Sehr geehrter Herr Müntefering, folgende Frage zu Beginn: mit welchen Themen wird die SPD in den Bundestagswahlkampf 2002 ziehen?
(Stefan Jagel, Tacherting)
Mit Themen, die die Menschen interessieren, mit aktuellen Themen. Es wird um Arbeits- und Ausbildungsplätze gehen und natürlich auch um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes – was können wir tun für Bildung, Ausbildung und Qualifizierung, Weiterbildung, Forschung und Technologie. Im Blick auf die Wahl geht es vor allem darum, dass die Menschen erkennen, dass wir über den Tag hinaus eine Politik machen wollen, die nachhaltig ist, und die auch ins nächste und übernächste Jahrzehnt hinein vernünftig ist. Wir gehen davon aus, dass Politik heute nur gut ist, wenn sie auch gut ist für morgen und übermorgen. Die Überschrift des letzten Wahlkampfes 1998 lautete "Innovation und Gerechtigkeit", sprich: Dinge verändern und modernisieren, aber auch dafür sorgen, dass die Solidarität in der Gesellschaft gewahrt bleibt. Dies ist im Grunde genommen auch die Grundmelodie unseres Wahlkampfes 2002.
Wie wichtig ist der SPD das Internet im kommenden Wahlkampf?
(Marlene, Reinbek)
Das Internet gewinnt für uns natürlich an Bedeutung. 1998 haben wir mit einem parteiinternen Intranet begonnen, eine eigene Fahrbahn auf der Datenautobahn für uns als Partei einzurichten. Das erweitern wir ab 01.07.2001 über alle Ortsvereine auf die gesamte SPD-Mitgliedschaft. Wir haben im Internet bereits einen enormen Zuspruch der Partei insgesamt – für den kommenden Wahlkampf ist dies natürlich besonders wichtig.
Was für Aktionen sind geplant?
Wir chatten, wir bieten an, dass Minister und wichtige Abgeordnete für Diskussionen zur Verfügung stehen – ich bin auch schon einige Male dabei gewesen – und vor allem sorgen wir dafür, dass Parteiinformationen schnell im Internet abrufbar sind.
Mögen Sie persönlich das Medium Internet?
Ich weiß, dass das Internet nötig ist, dass es ein modernes Instrument ist. Aber ich selber gebrauche es nicht besonders intensiv. Aber dafür gibt es in der SPD genügend andere, die sich gut mit diesem Medium auskennen. Im Moment läuft die Aktion "Roter PC", wir bieten allen Ortsvereinen – das sind etwa 12500 im Land – an, sich einen eigenen PC zu kaufen, um so die Kontakte innerhalb der Partei zwischen den Multiplikatoren enger zu machen, damit man die, die Wahlkampf machen wollen und sollen, auch schnell und intensiv erreichen kann.
Wann wird es in Deutschland möglich sein, seine Stimme zur Wahl über das Internet abzugeben?
(Christopher, Hamburg)
Ich wäre da Im Augenblick eher zurückhaltend, prinzipielle Bedenken habe ich allerdings nicht. Darüber wird natürlich bereits diskutiert, aber ich glaube, da müssen noch ein paar Fragen geklärt werden. Der Datenschutz, die geheime Wahl muss eben 100-prozentig gewährleistet sein. Letztlich wird es wohl eine Mischung werden, die einen werden über Internet abstimmen und die anderen werden noch in die Wahllokale gehen.
Wie würden Sie Ihre Stimme abgeben?
Ich glaube, ich würde zum Wahllokal gehen und da mein Kreuz machen, das ist meine Altersklasse und ich glaube, da sollte man sich auch zu bekennen. Außerdem sind Politiker bei Wahlen immer sehr eitel, die gehen hin und hoffen, dass Journalisten da sind, die einen fotografieren und man am nächsten Tag mit Foto in der Zeitung steht.
Was sagen Sie – im Fall des Gewinns der Bundestagswahl 2002 – zu einer rot-gelben Koalition?
(andi, Detmold)
Wenn die rot-grüne Koalition gut arbeitet, was sie im Augenblick tut, dann wird man sicher diese Koalition fortsetzen. Dass im Prinzip die Zusammenarbeit mit allen demokratischen Parteien möglich ist, das ist klar. Aber wenn man eine erfolgreiche Mannschaft auf dem Spielfeld hat – weshalb sollte man sie auswechseln. Ich gehe heute davon aus, dass die gute Zusammenarbeit innerhalb der Koalition so weitergeht, und dass man auch bemüht ist diese Koalition, so wie sie ist, fortzusetzen. Aber letztendlich entscheidet darüber der Wähler.
In einem Artikel in der Frankfurter Neuen Presse äußerte Ihr CDU-Kollege Friedrich Merz kürzlich seine Definition einer politischen Mitte in Deutschland, wie würden Sie diese definieren?
Die SPD ist eine linke Volkspartei, mitten in dieser Gesellschaft. Ich definiere "Mitte" nicht in dem politischen Spektrum, also nicht irgendwo zwischen links und rechts. Sondern für mich ist die Mitte da, wo die Mehrheit der Gesellschaft ist und ich glaube, dass wir mit unserer Politik, mit Gerhard Schröder an der Spitze und mit unseren politischen Inhalten die Mehrheit in diesem Lande repräsentieren. Bei der Wahl 1998 hat es sich ja gezeigt, dass wir nicht am Rande der Gesellschaft stehen, sondern dass unsere Politik den größten Zuspruch hat. Und damit stehen wir auch inmitten dieser Gesellschaft. Dass wir keine Randgänger sind, ist für uns Sozialdemokraten sehr wichtig, weil in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Konservativen immer versucht haben, die Sozialdemokraten an den Rand zu drängen und als vaterlandslose Gesellen oder Trittbrettfahrer darzustellen. Im Gegenteil, wir sind die Lokomotive und ziehen die Politik in diesem Lande. Insofern nehmen wir die Mitte für uns in Anspruch.
Herr Merz nennt die Mitte einen Ort des politischen Wettbewerbs.
Es ist ganz sicher so, dass die CDU/CSU auch in der Mitte sein will, dass sie die Mehrheit repräsentieren möchte in diesem Land, das gehört zur politischen Konkurrenz dazu und das mache ich denen ja auch nicht streitig. Aber im Moment sind wir weit vorne, und Herr Merz, Herr Koch und Herr Stoiber repräsentieren sicher nicht die Mehrheit in diesem Lande, sondern befinden sich eher außerhalb des Kerns. Ich glaube, dass Gerhard Schröder das Land gut repräsentiert und die Menschen auch empfinden, dass er die politische Mitte in Deutschland darstellt.
Welche Zukunft haben Volks- und Mitgliederparteien heutzutage noch?
(gagarin, Berlin)
Wir sind nun etwa 730 000, das ist schon eine ganze Menge, die momentan eher abnimmt als ansteigt, weil bei jungen Leuten das Interesse, in große Organisationen zu gehen, nicht so groß ist wie das in meiner Generation noch der Fall war. Dass ist auch ein bisschen der Zug der Zeit, was nicht heißen soll, dass die jungen Leute nicht gesellschaftspolitisch interessiert wären. Sondern dass sie Bedenken haben gegen feste Bindungen an Parteien. Also müssen wir neue Formen des Umgangs miteinander finden, weshalb wir ja auch neue Möglichkeiten eröffnet haben. Neben den Jungsozialisten gibt es bei der SPD auch RedNet, das ist eine Einladung an junge Leute in bestimmten Aktionen und Projekten mitzumachen, wie zum Beispiel in Berlin beim "Alex"-Projekt. Ich glaube, wenn man solche offenen Formen der Zusammenarbeit findet, gibt es auch eine gute Chance für die Volksparteien, groß zu bleiben, eine große Anhängerschaft zu haben – Mitglieder und Sympathisanten.
In diese Kerbe des Engagements ohne Parteimitgliedschaft schlugen vor mehreren Jahren Ihre Vorschläge zu einer Parteireform in Nordrhein-Westfalen.
Ja, ich habe damals verschiedene Vorschläge gemacht. Ich habe gesagt, dass wir es auch für die Parlamente möglich machen müssten, dass eine kleine Anzahl von Personen von außerhalb der Partei eine Chance hat, als Quereinsteiger in die Politik hinein zu kommen. Schließlich muss man sich schon im Alter von 20 oder 25 entscheiden, wenn man mit 40 oder 50 Jahren im Bundestag sein will. Ich denke zum einen, dass es möglich sein muss, dass Leute, die ihr Leben lang in ihrem Beruf gearbeitet haben und dann auch ein Stück Politik machen wollen, ihre Chance bekommen. Zum anderen bitte ich meine Partei immer wieder, dass sie auch die Vereine und Organisationen in ihre politische Meinungsbildung einbezieht. Wir wollen keine geschlossene Veranstaltung sein, wo nur die Mitglieder mitreden können, sondern wir wollen möglichst viele einladen mit uns zu diskutieren, und diese Offenheit ist wichtig. Nur wenn wir diese offene Tür haben und den roten Teppich ausrollen sind wir auch wirklich Volkspartei, wenn wir uns also nicht nur auf uns selbst beziehen. Wir müssen in Zukunft noch daran arbeiten und offener werden, gar keine Frage.
In der Diskussion um eine eventuelle Aussetzung der Ökosteuer sprachen Sie kürzlich von einer Energiepolitik, die die Abhängigkeit von der Ölindustrie reduzieren sollte – welche Vorstellungen haben Sie?
(Johannes, Kiel)
Weil diese Abhängigkeit von der Ölindustrie gegeben ist, muss man halt weniger verbrauchen. Wir brauchen Autos die weniger verbrauchen, wir müssen vermeidbare Fahrten vermeiden, wir müssen den Ölverbrauch in den Gebäuden reduzieren, und wir müssen vor allem neue Energien nutzen. Die Abhängigkeit vom Öl muss klar reduziert werden. Ich habe nicht die Illusion, dass man diese Abhängigkeit auf Null kriegen kann. Aber das, was wir im letzten Jahr erlebt haben und im Augenblick wieder erleben, dass die OPEC und die großen Öl-Konzerne mit einiger Willkür die Preise in die Höhe treiben, dass wird man nie verhindern können. Deshalb muss man sehen, dass man beim Energieverbrauch spart, und so schnell es geht umlenkt auf andere Energien. Die derzeitige Abhängigkeit, das was wir mehr bezahlen mussten hat uns im letzten Jahr sechs Milliarden Kaufkraft gekostet die außer Landes gingen. Wir müssen sehen, dass diese Kaufkraft im Lande bleibt und dass wir Energien nutzen, die hier im Lande erstellt werden wie die Solar- und Windenergie. Möglichkeiten gibt es genug, wir brauchen nur einen guten Energie-Mix. Man sollte nicht immer glauben, man könne an der Abhängigkeit vom Öl nichts ändern.
Hat man als Politiker denn eine Chance gegen die großen Ölkonzerne und ihre Lobbyisten?
Wir sind ja auf gutem Weg dabei. Wir sind dabei mit einem Gesetz die Kraft-Wärme-Kopplung zu verstärken, wir werden im nächsten Jahr Auflagen haben, dass sich die Kraft-Wärme-Kopplung verdoppelt. Wir sind auch dabei, die Solarmöglichkeiten zu nutzen und zu stärken, unter anderem mit einem 100.000-Dächer-Programm, welches 100.000 Häuser fördert, die Nachfrage ist groß. Wir ermahnen die Autoindustrie, keine Autos mehr zu bauen, die sieben Liter schlucken oder zehn, sondern die mit zwei bis drei Litern auskommen. Und die Fachleute sagen uns, dass die Entwicklung der Brennstoffzelle bis zum Jahr 2010 soweit sein wird, dass man ein Auto mit einem minimalem Benzineinsatz fahren kann. Dass diese Entwicklungen beschleunigt werden ist für die Volkswirtschaft enorm wichtig.
Politiker sind bei Wahlen immer sehr eitel: die gehen hin und hoffen, dass Journalisten da sind, die einen fotografieren.
Denkt die SPD darüber nach, die Ausnahmen von der Ökosteuer für energieintensive Unternehmen zu beseitigen?
(Bastian Schäfer, Berlin)
Man muss davon ausgehen, dass die Ökosteuer im Jahre 2002 noch einmal in unveränderter Weise fortgeführt wird, also noch einmal um weitere 6 Pfennig angehoben wird. 2003 wird das System in dieser Weise nicht weitergeführt und es wird keine weitere Erhöhung geben. Das ist jetzt meine persönliche Meinung, aber ich gehe davon aus, dass wir auf unserem Wahlparteitag im Mai 2002 diese Entscheidung treffen werden und ein neues System entwickeln, welches hilft, die Energiesparpotenziale auszureizen. Neue Zuschläge nach 2002 wird es nicht mehr geben, und das gilt dann für alle Betriebe.
Themenwechsel: Italien. Was bedeutet der Wahlsieg Silvio Berlusconis für die politische Kultur in Europa?
Wir hätten uns natürlich gewünscht, Francesco Rutelli gewinnt, und das Olivenbaum-Bündnis. Das war eine demokratische Wahl, keine Frage, deswegen haben wir gratuliert und hoffen, dass sich Berlusconi der Verantwortung bewusst ist, die er für Europa hat und für sein Land. Italien selbst ist ein europafreundliches Land und deshalb glaube ich, dass Berlusconi, der ja auch Europa-Abgeordneter ist, weiß, dass er diesen Weg in Europa gehen muss. Ich hoffe, dass die Randgruppen und Parteien, die zu seinem Lager dazugehören nicht dominieren. Wir wollen ihm jedenfalls nicht mit Vorurteilen begegnen, sondern wir müssen abwarten, was er für eine konkrete Politik macht. Deshalb empfehle ich, dass wir nicht im Vorhinein schon kritisieren, sondern ihm zunächst seine Chance geben. Es gibt einen Punkt – da kann man Italien keinen Rat geben – den ich so in Deutschland nicht akzeptieren würde: ein Mann mit solcher Medienmacht kommt natürlich in seiner zukünftigen Funktion in einen Interessenkonflikt, das ist unbestreitbar. Aber das muss Italien für sich klären, ob es mit einer solchen Situation leben kann und will. In Deutschland würde ich so etwas allerdings nicht tolerieren.
Aus Angst?
Nun, wir haben ja in der Demokratie die einzelnen Zuständigkeiten getrennt, die Legislative, die Exekutive, den ganzen juristischen Bereich. Und die Medien und die Wirtschaft sind auch noch mal Bereiche für sich – wenn da einer ist, der in solcher Weise Macht hat über das Parlament mit seinen Fraktionen, Regierung und Medien, dann ist das schon mehr als einem gut tut. Wenn jemand zu viel Macht hat ist das immer problematisch, weil dann die Kontrolle nicht mehr richtig funktionieren kann. Man sollte Berlusconi nicht von vornherein unterstellen, dass er seine Position missbrauchen wird und wir haben auch nicht diese Erwartung. In Deutschland wäre eine solche Kombination aber kaum denkbar, ich kann mir nicht vorstellen, dass einer mit vergleichbarer Macht in Deutschland eine wichtige politische Funktion hätte.
Herr Kirch hat also keine Chance.
Nein, ich glaube nicht.
Sehen Sie bei Italien nach der Wahl keine Parallelen zu Österreich? Nach der Wahl in Österreich gab es einen Aufschrei in Europa, jetzt in Italien… – vertraut man dem Gewählten?
(Heinrich, Müssen)
Also, ich würde Berlusconi denn doch nicht unmittelbar mit Jörg Haider vergleichen. Außerdem hat man in Europa dazugelernt und man hat ja auf der Konferenz in Nizza beschlossen, das EU-Statut zu erweitern und festzuhalten, wie man mit einer Regierung umgeht, die gegen die Grundwerte der Demokratie in Europa verstößt. Sollte es dazu kommen, dann würde es Gespräche geben und man würde sich im europäischen Rahmen mit Italien an einen Tisch setzen. Da müsste man sich entscheiden, welche Konsequenzen man zieht. Spontanreaktionen wie im Falle Österreichs waren wahrscheinlich weniger klug, vorweggenommene Verurteilung oder Diskreditierung wird es auch in Zukunft nicht mehr geben, weil man bereits neue Verfahrenswege miteinander vereinbart hat.
Was haben Sie gemacht, während Joschka Fischer Steine geschmissen hat?
(Kathleen, Berlin)
Ich bin ein Stückchen älter als er und damals war ich schon solide und erwachsen (lacht). In der Mitte der 70er Jahre war ich zunächst Industriekaufmann und ab 1975 im deutschen Bundestag. Wie ich in den 50er Jahren aus der Schule gekommen bin, bin ich sofort in meinen Beruf gegangen und war nicht an einer Universität und nicht bei den Entwicklungen im universitären Bereich dabei, was ich mir weder positiv noch negativ anrechne. Das war halt so in meiner Familie und in der Region in der ich zu Hause war. Ich würde mich nicht als einen 68er bezeichnen können, auch nicht wollen, wobei es natürlich zwischen dem, was mit dem Begriff 1968 verbunden ist, und mit dem, was Mitte der 70er Jahre geschah, noch mal einen Unterschied gibt. Zu den Ereignissen Mitte der 70er Jahre habe ich wenig Bezüge, ich war bereits ein seriöser Familienvater der seine Familie ernährte und der dann anschließend in den Bundestag kam, mit 35 an alles gedacht hat – nur nicht daran, auf den Putz zu hauen.
Die 68er waren eine andere Welt für Sie?
Na ja, ich war im Sauerland zu Hause und wir haben die damalige Entwicklung – 1966 die große Koalition, 1969 Willy Brandt als Kanzler, und 1972 die große Willy-Wahl – schon mitverfolgt. Vieles veränderte sich in diesem Land, man hat den Mief, den es gab, rausgekriegt, das Land wurde toleranter und offener. Sie müssen sich vorstellen, 1972, als Willy Brandt gewählt wurde, gab es heftige Attacken gegen ihn: wegen der Warschauer-Verträge, wegen dem Moskauer-Vertrag, weil er in Polen war und weil er die Mauer poröser gemacht hatte. Es gab Flugblätter auf denen stand – man kann das heute fast nur mit Schmunzeln zur Kenntnis nehmen – er dürfe kein Bundeskanzler werden, weil er ein uneheliches Kind ist, und weil er vor den Nazis nach Skandinavien geflohen war. Über diese Attacken kann man heute nur lachen, und ich bin stolz darauf, dass Deutschland in der Zeit von Willy Brandt offener und liberaler geworden ist. Diese Entwicklung hat aber nicht nur an den Universitäten stattgefunden, sondern genauso auch in den Dörfern. Und das, was Willy Brandt erreicht hat, macht sich ja auch nicht nur an 1968 fest.
Wie beurteilen Sie die Medien, die Politiker heute noch an ihre damalige Vergangenheit festnageln?
Zuletzt war das ja nicht primär ein Versuch der Medien, sondern zunächst ein Versuch, den die Union gestartet hat, gewisse Politiker zu diskreditieren. Wir haben uns an der Stelle sofort klar geäußert, Joschka Fischer hat sich entschuldigt für diese eine spezielle Situation und im übrigen hat er seit 20, 30 Jahren gezeigt, dass er zur Demokratie steht. Er hat wichtige Funktionen gehabt, er hat glaubwürdig gehandelt in seiner Position, und deshalb sehe ich auch kein Problem darin, dass er jetzt Außenminister dieses Landes ist. Er ist ein guter Außenminister und deshalb habe ich wenig Verständnis dafür, dass man versucht die alten Dinge gegen ihn aufzuarbeiten. Das gilt nicht nur für Joschka Fischer sondern auch für andere, wie Jürgen Trittin. Es gab ein besonderes Foto von ihm in einer bestimmten Zeitung, das gefälscht war, wie sich dann herausstellte. Das hat noch mal deutlich gemacht, wie sehr man den Dreck, mit dem man werfen wollte, gesucht hat und wie sehr man sich dabei auch vergreifen kann und dann selbst auf der Nase endet.
Der Springer-Verlag wird in Zukunft mit T-Online zusammenarbeiten, die Telekom hat ja in Deutschland immer noch die meisten Telefonleitungen in ihrer Hand. Sehen Sie darin eine mögliche Gefahr?
Eigentlich nicht, ich glaube, dass es solche Formen der Zusammenarbeit geben kann, dafür gibt es in diesem Land ja auch Regeln, was das Kartellrecht anbelangt und was die Marktmacht angeht. Ich glaube, das hat man im Griff und ich will auch nicht pauschal dem Springer-Verlag unterstellen, dass er darauf aus ist, in Berlusconi’scher Art oder wie auch immer in unserem Land Macht zu gewinnen, sondern ich glaube schon, dass man in Deutschland mit den Medien verantwortlicher umgeht.
Aber der politische Einfluss des Spinger-Verlages ist doch enorm, immerhin waren zeitweise über 75% der "Bild"-Leser für einen Rücktritt von Joschka Fischer.
Wenn man sämtliche Springer-Blätter betrachtet, haben die sich in diesem Prozess durchaus differenziert verhalten, die waren nicht alle in gleicher Weise dreckig gegen ihn. Ich glaube auch, dass die Stimmung im Lande immer pro-Fischer gewesen ist, dass die Leute gesagt haben: "jetzt ist gut, die Dinge kann man ihm nicht mehr vorwerfen". Im übrigen muss ich sagen, dass die Macht der Medien auch ihre Grenzen hat, die Leute sind ja nicht dumm. Das weiß natürlich auch der Springer-Verlag und wenn man übertreibt, und man Dinge versucht, die von den Menschen erkannt werden als eine Trickserei, dann kann das auch kontraproduktiv sein. Die Leute glauben nicht alles, was sie vorgesetzt bekommen und reagieren auch entsprechend, die lassen sich nicht so schnell ein x für ein u vormachen.
Können Sie uns sagen, wie viele Jugendliche, die am Zwei-Milliarden-Programm der Bundesregierung gegen Jugend-Arbeitslosigkeit beteiligt waren, letztlich eine Stelle bekommen haben?
(websurfer, hamburg)
In beiden dieser Jahre, die wir das Programm verfolgt haben, waren es etwa 180.000 Ausbildungs- und Arbeitsplätze die entstanden sind. Es entsteht dann zugegebenermaßen das Problem der zweiten Schwelle, sprich jene, die eine Ausbildung haben, bekommen nicht sofort automatisch einen Arbeitsplatz. Trotzdem bin ich sehr dafür, dass wir diese Ausbildung fördern, weil ganz klar ist – Leute ohne Ausbildung haben am Arbeitsmarkt fast überhaupt keine Chance. Deshalb muss man den Leuten mit der Ausbildung diese Chance eröffnen und sie auch daran gewöhnen, arbeiten zu lernen, Prüfungen zu machen, auch hinzugehen wenn man keine Lust hat, den Tag zu strukturieren und einen Betrieb zu erleben. Der Ansatz den wir verfolgen, ist, dass kein junger Mensch von der Schule in die Arbeitslosigkeit geht sondern von der Schulbank in die Ausbildung, Weiterbildung oder in die Beschäftigung. Und das muss das Ziel der nächsten Jahre sein, weshalb wir dieses Programm auch weitermachen müssen. Es ist eines der wichtigsten Programme, wo wir bereits auch zusätzliches Geld eingesetzt haben, während wir in anderen Bereichen sparsam sein mussten.
Das Programm wird also mit der gleichen finanziellen Stärke fortgesetzt?
Davon gehe ich aus, denn das Problem ist ja noch nicht gelöst. Man kann sehen, dass es ab dem Jahr 2005 in Ostdeutschland und ab dem Jahr 2007 in Westdeutschland leichter wird, da dann die Zahl der jungen Menschen, die aus der Schule kommen unter die Zahl derer sinkt, die ins Rentenalter wachsen. Bis zum Jahr 2010 entwickelt sich das dramatisch weiter und man kann heute schon sagen, dass es dann Schwierigkeiten geben wird für Unternehmen, hinreichend viele Auszubildende zu finden. Das tröstet natürlich nicht diejenigen, die im Augenblick aus der Schule kommen. Deshalb müssen wir denen mit einer Ausbildung die Chance eröffnen.
Warum werden die ABM-Mittel im Osten so drastisch gekürzt, vor allem die Mittel für Jugendarbeit sind im Osten um 30 % reduziert worden. Warum?
(Herbert Siemon, Bleicherode)
Dazu muss ich sagen, dass die ABM-Mittel im Osten sicherlich nicht gekürzt wurden. Natürlich kann man diese Mittel für dieses und für jenes ausgeben, das ist etwas, was man sich genauer angucken müsste in der jeweiligen Stadt oder dem Landkreis. Wo auch die Frage steht, wie effizient die Mittel eingesetzt werden, das wird auch immer überprüft. Ich weiß, dass viele Jugendeinrichtungen noch finanziert werden über die AB-Maßnahmen. Aber die Jugendarbeit wird aus kommunalen und Landesmitteln bestritten. Das kann ich daher im Detail beim besten Willen nicht sagen. Wenn ich eine konkretere Angabe hätte, dann könnte man da gerne nachhaken von hier aus.
Wenn Sie mal nicht gerade auf Arbeit sind – wo gehen Sie in Berlin abends aus?
(markus, Plauen)
Gestern Abend war ich um zehn vor elf zu Hause, am Abend davor war ich um halb elf zu Hause. Heute Abend bin ich etwa um elf zu Hause und morgen zwischen zwölf und eins… Also, mit den Abenden hier in Berlin habe ich nicht so ein großes Problem. Wenn ich Besuch habe und der mich fragt, wo hier was los ist, dann kann ich dazu wenig antworten, ich arbeite und kenne das Nachtleben von Berlin kaum. Da lachen die Leute zwar immer, aber das ist so. Andererseits wohne ich ja mitten drin, hier auf der Wilhelmstrasse. Wenn meine Frau und ich ein bisschen schlendern, sind wir auch schnell am Tiergarten. Meine Frau geht außerdem gern auf Flohmärkte. Ich gehe da nicht allzu oft mit, weil meine Frau immer genervt ist, wenn ich keine Lust habe langsam zu gehen und zu kaufen, aber da muss man immer gute Kompromisse finden.
Finden Sie etwas auf dem Flohmarkt?
Ich nicht, aber meine Frau. Die findet immer irgendetwas. Ich habe das Gefühl, sie geht dahin und sucht das Hässlichste was es gibt, das nehmen wir dann mit. Sie findet immer irgendetwas, was in meinen Augen grottenschlecht und altväterlich aussieht, dass ich immer entsetzt aufschreie, aber irgendetwas bringen wir immer mit nach Hause.
Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind sie?
Comic-Figur? – Weiß ich nicht. Aber im Film wäre ich wohl der da (zeigt auf ein Portrait von Charlie Chaplin in seinem Büro).
Weshalb Charlie Chaplin?
Er war immer eine Figur, die ich außerordentlich gemocht habe. Er ist für mich im Grunde jemand, der ernsthaft ist, aber mit seiner Ironie und Selbstironie die ganze Gesellschaft spiegelt. An der Stelle ist er für mich der absolute Schauspieler – was nicht heißt, dass Politiker Schauspieler wären.