Heide Simonis

…auf keinen Fall Spitzen anziehen!

Heide Simonis über weibliche und männliche Politik, Dresscodes, ihre Vorliebe für Hüte und warum Politikerinnen es bei den Konservativen leichter haben

Heide Simonis

© Hyou Vielz / UNICEF

Frau Simonis, wir möchten mit einer kleinen Zukunftsvision beginnen: Angenommen in 50 Jahren ist jede zweite politische Führungsperson eine Frau, werden wir dann in 50 Jahren auch eine friedlichere Welt haben als heute?
Simonis: Oh, jetzt müsste ich als Frau natürlich „ja“ sagen. Zunächst einmal glaube ich aber nicht, dass Frauen die besseren Menschen sind. Sie gehen an bestimmte Sachen aber anders ran. Sie sind eher teamorientiert, sie können innerbetrieblichen Stress nur dann gut ertragen, wenn die Beziehungen im Laden gut funktionieren. Sie möchten gerne, dass sich das Team wohl fühlt. Und sie wollen sich selber dabei auch wohlfühlen.
Alles in Allem glaube ich daher, dass das ganze Verhalten friedfertiger werden könnte. Allerdings haben wir aber auch erlebt, dass Frauen in der Politik durchaus für Krieg und andere hässliche Sachen stehen können. Zum Beispiel die Auseinandersetzungen in Indien oder die mit Sirimavo Bandaranaike in Sri Lanka – das sieht nicht nach ganz friedfertigen, lieben, netten Frauen aus.

Kritiker werfen der Kanzlerin Angela Merkel gelegentlich einen männlichen Politikstil vor. Könnten Sie sagen, was weibliche Politik ist?
Simonis: Das ist genau der Punkt, wo ich immer wieder zusammenzucke. Frau Merkel macht ihre Arbeit mit einer gewissen Eleganz und auch erfolgreich. Aber keine Frau – auch die Kanzlerin nicht – könnte es sich leisten, mit den Augen zu klimpern und zu sagen: „Bitte tut mir das zum Gefallen, weil ich eine Frau bin.“ Sondern sie muss ihre Sachen vorbringen, muss gut vorbereitet sein. Sie muss eine gewisse Ausdauer haben. Das hat sie offenbar alles. Aber wenn das jetzt schon „männliche“ Verhaltensweisen sind, dann kann man nur sagen: Die Männer sind arm dran!

Wo haben Sie denn selbst bei Ihrer politischen Tätigkeit Unterschiede bemerkt zwischen Frauen und Männern?
Simonis: Als erstes habe ich das in der Sprache gemerkt. Ich war ja die erste Frau im Haushaltsausschuss des Bundestages. Da waren lauter gestandene Männer mit einem Sprachniveau, das manchmal von schlüpfrig bis hin zu zweideutigen Bemerkungen ging.

Ihnen gegenüber?
Simonis: Nein, zunächst untereinander. Und als ich da reinkam haben die das natürlich nicht von jetzt auf gleich abgestellt, sondern das ging so weiter. Da hab ich dann manchmal genauso zurückgebunkert. Nachher, als ich nach Schleswig-Holstein ins Kabinett kam, wo wir insgesamt drei Frauen waren, habe ich mir das ganz schnell wieder abgewöhnt. Und wenn dann von den Männern wieder so ein Witz kam, haben wir halt zu dritt gesagt: „Ahhhh, meint ihr das wirklich witzig?“

Sie haben in Ihrer Autobiographie geschrieben, eine Politikerin sei gut daran beraten, sich nicht zu weiblich zu kleiden.
Simonis: Ja, ich habe versucht, auf keinen Fall Spitzen anzuziehen. Auch niemals etwas Durchsichtiges, Enges, keine zu kurzen Röcke, zu hohe Absätze oder zu tief ausgeschnittene Sachen. Weil es den Männern den Vorwand gibt, sich mit dem Äußeren der Frauen zu beschäftigen und nicht mit dem, was sie vortragen, was sie verfolgen, was sie für politische Ideen haben.

Das vermuten Sie?
Simonis: Das weiß ich. Meine Hüte waren jahrelang ein gefundenes Fressen. Man brauchte gar nichts über mich zu erzählen, mein Hut war immer eine Notiz und eine Nachricht wert.
Sie wissen ja auch, wie man über Frau Merkel hergefallen ist. Seit dem sie bei dieser Sache nachgegeben hat, hat sie Ruhe. Keiner ist mehr hinter ihr her und regt sich über ihre Haare auf oder über die Farbe ihrer Kleider.

Inwieweit kann das aber auch ein Instrument sein? Lassen sich in der Politik bestimmte Ziele vielleicht auch erreichen, wenn man mit der Kleidung, mit der Weiblichkeit spielt?
Simonis: Ich glaube nicht. Weder in der Industrie, noch in Unternehmen, noch in der Politik. Die einzigen, die ein bisschen mit der Kleidung spielen können, sind Menschen im kreativen Bereich, Künstler und Designer. Ansonsten tragen Frauen das Gegenstück zum grauen Flanellanzug. Das kleine Schwarze, den schwarzen Hosenanzug, schwarzes Kleid, schwarze Röcke, schwarzes Kostüm. Nicht so auffallend, keine grellen Farben… Wenn sie sich mal angucken, wer es als Frau bei uns in der Bundesrepublik zu was gebracht hat, die sehen – was die Kleidung anbelangt – alle relativ ähnlich aus. Das ist offensichtlich so ein Dresscode.

Ist doch aber auch ein bisschen schade, oder?
Simonis: Ich habe mich schnell daran gewöhnt, auch weil ich das Gefühl hatte: mit dem schwarzen Hosenanzug bist du von morgens bis abends angezogen. Du kannst damit morgens ins Büro und abends noch auf eine Veranstaltung gehen. Es hat eben seine Vorteile, wenn man sich nicht drei Mal am Tag umziehen muss. Und Sie merken es blitzartig, wenn Sie irgendwo reinkommen und overdressed oder underdressed sind. Sie gucken so an sich runter und denken: Das hättest du ändern müssen. Wenn man mit Jeans kommt und die anderen sind alle im kleinen Cocktail-Kleid…

Kleidung scheint für Politikerinnen bis heute ein heikles Thema zu sein. Warum?
Simonis: Ich kann Ihnen auch nicht sagen, warum Kleidung immer so wichtig ist. Altkanzler Kohl gehörte gewiss nicht zu den zehn bestangezogenen Männern der Welt. Das hat aber niemanden gestört, während es bei Frauen sofort stört. Wenn Politiker merken, da kommt zu ihrer Truppe plötzlich eine Frau dazu, dann suchen sie sich sofort die Schwachstelle raus. Und die Schwachstelle ist natürlich das Äußere: „Wie sieht die denn wieder aus? Was hat die denn wieder für eine Frisur?“ und so weiter. Also, im eigenen Interesse ist man da als Frau ganz gut beraten: Bloß keine Provokation.

Es sei denn, die Provokation wird bewusst eingesetzt. Sie erwähnten Ihre Vorliebe für Hüte: Ich habe das immer als sehr positives Merkmal der Ministerin Simonis erlebt.
Simonis: Dabei war der Anlass das Wetter. Wenn sie solche Haare haben wie ich, dann ziehen sie sich einen Hut an, schön bis an die Ohren, Kapotthut, damit der sitzt und nicht davonfliegt. Ein Schirm nutzt ja oft nichts – der Regen kommt von vorne. Unter dem Hut ist dagegen alles gerettet.

Haben Sie sich in Ihrer politischen Laufbahn an männlichen Verhaltensweisen oder Strategien orientiert?
Simonis: Als ich Abgeordnete wurde, hab ich immer Mineralwasser getrunken. Im Urlaub auch Wein, aber sonst nur Wasser. Das ist im Haushaltsausschuss dann schnell verschwunden, weil die Ausschuss-Abgeordneten ein anderes politisches Leben haben, einen anderen Rhythmus. Sie sitzen länger, bis 1 Uhr, bis 2 Uhr nachts, wenn es auf das Ende der Verhandlungen zugeht. Wir haben Berge von Zahlen und Papieren durchgewühlt und hinterher ging man in die so genannte „Papierkneipe“, also zur Aktenablage. Da gab es dann immer noch ein Bier oder ein Glas Wein. Am Anfang habe ich immer nach Wasser gefragt und zur Antwort bekommen: "Nee, so was haben wir hier nicht!"

Das hätten wir uns jetzt anders vorgestellt.
Simonis: Aber Sie brauchen das. Sonst sitzen sie nachts zu Hause senkrecht im Bett. Jetzt würde jeder Facharzt sagen, das ist der Beginn vom Alkoholismus, wenn man das Zeug braucht, um sich zu beruhigen. Aber das war eben auch die Möglichkeit, am Ende des Tages noch mal zusammenzuhocken, sich nicht nur gegenseitig anzufauchen sondern einfach noch ein Bier miteinander zu trinken.

Außer dem Alkoholkonsum – was haben Sie sich noch von den Männern abgeguckt?
Simonis: Am besten ist es, Sie finden Ihren eigenen Stil, einen eigenen Arbeitsstil. Natürlich, wenn Sie sich seitenweise durch Papier durchwühlen, dann gucken Sie erst mal, wie die anderen eigentlich damit fertig werden.

Wenn wir Sie heute nach weiblicher bzw. männlicher Politik fragen – damals wurden diese Unterschiede wahrscheinlich noch gar nicht so wahrgenommen und thematisiert.
Simonis: Nein, wir haben uns damals nicht darüber unterhalten, ob es männliche und weibliche Politik gibt. Es gab ja die Frauenbewegung, die uns eingeteilt hat in „Mütter-Frauen“, in „Frauen-Frauen“, „Männer-Frauen“ – und ich war natürlich eine „Männer-Frau“ – klar! Die von der Frauenbewegung trugen damals ja alle indische Wallekleider, das war deren Kennzeichen. Und da ich keine Wallekleider trage, hatte ich schon verloren.

Sie wurden als „Männer-Frau“ gesehen aufgrund Ihrer Tätigkeit…
Simonis: Ja, durch die Tätigkeit und die Art wie ich auftrat. Ich war natürlich zu elegant für die Frauenbewegung, eine „Anpasserin“. „Da, guck mal, wie die sich wieder anschleimt indem sie sich Kostüme anzieht, anstatt die wallenden Kleider.“

Was halten Sie denn von Frau von der Leyen? Ihre Weiblichkeit spielt bei ihrer Amtsausübung doch eine ziemlich wichtige Rolle, oder?
Simonis: Man kann ihr nicht vorwerfen, sie wisse nicht wovon sie redet. Ich kenne Frauen, die einerseits zugeben, dass es gut ist was sie macht. Sie greift teils bekannte Vorschläge auf, treibt sie voran. Das ist gut so. Aber auf der anderen Seite heißt es dann, sie wisse überhaupt nicht, was es bedeutet, ein Kind erziehen. Das seien immer wohlhabende Leute gewesen, ihr Mann habe gut verdient, es habe immer Hilfen im Haus gegeben…
Ich muss sagen: Sie hat sich geschickt reinbugsiert, in den Mainstream der CDU und hat ihre Waffen benutzt..

Spielt Frau von der Leyen mit einer Rolle? Spielt sie mit ihrer Rolle um einen Bonus zu bekommen?
Simonis: Ich gestehe ihr zu, dass sie das, was sie macht, aus Überzeugung macht und nicht nach dem Motto: Wie kann ich mir ein paar Extrapunkte bei den Wählern holen? Sonst könnte sie es nicht so durchhalten. Sie ist ja ziemlich ruppig angegriffen worden in der Öffentlichkeit. Und das halten Sie nur durch, wenn Sie von Ihrer Sache überzeugt sind.

Dennoch profitiert sie auch von ihrer Mutterrolle, oder?
Simonis: Ja, das glaube ich schon. Das hat schon eine andere Wirkung, als wenn sie keine Kinder hätte. Sie vertritt ja auch ein Stück gelebte Wirklichkeit aus den skandinavischen Ländern. Bei der Gro Harlem Brundtland (Norwegens erste Ministerpräsidentin, Anm. d. Red.) konnten die Kabinetts-Ministerinnen ihre Arbeitszeit mit den Kindergartenzeiten abstimmen. Die mussten dann ihren Plan einreichen, wann sie die Kinder abholen müssen, wann sie für das Aufpassen zuständig sind – und danach hat sich dann die Arbeitszeit des Kabinetts gerichtet.
In Schweden und Dänemark ist das ähnlich. In Schweden habe ich gesehen, wie zu einer Kabinettssitzung eine junge Frau kam, mit einem Baby auf dem Arm, das Kind musste also noch gestillt werden. Dort kümmert man sich darum, dass Erziehung und Arbeitsalltag einigermaßen zusammenpassen. Nur bei uns ist das immer noch ein Weltanschauungsdrama.

Berufspolitikerinnen haben hierzulande nur selten Kinder, das scheint sogar eine Art Normalität zu sein. Glauben Sie, daran wird sich in den nächsten Jahren etwas ändern?
Simonis: Es muss sich etwas ändern. Es hat ja jetzt einige jungen Frauen gegeben im Bundestag, die schwanger wurden. Daran gewöhnt man sich, wie man sieht. Aber damals, als ich im Bundestag saß, da war Ingrid Matthäus die erste schwangere Abgeordnete und da hieß es dann: „Wie kann die nur, das kann doch gar nicht gut gehen – das arme Kind!" Aber sie hat zwei Kinder auf diese Art und Weise großgezogen – allerdings mit ihrem Mann, der eine zeitlang auf seinen Job verzichtet hat.

Bei Ihnen, so schreiben Sie in Ihrer Autobiographie, stand das Thema Kinder dagegen nie ganz oben auf der Agenda.
Simonis: Wir haben nicht gesagt, wir wollen oder wir wollen nicht. Es hat sich einfach nicht ergeben. Erst machte ich mein Examen, dann machte mein Mann seine Doktorarbeit, dann waren wir in Sambia, kamen zurück, dann gingen wir nach Japan… Und als wir wieder in Deutschland waren, wollte ich mal richtig arbeiten und nicht nur Deutschunterricht geben. Mein Mann bekam ein Stipendium, dann kriegte er seine erste Professur in Berlin und ich wurde in den Bundestag in Bonn gewählt. In der Situation hätte es bedeutet, dass man immer ein Kindermädchen beschäftigt. Denn wenn beide Elternteile die ganze Woche über weg sind, dann kriegen sie das nicht mehr gebacken.

Sie wurden als erste – und bislang einzige – Frau in Deutschland Ministerpräsidentin. Was glauben Sie, wie wichtig war Ihr Engagement dafür, dass wir mit Frau Merkel heute die erste Kanzlerin in Deutschland haben?
Simonis: Ich denke, sie hat es alleine geschafft, weil sie den CDU-Laden ja wieder rausgerissen hat. Sie hat an der Stelle ein typisches Frauenerlebnis gehabt, so wie ich damals nach dem Rücktritt von Björn Engholm: Wenn die Männer den Karren in den Dreck gezogen haben, darf eine Frau den gerne wieder rausziehen.
Aber Angela Merkel muss es auch schwer gehabt haben, als am Wahlabend die „Anden-Connection“ die kleine Säge rausholte und man das schön gleichmäßige Sägen an ihrem Stuhl hörte.

Beim Wähler war die Akzeptanz für eine Kanzlerin offenbar schon vorhanden.
Simonis: Konservative tun sich damit offensichtlich leichter.

Wie meinen Sie das?
Simonis: Thatcher! Man muss bloß ein bisschen rumgucken in der Welt, es sind immer die Konservativen, die das leichter ertragen. Ich glaube, die haben ein Grundmuster an Verständnis. Und wenn eine Frau was werden will und eben jenes Grundmuster akzeptiert – dann ist es in Ordnung. Während es bei einer Sozialdemokratin oder Sozialistin immer gleich heißt: „Ein linke Frau, das ist ja das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.“

Das ist für die Konservativen schwierig.
Simonis: Nein, für die Linken ist es schwierig. Männer sind Männer! Da ist es egal, ob sie konservativ oder links sind.

Die Konservativen haben also das modernere Frauenbild?
Simonis: Hmm… sie ertragen in bestimmten Situationen die eine Frau. Viel mehr würden sie glaube ich auch nicht aushalten. So viele sind es ja bei der CDU auch nicht. Ich glaube, dass Konservative sich sicherer sein können, dass die Werteskala, das Wertebild von ihren Mitgliedern – egal ob männlich oder weiblich – eingehalten wird. Bei einer linken Frau ist man sich da weniger sicher. Das bedeutet Bedrohung, die Leute denken: „Du lieber Gott, ich muss was verteidigen.“ Das muss ich bei einer Konservativen nicht. Die verteidigt ja schon alles und das hat Maggie Thatcher auch wunderbar gemacht.

Aber wie geht das zusammen mit den Äußerungen vieler konservativer Politiker, die die Frauenrolle auf das Haus und die Mutterrolle reduzieren?
Simonis: Ehe die einen linken Mann nehmen, nehmen sie lieber eine rechte Frau. Das ist weniger bedrohlich. Es ist zwar eigentlich nicht die Rolle, die sie einer Frau zugestehen, aber dadurch, dass Politikerinnen auch ganz besondere Frauen waren und sind, ist ja am allgemeinen Frauenbild nichts zu ändern.
Maggie mit Ihrem Handtäschchen, die geformten Locken, wo nicht eine Haarsträhne hervorguckte, immer perfekt geschminkt und angezogen… Sie trug auch keine Spitze und nichts Durchsichtiges, sondern gut geschneiderte Kostüme. Das war das Bild, was der englische Durchschnittskonservative von einer Frau hat. So will er seine Frau haben.

Haben Sie sich zu Beginn Ihrer Karriere als eine Art Vorkämpferin gesehen, für mehr Frauen in der Politik?
Simonis: Bei mir war es immer so – das kam durch meinen Vater: Wenn man was will, dann schafft man das, egal ob man Frau oder Mann ist. Das habe ich auch brav so weiter trompetet, bis ich festgestellt habe, es gibt strukturelle Ungerechtigkeiten Frauen gegenüber. An erster Stelle gegenüber Müttern, die bewusst zurückgesetzt werden. Wo Frauen bei einer Einstellung als erstes gefragt werden, ob sie schwanger werden wollen. Und wenn sie Kinder haben, kriegen sie keine Wohnungen und was sonst noch alles an Sanktionen kommt… In manchen Firmen kann man sich eine Frau auch gar nicht vorstellen. Bankensprecher, da gibt es eine einzige Frau in der gesamten Bundesrepublik. Sonst gibt es in der Bank keine Frauen, nur unten am Schalter jede Menge.
Das heißt, diese strukturellen Ungerechtigkeiten, kommen irgendwo her, die sind nicht nur zurückzuführen auf die mangelnde Durchsetzungsfähigkeit von Frauen. Das ist das geschlossene Verhalten der Männer, die ‘good old boy’s ties’.

Als Sie in die Politik gingen, war das dann auch ein bisschen nach dem Motto: Ich will diese Männergesellschaft jetzt ein bisschen aufmischen, ich will da rein?
Simonis: Nein, noch schlimmer: Ich wollte eine bessere Welt. Wir waren ja in Sambia gewesen, einem Entwicklungsland und wenn man dort anderthalb Jahre wohnt, sieht man, was das bedeutet. „Dritte Welt“-Politik war damals auf dem Vormarsch und en da wollte ich die ganze Welt ändern, dass es aufhörte mit der Ungerechtigkeit. Nun, es ist mir nicht ganz gelungen (lacht).

Heute sind Sie Chefin von UNICEF Deutschland, Sie befinden sich also noch auf dem Weg…
Simonis: Ja, wir fangen gerade wieder an. Nach vielen vergeblichen Versuchen in der Entwicklungspolitik fangen wir wieder an durchzustarten, das ganze jetzt noch mal und richtig zu machen. Wobei man auch sagen muss: Es hat sich was verbessert. Es ist ja nicht so, dass in Afrika alles eine Katastrophe ist. Es gibt Länder, die es gut geschafft haben, die auch was für Ihre Bürgerinnen und Bürger tun.

Frau Simonis, was läuft bisher falsch auf dem afrikanischen Kontinent?
Simonis: Zunächst mal ist es Afrikas Position auf dem Weltmarkt. Sie werden ausgebeutet, sie kriegen kaum eine Chance. Afrika war lange Zeit ein Spielball zwischen Ost und West, wo sich ganz falsche Strukturen, fatale Machtstrukturen herausgebildet haben. Sie haben Dinge blind übernehmen müssen: Verhaltensweisen, die auf westliche, alte Demokratien passen aber nicht auf stammesorientierte, clanbeherrschte Länder.
Ich habe das in Sambia gesehen, wie der Erste in der Familie, der etwas wurde, zuerst für den eigenen Clan sorgen musste. Dass die alle eine Stelle kriegten und daran teilhaben konnten, an dem, was er hatte. Da liegt eine der Wurzeln von Bestechung und Schmiererei: Man sorgt zuerst für die eigenen Leute.

Sie sehen also einen starken Grund für die Probleme in den afrikanischen Ländern selbst.
Simonis: Ja. Aber es wird Gott sei Dank besser, seit die Transparency-Richtlinien gelten und die Regierungen auch gefragt werden: Was macht ihr mit dem Geld?

Als UNICEF-Vorsitzende kämpfen Sie nun gegen die Symptome. Das heißt, Sie versuchen den Kindern vor Ort zu helfen, aber nicht gegen die Gründe, die zu diesen Symptomen führen.
Simonis: Doch!

Wie?
Simonis: Gegründet wurde UNICEF als reines Kindernothilfswerk. Später kamen dann Gesundheitsfragen dazu, „Schulen für Afrika“ und „Empowerment for women“. Wir beziehen jetzt ganz bewusst Frauen mit ein, weil wir festgestellt haben, nur die ärztliche Betreuung reicht nicht aus. Wir müssen den Frauen die Möglichkeit geben, Kleinkredite zu bekommen, sich gegen AIDS zu schützen, vor Vergewaltigung…
Wenn wir ein Hilfsprojekt starten, gucken wir uns zuerst immer die gesamte Situation an. Wasser ist zum Beispiel ein wichtiges Thema. Wenn wir Schulen aufbauen, wird dort immer auch ein Brunnen gebohrt, damit die Frauen nicht mehr meilenweit laufen müssen. Und es wird eine Latrine gebaut, wegen der Hygiene und damit die kleinen Mädchen nicht mit nacktem Popo halb hinter den Busch müssen, wo sie ja auch eine Gefährdung für sich selber darstellen. Wir bieten zunehmend solche Paketlösungen an. Mit einer Schule allein ist noch nicht ausreichend geholfen. Anderes muss hinzukommen.
Und wir geben lieber den Frauen einen Kleinkredit als den Männern. Frauen sind sehr verantwortungsbewusst, Frauen zahlen pünktlich, sie sparen davon ein bisschen, arbeiten in Kooperativen. Sie fühlen sich nicht so in ihrem Stolz gekränkt, wenn von ihnen verlangt wird, dass sie ein Stückchen Macht abgeben und diese mit anderen Frauen in einer Kooperative teilen.

Da müssen Sie in Afrika wahrscheinlich große kulturelle Hürden überwinden, um das Thema „Frau“ überhaupt präsent zu machen…
Simonis: Wobei noch hinzu kommt – wie man es gerade in Darfur sieht -, dass die Frauen der Gegner und deren Kinder nur noch Demonstrationsobjekte sind. Um zu zeigen: Ihr könnt sie nicht mehr schützen. Frauen und Mädchen werden als Geisel und Waffen gegen den anderen Stamm, mit dem man gerade im Krieg ist, genutzt. Das ist wirklich schlimm.

Werden bei der Afrikahilfe mitunter auch zu sehr westliche Weltbilder in eine fremde Kultur hineinprojiziert, die wir nicht verstehen?
Simonis: Ja, ich glaube, das ist eines der Probleme gewesen, es bessert sich aber. Bei der Frage der Mädchenbeschneidung suchen wir Frauen vor Ort, die wissen, worüber geredet wird und die dann mit Unterstützung von UINICEF Kampagnen starten, um die Dorfältesten dazu zu bewegen, sich mit dem Thema zu geschäftigen. Das ist besser als da rein zukommen und denen zu erzählen, was sie gefälligst zu tun haben.

Die Wahrnehmung Afrikas hierzulande gründet sich ja auf eine sehr geringe Zahl von Medien-Berichten. Wie weit begreifen Sie das auch als Teil Ihrer Arbeit, dafür zu sorgen, dass Afrika auch erstmal in die Medien kommt, auch wenn nicht gerade wieder 40.000 Leute auf der Flucht sind oder massakriert wurden?
Simonis: Das ist vor allem die Aufgabe unserer Sonderbotschafter, die in bestimmte Regionen gehen. Katja Riemann zum Beispiel ist sehr viel in Afrika, Steffen Seibert vom ZDF befasst sich mit Frauenthemen und AIDS etc. Und wenn die berichten, dann funktioniert das auch. Ansonsten ist Afrika für die Leute aber ein Kontinent, der weit weg ist – ja wer ist denn schon in Afrika gewesen?
Die Leute waren in Südost-Asien in Urlaub, finden das schön dort und kennen es besser als man Afrika kennt. Und damit fängt schon das erste Nichtverstehen an. Jeder sagt, es gibt in Afrika wunderschöne Landschaften. Aber kaum einer ist da, um es sich auch anzugucken.

Und mit Spenden beruhigen sie gerade mal ihr Gewissen.
Simonis: Ja. Aber Spenden sind natürlich auch wichtig. Es geht darum, dass man ein bisschen teilt, der reiche Norden mit dem armen Süden. Wenn wir nicht irgendwann mal zu Fairness und Gerechtigkeit kommen, dann wird wegen des Wassermangels, der Armut, den Krankheiten der Andrang auf den reichen Norden groß werden. Das wird ein ständiges Anklopfen an der europäischen Tür sein.

Wird sich Europa dann immer mehr abschotten?
Simonis: Natürlich, das ist zu erwarten. Sie werden nicht ganz zu Unrecht darauf hinweisen, dass es auch reiche Länder in Afrika gibt: Kongo ist gesegnet mit Diamanten, Angola mit Öl und Diamanten. Wenn alles gut liefe, bräuchten diese Länder eigentlich keine externe Hilfe. Aber es läuft nicht alles gut. Und da kommt die Frage: Lässt man es laufen – und die nächste Generation von Unwissenden, Ausbeutbaren, die nicht lesen, schreiben, rechnen können, wird großgezogen, womöglich noch in der Gefahr, AIDS zu bekommen. Oder aber man sagt: „Wir fangen jetzt an und zeigen ihnen, wie man das besser machen kann.“

Als UNICEF-Chefin müssen Sie da auch mit Politikern ins Gespräch kommen…
Simonis: Beim Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit rennen Sie offene Türen ein. Da ist nur die Frage, ob die dieses oder jenes Projekt unterstützen und bezahlen können. Wir kriegen dort auch oft wertvolle Hinweise, dass es in einem bestimmten Land jetzt besser geht, weil die den Transparency-Act unterschrieben haben.
Und die Politiker teilen unsere Meinung, dass Wasser, Hygiene, medizinische und schulische Versorgung die wichtigsten Dinge sind, um die es jetzt gehen muss.

Wie ist es bei den führenden Stellen bei UNICEF, sind die eigentlich vor allem von Frauen besetzt?
Simonis: Zur Zeit ist der Vorsitz von UNICEF International in Händen einer Frau.

Gibt es insgesamt vielleicht so eine Art Geschlechter-Teilung in der Politik? Frauen findet man ja eher in der ‚Fürsorgepolitik’, im karitativen Lager, wogegen man die Männer oft als die Kriegsherren erlebt.
Simonis: So sieht es leider noch aus, aber das kann Politik ändern.

Geht es dabei auch um die Frage, ob und wann sich die Gesellschaft daran gewöhnt hat? Eine Frau als Verteidigungsministerin scheint eben noch nicht vorstellbar zu sein…
Simonis: Es gibt aber auch nur wenige Landrätinnen in Deutschland. Die Verwaltungsfachleute sind immer noch Männer. Es gibt auch nicht viele Bürgermeisterinnen, was mich wundert. Genau dort, in den Kommunen, in den Landkreisen, erleben die Leute viel klarer, was eine Entscheidung bedeutet. Ob ein Kindergarten mittags um 12 Uhr dicht macht, ob der Sportclub geschlossen wird, ob die Musikschule plötzlich keine Instrumente mehr zur Verfügung stellt oder der Unterricht dort das Doppelte kostet – das merken die Eltern sofort, was das bedeutet. Und deswegen wundere ich mich, dass so wenige Frauen an solchen Stellen zu finden sind.

Ein wichtiges Thema ist in Deutschland der seit Jahren anhaltende Geburtenrückgang – wo sehen Sie die Gründe dafür?
Simonis: Wenn in Deutschland Akademikerinnen zu 40% keine oder ganz spät Kinder kriegen, dann aus Angst, dass sie in ihrem Job nicht mehr unterkommen, dass sie den Anschluss verlieren.
Und es gibt zu wenig Einrichtungen der Kinderbetreuung, zu wenig Kinderkrippen. Wenn die Schule um 12 Uhr dicht macht, weiß man wirklich nicht, wie man das unter einen Hut kriegt. Oder wenn die Tagesmutter nicht kommen kann, der Kindergarten Ferien hat… dann bricht jedes Mal die helle Katastrophe aus. Ich kenne Frauen, die sagen: „Das mache ich jetzt mit dem einen Kind aber dann ist Schluss! Auf keinen Fall das Ganze noch ein zweites Mal.“
Da ist die Versorgung in anderen Ländern wie Holland, Frankreich, Belgien und in Skandinavien besser, wo die Kinder sich wohl fühlen und wo auch ihre schulische Bildung besser ist. Weil die Gesellschaft dort akzeptiert, dass sie eine besondere Verantwortung für Kinder hat.

Und Sie sehen in dieser Hinsicht auch noch keine Trendwende in Deutschland?
Simonis: Also, wir merken ja jetzt, dass Frauen wieder umworben werden, in den Betrieben, weil Facharbeitermangel herrscht. Jetzt kann man sie wieder gebrauchen. Aber es ist nicht in Ordnung, dass Frauen so instrumentalisiert werden. In Dänemark gibt es die Sozialhebammen. Die kommen nach der Geburt eines Kindes in die Wohnung und gucken ob die Mutter Hilfe braucht, ob das Kind gepflegt ist, alle Impfungen gemacht werden… Die sind bei der Kommune angestellt und wenn die merken, dass etwas schief geht, können sie das gleich lösen. Die schreiben den Eltern nicht vor, wie sie ihre Kinder großziehen sollen, aber sie machen ein Angebot. Wenn man hier ab und zu hört, dass Wohnungen zugemüllt sind, Kinder erschlagen werden – das dürfte dort, wo es Sozialhebammen gibt, nicht passieren.

Bewegt sich der Staat in Deutschland bei Familienangelegenheiten zu langsam?
Simonis: Es ist in Deutschland leider eine ganz entscheidende Weiche unter Adenauer gestellt worden, der gesagt hat: "Wir müssen uns um die Rentner kümmern, um die Wähler – aber um Kinder brauchen wir uns nicht zu kümmern, die kriegen die Leut´ sowieso.“ Da war die Sache erledigt, das heißt, um die Bedürfnisse der Rentner ist ganz anders gekämpft worden, als um die Bedürfnisse der Eltern.
Also, die Lebenswirklichkeit von Familien ist in der Bundesrepublik sehr lange ausgeblendet worden. Wenn man sich alte Werbespots anguckt, da stehen die Frauen strahlend in ihren Küchen mit all den Maschinen, die alles erleichtern… Das ist ein vollkommen falsches Frauenbild. Und dann galt bis 1977 ja noch das alte Familiengesetz. Frauen durften nur arbeiten, wenn ihre Männer es ihnen erlaubten, der Mann durfte für seine Frau kündigen. Und es war ein Scheidungsgrund, wenn die Frau den Haushalt nicht ordentlich geführt hat. Das ist alles erst 1977 geändert worden.

Wenn man sagt, die Geburtenrate sinkt, weil Frauen mit Kindern es heute schwer haben – war es in den 50igern und in den 60igern nicht genauso schwer?
Simonis: Eher noch schwerer.
Aber das Grundverständnis hat sich geändert. Früher hatte eine Familie zwei, drei Kinder, der Vater ging arbeiten und das reichte: damit kriegte man die Kinder groß. Das gehörte auch zum Klassenbewusstsein eines Arbeiters, dass seine Frau nicht arbeiten gehen musste, sondern dass er dafür sorgen konnte. Das ist in uns allen noch ein bisschen drin und die Gesellschaft hat das jahrelang so hingenommen. Die ersten Frauen, die sich dem verweigert haben, haben dann aber nicht gesagt: Ich erkämpfe mir meine Freiheit durch bessere Einrichtungen. Sondern die haben gesagt: Dann kriege ich keine Kinder mehr. Basta. Es ist ja noch nicht so lange her, da waren wir das „Gedöns“.

Sie meinen bei Schröder…
Simonis: Ja, unser Herr Altbundeskanzler hat das Familienministerium damals als „Ministerium für Gedöns“ bezeichnet, und das „Gedöns“ waren wir. Das stößt mir heute noch auf.

Schröder hat dreimal geheiratet, was ihm allerdings kaum jemand übel genommen hat – gehen die Medien mit Politikerinnen anders um als mit Politikern?
Simonis: Ja, eigentlich immer. Da geht es um die Kleidung, das Make-up… Und die Frage nach der Macht, ob Macht nicht den Charakter verdirbt – die wird Männern nie gestellt. Habe ich noch in keinem Interview gesehen. Aber eine Frau ist, in dem Moment wo sie Ministerpräsidentin wird, also eine gewisse Macht hat, sozusagen verpflichtet, über ihre charakterlichen Befindlichkeiten zu berichten. Niemand käme auf die Idee, das einen Mann zu fragen.

Was das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit an Politikern anbelangt: Sie wurden einmal mit dem Satz zitiert „Ich werde depressiv, wenn mich einer aus fünf Schritten Entfernung nicht erkennt.“
Simonis: Was ich gesagt habe war, dass ich es verlogen finde, wenn Politiker immer beklagen, sie könnten keine drei Schritte machen ohne von allen möglichen Leuten angehauen zu werden. Dabei ist das ja genau das, was sie wollen. Sie wollen wieder erkannt werden, weil sie ja wiedergewählt werden wollen. Und da habe ich gesagt: Wenn ich auf 100 Meter nicht erkannt werde, dann werde ich ganz tiefsinnig, weil ich mich dann frage: Wieso kennen dich die Leute nicht? Ob die mich noch wählen werden? Das gibt dem Ganzen eine etwas andere Bedeutung. Das eine ist ein machtpolitisches Problem, das andere ein Eitelkeitsproblem.

Wie gehen Sie denn mit dem heute geringerem Medieninteresse um?
Simonis: Das hat auch sein Gutes.
Aber es ist so, dass immer noch wahrgenommen wird, was ich mache. Und das ist mir bei UNICEF auch wichtig. Die Leute müssen schon sehen, was man macht, damit sie sich ein bisschen damit beschäftigen.
Und hier in Schleswig-Holstein kennen mich eigentlich immer noch alle Leute.

Sie vermissen die hohe Medienaufmerksamkeit von früher also nicht?
Simonis: Ich hatte am Anfang Schwierigkeiten mich an mein neues Leben zu gewöhnen. Aber damit bin ich jetzt auch durch. Man muss halt mit der Situation fertig werden.

Sicher nicht einfach…
Simonis: Was mir nachher geholfen hat, war, mein Adressbuch zu nehmen und ein Lineal: die Leute, die nicht mehr angerufen haben – Strich, weg, raus.

Andererseits bedeutet das Ausscheiden aus dem Politik-Alltag aber auch eine neue Freiheit, oder?
Simonis: Ja, aber da muss man erst hinkommen.
Man muss ja wissen, dass mein Abgang etwas ungewöhnlich war. Wir hatten ja an dem Wahlsonntag verloren, zunächst. Erst später kippte das. Und diese erste Niederlage vor dem Wähler habe ich weitaus besser ertragen, als das spätere Nicht-gewählt werden durch einen Verräter in meiner eigenen Fraktion. Da habe ich lange dran geknabbert.
Ich habe schon zu meinem Mann gesagt: "Eine gewisse Unsterblichkeit hat derjenige mir ja zukommen lassen. Die werden noch an meinem Grabe sagen: Das ist die Frau, die viermal von der eigenen Fraktion nicht gewählt worden ist."

Auch wenn es komisch klingen mag: vielleicht sind Sie ihm heute ja sogar ein wenig dankbar.
Simonis: Oh nein, nie! Da bin ich nachtragend. Sicher, ich hätte nicht den Posten bei UNICEF übernehmen können, wenn der mich nicht abgewählt hätte. Aber es war sicher nicht sein Beweggrund, mir zu einer schönen, ehrenamtlichen Position zu verhelfen.

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