Tanita Tikaram

Meine Songs klingen oft so, als wäre ich betrunken

Tanita Tikaram über ihr Lachen, deutsches Fernsehen und ihre musikalische Entwicklung vom Debütalbum "Ancient Heart" bis zu ihrer neuen Platte "Can't Go Back"

Tanita Tikaram

© Natacha Horn

Frau Tikaram, wie würden Sie Ihr Lachen beschreiben?
Tanita Tikaram: Das fällt mir schwer. Wir würden Sie es beschreiben?

Ich habe Sie nie lachen hören. Sie sind ja wegen Ihrer oft melancholischen Musik berühmt, nicht gerade wegen Ihrer Heiterkeit.
Tanita Tikaram: Ich gehöre zu jener Sorte Menschen, die ein sehr tiefes Lachen haben. Wenn ich irgendwo lache, verstummt der ganze Raum und die Leute starren mich irritiert an. Es ist wohl nicht nur ein tiefes, sondern auch ein etwas dreckiges Lachen.

Wenn Sie singen halten Sie Ihre Stimme eher gedämpft, als würden Sie sich jedes lauteren, emotionalen Ausbruchs bewusst enthalten. Ist Ihnen Ihre Stimme auch ein bisschen peinlich?
Tanita Tikaram: Nein, gar nicht. Ich denke nicht besonders darüber nach, wie ich singe. Ich singe einfach.

Das klingt heute fast anachronistisch. Gerade unter Sängerinnen hat sich in den letzten Jahren so eine Art überemotionalisierter R’n’B-Stil als Mainstream etabliert.
Tanita Tikaram: Ich weiß was Sie meinen. Aber ich würde das nicht „überemotional“ nennen, sondern einfach „übertrieben“. Es geht da nicht um den Ausdruck eines Gefühls, sondern es ist meistens eine eher technische Disziplin, fast schon Schauspielerei.
Wenn man dann genau hinsieht, ahnt man, wo diese Art zu singen herkommt. An ihrer Quelle ist diese Musik großartig, Aretha Franklin oder Gladys Knight – all diese Sängerinnen in der Gospel-Tradition sind überwältigend. Was wir heute im Radio zu hören bekommen, ist nur noch die verwässerte Version einer einst machtvollen kulturellen Sprache. Ich war gerade erst in New York in einer Gospel-Kirche und selbst dort konnte man hören wie die kommerzielle Black Music den Stil des Gesangs prägt.

Andererseits könnte man in dem kommerziellen Erfolg jüngerer Soulsängerin wie Adele auch eine Renaissance der traditionellen Soul- und Gospel-Musik sehen.
Tanita Tikaram: Ja klar. Diese Art zu singen ist ja immer noch da. Sie ist viel zu stark um jemals ganz zu verschwinden.

Wann haben Sie Ihre Gesangsstimme entdeckt? Haben Sie auch jene berüchtigte Stunde im Musikunterricht erlebt, wo man vor der ganzen Klasse vorsingen musste?
Tanita Tikaram: (Lacht halblaut) Ich muss sagen, meine musikalische Bildung war ziemlich erbärmlich. In der Schule sah der Musikunterricht eher so aus: Der Lehrer kam mit einem Plattenspieler herein, legte eine Platte auf und sagte: Hört euch das, ich bin in einer Stunde zurück. (Lacht lauter) Ich habe auch nie gelernt, ein Instrument richtig zu spielen. Bei uns zuhause stand einfach eine Gitarre rum. Meine eigentliche musikalische Bildung bestand darin, Radio zu hören – und die alten Schallplatten meiner Eltern.

Gibt es deutschsprachige Künstler, die Ihre Musik beeinflusst haben?
Tanita Tikaram: Ja, ich mag Marlene Dietrich. Allein der Name klingt schon großartig.

Sie wurden als Kind einer britischen Soldatenfamilie in Münster geboren. Über das Leben der alliierten Truppen in Deutschland wird selten eingehender gesprochen. Ich habe gelesen, Sie hätten als Kind nie ferngesehen, weil sie kein Deutsch konnten.
Tanita Tikaram: Das ist nicht wahr. Es klingt nach einer guten Geschichte, aber natürlich haben wir ferngesehen. Obwohl wir kaum etwas verstanden haben. Da war dieser Kommissar… Meine Mutter liebte ihn. Wie hieß der noch?

Meinen Sie „Derrick“?
Tanita Tikaram: Ja genau, Kommissar Derrick. Er trug immer diesen komische Mantel. (Lacht laut) Ich hatte auch gerade diesen TV-Auftritt im ZDF, im „Fernsehgarten“.

Ich hatte mich schon gefragt, wie es dazu gekommen ist. Sie mit einem Vollplayback-Auftritt im Sonntagvormittag-Programm zu sehen, war schon überraschend. War das eine Verbeugung vor den einstigen Sehgewohnheiten Ihrer Mutter?
Tanita Tikaram: Nicht wirklich. Ich werd’s ihr aber erzählen. Das wird sie sehr stolz machen. (lacht) Ich erinnere mich auch noch an solche Shows. Als ich Kind war sind dort aber vor allem deutsche Künstler zu Gast gewesen, oder?

Das ist heute auch noch so. Ihr Auftritt war eher eine Ausnahme.
Tanita Tikaram: Ansonsten haben wir vor allem die Slapstick-Filme von Louis de Funes gesehen, mit der ganzen Familie. Und ich erinnere mich an diesen deutschen Künstler, „Costa Cordalias“.

Sie meinen Costa Cordalis. Er ist gebürtiger Grieche aber mit deutschen Schlagern bekannt geworden.
Tanita Tikaram: Genau der. Ich erinnere mich an seinen Hit „Anita“…

Mit der unvergesslichen Zeile: „Ich fand sie irgendwo, allein in Mexiko – Aaaniiita!“
Tanita Tikaram: Damit hat mich mein Bruder gerne aufgezogen. Er hat aber immer gesungen: „Geh und nimm ein Bad – Taaaniiita!“ (Lacht schallend laut – es klingt tatsächlich dreckig)

Zitiert

Was wir heute im Radio zu hören bekommen, ist nur noch die verwässerte Version einer einst machtvollen kulturellen Sprache.

Tanita Tikaram

Ist das Klischee der isoliert in Deutschland lebenden Soldatenfamilie also falsch?
Tanita Tikaram: Ja, absolut. Zumindest was meine Eltern betrifft. Mein Vater stammt ja aus Malaysia, meine Mutter von den Fidschi-Inseln. Sie waren auch in England Ausländer, sie sind daher immer sehr offen gewesen. Sie waren sehr eng mit einer deutschen Familie befreundet als ich noch ein Kind war und diese Freundschaft besteht bis heute. Das war aber nicht typisch, denn die meisten Familien der britischen Soldaten blieben eher unter sich.

Sind sie musikalisch von den Wurzeln Ihrer Eltern beeinflusst?
Tanita Tikaram: Als ich jünger war, hat meine Mutter oft gesungen. Wenn Fiji zusammen kommen, dann singen sie normalerweise auch. Meine Mutter hat eine recht hohe Stimme. Ich erinnere mich an die Harmonien und auch an ein malaysisches Lied meines Vaters. Diese Lieder haben immer eine große Sehnsucht ausgestrahlt. Das hat mich sicherlich beeinflusst. Deshalb klingen mein eigenen Songs auch oft so, als wäre ich betrunken. (lacht)

Ihre Eltern sangen wie betrunkene Seeleute, fern von Zuhause?
Tanita Tikaram: Und währenddessen haben wir Kinder draußen im Garten getobt, wie die Wilden. Das sind meine beiden Einflüsse: Betrunkene Seeleute und alte Schallplatten. (Lacht laut und lang)

War Ihre erste Platte „Ancient Heart“, die sie mit 18 aufgenommen haben, also eher vom Leben Ihrer Eltern geprägt, als von Ihrem eigenen? Sie ist ja über weite Strecken sehr melancholisch.
Tanita Tikaram: Ich weiß es nicht. Wenn man schreibt und dazu neigt, sich seiner Fantasie hinzugeben… Es ist mir selbst ein Rätsel, was diese Vorstellungskraft formt, woher das kommt, was man schreibt, warum manche es tun und andere nicht. Es ist so, als hätte man eine dicke Nase oder lustige Ohren und keiner weiß, von wem man die hat.

Im Internet kann man einen Ihrer ersten TV-Auftritte in England sehen. Sie spielen gemeinsam mit einer Geigerin „Valentine Heart“, Sie spielen Gitarre und haben fast die ganze Zeit die Augen geschlossen. Waren Sie zu nervös, um in die Kameras zu gucken?
Tanita Tikaram: Nein. Es war für mich einfach die direkteste Art, mich mit meiner Musik zu verbinden. Das wurde mir damals öfter vorgehalten, als wäre das nur eine Marotte. Heute mache ich das nur noch, wenn ich mich wirklich sehr konzentrieren muss. Im Allgemeinen bin ich heute, auch auf Konzerten, viel offener.

Sie haben in Berlin gerade Ihre neue Platte „Can’t Go Back“ in einem Konzert vorgestellt. Sie spielten im Trio, gemeinsam mit einem weiteren Gitarristen und einem Bassisten am Kontrabass. Ihre Lieder wirkten plötzlich rhythmisch viel prägnanter, klangen nach Rumba oder Calypso. Ist das der eigentlich Kern Ihrer Songs oder haben Sie einfach Spaß daran, Ihre Songs zu variieren?
Tanita Tikaram: Wahrscheinlich ist das ein ganz normaler Effekt, der eintritt, wenn man mit einem solchen Bass spielt. Das beeinflusst die Wahl des Rhythmus entscheidend. Aber generell sind wir sehr flexibel. Ich fühle mich sehr frei im Umgang mit meinen Songs und spiele mit den Jungs einfach gerne rum. Wenn man als Musiker einen guten Draht zueinander hat, ergibt sich das automatisch.

Außerdem scheinen Sie das Klavier für sich entdeckt zu haben. Sie haben es auf Ihrem letzten Album „Sentimental“ zum ersten Mal gespielt. Konnten oder wollten Sie das vorher nicht?
Tanita Tikaram: Ich habe tatsächlich erst mit 30 angefangen, Klavier zu spielen. Allerdings habe ich mit den Klavierstunden schnell wieder aufgehört. Ich war zu faul. (lacht) Aber das Klavierspiel an sich ist ein großes Geschenk. Wenn man diese schwarzen und weißen Tasten so vor sich hat, führt das automatisch dazu, dass man eine andere Art von Musik schreibt.

Können Sie beschreiben, wie sich Ihr Songwriting im Bezug auf die Texte verändert hat?
Tanita Tikaram: Mmh. Schwierig.

Es scheint zumindest so, dass Sie früher mehr an Poesie interessiert gewesen, an abstrakten Gedanken und lautmalerischen Zeilen. Auf der neuen Platte „Can’t Go Back“ erscheinen Ihre Texte viel konkreter, mehr auf den Punkt.
Tanita Tikaram: Ja, das stimmt. Es geht mehr und mehr um Ökonomie, darum, klarer in meinen Ideen zu sein. Aber wahrscheinlich ist auch das ein natürlicher Prozess. Als Kind und Teenager ist man ja praktisch wie auf Droge. So viele Einflüsse strömen auf einen ein und umgekehrt lässt man seinen Gedanken und Gefühlen freien Lauf. Mittlerweile bin ich vor allem daran interessiert, einfacher und klarer zu werden.

In gewisser Weise ist das die Umkehrung einer früheren Rockmusiker-Tradition. So mancher, der zunächst knappe, direkte Punk- oder Rocksongs geschrieben hat, begann ein paar Jahrzehnte später, Rockopern zu schreiben.
Tanita Tikaram: Ja, das ist seltsam. Mit dem Klavier habe ich auch erst relativ spät die Welt der klassischen Musik kennengelernt. Und das hat mich eher dazu gebracht, kürzere Songs zu schreiben. Die Beschäftigung mit Klassik hat mich dazu gebracht, mir mehr über Klarheit, die Klarheit von Ideen Gedanken zu machen.

Fühlen Sie sich heute jünger, als mit 18?
Tanita Tikaram: Ja… Damals trug ich die Last der ganzen Welt auf meinen Schultern. (Lacht) Nein wirklich, ich fühle mich in gewisser Weise gesegnet. Wenn ich andere Leute anschaue und die Last, die sie mit sich rumschleppen, dann denke ich: Das habe ich längst alles hinter mir gelassen, als ich ein Teenager war.

Seit „Sentimental“, Ihrem letzten Album, sind sieben Jahre vergangen. Was machen Sie, wenn Sie keine Musik aufnehmen oder Konzerte geben?
Tanita Tikaram: Ähm, ich bin sehr an Kultur interessiert. Ich liebe das Theater und gehe gerne ins Kino. Ich lese. Und hin und wieder gehe ich auch ganz gerne unter Menschen. Ich habe so eine ganze Weile ganz gut gelebt und nur hin und wieder etwas geschrieben. Jetzt bin ich wieder ein bisschen produktiver, seit ich begriffen habe, dass ich 43 bin. (Lacht) Deshalb möchte ich jetzt auch viel mehr mit anderen Musikern zusammenarbeiten, das ist etwas Neues für mich.

Letzte Frage: Ich wollte immer schon mal wissen, was Ihre Eltern sagen, wenn sie von neuen Bekannten gefragt werden: Was machen ihre Kinder so?
Tanita Tikaram: Wieso das?

Ihr Bruder Ramon ist als Schauspieler erfolgreich und unter anderem aus Mira Nairs Film „Kama Sutra“ bekannt. Es ist eine schöne Vorstellung, Ihre Eltern sagen zu hören: Nun, unsere Tochter ist bekannt für ihr „Ancient Heart“ und…
Tanita Tikaram: … unser Sohn ist der Kerl aus „Kamasutra“! (Lacht laut)

Das klingt doch nach einer interessanten Familie.
Tanita Tikaram: Aber tatsächlich sind meine Eltern sehr diskret in dieser Beziehung. Meine Mutter war Sozialarbeiterin und ich weiß, dass sie auf ihrer Arbeit nie viel von uns Kindern erzählt hat. Sie wollte uns wohl beschützen. Allerdings leben meine Eltern nun schon seit Jahrzehnten in Basingstoke, und dort weiß sowieso jeder, was wir machen. Da kennt jeder jeden.

Schon als 19-jährige avancierte die britische Sängerin Tanita Tikaram 1988 zum internationalen Popstar. Ihre Singles "Good Tradition" und "Twist in My Sobriety" wurden zu Hits – dank ihrer einschmeichelnden Melodie und Tikarams markant dunkler mehr

2 Kommentare zu “Meine Songs klingen oft so, als wäre ich betrunken”

  1. Hendrik Nehls |

    Tanita Tikaram hat im letzten Jahr tatsächlich auf ihren Deutschland-Konzerten einen Song auf deutsch gesungen: „In dieser Stadt“, 1965 von Hildegard Knef gesungen. Sie sang es als Dankeschön für die Treue ihrer deutschen Fans – und es klang ganz wunderbar, obwohl man ihr anmerkte, dass sie sich mit der deutschen Sprache schwer tat.
    Ansonsten ging ich selten beseelter und befriedigter aus einem Konzert als bei Tanita Tikaram. Die Leidenschaft, mit der sie ihre Songs interpretiert, die Nähe zu den Konzertbesuchern, ohne sich anzubiedern, ihr phänomenales musikalisches Talent, das sie eindrucksvoll unter Beweis stellt, und ihre anrührende Bescheidenheit machen sie zu einer noch besseren Live-Künstlerin als sie als Studio-Künstlerin ohnehin schon ist.
    Bis dato mochte ich ihre Musik, war aber kein Fan. Das hat sich an diesem Herbstabend 2017 in Dresden geändert.

    Antworten
  2. tom applwton |

    schon fast vier jahre her und kein kommentar. aber ich habe auch tanita nach ihrem ersten song aus den augen verloren, das ist unsäglich lange her, seit 88 oer 89. jetzt höre ich mir eine best of kompilation aus dem jahr 96 an, und ich finde, obwohl sie alle diese sachen auf englisch singt, ihre phonetik hat auch was deutsches. selbst wenn sie kein deutsch spricht, sie könnte sehr leicht eine deutsche platte singen. scheint mir. ich will nicht sagen, sie klingt wie eine zweite NICO, aber ich wäre nicht überrascht, wenn sie auf eutsch große erfolge haben könnte.

    Antworten

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.