Dagmar Freitag

Muss man bei der WM zu viele bittere Pillen schlucken, Frau Freitag?

Die Bundestagsabgeordnete Dagmar Freitag (SPD) war früher Sportlehrerin und ist heute Vorsitzende des Sportausschuss. Im Interview spricht sie über die laufende WM, den Zwang, die FIFA zu finanzieren, die Verbindung von Coca-Cola und Sport und den Umgang des DFB mit der Trikot-Affäre.

Dagmar Freitag

© Achim Melde/ Deutscher Bundestag

Frau Freitag, die WM hat begonnen – schauen Sie den Spielen nun völlig unbesorgt zu?
Freitag: Was verstehen Sie unter unbesorgt? Worauf genau bezieht sich Ihre Frage?

Zum Beispiel auf die ausrichtende Organisation FIFA oder auf die politischen Verhältnisse in Russland – können Sie dem Ganzen mit gutem Gewissen zuschauen?
Freitag: Ich gehe davon aus, dass die Fußball-WM reibungslos ablaufen wird. Wir haben bei früheren internationalen Sportgroßveranstaltungen erlebt, dass Russland so etwas organisieren kann – schon aus Eigeninteresse, denn Staatspräsident Putin nutzt natürlich die Bühne solcher Ereignisse, um sich und sein Land in möglichst positivem Licht erstrahlen zu lassen. Insofern mache ich mir eher wenig Sorgen, was die Sicherheitslage angeht.
Viele Fragezeichen habe ich natürlich, was die Situation der Meinungs- und Pressefreiheit in Russland angeht, um nur ein Beispiel zu nennen.

Wenn wir über die FIFA sprechen: Mehrere Reports und Reportagen haben zuletzt gezeigt, wie intransparent es dort zugeht, es gab Verhaftungen von Funktionären, die FIFA kümmert sich nicht um Fragen der Menschenrechte usw. Wie fällt Ihr aktuelles Urteil zur Fifa aus?
Freitag: Mein Urteil ist jedenfalls nicht, dass es besser geworden ist. FIFA-Präsident Infantino bereitet sich intensiv auf seine Wiederwahl 2019 vor, mit aus meiner Sicht recht zweifelhaften Maßnahmen. Einmal wirbt er mit einem nicht näher genannten Konsortium, das dem Vernehmen nach Milliarden in die Kassen der FIFA spülen soll. Auf der anderen Seite bläht er das Turnier in einer Art und Weise auf, dass es unter sportlichen Gesichtspunkten kaum noch zu rechtfertigen ist.

Zitiert

Wenn Sie die WM anderen Sendern überlassen, werden viele Zuschauer ausgeschlossen.

Dagmar Freitag

Könnten Sie spontan drei Organisationen nennen, an die Sie lieber Geld spenden als an die FIFA?
Freitag: An die FIFA spende ich erstmal überhaupt nichts. Ich habe für mich die persönliche Entscheidung getroffen, dass ich in erster Linie an gemeinnützige Organisationen in meinem Wahlkreis spende. Ausnahmen sind die Stiftung Deutsche Sporthilfe, das Kinderhilfswerk Plan Deutschland – wo ich eine Patenschaft für ein Mädchen in Ruanda übernommen habe – und Ärzte ohne Grenzen.

Nun finanzieren Sie die FIFA mit, genauso wie ich. Jeder Bundesbürger zahlt pro WM etwa 2,50 Euro an die FIFA. Ist das in Ihren Augen sinnvoll?
Freitag: Können Sie mir erklären, warum wir diese WM mitfinanzieren?

Weil wir alle den Rundfunkbeitrag zahlen müssen, mit dem ARD/ZDF jene 218 Millionen finanziert, die die FIFA für die TV-Rechte verlangt. Halten Sie es für sinnvoll, dass man als Bürger dazu gezwungen ist, die FIFA mitzufinanzieren?
Freitag: Das ist eine alte Frage, ob der Zwang zum Rundfunkbeitrag gerechtfertigt ist, oder nicht.

Mir geht es nicht um den Beitrag generell. Es geht um die Frage, ob die öffentlich-rechtlichen Sender die WM übertragen. Alternativ könnte man andere Sender die WM übertragen lassen und dem Bürger die Entscheidung überlassen, ob er die FIFA mitfinanzieren will oder nicht.
Freitag: Wenn Sie die WM anderen überlassen, werden unzählige Zuschauer in Deutschland ausgeschlossen, die beispielsweise kein Sky-Abo oder Ähnliches haben. Ich glaube, es ist schon sinnvoll, Sportereignisse von weltweiter Bedeutung zu übertragen. Zumal ARD und ZDF in der Vergangenheit ja auch zunehmend dazu übergegangen sind, durchaus kritisch über solche Veranstaltungen zu berichten und nicht nur Gute-Laune-Kommentare zu verbreiten. Was zum Beispiel die ARD-Doping-Redaktion aufgedeckt hat und was ich dort z.B. im Umfeld von Olympischen Spielen an kritischen Kommentaren gehört und gesehen habe – da bin ich dankbar, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit an Bord ist.

Und dafür nehmen Sie inkauf, dass Sie die FIFA mitfinanzieren.
Freitag: Da nehme ich in Kauf, dass ich die Möglichkeit bekomme, mich als Fernsehzuschauer mit kritischen Anmerkungen auseinanderzusetzen. Das halte ich für ausgesprochen wichtig und das ist mir 2,50 Euro wert.

Aber ARD und ZDF könnten doch auch kritisch über die WM berichten, ohne die Spiele zu übertragen.
Freitag: Das möchte ich mal sehen, dass dann das Publikum in der Breite erreicht wird, die ich erreicht sehen möchte: Nämlich genau die Zuschauer, die jetzt mit großer Begeisterung Fußball-WM gucken. Damit habe ich eine Reichweite, die ansonsten weder Sportreportage noch Sportschau erreichen. Wenn ich auch bestimmte Botschaften setzen will, muss ich genau solche Ereignisse nutzen, weil man so automatisch eine möglichst hohe Reichweite erzielt.

Sie sagen also: Wenn ich kritisch über ein Sportereignis berichte, muss ich das Ereignis auch selbst übertragen?
Freitag: Natürlich. Es muss doch im Kontext sein. Der Zuschauer, der sich informieren will, der hat auch ein Recht auf den Kontext. Wenn das dann nochmal in Sportreportage oder Sportschau getrennt aufbereitet wird – OK. Aber im Kontext erreiche ich die, die ich erreichen will.

Sie sagten vorhin, Wladimir Putin nutzt die WM-Bühne um sich „im positiven Licht erstrahlen zu lassen“. Was macht Angela Merkel, wenn sie die deutsche Nationalmannschaft im Trainingslager oder in der Kabine besucht?
Freitag: Diese Frage müssen Sie der Bundeskanzlerin stellen. Jeder weiß, dass Fußball die Sportart ist, die nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland die meisten Anhänger in der Sport-Szene hat. Natürlich nutzen Regierungschefs die Nähe zum Sport, um auch die tatsächliche oder vermeintliche eigene Begeisterung für eine Veranstaltung oder eine Sportart darzustellen.
Aber es gab erst kürzlich harsche Kritik von Olympiasieger Moritz Fürste an der Tatsache, dass sich die Bundeskanzlerin ausschließlich beim Fußball sehen lässt und Olympische Spiele oder auch Großveranstaltungen im eigenen Land – wie beispielsweise die Leichtathletik-EM, die dieses Jahr in Berlin ausgetragen wird – konsequent meidet. Das halte ich persönlich für ein falsches Signal.

Sie haben letztes Jahr einen Appell zur Freilassung von Deniz Yücel unterzeichnet. Dieser ist nun frei, doch viele andere Journalisten sitzen in türkischen Gefängnissen. Gleichzeitig sind im deutschen Kader zwei Spieler, die für Erdogan sozusagen Promotion gemacht haben. Verdirbt Ihnen das die Laune, wenn Sie die Spiele der deutschen Mannschaft sehen?
Freitag: Das Thema ist natürlich in zahlreichen Diskussionen immer noch da. Und ich bleibe dabei, dass das eine Aktion war, die weder den beiden Spielern noch der deutschen Mannschaft gut getan hat. Wer für eine deutsche Nationalmannschaft antritt, dessen Präsident heißt aus meiner Sicht Frank-Walter Steinmeier.

Im WDR sagten Sie, „es ist nicht Aufgabe der Politik, die autonomen Entscheidungen von Verbänden zu bewerten. Die Frage ist, wie der DFB damit intern umgegangen ist.“ Ist der DFB mit der Trikot-Affäre denn gut umgegangen oder eher schlecht?
Freitag: Es gab anfangs Äußerungen von DFB-Präsident Grindel, die zweifellos in die richtige Richtung gingen. Und dass ein Verband, wenn das Turnier begonnen hat, versucht, das Thema nicht weiter auf dem Tisch zu haben – dafür habe ich aus Sportlersicht ein gewisses Verständnis. Aber ich glaube, das Problem liegt tiefer, das haben die beiden Spieler auch bei den Testspielen erlebt. Viele Fans haben diese Aktion noch nicht vergessen. Sie war für Erdogan zweifellos der beabsichtigte PR-Erfolg, für die beiden Spieler aber ganz sicher nicht.

Im Sportausschuss beschäftigen Sie sich auch mit Wechselwirkungen zwischen Sport und Gesundheit. Sie selbst haben zudem früher als Sportlehrerin gearbeitet. Können Sie sich erinnern, wie oft Sie Sportlern bzw. Schülern geraten haben, nach dem Sport Coca-Cola zu trinken?
Freitag: Nie. Da bin ich ganz sicher, weil ich selbst in der Regel auch keine Cola trinke.

Laut Foodwatch erhöht eine Dose Coca-Cola am Tag das Risiko für Übergewicht, Fettleibigkeit oder Typ-2-Diabetes, Foodwatch bezeichnet es als ein „Zuckergetränk, dass schon in vergleichsweise geringen Mengen gesundheitsgefährdend ist“. Passt es Ihrer Meinung nach, dass die Nationalspieler Deutschlands für dieses Getränk Werbung machen?
Freitag: Das Problem haben wir immer wieder. Auch andere Sponsoren mit nicht unbedingt Gesundheit stiftenden Produkten waren schon Sponsor des Olympischen Dorfes.

Lassen Sie uns aktuell über Coca-Cola reden.
Freitag: Ich will damit sagen, dass das nichts Ungewöhnliches ist. Genauso wird für Süßigkeiten geworben. Das ist eine autonome Entscheidung, entweder des DFB oder des einzelnen Sportlers. Da muss sich jeder einzelne Verband und jeder einzelne Sportler fragen, welche Botschaft er damit aussendet.

Welche Botschaft sendet es denn aus, wenn Manuel Neuer in Sportklamotten Cola trinkt oder Jogi Löw in der Kabine eine Cola-Dose aus dem Kühlschrank holt? Ist das nicht die Botschaft: Sport und Cola passen gut zusammen?
Freitag: Das ist sicherlich die Intention von Coca-Cola. Ob diese Botschaft beim Verbraucher ankommt, kann ich nicht beurteilen, ist jedenfalls nicht auszuschließen. Aber klar ist, aus meiner persönlichen Sicht, dass unter ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten ein übermäßiger Genuss von Coca-Cola nicht anzuraten ist – was im Übrigen für jedes vergleichbare Getränk auch gilt.

Halten Sie es für denkbar, dass man sich genauer überlegt – insbesondere im gebührenfinanzierten Fernsehen – welche Sponsoren man bei Sportübertragungen ins Boot holt?
Freitag: Im vorliegenden Fall ist das ja keine Entscheidung der öffentlich-rechtlichen Sender.

Sie meinen, die Sender werden gezwungen, dass Coca-Cola dort Werbung macht?
Freitag: Wenn Manuel Neuer oder der DFB einen Vertrag mit Coca-Cola abschließen, ist das nichts, was ARD oder ZDF zu verantworten haben.

Die Sender vergeben die Werbezeit. (Anmerkung: Coca Cola ist Co-Sponsor in ARD und ZDF, neben Bitburger, Bauhaus, Check24. Werbejingles laufen bei jeder Übertragung.)
Freitag: Ja gut, aber wir sind mündige Bürger in diesem Land. Dann dürfen Sie ja für fast nichts mehr Reklame machen, dann fallen auch Schokoriegel raus, Kinderschokolade etc.

Mir geht es nicht um ein Werbeverbot für Süßwaren, sondern um die Frage: Passt es zusammen, wenn die Nationalmannschaft für Coca-Cola wirbt?
Freitag: Wir haben eine freie Marktwirtschaft, wir haben mündige Bürger und mündige Athletinnen und Athleten – und im Kern entscheidet jeder selbst. Wenn Manuel Neuer oder wer auch immer Werbung macht für ein Produkt, das nicht gesund ist, dann heißt das noch lange nicht, dass ich als Konsument es konsumieren muss. Ich entscheide, was ich esse und was nicht. Und ich entscheide, welche Werbung für mich relevant ist, oder nicht. Man kann sich sicherlich überlegen, für was man Werbung macht. Ich bin schon froh, dass es im konkreten Fall nicht Alkohol ist, das fände ich noch schlimmer.

Bitburger ist einer der anderen Co-Sponsoren bei ARD und ZDF.
Freitag: Das gibt es, glaube ich, auch alkoholfrei. Ich selbst bin keine Biertrinkerin. Aber noch mal: Ich als Konsument entscheide, was ich esse und trinke. Jeder Bürger hat auch die Möglichkeit, sich darüber zu informieren, welche Nahrungsmittel oder welche angebotenen Nahrungsmittel zu viel Zucker, zu viel Kalorien, zu viel Fett haben. Auf vielen Lebens- und Nahrungsmitteln sind mittlerweile die Angaben im Detail verzeichnet. Ich würde den mündigen Bürger nicht völlig unterschätzen – wohlwissend, dass auch das Thema Adipositas (Fettleibigkeit) in unserem Land ein größeres wird.

Zum Schluss fasse ich noch einmal zusammen: Wir haben bei der WM eine austragende Organisation, die intransparent ist, für Vetternwirtschaft steht und Menschenrechte nicht achtet. Zudem einen Zwang für jeden Bürger, genau diese Organisation mitfinanzieren zu müssen. Dann ein Team, das sich nicht ausdrücklich von einem Politiker distanziert, der Journalisten ins Gefängnis steckt. Und schließlich Werbung für eines der ungesündesten Produkte in Dauerschleife. Sind das nicht insgesamt zu viele bittere Pillen, die man jetzt während der WM schlucken muss?
Freitag: Ich glaube nicht, dass man all diese Fragen in eine einzige Feststellung mit einer einzigen Antwort packen kann. Ich habe kritische Anmerkungen dazu gemacht, ohne mir Ihre Schlussfolgerungen in jedem Fall zu Eigen zu machen. Und wenn Sie sagen, Sie sehen das in Dauerschleife: Wahrscheinlich gucke ich nicht oft genug, aber mir sind viele Dinge überhaupt nicht aufgefallen. Ich bleibe dabei: Der mündige Bürger kann entscheiden, was für ihn relevant ist und was nicht. Ob ich mir die Werbung in den Pausen angucke oder nicht, entscheide ich selbst und was ich mit den Informationen mache, die mir da geboten werden, entscheide ich auch selbst. Ich möchte niemandem vorschreiben, was er essen oder trinken soll und was nicht. Unterschätzen Sie die Mündigkeit der Menschen in unserem Land nicht.

2 Kommentare zu “Muss man bei der WM zu viele bittere Pillen schlucken, Frau Freitag?”

  1. asisi1 |

    habe schon bei der ersten frage „Politischen Verhältnisse….“, aufgehört zu lesen.
    diesen Blödsinn über Demokratie, Menschenrechte und anderen Gendermist kann ich nicht mehr hören.
    unsere etablierten Parteien haben hier eine schlimmere DDR zugelassen als alles andere. hier gibt es nur zwang und zahlen bis wir schwarz werden!

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  2. hennes weisweiler |

    buhre es reicht mit dem runffunkbeitrag gesülz

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