John Adams

Ein Künstler hat nicht notwendigerweise ein moralisches Ziel.

Der Komponist John Adams über Auftragswerke, Musiktechnologie, seine 'politischen' Opern, unkultivierte US-Politiker und sein Werk "On the Transmigration of Souls"

John Adams

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Mr. Adams, diese riesige Suite, in der wir hier sitzen, scheint mir eher etwas für Filmstars oder Businessleute zu sein – da würde es mich interessieren, ob es bei Ihrer Arbeit auch so eine Art Business-Aspekt gibt, wo Sie auch ein bisschen Geschäftsmann sind?
Adams: Was meinen Sie, das Reisen ..?

Nein, ich denke da eher an Verlagsrechte, Plattenverträge, Auftragswerke …
Adams: Nein, für mich ist das alles sehr persönlich. Natürlich gibt es viele Aufführungen meiner Werke in der ganzen Welt, die ich nicht besuche. Aber die Leute, mit denen ich arbeite, das sind sehr enge Beziehungen. Leute wie Simon Rattle oder Bob Hurwitz, der Präsident von Nonesuch Records, mit dem verbringe ich oft meinen Urlaub zusammen, wir diskutieren über Bücher, die wir gelesen haben, Filme, die wir gesehen haben. Und ansonsten lebe ich ein sehr zurückgezogenes Leben, wobei ich mit vielen Leute via eMail oder Telefon in Kontakt stehe. Aber, um ein Komponist zu sein, muss man über ein großes Maß an Zeit verfügen, die man alleine ist. Das ist nicht so, wie zum Beispiel Architekt zu sein. Ich habe mal ein Gespräch mit Frank O. Gehry geführt, einem der bekanntesten Architekten der Welt, wo wir über den kreativen Prozess sprachen. Und offensichtlich hat er seine kreativen Momente, wenn er alleine ist. Aber um ein Gebäude zu realisieren arbeitet er dann mit Hunderten von Leuten zusammen. Ich muss aber meine gesamte Arbeit ganz alleine machen. Deshalb tendieren Komponisten auch dazu, ’schwierige‘ Menschen zu sein, also zumindest etwas komplizierte Persönlichkeiten, eben weil sie wirklich die ganze Zeit. alleine sein müssen Deswegen ist Mahler zum Beispiel so ein Mysterium, er konnte so gesellig sein und so extrovertiert, wobei er meistens immer sehr gereizt war. Aber dann konnte er sich umdrehen und sofort sehr introvertiert sein.

Und so ist das auch mit Ihnen wenn Sie komponieren?
Adams: Also, mein Leben ist durchaus geteilt, in das Extrovertierte – wo ich zum Beispiel sehr viel dirigiere – und auf der anderen Seite in das Introvertierte, wo ich dann fast wie ein Mönch lebe mit einem sehr disziplinierten Tagesablauf, beinahe wie ein Fabrikarbeiter.

Wo komponieren Sie?
Adams: Ich habe ein Studio zu Hause bei mir in Berkeley. Und dann habe ich ein Studio, das komplett identisch ist, mit den gleichen Synthesizern, Computern, Samplern, der gleichen Technologie, auf einer kleinen Farm an der Nordküste, tief in einem Wald.

Eine Imitation.
Adams: Ja, ein exaktes Double.

Seit wann arbeiten Sie denn mit dem Computer?
Adams: Seit etwa 13 Jahren. Aber wissen Sie, das ist eigentlich keine Sache, über die man mit einem Komponisten reden sollte. Lassen Sie uns lieber über Musik und Kunst reden.

Sie würden nicht sagen, dass die Technologie Ihre Musik beeinflusst?
Adams: Ich denke, die Technologie hat die Art und Weise, wie ich komponiere verändert, in gewisser Weise vielleicht auch die äußere Gestalt meiner Werke. Sie erlaubt mir, mehr verwegen zu sein, weil ich das Resultat immer sofort anhören kann. Aber dann schauen Sie sich Komponisten wie Ravel, Stravinsky oder Wagner an – die waren auch sehr verwegen, hatten aber nur ein Klavier. Du nimmst dir eben zu Hilfe , was immer du brauchst, um die Arbeit erledigen zu können.

Hat der Computer Ihre Arbeit vielleicht schneller gemacht?
Adams: Ich würde nicht sagen schneller, zumindest glaube ich, dass ich immer noch genauso viele Stunden komponiere wie früher. Sie kennen das doch bestimmt, wenn Sie einen Weg gefunden haben, etwas schneller zu machen, dann finden Sie etwas anderes, was Sie wieder bremst. Ich benutze den Computer auch nicht für die Notation. Ich notiere alles per Hand. Ich benutze nur ein Sequenzer-Programm, um meine Stücke zu probeweise abzuspielen. Und diese Versionen klingen fast so wie ein Orchester live klingt.
Das Problem bei all diesen Sound-Programmen ist aber, dass sie für den Rock’n’Roll gemacht sind. Und das da mal ein Stück länger sein könnte als vier Minuten, kommt da ja nicht so häufig vor. Meine Dateien sind aber enorm groß, manche Stücke von mir dauern ja 20 bis 25 Minuten.

Sie haben sich lange Zeit mit der sogenannten "Minimal Music" beschäftigt. Kritiker haben diese stark repetitive Musikform immer wieder als "Copy und Paste" bezeichnet, in Bezug auf die am Computer beliebte Funktion des Kopieren und Einfügens.
Adams: Sicher. Aber gucken Sie sich ein Haydn-Menuett an oder die Sonatenhauptsatzform. Oder das Rondo (lautes Lachen) . Ist das Rondo nicht einfach nur Copy and Paste? Und das meine ich jetzt nicht als Witz.
Was ich persönlich wunderbar finde an diesen ganzen Programmen sind andere Funktionen: du kannst eine Phrase strecken, du kannst verzerren, in sehr sonderbare Modi transponieren …

Erfindet da der Computer manchmal auch Melodien, die Ihnen selbst vielleicht nie eingefallen wären?
Adams: Also, es gibt Komponisten, die das so machen Aber ich denke nicht, dass es sehr interessant ist, einer Maschine die künstlerische Entscheidung zu überlassen. Ich denke, die Maschine kann eine Idee anregen, was ja wunderbar ist. Als Beethoven anfing Hammerklavier zu spielen, wurde er dadurch zu einer ganz neuen Musik angeregt. Man stelle sich vor, Bach hätte ein Hammerklavier gehabt als er 40 Jahre alt war – sicher hätte er angefangen, ganz andere Musik zu schreiben. Und diese ganzen chromatischen Instrumente, die Wagner entwickelt hat, das französische Horn, als es chromatisch wurde. Oder als die elektrische Gitarre aufkam, oder das Saxophon – das hat neue Ideen angeregt. In diesem Sinn kann die Technologie die Musik beeinflussen. Aber lassen Sie uns nicht so viel über die Technologie reden. Ich habe schon so viele Magazine in der Hand gehabt, wo Komponisten über Technologie reden – und ich finde das so langweilig.

Wie viele Ihrer Werke sind eigentlich Auftragswerke?
Adams: Ich würde sagen, fast alle meiner Werke sind Aufträge. Manchmal zwischendurch schreibe ich ein Stück als Geschenk für jemanden. Ich schreibe aber nun mal meistens größere Werke – wie Bruckner (schmunzelt) – und die sind alles Auftragsarbeiten. Sie sind ja auch sehr teuer. Wenn Sie zum Beispiel ein 20-minütiges Orchesterstück geschrieben haben, müssen Sie allein für die Materialien schon mit 15.000 Dollar rechnen, nur um die Noten an die Musiker zu bringen.

Auftragswerke bringen Sie natürlich in eine sehr glückliche Situation – Sie wissen immer, dass Ihr Werk auch aufgeführt wird.
Adams: Ja, und es gibt auch eine Inspiration. Ich lerne jetzt gerade zum Beispiel die Musiker der Berliner Philharmoniker persönlich kennen, manche kenne ich schon mit Vornamen und ich werde sie in den nächsten Jahren noch näher kennen lernen, wenn ich für sie komponiere. Was aber auch gut an einem Auftrag ist: du hast eine Deadline. Kenn Sie das Wort?

Es ist mir als Journalist nicht ganz so unbekannt. Oft ist es ja erst die Deadline, die die Leute motiviert…
Adams: … und auch ich brauche das.

Schaffen Sie es immer?
Adams: Oh, ich hätte die Deadline beinahe überschritten im letzten Herbst (2003), ich hatte drei große Orchesterwerke zu schreiben, innerhalb von 18 Monaten. Ich habe ein Stück geschrieben, was ich nicht erwartet hatte – jenes, das von den New Yorker Philharmonikern in Auftrag gegeben wurde für den ersten Jahrestag der Terroranschläge. Das hat mich zurückgeworfen. Dann war da noch ein Stück mit dem Titel "My Father knew Charles Ives", das ich für Michael Tilson-Thomas geschrieben habe. Und dann das Stück für die Eröffnung der Disney Hall. Und die Schwierigkeit mit dem letzten Stück war, dass ich es für eine elektrische Geige geschrieben habe, speziell für einen Musiker, Tracy Silverman. Er ist so ein Jazz- Ethno-Geiger, hat aber auch auf der Juilliard-School gelernt. Ich habe mit ihm hart an den Solo-Parts gearbeitet, auch wenn die sehr improvisiert klingen – das hat mich so viel Zeit gekostet. Und dann war das Stück zur ersten Probe noch nicht fertig. Ein Desaster. So etwas ist mir noch nie passiert. Am Ende hatten wir vor der Uraufführung nur zwei Proben.

Wie ist es mit den Leuten, die Sie mit Werken beauftragen. Haben die bestimmte Wünsche?
Adams: Nein. Und tatsächlich war das Stück, was ich für die Disney Hall geschrieben habe, das falsche Stück. Da hatten wir große, elektrische Lautsprecher, es war in einer ganz besonderen Intonation – aber die Leute waren dem gegenüber sehr offen. Die wollen ein Stück. Was für ein Stück, das kümmert sie eigentlich nicht. Manchmal sagen sie vielleicht, sie möchten ein kurzes Stück, oder ein langes. Aber das ist dann auch schon alles.

Aber als Sie beauftragt wurden zum Gedenken an den 11. September ein Werk zu schreiben?
Adams: Natürlich, das war etwas Besonderes.

Sie hatten nur sechs Monate Zeit, Sie haben auch nicht lange gezögert. Wenn man Sie allerdings nicht beauftragt hätte, hätten Sie dann je ein Stück in Bezug auf den 11. September geschrieben?
Adams: Nein. Da hätte ich nie dran gedacht. Für mich erschien das nicht als ein Thema, worüber jemand ein Stück schreiben sollte. Die gesamten amerikanischen Medien waren voll mit dieser Geschichte für über ein Jahr, sie kamen davon nicht weg. Da erschien es mir als eine sehr schlechte Idee, ein Stück Musik darüber zu schreiben. Aber man hat mich gefragt und ich fühlte, dass ich das tun müsste. Das war wie, als hätte der König mir den Befehl erteilt. Ich musste in "On the Transmigration of Souls" Emotionen auszudrücken, die gar nicht so sehr mit dem eigentlichen Geschehen zu tun hatten, aber mit plötzlichem Verlust. Das, worauf ich mich konzentriert habe, waren sehr intime Emotionen – was ein Sohn beim Verlust seines Vaters fühlt, oder ein Verliebter, der herausfindet, dass die Person, die er am Morgen noch gesehen hat, am Abend nicht mehr nach Hause kommen wird. Darum geht es in meinem Werk – nicht um Weltpolitik oder wer jetzt am Terrorismus Schuld ist.

Zitiert

Ist das Rondo nicht einfach nur Copy and Paste?

John Adams

Sie müssen aber, auch von Seiten der Angehörigen, unter einem gewissen Druck gestanden haben, oder?
Adams: Ja, aber ich bin es eigentlich gewohnt unter großem Druck zu arbeiten. Als ich damals meine Oper "Nixon in China" schrieb, war ich ein sehr junger Komponist. Und jeder wusste dann auf einmal von dieser Oper. Damit fing das schon an und ich habe gelernt, im starken Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu arbeiten.

Wie haben die Angehörigen bei der Uraufführung von "On the Transmigration of Souls" reagiert?
Adams: Also, ich war sehr nervös, vor allem, weil die Aufführung in New York statt fand. New York war durch die Anschläge tief traumatisiert und die meisten meiner Freunde leben in New York, mit denen habe ich jeden Tag gesprochen. Ein Stück zu schreiben, das sehr emotional ist, das den wunden Nerv einer Tragödie wie dieser trifft und es dann nach New York zu bringen – das hätte eine missverstandene oder sogar eine verletzende Geste sein können. Aber ich habe dann sehr anerkennende Reaktionen bekommen, auch von Angehörigen, die im Konzert waren. Und es ist ganz und gar kein einfaches Stück, eher ein sehr kompliziertes Stück, mit Vierteltönen, mit sehr großem Orchester, das zum größten Teil sehr ruhig ist, Lautsprecher, die das Publikum umgeben mit sehr ruhigem Klang von Verkehr, Stimmen, die von überall her kommen. Und jemand, der nicht gerade gewohnt ist, Charles Ives oder Stockhausen zu hören, würde wahrscheinlich nichts mit dem Stück anzufangen wissen.

Sie gehören heute zu einem der am meisten aufgeführten Komponisten der USA. Was denken Sie, hat Sie so weit gebracht, was fasziniert die Leute an Ihrer Musik?
Adams: Ich denke, das liegt daran, dass ich mich sehr ernst mit dem großen Abgrund zwischen Komponist und Zuhörer beschäftige, der nun, sagen wir seit Schönberg, existiert. Natürlich gab es so eine Kluft nie in der Populären Musik. Populärmusik basiert ja auf der Idee, dass das Publikum den Künstler liebt und der Künstler sein Publikum. Ich konnte nie den psychologischen Standpunkt der Avantgarde verstehen, der zu sein scheint: Leckt mich am Arsch! Irgendwie hatte Schönberg wirklich dieses "Leckt mich am Arsch" in seiner sehr komplizierten Persönlichkeit. Er wollte zwar ein so großes Publikum wie Strawinsky, aber er tat alles dafür, um sicher zu gehen, dass er das nicht erreichte. Ich selbst habe nun versucht, einen Werkkörper zu schaffen, der amerikanisch ist, der klassisch ist, der aber auch das Lebensgefühl seiner Zeit in sich trägt. So wie man einen Roman von Hemingway oder "On the Road" von Jack Kerouac liest, wo du fühlst, dass du ein Teil der Zeit und ihrer Empfindsamkeit bist. Ein Werk wie meine Oper "Nixon in China" ist einerseits zugänglich für den Zuhörer, andererseits behandelt es Themen aus unserem Leben, es geht um Kapitalismus, Kommunismus, Marktwirtschaft contra Sozialstaat. Es geht auch darum, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Wird man eine Frau wie die Frau Richard Nixons, die sich immer im Hintergrund hält, oder wird man wie die Ehefrau Maos, die sich in den Vordergrund drängt und das Ruder übernimmt.

Sind es also vor allem die Themen, die Ihre Musik zugänglich machen?
Adams: Nicht unbedingt die Themen. Sowieso haben ja die meisten meiner Stücke kein konkretes Thema. Meine Orchesterwerke werden gespielt, weil … ich weiß nicht, weil die Leute sie mögen.

Über Ihre Oper "The Death of Klinghoffer", die einen palästinensischen Terroranschlag auf ein Kreuzfahrtschiff Mitte der 80er dokumentiert, haben Sie einmal gesagt, sie sei kein politisches Werk.
Adams: Wissen Sie, das Wort ‚politisch‘ kommt aus dem Griechischen und bedeutet "Volk". Man könnte also zu diesem Wortursprung zurückkehren und sagen, alles was ‚politisch‘ genannt wird, hat mit den Menschen zu tun.

Aber ein Werk, in dem ein an den Rollstuhl gefesselter Jude von palästinensischen Terroristen getötet wird, hatten Sie da keine bestimmte Intention? Was wollen Sie mit so einem Werk dem Publikum vermitteln?
Adams: Mit "Klinghoffer"? Das kann ich nicht wirklich beantworten. Ich denke, ein Künstler hat nicht notwendigerweise ein moralisches Ziel. Ich sehe mich ja auch nicht als Politiker oder als ein religiöser Führer. Wenn ich ein religiöser Führer wäre, dann hätte ich ein Ziel, ich würde die Menschen verändern wollen, würde ihr Verhalten verändern wollen, dass sie aufhören Fleisch zu essen oder dass sie meinen Gott anbeten etc. Ich habe aber solche Ziele nicht. Ich denke, ich spiele in einem bestimmten Feld und in diesem Feld gibt es Themen und Arten des menschlichen Verhaltens. Ich erforsche dieses Feld, genauso wie es Shakespeare erforscht hat. Ich könnte mir nicht vorstellen, dass Shakespeare Ihre Frage anders beantwortet hätte, was er für ein Ziel hätte, was er den Leuten vermitteln wollte. Wir wollen die Menschen fühlen lassen – das ist das Einzige, was ich sagen kann. Man will, dass die Leute fühlen. Und was mich unglücklich machte in den Kritiken zu "Klinghoffer" waren solche Beobachtungen wie: "Oh, da hat er dem Terroristen eine schöne Melodie zum singen gegeben, er will uns also verleiten, Juden zu hassen". Das trifft mich sehr hart, weil ich nicht im geringsten versuche, so etwas zu machen. Ich versuche einfach nur zu verstehen, dass diese Terroristen Grund zur Klage hatten, sie hatten einen Grund, das zu tun, was sie getan haben – und was sie genauso heute tun.

Das Werk wurde in den USA nur einmal Anfang der 90er aufgeführt, erst im letzten Jahr ein zweites Mal. Hatte das politisch motivierte Gründe?
Adams: Ja, ich denke schon. Die Leute in den USA waren sehr nervös aufgrund dieser Oper, sie hatten Angst, dass sie Menschen verletzen könnte.

Sind Sie denn auch nervös in Anbetracht des Themas Ihrer nächsten Oper – die Atombombe?
Adams: Äh … nein.

In "Dr. Atomic" geht es um Edward Teller und Oppenheimer.
Adams: Ja, es geht um Wissenschaft, Moral – diese Wissenschaftler haben so hart gearbeitet, dabei waren sie auch noch sehr jung, es war eine große Herausforderung für sie, eine große intellektuelle Herausforderung. Und dann, eine Woche vor dem ersten Test haben sie realisiert, dass es tatsächlich passieren könnte. Da haben sie angefangen nachzudenken: was bedeutet dieses Instrument, diese furchtbare Waffe, die sie gemacht haben, wenn sie gegen Menschen eingesetzt wird? Da begann dann bei ihnen eine große Gewissenskrise. Und ein paar junge Wissenschaftler kamen damals zu Oppenheimer und haben ihn gebeten eine Petition zu unterschreiben, die im Weißen Haus eingereicht werden sollte und sich gegen die Anwendung der Waffe gegen Menschen aussprach. Das war natürlich sehr naiv, in einem Krieg, wo Milliarden ausgegeben wurden, für die Entwicklung einer Waffe. Sie haben damals, 1945, wirklich Milliarden ausgegeben für die Entwicklungen. Die haben ja ganze Städte erschaffen, Hanford-Washington, Los Alamos, Oak Ridge/Tenessee – für nichts anderes, als Plutonium zu produzieren, für diese zwei Bomben. Natürlich würde die Regierung dann auch Gebrauch davon machen.
Ich behandle da eine tief moralisches Frage und ich denke, gerade heute ist es die perfekte Zeit, so eine Oper aufzuführen. 60 Jahre danach, ja die Premiere könnte fast auf den Tag genau 60 Jahre danach sein. Und schauen wir uns doch mal an, wo wir heute sind mit Amerika, mit dieser neuen Politik: wir entscheiden, welches Land wir angreifen, es muss uns noch nicht einmal angegriffen haben, es reicht, wenn es eine ‚potentielle Gefahr‘ darstellt. Wir gehen los, werfen Bomben auf sie… Ich denke, diese Oper könnte die Leute etwas zum Nachdenken anregen.

Es wird also auch einen Kommentar zur heutigen US-Politik darin geben?
Adams: Ja, anders könnte ich mir das gar nicht vorstellen.

Sie haben bereits Ihre Oper "Nixon in China" erwähnt, Ihr erster, großer Durchbruch beim Publikum. Hat sich Nixon selbst die Oper einmal angesehen?
Adams: Nein. Er wusste natürlich davon, aber er hat nie eine Aufführung besucht. Ich bin mir aber sicher, dass er es sich dann im Fernsehen angeguckt hat. Ich weiß das, weil sein Anwalt ein großer Musik-Fan war, der auch selbst Jazz-Saxophon gespielt hat. Der kam zu einer Aufführung in New York und erzählte uns, dass Nixon über die Oper informiert war.

Aber getroffen haben Sie Nixon daraufhin nicht?
Adams: Nein. Das hätte ich auch nicht gewollt.

Gab es Reaktionen von ihm?
Adams: Von ihm? Nein. Aber sein Anwalt mochte das Stück sehr – das war aber auch ein ganz anderer Typ. Und was Nixon dazu gesagt hätte, wissen Sie, das interessiert mich eigentlich gar nicht. Weil es ist oft so, wenn man solche Leute trifft, dass die so ein Kunstwerk überhaupt nicht zu würdigen wissen. Nixon hätte mir wahrscheinlich nur gesagt: "Das war doch gar nicht so, ich habe auf der anderen Seite gesessen, Mao saß hier und ich saß da …".

Gäbe es noch einen anderen US-Präsidenten, der Protagonist einer neuen Oper von John Adams sein könnte?
Adams: Nein. Das habe ich nun einmal gemacht und es gibt doch so viele andere Dinge über die man schreiben kann.

Aber um einmal auf das Verhältnis von Politikern und klassischer Musik zu sprechen zu kommen, da gibt es zwischen Deutschland und den USA wohl einen grundlegenden Unterschied: hier werden die meisten Opern- und Konzerthäuser, sowie Orchester vom Staat finanziert, was in den USA ganz und gar nicht der Fall ist. Gehen US-Politiker zum Beispiel oft ins Konzert?
Adams: Nein. Und ich denke, auch wenn das schlimm ist, so etwas zu sagen: die meisten US-Politiker sind nicht besonders kultivierte Menschen, im künstlerischen Sinne. Und von den wenigen, die es vielleicht doch sind, wollen die meisten im Konzert gar nicht gesehen werden, weil sie denken, das ließe sie zu kultiviert aussehen, oder …. zu europäisch. Sie müssen verstehen, die erfolgreichsten Politiker in unserem Land, Leute wie Bill Clinton oder George W. Bush oder Reagan, das waren immer Leute, die zum einfachen Mann gesprochen haben. Ronald Reagan war so berühmt, weil er ein Cowboy war. So wie Arnold Schwarzenegger – und der ist jetzt mein Gouverneur.
Was Sie sagen, dass hier in Deutschland in ein Konzert von mir ein Kulturminister kommt – das wird mir in den USA nicht passieren. Gut, es kann sein, dass Rudolph Giuliani mal in die Met gegangen ist, wenn dort Puccini gespielt wurde – aber so etwas ist sehr selten. Ich denke sowieso, die meisten US-Politiker hören lieber Rock- oder Popmusik. Und Country.

Was Ihre Arbeit als Komponist anbelangt: haben Sie eine Art Verantwortungsgefühl, dem Publikum gegenüber?
Adams: Nein, so sehe ich das nicht. Dass ich kreativ bin, das gehört einfach zu meinem Organismus. Ich bin ein sehr ruheloser Mensch, ich werde unglücklich, wenn ich nichts zu tun habe. Ich reise viel, das ist auch gut, das ist eine Pause von meiner Arbeit – aber ich bin jederzeit bereit, mich wieder an meine Arbeit zu setzen. Das beglückt mich und das ist auch eine Art von Selbstverwirklichung, Kunst zu schaffen. Aber Verantwortung, soziale Verantwortung würde ich das nicht nennen. Natürlich finde ich es wunderbar, wenn es Leute gibt, denen meine Musik gefällt, die meine Musik berührt, die sie so mögen wie ich zum Beispiel Mahler oder Mozart mag. Ich fühle da aber keine Verantwortung. Ich erfahre hin und wieder große Anerkennung für meine Arbeit, und merke daran, dass meine Arbeit die Leute anspricht.

Sie haben aber – auch wenn das bereits länger zurück liegt – auch unterrichtet.
Adams: Oh ja, vor 25 Jahren etwa. Ich habe zehn Jahre lang unterrichtet, ich habe das auch sehr gemocht. Ich habe aber irgendwann verstanden, dass ich in dem Leben, das ich leben wollte, nicht genug Zeit hatte, um das fortzuführen. Ich dirigiere ja sehr gerne, ich reise viel. Ich habe auch heute noch ein paar Schüler, sehr junge, aber sehr talentierte. Ich lade sie manchmal ein, sie zeigen mir ihre Kompositionen und wir reden darüber. Aber das mache ich nur gelegentlich. Mich fragen natürlich viele Studenten, ob ich Sie unterrichten könnte, aber da sage ich meistens ab, weil ich dafür einfach keine Zeit habe.

Es ist wohl auch schwieriger geworden, in den USA ein anerkannter Komponist zu werden und davon leben zu können. Was ist das Wichtigste für einen jungen Nachwuchskomponisten?
Adams: Das sind verschiedene Dinge, am wichtigsten ist es meiner Meinung nach, einen guten Lehrer zu haben. Ich lebe zum Beispiel in Berkeley in Kalifornien, eine kleine Stadt, eine Universitätsstadt – übrigens auch die Stadt, wo Oppenheimer und Teller gelebt haben. Da gibt es eine Frau, ich glaube sie ist etwa 50 Jahre alt, die eine sehr engagierte Jazz-Lehrerin ist und eine Jazz-Schule gegründet. Ihre Leidenschaft und Hingabe zum Jazz hat dort eine ganze Jazz-Gemeinde entstehen lassen. Mein Sohn wird jetzt auch ein Jazz-Interpret, das wird wohl sein Leben prägen, weil er in dieser Umgebung aufgewachsen ist, er spielt mit den ganzen anderen Teenagern, die schon genauso gut spielen, perfekte Jazz-Musiker. Und das hat allein diese Lehrerin erreicht.
Das Problem in den USA ist aber, dass die Popmusik so dominant ist, da ist so viel Geld dahinter, Prestige, Öffentlichkeit, dass einem Kind in den USA der Beruf eines klassischen Musikers wohl nicht besonders cool erscheint. Das bedeutet viel Arbeit, viel Üben – und am Ende sehen die Kinder Konzerte, wo die Leute versteift dasitzen, entweder altmodische Musik gespielt wird oder eben zeitgenössische Musik die einfach ’scheiße‘ klingt – so hat das mein Sohn neulich gesagt. Natürlich spielen die Teenager dann lieber in einer Rockband. Ich hatte vor ein paar Jahren drei sehr talentierte Kompositions-Schüler zwischen 12 und 15 Jahren. Heute sind sie Anfang 20 – und alle spielen in Rockbands.

Was sagen Sie zu Crossover – ist das vielleicht eine ‚Lösung‘?
Adams: Das weiß ich nicht. Vielleicht ist die Zeit des großen klassischen Orchester ja bald vorbei. Oft denke ich, ich selbst bin eine winzig kleine Coda dieser schon fast vergangenen Zeit, einer großen Tradition, die in etwa mit Haydn begann und mit Messiaen endete. Aber vielleicht sind wir auch noch nicht am Ende, ich weiß es nicht.

Aber die Tradition des großen Orchesters, wird die aussterben?
Adams: Nein, das nicht, die Leute wollen ja immer große Orchestermusik hören.

Ich meine nicht so sehr von Seiten des Publikums, sondern von Seiten der Komponisten.
Adams: Wissen Sie, da will ich jetzt keine großen Vorhersagen machen. Die Technologie wird sicher noch einige Dinge verändern, vielleicht auch aufregender machen. Wer hätte um 1900 gedacht, dass Tonband, E-Gitarre und Synthesizer in der Zukunft existieren würden – so was kann man vorher nie wissen.

Eine letzte Frage: wenn die Welt ein einziges Orchester wäre, welches Instrument wären Sie?
Adams: Oh, das kann ich jetzt nicht beantworten.

Vielleicht ein Instrument im Schlagwerk?
Adams: Sie meinen wegen den Rhythmen in meiner Musik? Nein, das würde ich so nicht sehen, die Frage ist auch etwas komisch, weil ich denke, dass meine Musik sehr breit gefächert ist. Deswegen habe ich mich irgendwann auch vom Minimalismus entfernt. Minimalismus ist eine wunderbare Erfindung, aber ich fand, dass die Minimal Music-Komponisten irgendwann so eingeengt waren auf sehr kleinen Raum. Meine Musik ist glaube ich expressiver, jazzy, langsam, schnell, laut, sanft – all diese Unterschiede darin sind mir wichtig, ich will mich selbst nicht isolieren. Insofern würde ich mich bei Ihrer Frage auch nicht auf ein einziges Instrument beschränken wollen. Sorry.

Ein Kommentar zu “Ein Künstler hat nicht notwendigerweise ein moralisches Ziel.”

  1. Synapsenkitzler |

    der nächste Schritt

    So schliesst sich der Kreis.
    Nach dem ich nun alles von Steve Reich kenne, entdecke ich gerade John Adams, und finde dieses bemerkenswerte Interview.

    Antworten

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