Urban Priol

2010 gab es sehr viel Material für mich.

Kabarettist Urban Priol über seinen politischen Jahresrückblick, den Protest gegen Stuttgart 21 und Kabarettvorlagen durch das Politpersonal

Urban Priol

© Alexander Hess

Herr Priol, was sind die herausragenden Themen für Ihren politischen und kulturellen Jahresrückblick 2010? Stuttgart 21, Gorleben, Terrorangst – oder gibt es da noch etwas anderes?
Ich habe gerade mit der Arbeit dafür angefangen und bin schon bei Seite 17, dabei bin ich noch gar nicht bei den Katholen angelangt. Wir haben wahnsinnig viel. Da war die spätrömisch-dekadente Debatte von Westerwelle, wir hatten die Vorbereitungen der Hartz-IV-Änderungen. Wir hatten das Stillschweigen mit Rüttgers, um die NRW-Wahl zu retten,  was nicht geklappt hat. Wir hatten die Fußball-WM, dann kam die Sarrazin-Debatte. Ohnehin, die ganzen Debatten dieses Jahr, das waren doch Gespenster-Debatten, die wir in den 80er Jahren schon abgehakt haben. Integrieren wir die Ausländer richtig? Haben wir Zuwanderung? Das Gefasel vom Aufschwung, das ist doch alles lächerlich. Eigentlich könnte ich es mir bequem machen und meine alten Texte aus den 80ern wieder hervorholen.

Das heißt bei der Themenauswahl war es für Sie im beruflichen Sinne ein sehr erfolgreiches Jahr?
Da es der Dummheit der Politiker geschuldet ist, aus ihrer Dummheit etwas zu machen, ist eigentlich jedes Jahr ein erfolgreiches Jahr. Aber dieses Jahr ist wirklich sehr viel Material vorhanden.

Muss ein Kabarettist immer zufrieden sein, mit dem, was ihm die Politik an Material liefert, oder gibt es nach Ihrer Erfahrung bessere und schlechtere Zeiten, respektive Akteure?
Ich mache das jetzt schon so lange und es gab noch nie eine schlechte Zeit.
Uns haben sie damals gefragt, nach dem Ende vom Dicken, was wir ohne ihn machen. Ich sagte: Warten wir mal ab, die Anderen werden bestimmt noch blöder. Und so kam es ja dann auch, mit Schröder. Nach Schröders Ende als Kanzler kam die Frage wieder auf: Was macht ihr denn nun, ohne den Schröder? Und es wurde noch blöder, auch wenn wir nicht gedacht hätten, dass es so blöde kommen könnte.

Kommen Sie nicht manchmal an einen Punkt, an dem Sie es satt haben, sich mit dem Publikum im Konsens über die Politik aufzuregen?
Nein. Ich rege mich gerne auf und diskutiere auch gerne und hoffe, dass sich dadurch auch ein bisschen was verändert. Und wenn ich sehe – da sind wir wieder bei dem Punkt von eben – welche Leute heute zu Demonstrationen gehen, wie in Stuttgart, dann kann ich behaupten, dass die Kabarettisten schon ein bisschen was erreicht haben.

Am 25. Oktober sind Sie bei einer Demonstration gegen Stuttgart 21 aufgetreten. Wie nahe geht Ihnen der Protest gegen die Neugestaltung des Bahnhofs in Stuttgart?
Ich fand das super. Und ich war vor allem davon überrascht, welche Leute da demonstrieren gehen. Beim Nato-Doppelbeschluss waren wir damals auf der Straße, da haben wir den Rentnern zugerufen: „Rentner lasst das Glotzen sein, kommt herunter, reiht euch ein!“ Und heute sind es die Rentner, die ihre Enkelkinder vom Computer wegscheuchen und sie dazu auffordern, mit zur Demonstration zu gehen. Das ist eine erstaunliche Entwicklung.

Was war Ihre Motivation bei der Demo aufzutreten?
Es gab eine Anfrage, ob ich das machen möchte. Und ich habe mir gedacht, ich kann ja nicht immer nur auf der Bühne stehen, in wohlbehüteten Theatern, und den Leuten sagen, sie sollen rausgehen und was machen, wenn ich das selbst nicht mache. Und da das an dem Montag gerade gepasst hat, war ich da.

Zitiert

Da es der Dummheit der Politiker geschuldet ist, aus ihrer Dummheit etwas zu machen, ist eigentlich jedes Jahr ein erfolgreiches Jahr.

Urban Priol

Haben Sie denn einen besonderen Bezug zur Stadt?
Der Bezug zu Stuttgart ist nur der, dass ich öfter dort auftrete und weiß, dass die Infrastruktur der öffentlichen Verkehrsmittel in Stuttgart katastrophal ist, vor allem was den Nahverkehr oder auch die Taktung der Ampeln im Automobilverkehr angeht. Dann frage ich mich, warum dort über einen unterirdischen Bahnhof diskutiert wird, anstatt erstmal das zu regeln, was sowieso schief läuft. Wenn man nachmittags um fünf von der einen Ecke der Stadt in die andere fahren muss, braucht man zwei Stunden, quält sich von einer roten Ampel zur nächsten. Da interessiert es dann wenig, ob ein unterirdischer Bahnhof entsteht, von dem die Menschen nach Bratislava fahren können. Ich möchte wissen, wie viele Menschen von Stuttgart nach Bratislava fahren, das sind in fünf Jahren vielleicht drei Leute. Dafür wird dann aber ganz offensichtlich ein Prestige-Objekt durchgepeitscht.

Denken Sie, dass der Protest noch etwas an den Bauplänen ändern kann?
Ich fürchte nicht, dafür ist alles schon zu weit fortgeschritten. Aber es besteht die kleine Hoffnung, dass es zukünftig nicht mehr so läuft, sollte irgendwo noch mal solch ein Projekt geplant werden.

Sind die massiven Proteste bei Stuttgart 21 und beim letzten Castor-Transport eine neue Dimension der Bürgerbeteiligung, und ab wann sollten Politik und Wirtschaft diese ernst nehmen?
Dimension ist mir da ein wenig zu hoch gegriffen, da müssten es noch ein paar mehr sein. Aber es ist schön, zu beobachten, wie es sich entwickelt und dass die Bürger sagen: Okay, wenn ihr uns nicht hört, dann gehen wir eben auf die Straße. Ich glaube nicht, dass die Politik bislang überhaupt realisiert hat, was da entsteht. Ich glaube auch, dass die Politik lange den Ausbau der Breitbandnetze befürwortet hat, in der Hoffnung, dass die Leute möglichst schnell ins Internet kommen, um dort ruhiggestellt zu werden. Dass die Bürger aber diese Kommunikationsmöglichkeit nutzen, um sich möglichst schnell zu Aktionen zu verabreden, das haben sie unterschätzt.

Sie sind seit 2009 Mitglied bei Attac. Wie wichtig sind solche Organisationen und was können sie bewirken?
Ich hoffe, dass sie kleine Rädchen sind, die die Zahnräder miteinander verbinden. Wir müssen weg von diesem Wahnsinn, bei dem ständig behauptet wird, das Wachstum alleine würde alle Probleme lösen. Wenn Attac dazu beiträgt, dass man sich überhaupt darüber Gedanken macht, welches Wachstum wir eigentlich wollen, dann wäre schon mal ein kleiner Schritt getan. Egal ob es nun Attac ist, oder Greenpeace, oder irgendeine andere Organisation, es sind alles kleine, stete Tropfen, die den Stein höhlen. Und das braucht eben Zeit. Wir werden es wahrscheinlich nicht mehr erleben, aber vielleicht diejenigen, die nach uns kommen.

Gibt es etwas, gegen das Sie persönlich momentan Widerstand leisten?
Ich versuche, möglichst wenig Geld für billige Sachen auszugeben. Für Dinge, die x-fach verpackt sind, die weggeschmissen werden müssen. Ich versuche so weit es geht nachhaltig zu leben.

Sind alle Kabarettisten Weltverbesserer?
Es gibt schon sehr viele, die sagen, dass irgendetwas falsch läuft und möchten, dass es vielleicht nicht mehr ganz so falsch läuft. Ich denke, ein guter Kabarettist sollte im Hinterkopf zumindest die Idee einer gerechten Welt haben.

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