Sind Sie ein Spaßverderber, Herr Kieser?
Kieser: Nein. Aber ich weiß, worauf Sie hinaus wollen.
Die Menschen, die in Ihren Studios trainieren, sollen keinen Spaß haben. Spaß und Trainingserfolg, das schließt sich Ihrer Meinung nach gegenseitig aus.
Kieser: Macht Ihnen rasieren oder Zahnpflege etwa Spaß? Krafttraining ist eine Wartung des Körpers, bei der Sie genauso viel Spaß haben, wie wenn Sie das Auto in die Waschanlage bringen. Sie müssen Ihren Bewegungsapparat nun einmal pflegen, indem Sie ihn belasten. Er braucht diese Belastung, sonst geht er zugrunde. Aber die Belastung muss gezielt stattfinden und nicht zufällig beim Sport oder bei der Arbeit. Dabei trainiert der eine lieber, der andere hasst es regelrecht. Ganz logisch.
Lässt sich gezieltes Training denn nicht mit ein wenig Spaß verbinden? Sie verzichten auf alles, was nicht unmittelbar den Trainingserfolg fördert. Ihre Studios sind spartanisch eingerichtet – es gibt weder Sauna, Solarien und Laufbänder noch eine Saftbar oder ein paar Pflanzen. In anderen Fitnessstudios gehört all das zur Standardeinrichtung.
Kieser: Bei uns soll man eben nicht vom Training abgelenkt werden. In der Kirche gibt es auch keine Saftbar.
Mit ein paar Pflanzen drumherum würden sich Ihre Kunden vielleicht wohler fühlen.
Kieser: Sie können die Augen beim Training auch einfach schließen. Sie müssen sich konzentrieren. Es hat keinen Sinn, dass Sie sich nebenbei noch mit anderen Dingen beschäftigen. Die Menschen, die zu uns kommen, haben andere Interessensbereiche als ihr Leben in einem Sportstudio zu verbringen und brauchen keine zusätzlichen Kommunikationsbereiche.
Verstehen Sie denn, wenn manch einer das als langweilig empfindet und so als potentieller neuer Kunde gar nicht erst in Frage kommt?
Kieser: Ja, natürlich. Aber Langeweile kommt von innen. Dafür kann ich nichts.
Ihre Kunden sind für Sie Menschen mit „kritischem Blick und wachem Verstand“.
Kieser: Das kann man wohl sagen.
Können Sie näher beschreiben, was Sie damit meinen?
Kieser: Nunja, sie lassen sich nicht von der Industrie davon abhalten, dass sie zu sich kommen. Man wird heute andauernd in Atem gehalten mit allem Möglichen und daher mutet es für viele seltsam an, wenn es mal etwas ruhiger zugeht.
Heißt das in Hinblick auf das Kundenprofil auch: Wer zu Kieser geht, ist besonders gut gebildet?
Kieser: Wir haben zumindest ein überdurchschnittliches Bildungsniveau, das hat die Forschung gezeigt.
Wäre es für Sie nicht auch interessant, die Zielgruppe zu erweitern oder ist ein erlauchter Kreis in ihren Studios beabsichtigt?
Kieser: Ich hab sie mir ja nicht ausgesucht, die Menschen sind von selbst gekommen. Und die anderen kommen nun einmal nicht, die finden das Trainingskonzept möglicherweise schrecklich. Aber das hat sich so ergeben. Ich habe kein schlaues Marketingkonzept entwickelt, sondern Betriebe, die ich richtig finde, konsequent, zweckmäßig. Mehr nicht.
Als Sie Kieser Training Mitte der 1960er-Jahre gründeten, war es Ihr Antrieb, die Welt zu kräftigen. Sie glaubten, damit eine Menge Probleme lösen zu können, unter denen die Menschen litten. Wie viele Menschen haben Sie bisher von Ihren Problemen befreit?
Kieser: Ich habe es nicht gezählt. Aber es sind Hunderttausende. Die Menschen nehmen so ein Training schließlich auf sich, weil Sie einen Mangel empfinden, Schmerzen oder Behinderungen haben und sie sich davon versprechen, dass es ihnen danach besser geht. Wir sind nun einmal Kinder dieser Erde und brauchen den Widerstand, um zu wachsen. Und wenn der weg ist, werden wir schwach, dann lösen sich die Muskeln und die Knochen auf – wie wir es bei den Astronauten ja sehen.
Aus Ihrer Sicht gibt es einen Mangel an Widerstand, den das Krafttraining ausgleichen soll. Früher hatten die Menschen kein Krafttraining, dafür mehr körperliche Arbeit.
Kieser: Es ist eine romantische Illusion zu glauben, dass es deshalb früher besser war. Den Menschen früher ging es miserabel, ihr körperlicher Zustand war viel schlechter. Sie hatten zwar körperliche Arbeit und damit ein gewisses Training, aber das war stets einseitig. Sie haben Dysbalancen produziert, die Abnutzungserscheinungen waren ganz offensichtlich. In meiner Jugend sind die Menschen, die Männer voran, mit 40 so ziemlich hinüber gewesen. Sie brauchten schon einen Stock und konnten nicht mehr heben. Heute hat sich das verbessert, dank dem technischen Fortschritt.
Sie sprechen vom „Kraft-Kapital des Menschen“, das mit dem Krafttraining erhöht werde. Wie viel Kraft-Kapital braucht ein Mensch denn überhaupt?
Kieser: Ich glaube nicht, dass es da absolute Maßstäbe gibt. Aber mit Bestimmtheit leben wir im Durchschnitt alle unter dem idealen Kraftmaß. Wir sind schwach. Wir haben die Tendenz, uns alles abnehmen zu lassen – was gar nicht so schlecht ist, wenn wir es auf der anderen Seite durch eine Konzentration wieder kompensieren. Ich habe nichts gegen Rolltreppen, es ist ärgerlich, wenn sie Koffer schleppen müssen. Denn das ist keine Kräftigung, es ist eine einseitige Beanspruchung des Bewegungsapparates. Die führt früher oder später zu Schäden. Insofern ist es gut, wenn uns diese einseitigen Arbeiten abgenommen werden. Aber die Muskeln müssen gewartet werden, sonst verkommen sie.
Welchen Vorteil bietet Ihre Methode des gesundheitsorientierten Krafttrainings im Vergleich zu anderen Fitnessstudios?
Kieser: Wir haben andere Prioritäten. Es geht nicht um sportliche oder kosmetische Ziele. Natürlich sehen Sie besser aus, wenn Sie trainiert sind und Sie sind sportlich leistungsfähiger. Aber primär geht es darum, dass es Ihnen körperlich besser geht, dass Sie keine Rückenschmerzen mehr haben, keine Nackenschmerzen, dass Ihre Osteoporose oder Ihre Zuckerkrankheit bekämpft wird usw. Das sind alles Dinge, die unmittelbar mit den Trainingseffekten der Kräftigung zusammenhängen.
Ihr Konzept sieht vor, dass einzelne Muskelgruppen mit bestimmten Übungen gezielt trainiert werden.
Kieser: Ja. Unsere Muskeln arbeiten alle zusammen, in Schlingen. Aber es sind Schwachstellen darunter. Das führt dazu, dass die Stärkeren den Job der Schwächeren übernehmen, so dass die Schwächeren immer mehr verkommen, weil sie ganz unbewusst nicht mehr belastet werden. Früher oder später kommt es daher zu Dysbalancen, beim Rücken zum Beispiel. Mit den Geräten zwingen Sie die Leute, jeden Muskel zu nutzen, der geschwächt ist. Das ist dasselbe, wie wenn Sie nach einer Operation ein schwaches Bein haben. Denn was tun Sie? Sie schonen das Schwache und belasten das Starke. Sie hinken immer gekonnter, aber Sie hinken.
Sie sagten gerade, es ginge Ihnen nicht um sportliche oder kosmetische Ziele. Für viele ist die Verbesserung der Figur eine ganz wesentliche Motivation, ein Fitnessstudio aufzusuchen.
Kieser: Dieser Effekt tritt beim Krafttraining nebenbei ganz automatisch ein. Wenn Sie zehn Kilo durch Hungern oder Joggen abnehmen, sind sieben Kilo davon Muskeln und Sie sehen nachher schlechter aus als vorher. Im Vergleich dazu erhöhen Sie mit dem Training die Stoffwechselaktivität Ihrer Muskeln, so dass Sie auch in der Ruhephase mehr Kalorien verbrauchen. So verlieren Sie Fett und nicht Muskeln.
Was raten Sie, wenn jemand zum Abnehmen zu Ihnen kommt?
Kieser: Was andauernd propagiert wird, ist die These: Ich trainiere ganz gezielt dort, wo ich abnehmen will. Die Beine, den Bauch, den Po. Das ist jedoch Unsinn und das Erste, das klargestellt werden muss. Es ist ein genetisches Programm, das da losgeht. Wenn sie zu wenig zu essen haben, baut der Körper nach einem ganz bestimmten Schema ab, das sich über viele Generationen genetisch gebildet hat und das sie nicht beeinflussen können. Es ist vorgegeben, wo sie abnehmen. Das Fett, das sich zum Beispiel am Bauch befindet, hat nichts zu tun mit den Muskeln, die zufällig darunter liegen. Das ist einfach ein Depot, das abhängig davon ist, ob sie aus dem Norden oder Süden stammen, denn da hat das Fett unterschiedliche Funktionen.
Beeinflussen kann man demnach also generell den Fettgehalt des Körpers und dessen Form durch Erhöhung die Muskelspannung.
Kieser: Richtig, Ihre Figur ist abhängig von der Ruhespannung Ihrer Muskeln. Straffe Muskeln sind kräftige Muskeln. Früher sagten die Frauen immer zu mir: Ich will keine Muskeln, ich will nur straffen. Ja, aber was wollen sie straffen? Sie können nur die Muskeln straffen. Straffe Muskeln müssen einen Ruhetonus haben und der entsteht durch Einlagerung von Nährflüssigkeit, dadurch wird der Muskel dicker. Straffere Muskeln sind dickere Muskeln, weil eben die Fasern, die trainiert sind, dicker sind. Sie haben mehr Nährflüssigkeit, dadurch steigt der so genannte osmotische Druck in der Zelle. Ein trainierter Muskel fasst sich an wie ein Gummiball; ein untrainierter wie Teig. Und dadurch sehen sie automatisch besser aus.
Tut jedem dasselbe Trainingspensum gut?
Kieser: Ich empfehle im normalen präventiven Training zwei Mal die Woche. Wissenschaftlich gesehen reicht aber sogar einmal. Wenn sie jedoch dieses eine Mal auslassen, weil sie einen Termin haben oder Schnupfen, haben sie schon wieder eine große Spanne dazwischen. Wenn dann noch ein zweites Training ausfällt, beginnt schon wieder die Rückbildung. Außerdem erfordert es einen gewissen psychischen Aufwand, nach einer Pause wieder zu beginnen. Deshalb ist die Regelmäßigkeit enorm wichtig.
Sie wehren sich dagegen, wenn man Krafttraining als Sport bezeichnet.
Kieser: Sport ist Spiel, Wettkampf, Nutzung der Kräfte. Krafttraining ist Aufbau der Kräfte.
Sie gehen sogar so weit, dass Sie sagen: „Bewegung an sich hat keine Qualität.“
Kieser: Wenn Sie beim Sport gesundheitliche Effekte erzielen, sind das Nebeneffekte. Ihre Sportart erzeugt immer muskuläre Dysbalancen. Sie brauchen bestimmte Muskeln, andere nicht. Dadurch wird der ganze Kerl schief. Wenn Sie als junger Mann professionell Fußball spielen, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 90 Prozent, dass Sie ein Krüppel werden.
Klingt so, als würden Sie den Leistungssport abschaffen wollen.
Kieser: Wenn Sie Krafttraining machen, können Sie sich Sport leisten. Ich bin kein Sportfeind, im Gegenteil. Ich liebe Sport, er macht Spaß, aber ich bilde mir nicht ein, dass das gesund sei. Kieser Training macht keinen Spaß, aber es macht glücklich.
Ich will die ganze Welt kräftigen.
Auch den Begriff „Fitness“ mögen Sie nicht.
Kieser: Wir verwenden den Begriff deshalb nicht, weil er aus der Evolutionstheorie von Darwin stammt und eigentlich nur „Angepasstheit“ heißt und nichts mit Leistungsfähigkeit zu tun hat. Darum aber geht es uns. Unsere Trainingsgeräte kommen zu einem Drittel aus Eigenentwicklung, es gibt sie in der Fitnessindustrie sonst gar nicht. Weil sie niemand verlangt. Sie sind aber wichtig, physiologisch und biomechanisch. Zum Beispiel für die Beckenbodenmuskulatur haben wir gerade neue Maschinen entwickelt. Für diese Muskelgruppe gab es bisher nichts, weil bisher alle immer nur nach Bizeps- und Po-Maschinen geschrien haben.
Sie sagten vor ein paar Jahren über die Fitnessszene, dass sie sich rückwärts bewege. Ist das immer noch ihre Beobachtung?
Kieser: Ich glaube, es wurde schon einiges dazugelernt. Vor zehn Jahren war die Szene von Wildwuchs gekennzeichnet Man hat alles Mögliche angeboten, bis hin zur Esoterik. Im Endeffekt geht es aber lediglich um drei Dinge, die wir verändern können: Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit. Alles andere können sie vergessen. Und es ist relativ einfach zu erkennen, ob sich dabei etwas verändert oder nicht. Da muss man keine Esoterik oder irgendwelche indischen Weisheiten bemühen.
Kombi-Angebote aus Training und Wellness liegen im Trend.
Kieser: Sie müssen sich entscheiden: Will ich mich anspannen oder entspannen? Ich empfehle, sich anzuspannen, dann erfolgt die Entspannung von selbst. So wie das Ausatmen dem Einatmen folgt. Die Notwendigkeit sehe ich bei der gezielten Anspannung, nicht andersrum. Wer müde ist, gehört ins Bett und nicht in irgendein Studio.
Was halten sie von den ganzen Nahrungsergänzungsmitteln, die es in der Fitnessbranche gibt?
Kieser: Wer Hochgebirgsexpeditionen unternimmt, für den hat das einen Sinn, weil es darum geht, möglichst wenig Flüssigkeit mit sich zu tragen. Aber die meisten Menschen brauchen das nicht. Klar, Sie haben einen höheren Bedarf, wenn sie trainieren. Aber der ist mit einem Löffel mehr Quark leicht zu decken.
In welchem Alter ist Krafttraining überhaupt sinnvoll? In Ihrem Buch „Die Seele der Muskeln“ klingt es so, als würden Sie am liebsten ganze Altersheime trainieren lassen.
Kieser: Aber ja. Die Ursache vieler Probleme im Alter ist die Muskelschwäche. Und die Muskeln lassen sich bis ins hohe Alter trainieren. Wir müssen die Alten nicht schonen, im Gegenteil. Wir schonen sie zu Tode, sie werden immer schwächer, weil wir ihnen alles abnehmen. Das ist das Problem. Schauen Sie, wie betrachten das Ganze immer noch aus diesem Blickwinkel des Sports. Wir müssen es aber als Wartung des Bewegungsapparats verstehen. Wie gesagt, vergleichbar mit Zahnhygiene.
Der "Spiegel" hat sie vor einigen Jahren einmal als „Todfeind der Orthopäden“ bezeichnet.
Kieser: Ja, das hat der „Spiegel“ gesagt (lacht).
Empfinden Sie sich selbst auch so?
Kieser: Nein, wir beschäftigen ja auch viele Orthopäden, und ebenso schicken viele Orthopäden die Menschen zu uns. Aber es war natürlich schon eine Zeitlang so, dass Orthopäden uns ein bisschen gefürchtet haben, weil Termine abgesagt werden, nachdem die Menschen bei Kieser trainiert hatten.
Sie beschrieben dieses Dilemma – gesamtgesellschaftlich betrachtet – einmal, indem Sie meinten: „Medizinische Kräftigungstherapie hat eine Schwäche – sie funktioniert.“
Kieser: Sie funktioniert mit minimalem Aufwand. Schauen Sie, wenn Sie jemanden zur ambulanten Physiotherapie schicken, müsste er täglich drei Stunden dort sein. Bei uns kommt er einmal die Woche, eine halbe Stunde – und erzielt denselben Effekt.
Macht auch konventionelles Hanteltraining heute noch Sinn?
Kieser: Wenn sie nichts anderes haben und damit richtig umgehen, ist die Hantel ein feines Instrument. Aber sie hat natürlich Mängel. Das ist wie mit dem Schweizer Militärmesser. Sie können es für alles verwenden, aber für nichts richtig. Die Hantel hat deshalb ihre Mängel, weil sie linearen Widerstand bietet, unsere Gelenke aber im Kreis arbeiten. Mit den Geräten können Sie das berücksichtigen. Die Maschine zwingt sie, die Muskeln zu nutzen, die genutzt werden sollen und nicht mit anderen Muskeln scheinbar die Übungen bewältigen. Mit der Hantel können sie schummeln.
Haben Sie eine Hantel zu Hause?
Kieser: Ja. Sie ist fast 2000 Jahre alt und kommt aus Indien. Da gab es Steinhanteln in verschiedenen Größen. Das Thema ist schließlich alt, wir haben es nicht erfunden. Es gab immer wieder mal in der Geschichte das, was wir heute als Bodybuilding kennen. Das kam ja nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Amis nach Deutschland. Nach Amerika wiederum kam es von einem Deutschen, Eugen Sandow, einem Kraftmensch der Kaiserzeit. Er wiederum war ein Kind von Turnvater Jahn. Das Krafttraining hat seinen Ursprung also im organisierten Turnen. Turnen hat ja auch weitgehend mit Kräftigung zu tun.
Sie beschäftigen sich mittlerweile seit über 40 Jahren mit dem Thema. Haben Sie heute das Gefühl, dass Sie sich mit Ihrem Konzept durchgesetzt haben?
Kieser: Es ist ja klar, Sie brechen in einen Markt ein, der gemacht ist. Der Rücken kostet Deutschland 50 Milliarden jedes Jahr und die fließen natürlich irgendwo hin. Das sind Versicherungen, das sind Kliniken, das sind Praxen, und jetzt ist es auch der Kieser, der daran verdient. Wenn jemand kommt und sagt: Ein starker Rücken kennt keine Schmerzen, acht von zehn Operationen sind überflüssig – das können wir längst nachweisen –, dann löst das natürlich nicht nur Heiterkeit oder Freude aus.
Für die Wissenschaft kann das doch aber keine Rolle spielen. Es gibt auch Fachleute, die sagen: „Ein Wunderheiler sind Sie nicht, eine sinnvolle Gymnastik tut es auch.“
Kieser: Auch die etablierte Wissenschaft hinkt immer noch hinterher. Das sind keine Pioniere, das sind Verwalter. Aber mit der Zeit verifizieren sie das. Krafttraining war in meiner Jugend verpönt. Zumal bei Boxern, es hieß, das macht langsam und unbeweglich. Die Sportwissenschaft damals hat so argumentiert, die Trainer haben so argumentiert. Für mich ist es Anerkennung, wenn es den Leuten heute dadurch besser geht und sie mir schreiben: „Ich bin von Therapie zu Therapie gewankt. Von Spritze und Spritze. Von Klinik zu Klinik. Und das Krafttraining hat am Ende geholfen.“ Das sind ja immer dieselben Geschichten. Es ist oft so furchtbar banal, dass sich gar nicht alle trauen, das zu erzählen.
Viele Krankenkassen unterstützen gesundheitsorientiertes Krafttraining inzwischen.
Kieser: Schauen Sie, wenn in Deutschland die Prävention schon in der Schule wirklich methodisch gemacht würde, dann kracht das Gesundheitssystem zusammen. Sie hätten Hunderttausende von Arbeitslosen mehr. Alle die Leute die damit in der Pflege beschäftigt sind. Mit den Kranken, mit der Versicherung, die Verwaltung. Das ist eine Industrie.
Ob sich Ihr Konzept weiter verbreitet, ist also vor allem eine Interessenfrage?
Kieser: Meiner Meinung nach ja. Der Kuchen soll nicht kleiner werden. Es hört sich an wie eine Verschwörungsindustrie, aber es ist wie Niklas Lumann schon sagte, alles eine Frage der Selbsterhaltung. Nach dem Motto: „Schütz dich vor Fremdkörpern, die deine Sache zerstören oder minimieren können.“
Für Sie dürfte das eher eine Herausforderung sein, denn einer Ihrer Lieblingssätze lautet: „Der Mensch wächst am Widerstand“. Was waren denn die größten Widerstände, gegen die Sie ankämpfen mussten, auf Ihrem Weg vom Einzelunternehmer, der in den 60ern begann, auf dem Schrottplatz ein paar alte Eisenteile zusammenzubasteln bis hin zur Franchise-Kette mit 152 Betrieben in aller Welt, u.a. auch in Singapur und Australien?
Kieser: Ich musste sehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber das war es mir wert.
Haben Sie in Ihrer unternehmerischen Laufbahn ausschließlich auf Ihre Überzeugung gehört oder gab es auch Momente, wo sie davon abweichen mussten? Immerhin waren sie auch jederzeit ökonomischen Realitäten unterworfen.
Kieser: Nee, ich musste nicht davon abweichen. Einmal in jungen Jahren hab ich es getan, als die Fitnesswelle kam. In die Richtung, die Sie zu Beginn unseres Gesprächs angesprochen haben. Ich dachte, ich müsse mitziehen. Man ist ja unsicher als Jungunternehmer. Ich bin aber schnell wieder auf die ursprüngliche Spur zurückgekommen, weil ich gesehen habe, dass die Leute gar nicht mehr trainieren, sondern sich nur noch präsentieren oder flanieren oder diskutieren, konsumieren. So war das ja nicht gemeint, so haben wir nicht gewettet.
Hat Ihnen irgendwann auch mal der Glaube an den Erfolg gefehlt oder waren Sie immer davon überzeugt, mit Ihrer Idee Erfolg zu haben?
Kieser: Ich habe ja gesehen, dass es Erfolg hat. Mir ging es nie um die ganzen Studios, das musste sich aus der Sache selbst entwickeln. Ich habe nie gesagt, ich will groß und erfolgreich sein. Natürlich hat man Träume und wünscht sich dieses Ergebnis, aber es muss ja einen Rückhalt haben. In Deutschland war es am Anfang eher schwierig, weil die Leute nicht verstanden haben, dass Sie schuften müssen und dafür auch noch bezahlen sollen. Deutschland hat so ein bisschen Spaßkultur entwickelt nach dem Krieg. Ich bin jedoch auf Leute angewiesen, die Einsicht in die Notwendigkeit haben, dass nicht alles Spaß machen muss. Das ist selten heutzutage, weil die ganze Gesellschaft verzuckert wird. Aber ich bin überzeugt, dass viele über die Vernunft ansprechbar sind. Natürlich gibt es kognitiv Resistente, das ist wahrscheinlich auch ein großer Teil. Ich hoffe aber, dass immer mehr Menschen vernünftig werden. Zumal Schmerzlinderung ein starker Motivator ist.
Nun stehen Sie mit Ihrem Namen für die Gesundheit von weltweit 300.000 Menschen ein. Empfinden Sie dabei auch so etwas wie Verantwortung?
Kieser: Ja, das beschäftigt mich schon. Mir ist wichtig, dass es den Leuten gut geht und dass sie das Richtige machen. Wenn ich sehe, dass man etwas besser machen kann, dann versuchen wir das.
Wollen Sie mit Kieser Training noch weiter expandieren?
Kieser: Ja. Ich will die ganze Welt kräftigen.
In welchem Land ist die Konkurrenz zu anderen Studios am größten?
Kieser: Die Schweiz ist ziemlich stark besiedelt, Deutschland und Österreich auch. Insgesamt ist der deutschsprachige Markt ein bisschen anders gestrickt als woanders, nicht zuletzt durch unsere Präsenz. In England ist hingegen das Fitnessbewusstsein vielleicht noch stärker, weil es dort kein Vereinswesen wie in Deutschland oder der Schweiz gibt. Daher ist der Fitness-Club bei den Angelsachsen das A und O.
Sie sind selbst durch eine Sportverletzung beim Boxen als 17-jähriger zum Krafttraining gekommen, als man davon im deutschsprachigen Raum fast noch nichts wusste. Wäre es ihnen lieber gewesen, als Boxer Karriere zu machen, anstatt mit der Kräftigung der Menschheit?
Kieser: Als 17-jähriger Boxer wollte ich Weltmeister werden. Aber ich bin natürlich dem Schicksal dankbar, dass es mir eine Rückenfellquetschung vermittelt hat, so dass mein Leben einen anderen Weg genommen hat.
Sie haben eben von Träumen gesprochen. Vor einigen Jahren haben Sie noch ein Philosophie-Studium aufgenommen, mittlerweile sogar einen Master gemacht. War das ein Traum von Ihnen, den sie als geistigen Ausgleich verwirklichen mussten, nachdem Sie sich sehr lange so intensiv mit dem Körperlichen beschäftigt hatten?
Kieser: Nein, Philosophie ist mein Hobby, wenn man so will. Ich lese sehr viel. Das hat mich schon als Junge interessiert. Als es darum ging, in den Englisch sprechenden Markt zu expandieren, wollte ich mein Englisch aufmöbeln und eine Sprachschule war für mich nicht interessant genug. Da habe ich mir gedacht: Wieso mich nicht für Philosophie in Englisch immatrikulieren? Das war der harte Weg, aber ich bin froh, dass ich ihn gegangen bin. Es war schön, die englischen Empiristen zu studieren, weil es da ja schon eine enge Verwandtschaft zu meinem Denken gibt, was Pragmatismus anbelangt.
Von Ihnen stammt der Satz: „Umso stärker ich bin, desto leichter trage ich an mir.“
Kieser: Weil es Ihre Muskeln sind, die Sie tragen. Und je stärker die sind, desto leichter fühlen Sie sich.
Von Mahatma Ghandi wiederum ist überliefert: „Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft, sondern aus unbeugsamem Willen.“ Was von beidem war für den Erfolg Ihres Unternehmens wichtiger?
Kieser: Ich bin in dieser Hinsicht kein Dualist. Die unselige Trennung von Körper und Geist existiert nicht. Der Körper ist Geist. Und die Seele befindet sich auch in den Muskeln.
Sie kritisieren schon lange, dass Körperkultur im akademischen Denken als Nicht-Geist-Kultur gewertet wird.
Kieser: Nicht nur im akademischen Denken, vor allem auch im theologischen Denken. Diese Trennung von Körper und Geist ist Bestandteil der abendländischen Kultur. Der Geist ist das Edle und der Körper das Niedrige, das ist alles christlich-jüdische Tradition.
Haben sie durch das Philosophie-Studium neue Ideen für das Krafttraining hinzu gewonnen?
Kieser: Das Thema des Geist-Körper-Dualismus bekommt natürlich in der Philosophie viel Nahrung. Meine Idee ist ja, dass religiöse Systeme oder dualistische Philosophien ihren Ursprung in dem Wunsch haben, körperlos zu werden und nur noch Geist zu sein. Denn in früheren Zeiten war das Leiden lang, die Lust kurz. Daher die Symbolik durch Engel, die Flügel haben und scheinbar abheben wollen. Eine Wunschvorstellung, die wir haben, auch in Bezug auf Gedanken an ein Weiterleben nach dem Tod. Den Körper wollen Sie los sein, die Sinnlichkeit aber behalten. Quasi nur noch Anschauung und Herrlichkeit und Hosianna singen.
Sind Sie selbst religiös?
Kieser: Nein, deshalb interessiert mich mehr, weshalb so viele Menschen auf dieser Welt an diesem Denken haften, dem jede Evidenz fehlt. Rein psychologisch gesehen ist das ein interessantes Thema.
Hatten Sie jemals das Gefühl, es wäre schön, körperlos und nur noch Geist zu sein?
Kieser: Ich kann ja eben nicht glauben, dass das möglich ist. Der Geist bleibt immer an den Körper gebunden.
Es gibt einen Wasserspender – falls man mal seine Flasche vergessen hat.
Ich will auch nicht für Sauna, Solarium & Co zahlen.
Einige Pflanzen primär zur Luftverbesserung (evtl. auch Sichtschutz
und Geräuschdämpfung wären nicht schlecht …
Werner Kieser ist ein gescheiter Mensch, dazu sprachbegabt und logisch denkend, von keiner Mode angekränkelt. Es weiß was nützt und auch was schadet. Die Philosophen hat er sich angeschaut und sich u.a. für Popper und Stirner entschieden, wahrscheinlich auch für B. Russell und Baruch de Spinosa. Leider sind ihm (wahrscheinlich) die Vorzüge eine L.L. Zamenhof noch nicht begenet.
Werner Kieser ist ein rundum gescheiter Mensch, dazu sprachbegabt und im Denken logisch, dazu wenig emotional, wenn es nicht um persönliche Dinge geht. Sein Verdienst: Er hat unglaublich vielen Menschen geholfen und viele von Kraftlosigkeit und Irrtümern befreit. K.R. Popper und Stirner sind äußerst interessante Menschen, man darf z. B. jedoch nicht Baruch de Spinosa, Bertrant Russell und L.L. Zamenhof vergessen. Dem Trainer alles Gute!
Aussagen mit viel Weisheit!
Herr Kieser ist ein ziemlich weiser Mensch, der weiß, dass die Konzentration sehr wichtig ist im Leben. Schade nur, dass er die Loslösung aus dem Körper noch nie selbst erfahren hat. Sonst hätte er hierzu sicher eine andere Meinung.
Das Einschlafen des Körpers ist die höchste Form der Entspannung. Und dabei verlässt man seinen Körper ausnahmslos jedes mal. Und wenn wir unseren eigenen Einschlafprozess gut konzentriert beobachten, dann können wir es auch bewusst miterleben. Jeder kann es ausprobieren. Es ist ganz einfach (wenn man sich konzentrieren kann).
Keine Saftbar
In der Kirche gibt es keine Saftbar, weil ich dort weder trainiere noch ins Schwitzen komme. Bei Kieser-Training fehlt ein Ruheraum, wo man etwas pausieren kann nach der Anstrengung. Nicht jeder kann oder will im Auto bei der Heimfahrt relaxen – viele radeln nach Hause oder gehen zu Fuß.
Oh mein Gott
Wie kann man so davon überzeugt sein, dass Krafttraining keinen Spaß machen darf? Ich mache seit einer Weile Krafttraining und würde es sicherlich nicht immer noch machen, wenn es keinen Spaß machen würde. Wenn ein Workout keinen Spaß macht, ist es ganz klar das falsche Workout oder mit der Ernährung etc. läuft irgendwas schief. Klar ist man danach ausgepowert, aber Anstrengung und Spaß müssen sich doch nicht widersprechen. Bewegung und Ernährung, die beiden Grundpfeiler menschlichen Lebens. Und ein massiver Teil davon soll Langeweile und pure Quälerei sein? Na dann viel Spaß!