sich nicht ab. Das ist unser Familienbetrieb. Ich konzipiere die Bücher mit meiner Verlobten zusammen. Die Website mit monatlich neuen Kolumnen machen wir unentgeltlich. Da steckt ganz viel Passion drin.

Sie schreiben gerade an Ihrer Dissertation. Ist die auch von Hartmut inspiriert?
Uschmann: Sie hat insofern etwas mit Selbstermächtigung zu tun, als dass ich die psychologische Theorie der Transaktionsanalyse auf Kafkas Figuren und Kafka selbst anwende. Wenn man sich mit solchen Theorien beschäftigt, kapiert man, warum wir uns verhalten, wie wir es tun und kann dann sein Verhalten ändern. Das wäre dann auch wieder hartmutesk.

Kafka scheint ja eine große Rolle in Ihrem Leben zu spielen…
Uschmann: Privat ist er mein absoluter Lieblingsautor. Er wird auch als Humorist unterschätzt. Die Art wie er Bürokratie in knochentrockenen Sätzen darstellt, finde ich urkomisch und das fand auch er urkomisch. Auch wenn ich ihn nachträglich gern rütteln würde und aus seinem Elend herausholen würde, ist er trotzdem der faszinierendste Autor aller Zeiten.

Zu Ihren Romanen gibt es mehrere Websites. Murp hat sogar einen eigenen Titelsong. Muss man diesen multimedialen Aufwand heutzutage betreiben, wenn man ein Buch gut verkaufen will?
Uschmann: Nein. Den multimedialen Heckmeck machen wir aus Leidenschaft, der bringt monetär auch nichts ein, kostet nur unheimlich viel Zeit.

Es macht den Eindruck als sei Ihr Leben momentan komplett auf Hartmut ausgerichtet?
Uschmann: Ja, zeitweise ist es das auch. Aber das macht nichts. Die Hartmut-Welt ist ja das Destillat aus allem. Ich kann verarbeiten, was ich erlebe. Das ist wie eine Katharsis, ich schreibe es auf und werde dann wieder ruhiger. Meine Freizeit ist gleichzeitig Beruf ist. Da ist super. Als einzige Schwäche könnte ich sagen, dass ich arbeitssüchtig bin – was ja nicht murpig ist.

Wenn das Leben ein Comic wäre… Welche Figur wären Sie?
Uschmann: Eine Mischung aus Garfield, aber der ist ja faul und das bin ich nicht. Und Night Crawler, aber der schläft nie.

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