[Nachdem Gilles Peterson am Vorabend des Interviews noch bis 3 Uhr in einem Berliner Club aufgelegt hat, erscheint er morgens um 10 Uhr zum Interview…]
Gilles, wie lange schläfst du normalerweise?
Peterson: Genug. Keine Sorge, ich bekomme genug Schlaf.
Aber du bist als DJ vor allem nachts lange aktiv…
Peterson: Das kommt drauf an. Manchmal spiele ich fünf Stunden, wenn alles in Ordnung ist. Der Sound muss gut sein, der Raum, die Anlage – sonst kann ich nicht die ganze Nacht spielen. In Japan, da spiele ich überall sehr lange Sets, weil dort die Anlagen für einen DJ eben sehr gut sind.
Und da wo die Anlage schlecht ist, spielst du nicht…
Peterson: Nein. Mir macht das DJing nur dann Spaß wenn die Bedingungen stimmen. Auf Privatpartys in den Häusern von irgendwelchen Leuten aufzulegen, mit kleinen, miesen Soundsystemen, das könnte ich nicht mehr. Das ist wie bei McDonalds zu essen – dafür bin ich jetzt einfach zu alt.
Und fürs Musikhören, brauchst du dafür auch eine bestimmte Umgebung, Atmosphäre?
Peterson: Ich arbeite ja sehr viel, ich habe meine Radiosendung, meine Internetseite, meine Podcasts, mein Plattenlabel, ich gehe auflegen, produziere – da geht es dann immer um die richtige Balance. Ich muss mir sehr viel Musik anhören, aber ich möchte das nur in der richtigen Umgebung tun. Und wenn ich dann manchmal so einen riesigen Stapel Platten und CDs vor mir habe und in drei Stunden eine Sendung daraus machen soll – dann macht mich das verrückt. Das ist dann ja so wie Hausaufgaben machen. Manchmal mache ich das auch so, weil ich wenig Zeit habe, aber eigentlich will ich Musik in aller Bequemlichkeit hören, so, dass es keine Arbeit mehr ist. Ich muss also immer die richtige Zeit und den richtigen Ort fürs Musikhören finden: zum Beispiel höre ich überhaupt keine Musik bei mir zu Hause.
Gar nichts?
Peterson: Nein. Vielleicht ein gaaanz bisschen, klassische Musik oder so. Ich habe allerdings auch nur ein ganz schreckliches Soundsystem bei mir zu Hause. Aber ich habe noch eine andere Wohnung, wo all meine Platten sind. Also, zu Hause bin ich bei meiner Frau und meinen Kindern und mache dort nur die ‚häuslichen’ Dinge… Und dann habe ich diese Wohnung, nicht weit entfernt, mit meinen Platten, meiner Anlage und dort werde ich dann zu Gilles Peterson. Aber es geht halt immer darum, die Balance zwischen diesen beiden Dingen zu halten. Wenn du von dem einen zu viel oder zu wenig machst, dann wird’s schwer.
Ich habe mich gefragt, ob jemand wie du auch morgens früh Radio hört, beim Frühstück, wie so viele andere Menschen…
Peterson: Ja, aber keine Musik, keine Popsender. Eher Radio4 oder Five Live (beide BBC; Anm. d. Red). Das verändert sich auch mit dem Alter, du stellst fest, dass du mehr… Geschmack hast. Deswegen macht mir die Beschäftigung mit Musik heute auch noch viel mehr Spaß. Ich betrachte die Sache heute viel entspannter, weniger angestrengt und weniger ernst. Es ist auch gut, wenn man mal eine gewisse Distanz zur Sache haben kann. Natürlich wünschte ich mir, ich wäre 20 Jahre jünger, weil du irgendwann merkst, dass die Energie abnimmt.
Und dein Alter beeinflusst die Song-Auswahl in deiner Radio-Sendung…
Peterson: Ja, vielleicht. Ich versuche zumindest nicht wie ein 15-jähriger Grime-DJ zu wirken. Wobei ich natürlich immer noch versuche, die jungen Leute zu erreichen, das ist mir sehr wichtig. Die BBC hat ja schon einen enormen Einfluss, nicht nur in Großbritannien, sondern auf der ganzen Welt. Ich hatte zwar schon Einiges gemacht, bevor ich zur Radio 1 (erster Radiosender der BBC, Anm. d. Red) gekommen bin, ich hatte schon meinen Ruf als DJ, ich hatte auch schon Radio gemacht. Aber durch Radio 1 wurde die Sache viel größer. Zum Beispiel war ich früher, auch während der Hochzeit von meinen Labels Acid Jazz und Talkin’ Loud im Norden von England nicht wirklich bekannt. Ich habe in Manchester, Liverpool oder Birmingham vielleicht vor 300 Leuten gespielt, das war so der Standard. Aber seit ich bei Radio 1 bin kommen schon mal 1000 Leute . Und ich kann spielen was ich will.
Aber wie wird man bekannt mit einer Radiosendung, die mitten in der Nacht, von 2 bis 4 Uhr, ausgestrahlt wird?
Peterson: Als ich bei Radio 1 angefangen habe lief meine Sendung mittwochs, um Mitternacht, direkt nach John Peel. Und obwohl er nur eine kleine Hörerschaft hatte, ein Teil seiner Hörer hat sich sehr dafür interessiert, was ich mache. Dieser Teil war groß genug für mich, um ein völlig neues Publikum zu finden. Ich habe durch Radio 1 also ganz neue Hörer bekommen. Dann kam meine Sendung irgendwann sonntags zu einer besseren Zeit, wo ich aber nicht so viele neue Hörer dazubekam, weil vor mir so eine Art Medizin-Sendung lief. Und heute bin ich donnerstags auf dem Sendeplatz um 2Uhr.
Warum so spät?
Peterson: Das liegt daran, dass meine Online-Quoten auf der Radio 1-Website sehr hoch sind, viele Leute hören sich die Sendung an, wann sie wollen. Und beim Sender hat man sich gedacht: Wenn Gilles so hohe Online-Zugriffe hat, auch international, dann kann die Sendung auch mitten in der Nacht laufen.
Ich war ziemlich sauer über diese Entscheidung, weil mir geht es nicht nur um Radio on Demand – das ist für Leute, die dich eh schon kennen. Ich will ja auch neue Hörer erreichen, es geht immer um neue Leute. Ich weiß, dass ich immer die 25-, 30-jährigen haben werde. Aber es ist auch wichtig, die jungen zu kriegen. Klar, jetzt werden viele sagen: Mach’ einfach dein Ding! – Aber für mich ist diese Vitalität auch wichtig. Ich will nicht so wie ein alter Northern Soul DJ dastehen, oder wie so ein alter Techno-DJ, der immer nur für die gleichen alten Jungs spielt.
Das Programm deiner Sendung ist alles andere als Mainstream – gibt es trotzdem Songs, die du gespielt hast und die dann in die Charts gelangt sind?
Peterson: Ja, ich war zum Beispiel der Erste, der “Crazy” von Gnarls Barkley gespielt hat, lange vor allen anderen. Oder Lilly Allen, die habe ich auch als Erster gespielt.
Also, das reizt mich natürlich auch. Ich bin gerne der Erste der The Streets, Zero7 oder Gotan Project spielt. So was gehört dazu und macht Spaß, wobei ich jetzt auch nicht davon besessen bin. Aber das gehört auch zu dem Versuch, mit der Musik mehr Leute zu erreichen. Wenn du so ein Spezialist bist und gegen die Kommerzialisierung kämpfst, dann musst du auch mit Dingen zurückschlagen können: „Schaut her, was ich schon alles gemacht habe..:“ Weil sonst bist du für die nur so ein Randgruppentyp – und das will ich gar nicht sein, das bin ich auch nicht. Ich mag John Coltrane, aber genauso mag ich auch Barbara Streisand.
Du musst für deine Sendung jede Menge Musik hören…
Peterson: Ja, sehr viel. Und das Problem ist im Moment, dass ich mehr CDs als Vinyl zugeschickt bekomme. Ich weiß natürlich warum, aber wenn ich pro Woche 15-30 CDs geschickt bekomme… Platten sind praktisch, weil du schnell jeden Track an einer beliebigen Stelle anspielen kannst. Bei CDs geht das nicht so schnell, eine HipHop-CD mit 20 Tracks ist echt eine Qual.
Aber was mir auch sehr wichtig ist, in Plattenläden zu gehen. Ein mal pro Woche, oder zumindest ein Mal alle zwei Wochen.
Und ich dachte, das hättest du gar nicht mehr nötig, weil dir eh die meisten Leute ihre Musik zuschicken.
Peterson: Nein, ich gehe in Plattenläden, weil ich erstens nicht alles geschickt bekomme und zweitens weil das soziale Leben in den Plattenläden eine wichtige Rolle spielt. Du triffst dich mit Leuten, mit anderen DJs, trinkst Kaffee, unterhältst dich über Musik – das ist wichtig. Weil in dem Moment, wo du dich aus der Szene ausklinkst, verlierst du überhaupt den Kontakt.. Wenn du dich mit der Musik beschäftigst bist du in dieser ganzen Kultur drin: damit meine ich die Plattenläden, raven gehen…
Wenn ich mich als DJ nicht mehr richtig mit neuer Musik beschäftigte, dann würde ich auch keine Interviews mehr geben, weil ich dann nichts mehr zu sagen hätte. Dann wäre das Auflegen nur noch ein Hobby für mich … Aber momentan bin ich noch voll dabei und Musik ist immer noch das, was mir am meisten Spaß macht.
Auch weil du wenig mit der kommerziellen Seite zu tun hast?
Peterson: Ja. Gott sei Dank gibt es die BBC. Ich bin ein großer BBC-Fan, deswegen war ich ja auch so enttäuscht, als die mich ins Nachtprogramm geschoben haben. Weil ich bin wirklich ein großer BBC-Fürsprecher, ich halte die Fahne hoch. Ich sehe ja überall auf der Welt, wie kommerzielles Radio alles kaputt macht. Da geht es nur um Werbung und den kleinsten gemeinsamen Nenner – da ist kein Platz für Dinge, die mal ein bisschen ein Risiko eingehen. Für mich ist die BBC die letzte Plattform in Großbritannien, wo man noch Musiker wie Ben Westbeech oder das Heritage Orchestra hören kann.
Könntest du erklären, was genau einen Song kommerziell macht?
Peterson: Geld.
Ich meine musikalisch…
Peterson: Ich weiß nicht. Es muss irgendwie eingängig sein. Und einfach. Wie Kaugummi. Wie ein BicMac. Ich mag auch manchmal einen BigMac ganz gerne, auch wenn ich mich hinterher nicht so gut fühle. Da fehlt eben die Finesse. Aber die Masse stört das nicht.
Was ist dann mit dem Erfolg von Gnarls Barkleys „Crazy“?
Peterson: Das ist doch großartiges Kaugummi, oder nicht? Es ist ein großartiger Song, von denen gibt es auch nur fünf bis zehn im Jahr. Ich mag zum Beispiel auch Coldplay. Deren Musik ist einfach gut gemacht, das ist keine Wegwerfmusik. Das ist dann die gute Seite des Mainstream. Aber letztendlich kann ich immer nur sagen: Gott sei Dank gibt es die BBC und den Anti-Kommerz!
Du hast auch schon selbst Musikplattformen gemanagt, du hast Ende der 80er das Label „Acid Jazz“ gegründet und 1990 „Talkin’ Loud“. Nun hast du mit Brownswood Recordings wieder ein Label gegründet – was sind deine Pläne?
Peterson: Also, mit dem Label, das muss man heute ein bisschen relativieren. Wir haben jetzt 2007, Platten verkaufen sich nicht, in dieses Geschäft steigst du nicht ein, wenn du Geld machen willst. Für mich war das also keine geschäftliche Entscheidung. Wenn du heute Geld machen willst, dann gehst du ins Internet, Musik-Downloads etc. – mit Platten verdienst du kein Geld. Das ist für mich heute auch eine andere Situation als 1989, als ich „Acid Jazz“ gegründet habe und Leute wie Jamiroquai oder die Brand New Heavies unter Vertrag genommen habe. Das war eine andere Zeit.
Heute langweilt es mich ein bisschen, nur der DJ oder der Typ vom Radio zu sein. Und wegen meiner Position und all dem, was ich als DJ mache, ich bin ja eine Art Botschafter für eine Musikrichtung, egal ob man die jetzt „Acid Jazz“, „Nujazz“ oder sonst wie nennt. Ich dachte mir, dass es wichtig wäre, jetzt wieder zur Label-Arbeit zurückzukommen. Türen zu öffnen für Musiker, die ich zuletzt gehört habe und die Unterstützung brauchen. Ich habe diese Arbeit auch ein bisschen vermisst: dass ein Musiker wie Ben Westbeech, 24 Jahre alt, erst mit einem Demo-Tape zu mir kommt und ich dann sehe, wie er sich entwickelt – bis dahin, wo er heute mit einer Live-Band auftritt. So was macht einfach Spaß.
Auf der anderen Seite geht es mir auch darum, auf dem Label Musik zu veröffentlichen, die sich ein bisschen vom Mainstream absetzt. Eben zum Beispiel das Heritage Orchestra. Oder ich habe einen Pianisten gesignt, Elan Mehler, sehr non-kommerziell, da verkaufen wir vielleicht nur 1000 Platten. Und Jose James haben wir unter Vertrag genommen, ein sehr guter Jazz-Sänger.
Und musikalisch kann es sich in alle Richtungen entwickeln?
Peterson: Ja, das ist ein bisschen wie meine Radio-Show. Da habe ich aber auch gewisse Restriktionen, es ist nur ein bestimmtes Musikgebiet dass man da hört, und so wird es auch mit dem Label sein: von der Avantgarde bis zum Kommerz, von Lilly Allen bis Albert Ayler.
Unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Peterson: Ich gucke eigentlich kaum Comic-Filme… Ich wäre der Roadrunner. Weil ich um die ganze Welt renne, mit meiner Musik, von Land zu Land, super schnell. Ich bin ein Geschwindigkeits-Typ.
Aber du ruhst dich auch aus…
Peterson: Ja klar, das macht der Roadrunner doch auch. Zwischen den Episoden.