Frau Thalbach, ich las kürzlich, Sie hätten als Kind dem Schauspieler-Beruf sehr skeptisch gegenübergestanden…
Thalbach: Nein, das stimmt so nicht. Den Schauspieler-Beruf habe ich immer sehr toll gefunden, ich bin ja auch mit Theater groß geworden, weil meine Mutter Schauspielerin war. Ich fand es immer wunderschön, was vor einer Kamera oder auf der Bühne stattfand, was mit Sprache, mit Spielen und mit Phantasiewelten zu tun hatte.
Ich war als Kind nur ein bisschen abgeschreckt von dem, was man so hinter der Bühne mitkriegt, was diese Konkurrenz-Kämpfe anbelangt. Diese Spielchen, die da gespielt werden. Wahrscheinlich ist das in allen Berufen so, aber ich habe es halt am Theater mitbekommen. Das war für mich so ein Widerspruch, dass auf der einen Seite so etwas Wunderschönes rauskommt, dass aber dahinter oft so hässliche Dinge passieren. Das hat mich damals ein bisschen abgeschreckt.
Inzwischen sind Sie Workaholic geworden.
Thalbach: Ja, gut, ich habe dann natürlich gemerkt, dass das auch von mir selbst abhängt. Dass man selbst auch ein bisschen bestimmen kann, was hinter der Bühne stattfindet, dass man nicht alle Spielchen mitmachen muss, sondern vielleicht auch seine eigenen Umgangsformen schafft. Und dadurch komme ich mit dem Beruf heute sehr gut klar.
Sie spielen in verschiedenen Theaterproduktionen, inszenieren selbst, drehen Filme…
Thalbach: Ja, eigentlich arbeite ich immer. Aber nicht gleichzeitig an verschiedenen Dingen, das könnte ich gar nicht. Das ist immer das eine Projekt, auf das ich mich konzentriere und danach kommt das nächste.
Es gibt wenig Zeit, wo Sie komplett von der Bühne verschwinden.
Thalbach: Ach, der letzte Monat war herrlich. Da hatte ich nur eine Filmpremiere und zwei Theater-Vorstellungen – das war ein sehr schöner Monat, wo ich nichts gemacht habe.
Darf man fragen, was Sie in der freien Zeit machen?
Thalbach: Nichts.
Sie sitzen zu Hause und gucken die Wand an.
Thalbach: Ja, so in etwa.
Bis es Sie wieder zurückzieht …
Thalbach: Ja, klar, irgendwann wird man unruhig und will wieder was machen, das kommt von ganz alleine.
Sie haben 1976 noch mit der DEFA einen Kinderfilm gedreht, danach finden sich aber erst seit kurzem mit „Räuber Hotzenplotz“, „Rumpelstilzchen“ und jetzt „Hände weg von Mississippi“ wieder Filme für Kinder in Ihrer Filmographie. Hat dieses jüngste Engagement einen besonderen Hintergrund?
Thalbach: Nein. Die Projekte waren da und Gott sei Dank haben die Regisseure mich gefragt.
Legen Sie denn besonderen Wert darauf, auch Filme für Kinder zu drehen?
Thalbach: Ich finde Kinderfilme wunderbar, denn wenn sie wirklich gut sind, dann gucken sich mehrere Generationen diese Filme an. Die haben ja eine lange Haltbarkeitsdauer. Ich hätte auch in den Jahren davor nichts dagegen gehabt, aber da hat es sich nicht ergeben.
Wie unterscheidet sich für Sie die Arbeit mit jungen und mit erwachsenen Schauspielern?
Thalbach: Das ist von Kind zu Kind verschieden. Es gibt Kinder, die haben wirklich Schwierigkeiten, sich auf einen Dreh einzulassen, mit den ganzen Wiederholungen und so. Bei „Hände weg von Mississippi“ war es auch sehr unterschiedlich, der eine Hauptdarsteller kam wirklich vom Dorf, der hatte noch nie etwas mit Film zu tun – und war ein großartiges Naturtalent. Für Zoë Mannhardt war es die erste Hauptrolle und der Alexander Seidel, der den Leo spielt, der ist ein absoluter Profi. Der hat schon so viele Filme gedreht. Also, die waren alle ganz unterschiedlich. Ich hatte jedenfalls kaum einen Drehtag ohne die Kinder.
Ist das dann eher ein kollegialer Umgang oder sind Sie am Set auch ein bisschen die fürsorgliche Mutter?
Thalbach: Beides. Wenn mir so war, hab ich sie auch angeschissen.
Gibt es etwas, was erwachsene Schauspieler besonders gut von jungen lernen können?
Thalbach: Die Kinder sind unbestechlicher. Man muss ihnen schon gute Argumente geben, warum sie etwas machen sollen.
Was sollen davon die Erwachsenen lernen?
Thalbach: Dass man sich nicht immer auf die Routine einlässt, sondern manchmal auch ein bisschen Anarchie mit ins Spiel bringt.
Kinder entdecken die Welt und dadurch sind sie viel neugieriger und unbestechlicher als wir Erwachsenen.
Gibt es das zu wenig beim Film?
Thalbach: Ich will das jetzt nicht verallgemeinern, aber bei den Kindern hat mir das gut gefallen. Wenn Zoë sagte: „Nee, das mache ich jetzt nicht, das ist unlogisch“ – dann hatte sie oft auch Recht. Und dann mussten Detlev Buck oder ich ran und bestimmte Dinge wirklich ändern oder gute Argumente finden, ihr das klar zu machen. Wir Erwachsenen sind da oft zu nachgiebig, nehmen Sachen einfach hin und sagen: „Ist ok. Mach ich.“
Spielen Sie für junge Zuschauer anders als für Erwachsene?
Thalbach: Nein. Ich bin gerade dann sehr stolz, wenn ich zum Beispiel einen Shakespeare so inszeniere, dass auch Kinder das mögen. Ich finde auch, dass Kinder strengere Zuschauer sind als die Erwachsenen.
Inwiefern?
Thalbach: Sie haben ein genaues Gefühl dafür, wann etwas interessant und spannend ist, und wann etwas langweilig ist. Dass hat ja auch Brecht geschrieben, dass er Kinder für das wertvollste Publikum hält. Und da hat er Recht. Weil Kinder die Welt entdecken und dadurch auf der einen Seite viel neugieriger sind als wir und auf der anderen Seite eben auch unbestechlicher. – Wenn sie nicht absolut versaut worden sind, was bei den vielfältigen Medien heute ja manchmal der Fall ist.
Versaut durch anspruchslose Unterhaltung?
Thalbach: Ja, das sicher auch. Ich finde vor allem diese ganzen Gewaltsachen wirklich gefährlich. Wenn jemand irgendwann nicht mehr richtig auseinanderhalten kann, was Realität ist und was nicht… Da finde ich es auch bedenklich und verantwortungslos, wenn die Medien nur noch auf den Verkauf gucken.
Wie sind Sie mit Medien aufgewachsen?
Thalbach: Als ich Kind war, da gab es zwei Fernsehprogramme und ein Kinobesuch war absolut aufregend und immer erschwinglich. Aber das war wirklich noch eine andere Zeit und ich will da jetzt auch gar nicht so viel drüber reden, die Zeiten verändern sich nun mal.
Aber wenn Sie es vergleichen?
Thalbach: Also ich weiß noch, eine nackte Frau, mein Gott, das war damals das Aufregendste von der Welt. Inzwischen kräht da kein Hahn mehr danach. Aber für mich sind es in erster Linie diese Gewaltgeschichten, die mir Angst machen. Immer dieses Recht des Stärkeren, das finde ich … gefährlich.
Was halten Sie von heutigen Produktionen für Kinder?
Thalbach: Das ist auch sehr unterschiedlich. Ich liebe zum Beispiel die „Sendung mit der Maus“. Die gucke ich immer noch gerne an. Aber dann gibt es natürlich… also meine Enkeltochter liebt diesen „Schwammkopf“ – ich schaue das andauernd mit ihr an, aber ich kann dem gar nichts abgewinnen. Aber Sie liebt das halt.
„Hände weg von Mississippi“ ist auch ein Stück weit ein Frauenfilm. Es geht um Pferde, am Ende triumphieren die Frauen… – Sie sind 1976 von Ost- nach West-Berlin übergesiedelt. Mich würde interessieren, wie Sie damals die unterschiedliche Stellung der Frau in der Gesellschaft in Ost und West wahrgenommen haben. Auch, was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie anbelangt.
Thalbach: Also, da hatten wir es in der DDR leichter. Ich habe das auch erst nicht so ganz verstanden, als ich in den Westen kam. Für uns war das ja normal, die Pflicht und das Recht auf Arbeit einerseits, auf der anderen Seite aber auch abgesichert sein. Gut, das war eines Tages nicht mehr bezahlbar, aber darüber haben wir damals nicht nachgedacht. Wir hatten eben unsere Krippen, unsere Kindergärten – for nothing. Wir waren automatisch krankgeschrieben, wenn unsere Kinder krank waren, ohne Angst haben zu müssen, den Job zu verlieren. Wir konnten wählen, ob wir nun ein ganzes Jahr gar nicht arbeiten und unsere Kinder zu Hause hüten, oder nicht. Deswegen war auch dieses Wort „Emanzipation“ für mich erst mal schwer zu verstehen, als ich dann im Westen war. Da bin ich einfach anders groß geworden.
Es war dann auch nicht einfach, für meine Tochter überhaupt einen Kindergartenplatz zu bekommen. Leider Gottes gab es keine Oma gab, weil meine Mutter sehr früh gestorben ist – das war schon hart. Das ist dann schon schwer für Frauen, alleine Kinder groß zu ziehen und gleichzeitig berufstätig sein zu müssen und zu wollen. Was auch immer mit einem schlechten Gewissen zu tun hat. Und nachdem heute die Großfamilien aussterben, kann ich wirklich ein Loblied auf die Omas singen. Ich selbst bin auch leidenschaftlich Oma.
Dieser Unterschied bei der Stellung der Frau in Ost und West, worin war der begründet? War es im Westen mehr das Patriarchat…
Thalbach: Das Patriarchat war im Sozialismus auch durchaus ausgeprägt. In der DDR ging das ja vielleicht noch, aber wären sie mal nach Polen oder Russland gegangen…
Immerhin gab es in der DDR die höchste Beschäftigungsquote für Frauen.
Thalbach: Es gab in der DDR auch die höchste Scheidungsrate. Und die ging größtenteils von den Weibern aus. Weil sie es sich leisten konnten. Die waren natürlich wesentlich selbstbestimmter als woanders. Und die sind ja glaube ich auch mit am tiefsten gefallen nach der Wende. Die tun mir wirklich leid. Die haben es echt schwer.
Ich finde es auch wirklich nicht verwunderlich, dass die Geburten heute so zurückgehen. Ich denke grundsätzlich, wenn sich in einer Gesellschaft alles nur noch um die Verkäuflichkeit dreht, es also nicht mehr in irgendeiner Weise eine Vorstellung davon gibt, wie man in einer Gesellschaft miteinander lebt, dann ist das sowohl für die Alten als auch für die ganz Jungen schwer. Das finde ich schon hart. Und traurig.
Aber wie sehen Sie heute die Emanzipation der Frau?
Thalbach: Es hat sich natürlich viel geändert, die ganze Gesellschaft ist ja ganz woanders hingegangen. Die Frauen haben es aber nach wie vor schwerer, davon bin ich überzeugt. Das hat einfach was mit dem Gebären zu tun und gleichzeitig mit der Emanzipation, dass man auch eigene, selbstformulierte Wünsche hat. Das war Gott sei dank nie ein Problem in meinem Leben…
Weil Sie es als Frau beim Film weniger schwer hatten?
Thalbach: Ach, ich kann da eh nicht klagen. Ich kann nur sagen: Dankeschön lieber Gott, oder zu wem auch immer, dass mein Leben einfach anders gelaufen ist.
Aber wenn ich mir zum Beispiel die Generation meiner Tochter angucke: das ist schon eine Generation, die es schwer hat. Das sind dann größtenteils wieder alleinerziehende Mütter… – also, die wirklich funktionierenden Familien in meinem Umfeld, die kann ich zählen.
Tut der Staat zu wenig?
Thalbach: Nicht nur der Staat, die ganze Gesellschaft. Es gibt zu wenig grundsätzliche Diskussionen, wie eine Gesellschaft aussehen sollte. Statt dessen geht es immer nur um kurzfristige Machbarkeiten. Und Bezahlbarkeiten. Es gibt einfach zu wenig Utopien. Und das finde ich so bedauerlich, dadurch geht so viel den Bach runter. Dann wird wieder kurzfristig irgendwo gekittet, aber am Ende geht es doch wieder nur um die Verkäuflichkeit.
Nun könnte es durchaus sein, dass zukünftig sowohl Deutschland als auch Frankreich und die USA von Frauen regiert werden. Glauben Sie, die Situation wird sich bessern, wenn Frauen an der Macht sind?
Thalbach: Das weiß ich nicht. Das ist ja keine wirkliche Macht. Die Macht sitzt woanders, im Kapital. Das bestimmt uns. Und da organisiert der Staat ein bisschen drum herum.
Dennoch die Frage: Glauben Sie, dass Frauen anders regieren? Mit mehr Menschlichkeit vielleicht?
Thalbach: Da müsste man dann in die Geschichte schauen. Queen Elisabeth I. hat schon sehr versucht, Kriege zu vermeiden. Und Queen Victoria, Zarin Elisabeth, Katharina de Medici, das waren auch sehr gute Haushälterinnen, die haben alle relativ lange regiert. Ich glaube, sie haben ihr Land eher wie einen Haushalt begriffen, auch mit etwas weniger Eitelkeiten, das kann durchaus sein. Aber wenn man sich dann eine Maggie Thatcher anschaut… – also, ich weiß es nicht genau. Wir werden sehen.