Amelie Fried

Das Fernsehen ist nicht die pädagogische Anstalt der Nation.

Amelie Fried über die Sendung "Die Vorleser", Lesen als Schlüsselkompetenz, Verantwortung der Eltern, Sarah Kuttner, Bestsellerlisten und den Abschied von "3nach9"

Amelie Fried

© Annette Hornischer/ZDF

Frau Fried, Sie moderieren die Nachfolgesendung zu Elke Heidenreichs „Lesen!“ im ZDF, „Die Vorleser“. Welches persönliche Ziel verbindet sich für Sie damit?
Amelie Fried: Ich fände es schön, wenn sich viele Menschen angeregt fühlten, zu einem Buch zu greifen – so, wie es auch bei der Sendung von Elke Heidenreich gedacht war. Die Sendung soll eine Orientierung durch den Dschungel der Neuerscheinungen bieten und ich will den Zuschauern Bücher ans Herz legen, die ich für empfehlenswert halte.

Gucken Sie selbst viel ZDF?
Fried: Ich gucke jeden Sender mal.

Ist Ihnen der Kulturanteil im ZDF hoch genug?
Fried: Das ist Programmplanung, davon verstehe ich nichts. Abgesehen davon, habe ich nicht so viel Zeit zum Fernsehen, von daher ist das vorhandene Angebot für mich völlig ausreichend.

Gibt es andere Literatursendungen, die Sie besonders schätzen?
Fried: Ich sehe gern die Gesprächssendung mit Thea Dorn. Dort war ich auch selbst schon mal zu Gast. Sie macht das sehr gut. Ich sehe durchaus auch mit Vergnügen die Sendung von Denis Scheck, wobei ich die manchmal recht robuste Art, mit der er Bücher bespricht als Zuschauerin unterhaltsam finde. Aber das ist nicht der Stil, den ich selber pflegen würde. Ich bin in der Hinsicht etwas behutsamer.

Ihre Sendung läuft relativ spät, ab 22.30 Uhr. Richtet sie sich nur an Erwachsene?
Fried: Überwiegend schon. Es kann vorkommen, dass wir auf ein Jugendbuch hinweisen, aber das wird eher die Ausnahme sein.

Wie wichtig ist es Ihnen, generell das Lesen als Schlüsselkompetenz zu fördern?
Fried: Ich habe meinen Kindern ganz früh vorgelesen. Sie haben immer schon sehr gerne und sehr viel gelesen. Es kommt, denke ich, sehr darauf an, was man den Kindern vorlebt.
Natürlich ist es mir wichtig, das Lesen von Kindern zu fördern, aber man kann in einer halbstündigen Sendung nicht alles unterbringen. Ich kann nicht auch noch die Jugendlichen zum Lesen bringen, das wäre dann in einem eigenen Format besser untergebracht.

Hat für Sie das Fernsehen eine gesellschaftliche Verantwortung, Menschen das Lesen als eine so wichtige Schlüsselkompetenz nahe zu bringen?
Fried: Es ist nicht die primäre Aufgabe des Fernsehens sondern der Eltern, ihren Kindern das Lesen nahe zu bringen. Es ist entscheidend, was Eltern vorleben. Wenn Eltern jeden Abend vier, fünf Stunden den Fernseher laufen lassen oder nur vor dem Computer sitzen und nie ein Buch in der Hand halten, wie sollen Kinder dann Lesekompetenz entwickeln? Man sollte nicht immer die Verantwortung auf das Fernsehen abwälzen. Wir Eltern haben die Verantwortung, unseren Kindern Medienkompetenz beizubringen und Lust am Lesen zu vermitteln. Das Fernsehen ist nicht die pädagogische Anstalt der Nation.

Was bedeutet Lesen für Ihr Leben?
Fried: Das hat mir immer schon viel bedeutet. Ich konnte schon lesen, bevor ich in die Schule gekommen bin und bin in einem Haushalt mit 15000 Büchern aufgewachsen. Mein Vater hat leidenschaftlich Bücher gesammelt und meine Mutter war Buchhändlerin. Bücher haben von Anfang an in meinem Leben eine große Rolle gespielt, ich habe auch schon mit zwölf Jahren beschlossen, dass ich Schriftstellerin werde.

Was macht für Sie ein gutes Buch aus?
Fried: Ich mag es, wenn Herz und Hirn gleichermaßen gefordert werden. Wenn das einem Buch gelingt, ist es für mich ein gutes Buch, unabhängig vom Genre. Es muss mich fesseln und gut unterhalten.

Passt Literatur überhaupt ins Fernsehen? Schließlich fehlen dem Moderator Bilder, es geht nur um Worte…
Fried: Man muss gute Umsetzungsformen finden. Dann werden Literatursendungen sehr gern gesehen.

Das Literarische Quartett war eine Institution. Gibt es Elemente, die Sie übernehmen wollen oder wollen Sie sich bewusst von diesem Stil abwenden?
Fried: Wir sind zwei Moderatoren, da kriegen Sie kein Quartett zustande (lacht). Ich habe das Literarische Quartett sehr gern gesehen genauso wie die Sendung von Elke Heidenreich, aber wir müssen eine eigene Form finden. Es können in unserer Sendung Elemente aus früheren Formaten enthalten sein, aber wir arbeiten zurzeit an einem Konzept, was für unsere Konstellation mit zwei Moderatoren passt.

Zitiert

Wenn Eltern jeden Abend vier, fünf Stunden den Fernseher laufen - wie sollen Kinder dann Lesekompetenz entwickeln?

Amelie Fried

Können Sie als Autorin in Ihrer Buchkritik überhaupt objektiv sein oder droht nicht vielmehr die Gefahr nach dem Prinzip „Nennst du mich Schiller, nenn ich dich Goethe“ zu verfahren?
Fried: Ich wüsste nicht, wo das Problem liegen soll, wenn man gleichzeitig Autorin und Literaturkritikerin ist. Im Gegenteil, vielleicht kann man so besonders gut beurteilen, wie es ist, als Autor kritisiert zu werden, und geht behutsamer vor als andere, die sich anmaßen Bücher von oben herab zu kritisieren obwohl sie selbst nicht fähig wären, eines zu schreiben..

Lesen Sie Bücher anders als Nicht-Autoren?
Fried: Wenn ich Bücher zu meinem eigenen Vergnügen lese, versuche ich, sie genau so unbefangen zu lesen, wie ich es immer getan habe. In Vorbereitung auf die Sendung lese ich zielgerichteter und mit einem professionellen Interesse.

Sie arbeiten viel, sind viel unterwegs. Wann finden Sie Zeit zum Lesen?
Fried: Ich habe ständig ein Buch dabei. Wenn Sie im Zug oder im Flieger sitzen oder abends können Sie lesen. Ich lese zurzeit mindestens drei Bücher pro Woche. Das schaffe ich, weil ich relativ schnell lesen kann. Das ist ein großer Vorteil.

Haben Sie privat Vorlieben für bestimme Genres?
Fried: Ich lese fast alle Genres, ich habe da keine Berührungsängste. Ich lese gute Unterhaltungsliteratur aber auch anspruchsvolle Hochliteratur, sofern sie mich erreicht. Es gibt Bücher, die sind dermaßen verquast, kompliziert und absichtlich verkünstelt, dazu habe ich nicht so viel Zugang. Ich interessiere mich auch nicht allzu sehr für Fantasy und historische Romane, sondern mehr für zeitgenössische Literatur, alles vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Aber letztlich kann ein gutes Buch mich immer packen, egal, welchem Genre es angehört.

Wie finden Sie die Bücher, die Sie in Ihrer Sendung besprechen werden?
Fried: Man arbeitet sich wie ein kleines Trüffelschwein durch viele, viele Bücher hindurch, die man bewusst ausgewählt und sich von Verlagen hat zuschicken lassen. Dann liest man sie an oder auch durch. Viele muss man nach einem kurzen Anlesen weglegen, weil man merkt: „Das ist einfach kein Buch für diese Sendung.“ Man entwickelt ein Gefühl dafür, was eine Entdeckung ist und noch nicht auf jeder Bestsellerliste steht.

Bestseller kommen also nicht in Ihre Sendung?
Fried: Was auf diesen Listen steht, braucht unsere Unterstützung nicht mehr. Bücher zu empfehlen hat nur Sinn, wenn sie noch nicht überall empfohlen worden sind. Etwas zu entdecken, das besonders ist, das ist mein Ehrgeiz. Trotzdem kann es auch mal sein, dass wir über einen Bestseller reden, einfach weil er als Phänomen spannend ist.

Woran erkennen Sie, ob Sie ein Buch vor sich haben, das für die Sendung geeignet ist?
Fried: Unsere Sendung muss den Anspruch haben, Bücher einer gewissen Qualität und Originalität vorzustellen. Bücher, die ein bisschen über den Mainstream hinausgehen. Ob dem ein Buch gerecht wird, spürt man sehr schnell, wenn man eine erfahrene Leserin ist.

Sarah Kuttners Roman „Mängelexemplar“ ist sehr hoch in die Bestsellerlisten eingestiegen. Liegt der Erfolg an der literarischen Qualität des Buchs oder an der Popularität der Autorin?
Fried: Ich habe den Roman gelesen und fand ihn gar nicht schlecht. Er spiegelt eine bestimmte Befindlichkeit recht präzise wider und sagt – obwohl sich Frau Kuttner dagegen immer wehrt – etwas über die Generation der 30-Jährigen von heute aus. Ich würde nicht sagen, dass der Roman große Literatur ist, aber er wirft ein Schlaglicht auf unsere Gesellschaft und das finde ich ganz gut erzählt.

Sie haben im Lauf Ihrer Karriere beides erlebt: medialen Jubel und heftige Kritik. Was bedeutet Ihnen noch die Berichterstattung über Ihre journalistische Arbeit?
Fried: Es gibt Kritiken, die produktiv sind. Aus denen lerne ich etwas, weil sich jemand die Mühe gemacht hat, ein Buch zu lesen und sich Gedanken darüber zu machen.
Dann gibt es aber auch Formen der Berichterstattung, die sind einfach nur hämisch und bösartig. Die haben dann mehr mit dem Verfasser zu tun als mit meiner Person oder meiner Arbeit. Von so etwas versuche ich mich innerlich zu distanzieren.

Wird man mit den Jahren vorsichtiger im Umgang mit Journalistenkollegen?
Fried: Ich habe inzwischen einiges erlebt. Dass Zitate in einen falschen Zusammenhang gestellt werden, oder ich an einem Tag freundlich interviewt werde und am nächsten eine vernichtende Geschichte über mich lesen darf. Ich bin einiges gewöhnt. Vielleicht schützt man sich mit den Jahren mehr davor. Ich muss nicht alles lesen, was über mich geschrieben wird.

Sie verlassen jetzt die Talksendung „3nach9“ – gibt es ein Highlight, das Ihnen aus den zahlreichen Sendungen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Fried: Ja, eines der Highlights war der Auftritt von Peter Ustinov, wenige Monate vor seinem Tod. Völlig spontan entstand ein wunderbares Zusammenspiel mit der Sängerin Cecilia Bartoli, die erzählte, sie singe gerne im Auto. Peter Ustinov begann, die Geräusche eines Fiat 500 zu imitieren, mit Fehlzündungen und Gespotze, er verwendete den Griff seines Krückstockes als Lenkrad, und Cecilia Bartoli sang dazu ein italienisches Kinderlied! Es war ein ganz besonderer Moment, lustig und wehmütig zugleich, weil wir alle spürten, dass Peter Ustinov nicht mehr lange unter uns sein würde.

Zum Schluss: Wenn Sie abends nicht einschlafen können, schalten Sie den Fernseher an oder schlagen Sie ein Buch auf?
Fried: Fernsehen putscht mich sehr auf, danach kann ich schlecht schlafen. Wenn ich im Bett noch etwas mache, dann auf jeden Fall lesen.

Amelie Fried wurde am 06. September 1958 in Ulm geboren und studierte u.a. Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte sowie Dokumentarfilm. Seit Mitte der 80er ist sie als TV-Moderatorin aktiv, bekannt wurde sie vor allem durch das Talk-Format „3nach9“, mehr

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