Annett Louisan

Irgendwann holen dich deine Wünsche ein

Annett Louisan über ein ‚optimales’ Leben, Popularität, Selbstbewusstsein, die 'Männerkrise', Texte und den Kollegen Roger Cicero

Annett Louisan

© Nela K

Annett, als du 2007 dein drittes Album „Das optimale Leben“ veröffentlicht hast, warst du da noch aufgeregt oder war das bereits Routine für dich?
Annett Louisan: Um Gottes willen! Wenn das jetzt schon Routine wäre, das wäre ja ganz abträglich. Nein, vom Maß der Aufregung her ist es im Gegenteil noch wie am ersten Tag. Natürlich hat sich ein bisschen was verändert, ich hab mich ja auch verändert und bin nicht mehr das Küken, das ins kalte Wasser tappt. Aber man fängt trotzdem bei jedem Album wieder bei Null an. Und auch jeden Abend auf der Bühne ist es so. Man geht rauf und muss das Publikum von Neuem überzeugen.

Führst du denn jetzt gerade ein „optimales Leben“?
Louisan: (Lacht.) Naja. Doch, ich bin an sich sehr glücklich, obwohl Zufriedenheit mir eigentlich nicht so gut steht. Eine kleine Unzufriedenheit spornt mich immer auch an, denn ich bin jemand, der aus so was sehr viel schöpft und der motiviert ist, weiter dran zu arbeiten. Ich glaube, der Zustand, kurz bevor man etwas erreicht hat, ist der optimale Zustand. Du weißt noch nicht so genau, wie es wird, aber du bist kurz davor und bist vor allen Dingen noch nicht in der Bredouille, dass du dir ein neues Ziel suchen musst.
Aber an sich geht’s mir natürlich sehr gut, klar.

Inwieweit hast du dich durch den Erfolg deiner beiden Alben „Boheme“ und „Unausgesprochen“ verändert?
Louisan: Ich glaube, um mal mit dem Negativen anzufangen, dass ich sehr viel ungeduldiger geworden bin. Ich war früher gelassener und die Schnelligkeit des Musik-Business hat mich ein bisschen versaut. Ansonsten weiß ich heute besser, was ich will und fühle mich wohl. Auch mit dem Alter und mit all dem, was ich mache. Ich glaube, darauf kommt es an: sich mit dem wohlzufühlen, was man tut. Ansonsten hab ich mir ein dickeres Fell zugelegt, den Umgang mit der Öffentlichkeit musste ich ja erst lernen.

Wie sehr stehst du denn mit deinem Leben in der Öffentlichkeit?
Louisan: Natürlich viel mehr als früher. Aber ich denke, ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man das schon ein Stück weit kontrollieren kann. Nicht alles, aber man kann kontrollieren, wie weit man geht. Und da halte ich mich zurück, weil ich glaube, dass es sehr abträglich ist, wenn man die Tür zu weit öffnet. Ich versuche immer, die Aufmerksamkeit durch meine Musik zu bekommen und auch alle Aufmerksamkeit dahin zu lenken.

Aber es passiert dir ja bestimmt auch, dass Leute dich auf der Straße ansprechen und ein Autogramm wollen.
Louisan: Klar, das ist so. Ich habe festgestellt, dass das immer so in Schüben passiert. Nach irgendwas, vielleicht einer Ausstrahlung im Fernsehen oder so, ist das immer mal wieder unglaublich stark, so dass ich beim Shoppen überhaupt nicht vorankomme. Und dann wieder fühle ich mich komplett frei. Aber Hamburg ist auch eine gute Stadt zum Leben, denn die Hamburger sind sehr dezent und schauen sich höchstens mal um, wenn man schon vorbeigegangen ist.

Du bist seit fast drei Jahren verheiratet. Hat dein Mann ein Problem mit deiner Popularität?
Louisan: Nein, zum Glück nicht. Er ist ein sehr selbstbewusster Mann, das erleichtert vieles. Aber ich glaube, das hat auch gar nicht so viel mit dem Ruhm oder meiner Bekanntheit zu tun. Er kommt einfach allgemein gut mit einer starken Persönlichkeit neben sich zurecht. Und das reizt mich und ist einer der Gründe, warum ich ihn so liebe.

Magst du also eher starke Männer?
Louisan: Ja, ich mag selbstbewusste Männer. Und ich finde es wichtig, dass man sich in einer Beziehung auch entwickeln und verändern darf. Ich glaube, das ist der Punkt, an dem viele Leute Probleme bekommen. Die Rollen werden gleich am Anfang verteilt und wenn sich dann irgendwas verändert und der Mensch neue Wege gehen muss, sei es weil die Frau einen Karriereschub kriegt oder der Mann oder weil Kinder ins Spiel kommen, dann kriselt es meistens. Deshalb haben wir uns in unserer Beziehung versprochen, dass wir nicht zu festgefahren sind und auch zulassen, dass der andere sich verändert.

Es scheint ja zu funktionieren.
Louisan: Ja, und ich finde es immer noch sehr abgefahren. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal heirate! Aber wenn’s dann soweit ist und der Richtige kommt, dann ist das egal. Bei uns war es ja auch eher ein Kurzschluss, eine spontane Geschichte. Wir kannten uns erst ein Jahr, aber ich hab’s nicht bereut. Es ist toll!

In vielen deiner neuen Songs geht es um Affären und Enttäuschungen. Willst du damit eine Message rüberbringen?
Louisan: Message-Geschichten sind nicht mein Ding. Ich versuche immer, einen Grund zu finden, ein Album zu veröffentlichen. „Das optimale Leben“ ist die Gedankenwelt, die momentan sehr nah an mir dran ist. Es geht um Lebenserfüllung, aber auch Geplatztes, da gehört die Nüchternheit genauso wie die Traumwelt dazu. Deshalb hab ich diese beiden Gegensätze ganz bewusst gewählt.

Du hast also nicht selbst irgendwelche schlechten Erfahrungen gemacht?
Louisan: Nein. Aber das Leben an sich ist eben so. Wenn man älter wird, erwachsener wird, kommt eine gewisse Desillusion dazu. Du erfährst einfach viel mehr, weißt viel mehr über dich selbst und nimmst das, was dich umgibt, stärker wahr. Klar ist es manchmal einfacher, naiver zu sein und wie ein Traumtänzer durch die Gegend zu fahren, und man würde sich auch manchmal wünschen, gewisse Dinge über die Liebe nicht zu wissen. Aber auf der anderen Seite ist natürlich das, was man erfährt und die Stärke und die Verantwortung, die man immer mehr für sich als Mensch übernimmt, auch was ganz Tolles.

In „Wenn man sich nicht mehr liebt“ geht es um ein Paar, das noch zusammenlebt, obwohl es sich nicht mehr liebt. Das kann man ja schon als Aufforderung verstehen, die Beziehung dann doch bitte zu beenden.
Louisan: Um Gottes willen, nein! Ich bin zwar jemand, der ganz viele Ängste hat, aber ich bin auch jemand, der unglaublich darauf steht, diese zu überwinden. Ich gehe gern Risiken ein und das ist wahrscheinlich auch der Punkt, warum ich mich ganz oft mit Themen befasse, wo man an einer Kippe steht und sich fragt: „Bin ich jetzt vernünftig oder höre ich auf meinen Bauch?“

Und du bist eher der Bauchtyp?
Louisan: Unbedingt, ja. Ich bin nicht der mutigste Mensch der Welt, aber ich versuche es zu sein, weil ich weiß, dass es sich sonst irgendwann rächt. Irgendwann holen dich deine Wünsche ein, dein Innerstes. Irgendwann holst du dich selbst ein.

Gab es Situationen, in denen du dir danach gesagt hast, hier hätte ich besser auf meinen Bauch hören sollen?
Louisan: Ganz sicher gab es die. Aber das Leben ist ja so konzipiert, dass man die Dinge, die man tut, nicht überprüfen kann. Man kann letztendlich nie wissen, ob man etwas falsch gemacht hat, denn man lebt ja nur einmal. Selbst wenn man das Gefühl hat, das war jetzt total falsch – oder auch richtig – kann man es nie hundertprozentig wissen, denn alles beeinflusst sich. Das ist zugleich das Gute am Leben und ich denke, darum macht es so viel Spaß und ist so spannend. Weil man Entscheidungen nicht überprüfen kann, bleibt ein Stück Magie.

Der Text von „Das wäre nie passiert“ ist ein Beispiel für die schönen Dinge des Lebens…. Hast du Ähnliches schon selbst erlebt?
Louisan: Der Text ist autobiographisch, das muss ich schon zugeben. Sonst hätte mich das Thema auch gar nicht interessiert. Alkohol ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Gesellschaft und klar gibt es oder gab es auch Momente in meinem Leben, die ein bisschen peinlich waren oder wo einfach ziemlich viel schief gegangen ist. Dabei bin ich eigentlich ein Kontrollfanatiker. Ich mag es sehr, mich unter Kontrolle zu haben und somit ist Kontrollverlust für mich alles andere als angenehm. Aber das ist genau das Paradoxe, dass man sich manchmal ganz bewusst in eine Situation hineinbegibt und weiß, was dabei alles passieren kann, aber man tut es trotzdem.
Der Song ist auf jeden Fall nicht wertend gemeint. Es gibt keinen Zeigefinger, kein Positiv oder Negativ. Es ist wie in allen meinen Songs einfach eine Geschichte, die man im Kopfkino abfeiert oder eben nicht.

Man begreift den Song aber auch nicht wertend.
Louisan: Das ist gut. Aber siehst du, so vorsichtig ist man schon geworden. Ich strenge mich sehr an, immer das zu sagen, was ich denke, denn ich hab gemerkt, dass ich innerhalb meiner Musik und meiner Texte keine Kompromisse eingehen darf. Man darf nicht anfangen, sich zu fragen: „Geht das oder geht das nicht?“ oder: „Ist das radiotauglich?“ Vielleicht sind Kompromisse im Leben und innerhalb einer Beziehung wichtig, aber nicht in der Musik!

Zitiert

Das Leben ist so konzipiert, dass man die Dinge, die man tut, nicht überprüfen kann. Man kann nie wissen, ob man etwas falsch gemacht hat, denn man lebt ja nur einmal.

Annett Louisan

Deine Texte entstehen nach wie vor in Zusammenarbeit mit Frank Ramond. Du lieferst die Ideen, er den Rahmen. Wie muss man sich das genau vorstellen?
Louisan: Wie bei jeder Art von Teamarbeit hat jeder der Beteiligten verschiedene Stärken. Bei uns ist es so, dass ich die Person und die Welt liefere, in der ich mich bewege und Frank liefert das Handwerk des Songschreibens. Außerdem ist er ein Mann, ich bin eine Frau. Wenn ich eine Geschichte anfange, denkt er sie zu Ende oder bringt noch einen anderen Blickwinkel hinein. Das ist sehr, sehr produktiv bei uns und meine Performance und sein Wissen ergänzen sich wunderbar. Manchmal erzähle ich ihm ganz groß eine Geschichte, die er dann auf drei Minuten zusammenschrumpft. Oder es gibt ein Wortspiel wie „Rosenkrieg“, aus dem sich dann erst ein Text entwickelt.
An sich ist Texten aber eine ganz analytische Angelegenheit. Die Idee am Anfang ist natürlich das Wichtigste, sie gibt den Sinn, den Rahmen. Aber dann geht es ans Handwerk, nimmt man Kunstgriffe und braucht man das Wissen, wie man zum Beispiel die Pointe an die richtige Stelle setzt. Irgendwann kommt schließlich noch die Melodie dazu, an der gefeilt wird und da sitzen wir manchmal auch zu viert im Studio, zusammen mit Hardy Kayser und Matthias Haß, und tüfteln rum. Das ist tatsächlich ein richtiger Arbeitsprozess.

Du warst mit dem Song „Das Spiel“ in den Top 10 – was glaubst du, braucht ein Song, um in die Charts zu kommen?
Louisan: Ich bin ja eigentlich eine Album-Künstlerin und hab eher aus Versehen diesen Hit gehabt, der mir aber natürlich sehr geholfen hat, auch für alles Weitere. Bei „Das Spiel“ war es auf jeden Fall so, dass der Song einfach neu geklungen hat. Die Stimme war speziell und hat ziemlich weit vorne gestanden – die Musik hat sie ja nur ganz fein eingerahmt – und es gab diesen Aha-Effekt. Wichtig für einen Hit ist auch, dass die Leute am Text und an der Geschichte dranbleiben und den Song bis zu Ende hören. Ich glaube aber, es gibt verschiedene Arten von Hits. Bei Popmusik steht ganz klar die Melodie im Vordergrund, bei meiner Musik auch, aber da ist es nicht so offensichtlich, weil sie sehr textlastig ist und das eher unbewusst mit dazugeliefert wird. Generell denke ich, es ist wichtig, viele Leute zu berühren. Ein gutes Zeichen hierfür ist immer, wenn es extreme Reaktionen gibt. Liebe, aber auch Hass und komplette Abneigung. Wenn ein Song polarisiert, sieht man schon, dass irgendwas mit ihm los ist.

Frank Ramond schreibt nicht nur für dich die Texte, sondern auch für Roger Cicero. Fühlst du dich manchmal als dessen weiblicher Gegenpol?
Louisan: Nein, eigentlich nicht. Frank hat natürlich in der Art des Textens seine Handschrift, sein Markenzeichen, aber ich glaube, das ist bei jedem Produzenten so, dass er gewisse Kniffe, die erfolgreich waren, erneut anwendet. Aber sonst sind das bei Roger und mir zwei völlig verschiedene Welten. Wobei ich persönlich aber auch auf seinen Sound stehe.

In einem Lied singt Roger Cicero über Frauen: „Wie sie geh’n und steh’n, Wie sie dich anseh’n. Und schon öffnen sich Tasche und Herz, Und dann kaufst du ’n Ring und ’n Nerz“. Die EMMA hat ihn wegen dieser Zeilen mal zum „Pascha des Monats“ erklärt. Was sagst du dazu?
Louisan: Oh. Da enthalte ich meine Stimme. Aber ich kann natürlich verstehen, dass das Thema für die EMMA interessant ist und dass man das so auslegen kann. Aber sonst kann ich da wirklich nichts dazu sagen. Nur soviel, dass ich Roger und seine Band mag, die kommen ja auch alle aus Hamburg und dass ich mich über ihren Erfolg freue.

Wie verstehst du denn seinen Songtitel „Frauen regier’n die Welt“ – ist das für dich pure Ironie oder steckt da auch ein bisschen Wahrheit drin?
Louisan: Das ist für mich pure Ironie, pure. Ich glaube nicht, dass Frauen die Welt regieren. Noch nicht. Aber natürlich hat sich in den letzten 20, 30 Jahren irre viel getan. Das können sich Leute in meinem Alter wahrscheinlich gar nicht mehr vorstellen, denn wir genießen ja schon die Vorteile, die Leute wie Alice Schwarzer für uns erkämpft haben. Aber es ist noch lange nicht perfekt, weltweit. Es gibt immer noch sehr viele Unterschiede und es muss noch einiges getan werden, dass Frauen die Möglichkeit haben, Karriere und Kind unter einen Hut zu bekommen. Ich weiß nicht, was man da tun kann, ich hab auch keine Patentantworten oder -lösungen parat. Ich selbst bin ja in einer sehr privilegierten Situation, ich bin finanziell unabhängig und könnte meine Zeit auch entsprechend einteilen, aber viele können das nicht. Da kommt es stark auf den Partner an, aber eben auch auf die Einstellung der Gesellschaft. Das Wort Emanzipation hat heutzutage ja schon wieder einen negativen Touch, und ich finde es komisch, dass gerade Frauen es schwierig finden, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Es ist etwas Wichtiges und hat etwas mit Gleichberechtigung zu tun. Ich bin aber der Meinung, dass Frauen einen anderen Weg gehen müssen als Männer. Schon allein weil wir Kinder kriegen können und die Möglichkeit haben, uns das auszusuchen. Aber ich bin keine Psychologin und auch keine Wissenschaftlerin, das sind alles nur Mutmaßungen.

Wünschst du dir mehr Frauen in der Politik?
Louisan: Klar. Ich finde, die verschiedenen Blickwinkel sind immer wichtig. Die Gesellschaft besteht nun mal aus Männern und Frauen und deshalb denke ich, ist ein ausgeglichenes Verhältnis auch in der Politik ganz vorteilhaft. Und auch normal.

Ein Problem, über das heute viel diskutiert wird, sind die vielen Kinder, die ohne Vater aufwachsen, in den alten Bundesländern ist es wohl jedes dritte. Auch du bist ohne Vater aufgewachsen. Hat das für dich eine große Rolle gespielt?
Louisan: Emotional nicht, da hab ich das nie vermisst. Allerdings muss ich natürlich zugeben, dass das ganz klar Auswirkungen hat, wenn ein Kind ohne männliche Bezugsperson aufwächst. In den Jahren zwischen null und sechs bis zehn passiert so viel! Man orientiert sich so stark an den beiden Elternteilen und wenn da ein Part fehlt, dann hat das Auswirkungen. Und die hat es natürlich auch auf mich gehabt. Aber als Erwachsener hat man ja die Möglichkeit, das zu durchschauen und sich klarzumachen, warum man jetzt so ist oder so. Für mich war es nicht schlimm, ich hab genug Liebe bekommen, aber ganz sicher bin ich auch so geworden, wie ich bin, weil ich eben keinen Vater hatte.

Wie sieht deine Mutter denn deinen Erfolg? Sie führt ja wahrscheinlich ein ganz anderes Leben.
Louisan: Meine Mutter ist Krankenschwester und eine tolle Frau. Sie hat mich immer unterstützt und ohne sie hätte ich das nie so durchziehen können. Wenn man als Musiker nicht sehr erfolgreich ist, gehört man immer noch zu einer Randgruppe und solange das so ist, ist es unglaublich schwierig. Einen Monat hat man was und dann hat man mal wieder nichts und geht Risiken ein. Ich bin sehr glücklich darüber, dass meine Mutter mich in dieser künstlerischen Hinsicht immer unterstützt hat und mir keine Steine in den Weg gelegt hat. Heute ist sie natürlich sehr stolz, wie Mütter das sind und sie kann auch unterscheiden zwischen Annett Louisan und ihrem Kind.

Gibt es da Unterschiede?
Louisan: Natürlich. Ich hab ja als Musikerin die Möglichkeit, mich zu entwerfen und mich in eine Phantasiewelt hineinzudenken. Aber das ist in Deutschland immer ein bisschen schwierig, weil ganz stark nach Authentizität gesucht wird und es einem auch vorgeworfen wird, wenn sie fehlt. Ich glaube trotzdem, dass ich die Möglichkeit habe, alles zu sein und alles zu tun, was ich möchte, solange ich das ehrlich mache und es die Leute in irgendeiner Form berührt. Und das tue ich ja auch, ich überspitze, übertreibe, greife Sachen auf, verändere sie. Das ist Musik!

Warst du schon immer so selbstbewusst, wie du in deinen Songs rüberkommst?
Louisan: Nein, natürlich nicht. Als Teenager war ich unglaublich unsicher. Aber ich glaube, dass man immer erst dann selbstbewusst mit einem Thema umgehen kann, wenn man es selber durchgemacht hat. Und dass man am meisten aus seinen Fehlern lernt und sich erst dadurch weiterentwickelt. Das, was man denkt und tun möchte, ist ja nicht immer das, was man tut. Es gibt Situationen, da weiß ich genau, was richtig ist und tu dann genau das Gegenteil. Ich bin durchsetzt von Ängsten und brauche unglaublich viel Bestätigung. Aber ich glaube, das gehört zu dem Los, das man als Musiker gezogen hat. Dieses ständige Suchen und Über-seinen-eigenen-Schatten-Springen, auch was das Lampenfieber angeht, das ich am Anfang unglaublich stark hatte. Ich bin rausgegangen und die Leute haben übers Mikrofon mein Herz klopfen hören. Da war so viel Emotion da, aber genau daraus habe ich gelernt, was die Leute wollen – nämlich was Persönliches. Darum versuche ich heute, eine ausgefeilte Show zu bieten und trotzdem noch persönlich zu sein. Denn dann ist das Publikum auch persönlich, dann tragen sie einen auf Händen und dann nehmen sie einem auch nichts übel, egal was passiert.

Sind eher Frauen oder Männer deine Fans?
Louisan: Ganz gemischt. Mein Publikum ist etwas, das müsste man sich noch mal betrachten, denn das hab ich selbst noch nicht richtig verstanden. Es zieht sich durch alle Altersgruppen, da sitzt die 60-Jährige mit ihrer Enkelin neben einem schwulen Pärchen und daneben der Arzt mit seiner Gattin und die Bäckersfrau. Zu meinen Konzerten kommt jeder, der das Album ansprechend findet, vom Studenten bis hin zum Rentner. Ich kann das gar nicht glauben, dass das so gemischt ist. Es ist kein Kreispublikum. Da sitzt vielleicht schon mal eine Gruppe von kleinen Mädchen, die Schilder in der Hand haben, aber daneben sitzen eben Klaus und Martina, die das ganz süß finden, was da grad neben ihnen passiert. Zielgruppenforschung kann man bei mir jedenfalls eher nicht betreiben.

Glaubst du, es spielt für Plattenverkäufe eine Rolle, ob die Fans wissen, dass der Star privat ’schon vergeben ist? Du hast ja deine Hochzeit damals auch drei Monate lang verheimlicht.
Louisan: Ich hatte am Anfang einfach beschlossen, gar nichts Privates von mir preiszugeben. Ich hab auf einmal so viele wildfremde Menschen getroffen, die mich ausgefragt haben – da hab ich mich erstmal sehr zurückgehalten. Zumal es damals so war, dass Gazi und ich eine Fernbeziehung geführt und nicht mal in einem Land gelebt haben. Wir haben uns so selten gesehen, dass ich dachte, das geht niemanden was an. Aber dann hab ich das doch nicht so durchgezogen, man überprüft sich ja auch selbst. Und irgendwann gab’s halt die Information über unsere Hochzeit und ich glaube, das war in Ordnung so.
Ein paar Geheimnisse sollte ein Mensch noch haben. Meine Musik ist so intensiv und intim – vermeintlich – dass die Leute sowieso das Gefühl haben mich zu kennen. Sie interpretieren unglaublich viele Dinge in mich hinein, dass ich mich persönlich wirklich zurückhalte. Gerade als „Das Spiel“ so populär war und es, natürlich auch durch das Video und den Text, ganz viele Assoziationen gab, hatte ich eher das Gefühl, ich müsste mir einen Rollkragenpullover anziehen und das alles nur für sich sprechen lassen. Ich wollte nicht auch noch in die Kerbe reinhauen.

Brigitte-Chef Andreas Lebert hat in seinem Buch „Anleitung zum Männlichsein“ eine Identitätskrise der Männer beschrieben. Der Mann sei heute „demütig, weichgespült, resignativ“, ein „konturloses Wesen“ usw. Würdest du auch sagen, dass es heute eine Männerkrise gibt?
Louisan: Ich muss sagen, dieses Thema finde ich sehr merkwürdig. Wenn es jetzt schon so weit ist, dass der Mann komplett überfordert ist von so vielen starken Frauen! Ich habe in den Buchhandlungen gesehen, dass es diese Identitätskrise geben soll, aber da kann ich nur drüber schmunzeln. Es ist gesellschaftlich noch nicht bei mir angekommen, dass Männer jetzt unterdrückt werden. Ich kenne keinen Mann, der mir gesagt hat: „Gott, ich komm hier nicht klar. Die Frauen graben mir das Wasser ab und ich werde unterdrückt in meiner Beziehung.“ Das hab ich noch nie gehört, aber ich frag beim nächsten Mal nach.
Ich persönlich glaube, Frauen müssen damit zurechtkommen, dass Männer stark sind und ihren Weg gehen und umgekehrt genauso. Und ich glaube auch, die Rollen sollten sich in einer Beziehung mal vertauschen können. Es gibt doch Phasen, wo der eine stärker ist als der andere. Das wäre ja gelogen, wenn man das nicht so sagt. Aber es gibt anscheinend weniger Probleme, wenn Frauen devot sind. Obwohl ich denke, dass sich viele Männer von starken Frauen angezogen fühlen. Vielleicht können sie das noch nicht richtig zugeben, weil sie meinen, sie verlieren dadurch ihr Gesicht. Aber das ist Quatsch und wahrscheinlich noch so ein gesellschaftliches Klischee. Es geht eben um Gleichberechtigung. Wenn ein Partner einem auf Augenhöhe begegnet, darf er auch kein Problem damit haben, wenn man sagt, was man möchte.

Sind Männer verunsichert, wenn sie dir begegnen?
Louisan: Gar nicht, aber ich hab natürlich den Vorteil, dass ich ganz anders aussehe. Meine Optik, meine Größe, die blonden Haare, die großen Augen – all das suggeriert ja erstmal was anderes. Ich hab die Sachen immer sehr bewusst von hinten aufgezäumt und konnte aus dieser Position heraus sehr gut beobachten. Gib den Leuten Macht in die Hand und sie verraten viel über ihren Charakter. Davon hab ich immer sehr profitiert, aber das ist natürlich auch sehr gefährlich. Denn diese Macht haben sie natürlich nur imaginär.

Was machst du, wenn du dich wirklich mal schwach fühlst? Was gibt dir neue Kraft?
Louisan: Ich schätze mittlerweile Einsamkeit sehr, das komplette Nur-für-mich-Sein, obwohl ich das immer schon gebraucht hab. Nur ist es jetzt ein kompletter Luxus geworden, weil ständig Menschen um mich rum sind und ich wenig Zeit für mich hab. Dann sind natürlich die Menschen wichtig, die ich liebe, denn die holen mich aus Krisen und Unsicherheiten wieder raus, und das Verhältnis zum eigenen Körper. Wenn ich die Power hab, versuche ich, gesund zu leben, ein bisschen auf die Ernährung zu achten und mich zu verwöhnen. Was für sich zu tun, macht so glücklich! Und wenn’s nach dem Bad nur mal eine halbe Stunde ist, wo man sich ganz intensiv eincremt. Abschalten können ist auch wichtig, diese Annett Louisan mal komplett auszusperren und nicht mehr dran zu denken, auch wenn sie so zu mir gehört und ich das auch manchmal vermische. Mal Zeit für ein Buch zu haben, wo ich komplett drin verschwinde. Wie gesagt, ich bin ungeduldiger geworden und diese Ungeduld und Schnelligkeit stresst mich auch manchmal, da muss ich einen Weg finden, die mal auszusperren.

Spielt da auch Musik eine Rolle? Irgendwie kann man sich bei dir nur schwer was Lautes und Rockiges vorstellen.
Louisan: Das gibt’s bei mir auch weniger, wenn ich mir meinen CD-Schrank anschaue. Aber so dreimal im Jahr Rammstein, das kann ich schon gut haben. Aber ich muss mich wirklich sehr disziplinieren, dass ich mal bewusst eine Platte auflege und die von vorne bis hinten durchhöre. Bewusst Musik hören ist ein großer Spaß und auch entspannend. Aber das fällt immer schwerer, da wir ständig berieselt werden und Musik auch immer beliebiger wird. Es gibt so viel und die Kids ziehen sich heutzutage in fünf Minuten 30000 Songs von einem Rechner auf den nächsten – wahllos. Sie hören dann zwar trotzdem nur die zwei, drei Scheiben, die sie geil finden. Aber es ist eben cool, auch die ganzen anderen Songs auf dem iPod zu haben.

Vor deiner Musik-Karriere hast du Kunst studiert. Malst du denn noch?
Eigentlich nicht mehr wirklich ernsthaft und intensiv. Hier kommt wieder der Punkt mit der Geduld ins Spiel. Außerdem ist momentan nicht so die Phase, wo ich mich visuell äußern kann. Und den kreativen Part befriedigt ja schon die Arbeit an meiner Musik.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Louisan: Betty Boop, die Frau mit dem Quadratschädel. Die hat so riesige Augen und ganz kurze schwarze Haare und ist ganz süß. Sie hat immer so spitze Schuhe an und läuft so seitlich. Die wäre ich.

2 Kommentare zu “Irgendwann holen dich deine Wünsche ein”

  1. Manfred Berger |

    Es ist ein ganz tolles Lied,ich freue mich Sie wieder zu hören,nach so langer
    Zeit,ich habe ihre Lieder schon lange nicht gehört. Ich wünsche Ihnen auch
    weiterhin alles liebe und gute.Mit vielen Erfoge

    Antworten
  2. Manfred Berger |

    Wie komme ich zu einen Auto-Gramm, von Ihnen. ich habe schon viel von
    Ihnen gehört ,aber lange nichts mehr, nun hört man Sie endlich wieder .Ich habe schon zwei mal nach Hamburg geschrieben,mit Rückporto,und es kommt
    nichts zurück,haben Sie eine neue Anschrift, ich bin froh wieder ihre Lieder
    zu hören.Ich wünsche Ihnen von herzen noch viele schöne Lieder,und das wir
    noch viel von Ihnen hören .Mit vielen Erfoge
    Es grüßt Sie freundlichsts ihr Autogramm-Sammler Manfred Berger
    Rudolf-Mauersbergerstr.4 01309 Dresden

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