Herr Böhmermann, wie sehr verändern sich in der neuen Sendung „Neo Magazin Royale“ die alten, rituellen Arbeitsabläufe? Müssen Sie sich jetzt völlig anders vorbereiten?
Jan Böhmermann: Das Schöne daran ist, dass ich mich gar nicht groß umgewöhnen muss, weil sich bei mir nicht viel ändert. Wir haben zwei große Änderungen: ein größeres Studio und eine Liveband. Ansonsten ist die Sendung die gleiche wie vorher auch, sieht ein bisschen anders aus und es gibt ein paar Zuschauer mehr, dadurch, dass wir jetzt neben ZDFneo und der Mediathek auch im Hauptprogramm laufen.
Obwohl die Sendung donnerstags weiterhin auf ZDFneo ausgestrahlt wird und dann auch schon in der Mediathek verfügbar ist, wird sie nun freitags auch im ZDF zu sehen sein. Ist die Angst also doch zu groß, ausschließlich auf den linearen Sendeplatz im ZDF-Fernsehen zu setzen? In einem „Aspekte“-Interview von 2014 haben Sie schließlich gesagt, dass keiner mehr lineares Fernsehen gucken würde.
Böhmermann: Ja, die Zukunft des Fernsehens ist nicht linear. Aber die Konzeption beinhaltet kein Hintertürchen, wir sind ja viel eher Pioniere. Es gab vor uns noch keine Sendung, die parallel auf zwei Sendern lief, mit der Aktualität einer wöchentlichen Aufzeichnung. Nun müssen wir weiterhin die Neo-Welt inhaltlich befriedigen, sind aber auch beim großen ZDF, bei dem die Programmdirektion glaubt, dass es eine gute Idee wäre, unsere Sendung den normalen ZDF-Zuschauern zuzumuten. Im Rahmen einer Senderverjüngung oder des allgemeinen Versuchs des Senders, ein bisschen progressiver und frischer rüberzukommen.
Werden Sie den Hauptprogramm-Zuschauern aber erstmal erklären müssen, was es mit Facebook, Whatsapp und Twitter auf sich hat?
Böhmermann: Den letzten beißen die Hunde! Wir können nicht auf das schwächste Glied in der Kette Rücksicht nehmen, das ist nun einmal die Evolution (grinst).
Der Gebührenzahler bekommt jede Menge Fun!
Was kostet denn eigentlich eine Folge der Sendung?
Böhmermann: 40 Mark! Oder 340 Euro… Ich weiß es gar nicht, was eine Folge kostet. Wir sind glaube ich eine der günstigsten Sendungen im ZDF-Hauptprogramm. Oder zumindest eine der günstigeren.
Es ist trotzdem natürlich eine Sendung, die mit einigem Aufwand betrieben wird. An jeder Folge sind mittlerweile fest, regelmäßig 30 Leute beteiligt. Für eine Aufzeichnung kommen noch einmal 30 dazu, insgesamt sind es also knapp 60 Leute, die mit jeder Sendung zu tun haben. Wir arbeiten in einem Studio, das dem ZDF gehört und durch uns betrieben wird. Und ich habe einen Zweijahres-Vertrag, die Sendung „Neo Magazin Royale“ soll es per Vertrag also zwei Jahre geben. Das ist eine sehr große Investition und ein sehr großer Vertrauensbeweis, der sich auch in Zahlen ausdrückt.
Ich frage nach den Kosten, weil Sie ja in Gags immer wieder mit den Rundfunkgebühren kokettieren. Und der Gebührenzahler hat womöglich ein Interesse an Transparenz.
Böhmermann: Klar. Aber ich behaupte, der Zwangsgebührenzahler, der jeden Monat mit 17,50 Euro von seinem Lehnsherren geknechtet wird, der bekommt auch was dafür, nämlich jede Menge Fun! Und von den 17,50 bekommen wir, äh, ein Fraktal eines Cents, wenn man das umlegt auf die gesamten Rundfunkgebühren und deren Verteilung. Ich glaube, mit den 17,50 tut man Helene Fischer wesentlich mehr Gutes als uns.
Ist Ihre Gage denn jetzt gestiegen?
Böhmermann: Öh, weiß ich nicht genau! Mit Zahlen… ich guck immer nur… ab und zu ruft jemand vom KNAX-Klub an und sagt Bescheid, dass ich mir ein Sparschwein abholen kann und ein Radiergummi und nen Stift, bei der Sparkasse. Alles andere, ähm, macht mein Management. Ich bin letztlich eine Marionette, auch finanziell, meines Managements.
Trotz aller Ironie in Sachen Rundfunkgebühr: Haben Sie im Laufe der letzten Jahre so etwas wie einen emotionale Beziehung zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgebaut?
Böhmermann: Klar. Ich bin dabei aber nicht nur wegen des existenzsichernden Geldflusses emotional, sondern auch weil ich ein bisschen idealistisch und damit vielleicht auch ein bisschen naiv bin. Weil ich mir, bei aller Imperfektion, nichts Besseres vorstellen kann, als ein duales Rundfunksystem. Auch wenn viel Scheiße produziert wird, bei Privaten wie bei Öffentlich-Rechtlichen, werde ich immer leicht emotional, wenn Leute alternativlos sagen: „Find ich scheiße, muss weg!“ Was kommt denn danach? Soll mich das „RTL-Nachtmagazin“ mit seinem nicht vorhandenen Korrespondentennetz darüber informieren, was am anderen Ende der Welt passiert? Oder soll ich die Nachrichten dann bei Youtube mit Untertiteln gucken? Oder gibt es nicht eventuell doch ein gesellschaftliches Interesse daran, nicht nur einen, sondern zwei öffentlich finanzierte Sender zu haben, die ein unabhängig von einander existierendes Korrespondentennetz haben und so Informationen aus unterschiedlichen Perspektiven zurück ins Heimatland tragen?
Stichwort Privatsender: Sie waren an der RTL-Comedysendung „Was wäre wenn?“ beteiligt, die nach nur drei Folgen abgesetzt wurde. Hat das für Sie bestätigt, dass intelligenter Humor und Quotendruck beim Privatfernsehen eben nicht zusammengehen?
Böhmermann: Nein, das glaube ich nicht. Abgesehen davon stelle ich jetzt mal in Abrede, dass das eine großartig intelligente Sendung war. Es war einfach nicht ganz ausgereift, was meiner Meinung nach der Grund dafür war, dass so etwas scheitert. Das hat nichts mit intelligenten Inhalten zu tun, sondern ist oft einfach eine Format-Frage.
Aber Sie standen anfänglich schon hinter dem Konzept dieser Sendung?
Böhmermann: Natürlich macht man so etwas, weil man davon überzeugt ist. Aber manchmal passiert es beim Fernsehen, dass man auch Dinge macht, die dann plötzlich in eine andere Richtung laufen. Dann ist man aber trotzdem professionell genug das durchzuziehen und es mit größtmöglicher Kraft hinter sich zu bringen, auch wenn es vielleicht nicht der Erfolg ist, den man sich wünscht.
Die Rubrik „Kommentare-Kommentier-Show“ im „Neo Magazin“ ist eine Kopie des gleichnamigen Formats, dass das Comedy-Trio Y-Titty bereits 2011 auf Youtube etabliert hat. Finden Sie es legitim, einerseits so etwas zu übernehmen und andererseits via Twitter über Y-Titty herzuziehen?
Böhmermann: Ich habe gegen Y-Titty ja gar nichts einzuwenden, ich finde sie halt nicht lustig. Aber ich muss da ein bisschen früher ansetzen, denn die ganze Sendung die ich mache, ist letztlich eine Kopie einer Fernsehsendung, die es in den 90ern, 80ern oder 70ern schon mal gab. Und das Kommentieren von Kommentaren ist natürlich auch keine Erfindung von Y-Titty, sondern von Leuten, die das in Amerika oder England vorher gemacht haben. Jimmy Kimmel hat 2009 bereits aus Internetkommentaren Songs gemacht. Fernsehen ist nun mal eine sich selbst inspirierende, ewig laufende Maschine. Dass ich an einem Schreibtisch sitze, einen Anzug trage oder am Anfang Witze vorlese ist nichts Neues. Wichtig ist, dass die Inhalte in den Gefäßen, an denen sich alle bedienen, originär sind.
Immer wieder wird Ihnen in verschiedenen Medien die Rolle des Retters des deutschen Fernsehens aufgebürdet. Wollen Sie diese hochgesteckten Ansprüche nach Möglichkeit erfüllen, oder sind diese Aussagen einfach nur ein Vertrauensvorsprung, den man Ihnen schenkt?
Böhmermann: (schnauft abfällig ins Mikrofon) Es ist ein Vertrauensvorsprung. Aber wir alle hier machen das schon mit dem Bewusstsein, dass dieses Label irgendwann weg ist und man dann gucken muss, wo man steht. Irgendwann bist du nicht mehr der Neue im Fernsehen, irgendwann bist du 40 und dann gibt es Leute, die 29 sind und sich überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, aus der Youtube-Monetarisierung auszusteigen und das Ganze auf etwas professionellere Füße zu stellen, in redaktionellen Zusammenhängen zu arbeiten und dann auch zum Fernsehen zu gehen. Dann sind das die neuen, frischen Jungen, während wir unseren etablierten Kram machen, den man dann auch kritisieren wird.
Ist die Platzierung im ZDF-Hauptprogramm da eher förderlich oder hinderlich?
Böhmermann: Am Programmrand des ZDF zu laufen, um 0:15 Uhr im Hauptprogramm, das könnte man ja nicht nur als mangelnden Vertrauensbeweis interpretieren, sondern auch als Auftrag, sich nicht großartig zu verändern. Ich bin mir sehr sicher, in dem Bewusstsein sind wir vom ZDF auch eingekauft worden, auch weil der Sender Formate wie dieses in den letzten Jahren nicht gefördert hat. Deswegen haben wir eine Berechtigung im ZDF, und zwar genau so wie wir sind.
Und welche Verbesserung bringt es für das alte „Neo Magazin“-Team mit sich?
Böhmermann: Wir können im Gegenzug unsere Produktionsbedingungen aus dem studentischen Milieu hieven und müssen uns nicht mehr in Dreifachschichten die Freizeit um die Ohren schlagen, sondern können einfach mehr Leute einstellen, die uns entlasten und das Leben lebenswerter machen. Das ist das große Glück, und ich glaube auch, dass Sendungen dadurch besser werden, dass alle Leute ein bisschen ausgeglichener sind und auch zwischendrin schlafen (grinst).
Genügt es Ihnen eigentlich, den Zuschauer zu unterhalten? Oder möchten Sie auch etwas bewirken?
Böhmermann: Der Witz steht vor allem, lang lebe der Witz! Und wenn der Witz an zweiter Stelle noch etwas Intelligentes hat, etwas Aufklärerisches oder Politisches oder eine Haltung in sich trägt, dann ist das auch gut. Aber wichtig ist, dass es lustig ist. Das kann auch Bla Bla und Nonsens sein, es muss nicht schlau sein.
Ist Schlagfertigkeit immer eine positive Eigenschaft, oder für Sie in erster Linie eine gute Waffe im Fernsehgeschäft?
Böhmermann: Ich glaube, es ist eine Veranlagung, die man in sich trägt, und man lernt mit der Zeit, sie als Werkzeug zu benutzen, um zu überleben. Natürlich birgt das in sich, dass man Sachen raushaut, die man im zweiten Satz schon wieder zurücknimmt, nur weil man denkt, was sagen zu müssen.
In der Sendung „Bauerfeind assistiert“ sagten Sie den Satz: „Ich hab so einen Performance-Zwang, wenn die Kameras laufen.“ Steckt dahinter die Angst, aus der öffentlichen Figur Böhmermann herauszufallen, also zu dem Jan Böhmermann zu werden, den die Fans möglicherweise erschreckend normal und damit langweilig finden?
Böhmermann: Nein, es ist eher die Angst vor Stille, tatsächlich. Vor der Kamera zu sein und zu performen ist eine sehr befriedigende Art der Kommunikation, wenn man etwas leicht Autistisches hat. Ich bin noch nie in meine Privatperson zurückgefallen, wenn ich das nicht wollte.
Baut das denn keine Distanz zum Publikum auf?
Böhmermann: Nein, ganz im Gegenteil! Für mich ist das die ultimative Form der Kommunikation. Du kannst es lenken und es ist für beide Seiten befriedigend. Den Leuten muss klar sein, dass das, was auf der Bühne stattfindet eben nur dort stattfindet. Ich bin eine Art Schauspieler, der sich selbst spielt und mit Teilen seiner eigenen Persönlichkeit hantiert. Ich gebe zwar private Inhalte preis, aber das ist sehr kontrolliert und das wissen die Leute glaube ich auch.
Wie würden Sie für Ihren bisherigen beruflichen Werdegang die Komponenten „Talent“, „Durchhaltevermögen“ und „Glück“ gewichten?
Böhmermann: Sich über Talent zu äußern ist schwierig, aber ich glaube es gehört sehr viel Glück und sehr viel Durchhaltevermögen dazu. Viele talentierte Leute scheitern am Durchhaltevermögen, daran, dass sie persönlich gekränkt sind bei Niederlagen. Und selbst Leuten, die das Durchhaltevermögen haben, fehlt manchmal das Glück, zur richtigen Zeit beim richtigen Sender zu sein. Alleine die Möglichkeit, die wir jetzt haben, so eine Sendung zu gestalten, mit dem Vertrauen und der Freiheit, ist generell ein riesiges Glück und extrem unwahrscheinlich, das ist mir absolut klar.
Kurz vor dem Tag der deutschen Einheit 2014 sind Sie mit drei Neo-Magazin-Zuschauern im Auto nach Berlin gefahren. Die Fahrt wurde komplett gefilmt und als Bonusmaterial in die Mediathek gestellt. War das eine Team-interne verlorene Wette, oder was hat Sie dazu motiviert diese Fahrt vor der Kamera zu absolvieren – gerade weil Sie nach kurzer Zeit schon ziemlich genervt wirkten?
Böhmermann: Wir hatten im Team die lustige Idee, daraus einen Einspieler zu machen. Da ich ohnehin nach Berlin musste, lag es nahe, drei Zuschauer mitzunehmen und das zu filmen. Aber ich war bereits am Kamener Kreuz derart genervt, weil mir klar wurde, dass aus dem ganzen Material nichts Vernünftiges zusammen zu schneiden sein würde. Aber wir wollten es nicht wegschmeißen, also haben wir es einfach komplett in die Mediathek gestellt. Wofür gibt es schließlich das Internet?
Beim Stichwort „Vorbilder“ wird im Zusammenhang mit Ihnen immer wieder Harald Schmidt genannt, für den Sie auch eine zeitlang gearbeitet haben. Wen würden Sie denn selbst als Vorbild nennen wollen?
Böhmermann: Der Grund, warum ich das so ungern tue ist, dass man sich im Nachhinein immer in einer direkten Linie mit dem Vorbild festgelegt sieht. Von Schmidt kann man sehr viel Disziplin lernen. Die völlige Freiheit, die er sich rausgenommen hat, alle Witze machen zu können, ist bewundernswert. An Stefan Raab bewundere ich die Disziplin auf dem Schirm zu bleiben, trotz aller Widrigkeiten seit 15 Jahren vier Mal die Woche zu erscheinen, etwas was Schmidt dann eher abging. Hape Kerkelings Unverfrorenheit, Loriots feiner Humor oder Rudi Carrells einnehmende Art sind auch zu bewundern, genau wie der leichte Sarkasmus von Ricky Gervais, das Gentlemanhafte von David Letterman oder das Verspielte von Jimmy Fallon. Das sind alles keine Vorbilder, aber natürlich sind sie Inspirationsquellen.
Die Verpflichtung Ihres Sprechers und Sidekicks William Cohn schon zu „Roche & Böhmermann“-Zeiten – ist das eine heimliche Genugtuung für Sie, auch weil er außerhalb der Sendung von der Öffentlichkeit anscheinend gar nicht wirklich wahrgenommen wird?
Böhmermann: Als wir ihn das erste Mal hörten, wussten wir sofort, dass das eine tolle Stimme ist, weil sie irgendetwas Süffisantes, Verrücktes in sich hat. Ihn für „Roche & Böhmermann“ in die Sendung zu holen geht eigentlich auf Ed McMahon zurück, den Sidekick und Ansager von Johnny Carsons „Tonight Show“. Ich schaue wahnsinnig gerne die alten Folgen der „Tonight Show“ von 1962 bis 1992, dreißig Jahre Late Night Show im Amerika der 60er, 70er und 80er Jahre. Und von McMahon ist William Cohn ein Eins-zu-eins-Abziehbild. Er ist als Figur einfach toll, dieses leicht sperrige, das Gefühl, dass dahinter ein sehr sensibler Schauspieler steht und er einfach alles sagen kann und man ihm nichts übel nimmt, das ist fantastisch!