Herr Fiedler, noch acht Monate bis zur Bundestagswahl 2017. Fängt jetzt in der Wahlkampfphase der Politiker auch verstärkt die Zeit der Lügen an, um die Wähler für sich zu gewinnen?
Klaus Fiedler: Zunächst einmal muss die Politikerlüge von den plumpen und gemeinen Lügen abgegrenzt werden, bei denen man einem anderen Menschen in die Augen schaut und bewusst und absichtlich voller Eigennutz die Unwahrheit sagt. Würde ein Politiker nämlich auf diese Art und Weise lügen, bedeutete das mit Sicherheit das Ende seiner Karriere. Unter einer Politikerlüge verstehen wir die Versprechen und die Ankündigungen, die für den Wahlkampf und die darauf basierende Kampagne genutzt werden und die nicht der Wahrheit entsprechen oder einer Grundlage entbehren. Wenn man die Lüge eines Politikers in dieser Hinsicht definiert, kann man klar sagen, dass wir es jetzt, acht Monate vor der Bundestagswahl, mit einer unglaublichen Dichte solcher Lügen zu tun haben.
Gibt es Möglichkeiten, mit denen man die Lügen der Politiker entlarven kann?
Fiedler: Eine Lüge kann aufgedeckt werden, indem vor allem inhaltlich nachgehakt und Sachverhalte kritisch hinterfragt und überprüft werden. Wenn das aber nicht passiert, können Politiker vor einer Bundestagswahl wie jetzt in unbändigem Maße Versprechungen oder implizite Versprechungen machen, weil sie genau wissen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt nie evaluiert werden. Dann macht man es ihnen leicht, die Unwahrheit zu sagen. Das halte ich für problematisch und ist ungefähr so, als wenn man Eltern hat, die ihre Kinder zu anständigem Verhalten erziehen, doch das nie wirklich überprüfen.“
Zu welchen Konsequenzen führt das Ihrer Meinung nach?
Fiedler: Die Bevölkerung scheint kein Interesse daran zu haben, den Politiker mitsamt seinen Lügenkonstrukten zu überführen, denn auch wenn sich herausstellen sollte, dass ein Politiker plump gelogen hat, führt das zu keinen Konsequenzen im Wählerverhalten. Wenn es für einen Politiker also überhaupt keinen Grund dafür gibt, dass er sich seinen Satz zunächst einmal überlegt, bevor er ihn sagt, weil er zu keiner Rechenschaft gezwungen wird, begünstigen wir natürlich, dass die Politik sehr freigiebig ist mit Versprechungen und sich hierbei im Recht glaubt.
Die Verlockung, den Wähler-Auftrag zu vergessen, ist groß.
Lässt sich das zu der einfachen Formel zusammenfassen, dass letztendlich nur lügende Politiker diejenigen sind, die von den Bürgern gewählt werden? Wollen die Menschen vielleicht sogar angelogen werden?
Fiedler: Es ist nicht immer so, dass das, was der Wähler nicht hören will, die Wahrheit ist und dass das, was der Wähler hören will, eine Lüge erfordert. Ein Beispiel hierfür ist die Euro-Einführung, denn vor 15 Jahren gab es viele Wähler, die gerne die DM behalten hätten. Mit der Sicht auf die Dinge heute – vor allem nach der Eurokrise und den vielen Problemen, die die neue Währung neben allen Vorteilen mit sich gebracht hat – wäre eine offene und ehrlichere Kommunikation von den Politikern über die Konsequenzen dankbar angekommen und auch gewürdigt worden.
Woran liegt das?
Fiedler: Politiker fühlen sich häufig in erster Linie nicht den einzelnen Bürgern verpflichtet, die sie gewählt haben, sondern anderen Zielen und Partnern: Zum Beispiel der Großindustrie, Konzernen und internationalen Partnern. Die Verlockung, den politischen Wähler-Auftrag, den man hat, zu vergessen, ist also sehr groß. Es gibt allerdings auch Lügen, die durch sozial erwünschtes Verhalten motiviert sind, beispielsweise durch den Fraktionszwang oder der Zusammenarbeit an einem politischen Projekt.
Die Wahl Donald Trumps zum Präsident der USA löst weltweit Besorgnis aus. Wie kann es sein, dass ein Politiker, den man faktisch mehrfach der Lüge überführt hat, solch einen Erfolg einfährt?
Fiedler: Wahlkämpfe stellen eine Art Natur-Experiment dar. Im aktuellen amerikanischen Wahlkampf wurde so viel unter der Gürtellinie ausgeteilt – und zwar nicht nur von Trump – dass das Kriterium von Fairness und Ehrlichkeit einfach nicht mehr anwendbar war. Die US-Wahl ist ein schönes Beispiel dafür, dass es ganze Bereiche der Kultur gibt, in denen Lügen, falsche Anschuldigungen, Bluffs, und suggestive Anschuldigungen die Spielregel sind. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ein Kandidat, der sich in diesem Spiel immer ehrlich und aufrichtig verhält, sehr schnell als naiv und politisch untauglich abgestempelt würde. Es wird praktisch erwartet, dass man alle taktischen Mittel ausschöpft.
Sind wir hier in Deutschland gegen eine Wahl-Entscheidung wie in den USA, bei der ein lügender Politiker die Wähler auf seine Seite zieht, immun, oder kann uns das auch passieren?
Fiedler: Ja klar, oder wie war das mit Steuer-Senkungen und vielen anderen Wahl-Versprechen, die dann nicht eingehalten werden können, weil man ja für eine Koalition Zugeständnisse machen muss? Man kann so weit gehen und sich fragen, ob Koalitionen Politikern nicht immer als Alibi dafür dienen, damit sie ihre Wahlversprechen nicht einhalten müssen.
Sagen Politiker mehr als andere Berufsgruppen die Unwahrheit?
Fiedler: Politiker bilden eine prototypische Berufsgruppe, die von Berufs wegen sehr häufig von der Wahrheit abweicht, wobei ich betonen möchte, dass sie nicht die einzigen sind, die viel lügen. Sie sind jedoch Zwängen ausgesetzt, die die Öffentlichkeit oftmals gar nicht wahrnimmt, wie beispielsweise dem Fraktionszwang. Der Politiker kommt somit häufig in die Lage, dass eine Diskrepanz zwischen seiner persönlichen eigenen Meinung und Überzeugung entsteht und dem, wie er aus Fraktionszwang beim Abstimmverhalten oder wenn er eine Rede im Bundestag hält, handelt. Der Fraktionszwang gilt als solidarisch, der Politiker muss die Regeln einhalten und das heißt im Grunde genommen, er ist zum Lügen genötigt.
Sie sagen selbst, Politiker sind nicht die einzigen, die Berufs wegen viel lügen. Wer läuft den Politikern denn den Rang ab?
Fiedler: Hier sind in erster Linie Verkäufer zu nennen, wobei der Gebrauchtwagenhändler das klassische Beispiel ist. Er muss versuchen, den Gebrauchtwagen, der bereits Macken hat, zu verkaufen, indem er die Vorteile hervorhebt und spontan darüber redet, während er die Defizite und mögliche technische Einschränkungen unerwähnt lässt. Wenn der Käufer nicht selbst kritisch nachfragt, hat er Pech gehabt. Nehmen wir als weiteres Beispiel die Berufsgruppe der Ärzte. Selbstverständlich müssen Ärzte mit der Wahrheit sehr dosiert umgehen. Warum sollten sie einem Todkranken in aller Deutlichkeit sagen, dass er womöglich nur noch wenige Wochen zu leben hat? Warum soll der Arzt seinem Patienten, der an einer unheilbaren schweren Erkrankung leidet, nicht die Hoffnung lassen, dass er noch ein bisschen schön leben kann?
Sind Lügen grundsätzlich etwas Schlechtes?
Fiedler: Nein, die Mehrheit der Äußerungen, die von der Wahrheit abweichen, sind prosozial motiviert und haben etwas mit Taktgefühl und mit Rücksichtnahme auf andere zu tun. Nehmen wir das Flirten. Wenn wir jemanden beeindrucken und umgarnen wollen, tendieren wir auch dazu zu lügen, um die andere Person für uns zu gewinnen. Das Leben wäre ohne Flunkern, ohne Lüge, ohne Übertreibungen und erhöhte Formulierungen nicht denkbar. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn das Lügen nicht in allen Bereichen der Kultur gang und gebe wäre.
An welchen Merkmalen erkennt man, ob das Gegenüber lügt?
Fiedler: Das ist pauschal gesehen nicht leicht zu erkennen, auch wenn man in der Forschung sagt, dass man den Lügner an bestimmten Symptomen erkennen kann, beispielsweise an der Sprache. Ein Lügner nutzt oft die distanzierte dritte Person Singular oder Plural, während der, der die Wahrheit spricht, dazu tendiert, eher „Ich“ zu sagen und so Unmittelbarkeit herstellt. Auch die Körpersprache kann einen Lügner überführen. Dann nämlich, wenn er an seiner Kleidung herumnestelt und nervöse, nicht zur Kommunikation passende Bewegungen macht, an seinem Knopf dreht oder den Kuli immer wieder klicken lässt. Die Weite der Pupille oder die Blickzuwendung lässt laut Forschung ebenfalls erkennen, ob jemand die Wahrheit spricht, denn die Erweiterung der Pupille kann ein Zeichen von Aufregung und somit ein Indikator für eine Lüge sein. Trotzdem muss man sagen, dass die von mir genannten Beispiele alles lediglich Hinweise auf eine Lüge sein können – bewiesen ist damit allerdings noch nicht, dass das Gegenüber auch wirklich gelogen hat.
Kann man den lügenden Politiker in einer Debatte entlarven?
Fiedler: Das ist durchaus dann möglich, wenn die freie Rede unterbrochen wird und aus dem Monolog ein Dialog wird. Es entstehen unvorbereitete Momente, Gesprächssituationen, auf die sich der Lügner nicht vorbereiten konnte, so dass die Wahrscheinlichkeit wächst, jemanden beim Lügen zu ertappen. Verdächtig und ein klarer Index sind Sprechpausen, Versprecher und auch Widersprüche, die dann erst entstehen, ausweichende Antworten, die Vermeidung von faktischen Aussagen und das Ausweichen auf eine unkonkrete Ebene.
Können demnach politische Diskussionen, beispielsweise auf einem Podium oder im Fernsehen dazu führen, lügende Politiker zum Wackeln zu bringen?
Fiedler: Ja, das kann zum Beispiel im Fall einer Talkshow auch der Fernsehzuschauer ganz klar erkennen, denn es stinkt zum Himmel, wenn jemand nicht auf eine bestimmte Frage eingeht oder ausweicht. Je spontaner die Situation und je mehr unvorbereitete Momente, umso mehr Gelegenheiten ergeben sich, eine Lüge an kleinen Fehlern und Unachtsamkeiten zu erkennen. Wenn Politiker also nicht vorbereitet reden können, müssen sie spontan reagieren und man kann ihre Glaubhaftigkeit als Außenstehender besser beurteilen.
Verzeiht man Politikern Unwahrheiten eher als anderen Menschen?
Fiedler: Ja, das ist so, doch nicht aus Mitleid mit den Politikern. Vielmehr ist ein Grund hierfür, dass aufgrund unserer Schnelllebigkeit nicht auffällt, wenn ein Politiker zum Beispiel heute das eine sagt und in zwei Wochen das Gegenteil davon. Ich glaube daher, dem Politiker wird relativ leicht aus gedächtnispsychologischen Gründen verziehen. Politiker-Äußerungen werden heutzutage so schnell von Abertausenden neuen überlagert, dass die Menschen sich an die älteren Aussagen nicht mehr gut erinnern. Das kommt den Politikern natürlich sehr entgegen.
Haben sich die Lügen der Politiker im Laufe der vergangenen Jahre verändert?
Fiedler: Ich glaube tatsächlich, dass eine Veränderung stattgefunden hat. Früher gab es auch ausweichende Antworten. Heute spielt jedoch vermehrt eine große Rolle, dass ideologisch vorgegebene Ziele nicht hinterfragt und einfach durchgezogen werden. Persönliche Überzeugungen sind weitaus weniger wichtig geworden, man handelt instrumentell. Wir leben in einem Zeitgeist, in dem die Gehorsamszwänge viel stärker geworden sind.
Worin unterscheiden sich die zur Unwahrheit führenden Zwänge der Politiker heute von denjenigen, denen man früher ausgesetzt war?
Fiedler: Früher tat man sich schwer mit Entscheidungen, geriet schneller in Gewissenskonflikte, stand also inmitten eines Konflikts zwischen seiner eigenen Meinung, die von der Majorität abweicht, die nicht konformistisch ist und dem, wozu man sich gedrängt fühlt. Heute ist es so, dass die Politiker auch moralisch davon überzeugt sind, sie müssten sich übergeordneten Zielen, wie beispielsweise einem Fraktionszwang, unterordnen und instrumentell alles machen, um die Ziele durchzubringen. Wenn sie das machen, wird damit auch gleichzeitig die Lüge gerechtfertigt.
Es ist schon erschreckend zu sehen, wie ein Professor so leichtfertig mit dem Wort Lüge umgeht. Gerade die genannten Beispiele überzeugen unter historisch-politischer Perspektive überhaupt nicht. Es gab sicherlich einiges an Wunschdenken bei der Euro-Einführung, aber jetzt sich 20 Jahre später hinzustellen und zu sagen: ‚War ja klar, dass alle lügen‘, entspricht genau jenem Denken, dass am rechten Rand zunimmt.
Ist Herr Fiedler auch ein Lügner, wenn sich nach 20 jahren herausstellt, dass seine Uni-Abschlussarbeit nicht mehr ganz mit den neuesten Kenntnissen übereinstimmt und hier und da schlicht falsch oder übertrieben ist? Wie konnte er den Leuten solchen Unfug erzählen? Man sollte ihn vor ein Mikro zerren, und fragen, warum auf Seite 16 Fußnote 2 nun so formuliert und nicht anders. Wenn dann seine Stimme zittert, sein Auge wandert und er nicht sofort eine passende Antwort parat hat: Ganz klar, ein Lügner!
Schaut man historisch auf die Probleme, so sind viele Politiker-‚Lügen‘ schlicht und ergreifend Fehler, Unwissenheit, Wunschdenken, Missgeschicke, unerreichbare Absichten, persönliche Arroganz, mangelndes Fachwissen, Vereinfachungen – ganz menschliche Fehler, die in jeder Firma und in jedem Sozialgefüge passieren. Wer’s nicht glaubt, sollte sich einfach diverse ‚geheim‘ geflaggte Politikerkorrespondenzen vergangener Zeiten ansehen – klare Lügen sind oft die Ausnahme. Klar gibt es auch Lügen – aber bei weitem nicht so viele, wie viele Menschen (und anscheinend auch Herr Fiedler) leichtfertig unterstellen.
BBL, ich habe das Gefühl, dass sie den Text gar nicht richtig gelesen haben, geschweige ihn verstanden haben.
Ihre provozierenden Äusserungen sind falsch.
Wenn ein Politiker völlig unreflektiert (Zitat)
„Unwissenheit, Wunschdenken, Missgeschicke, unerreichbare Absichten, persönliche Arroganz, mangelndes Fachwissen, Vereinfachungen“
mit in seine Glaubenssätze und in seine Kommunikation bringt, dann ist dieser in solcher Position auf jeden Falle völlig unfähig. Ich würde ihn sogar als Lügner bezeichen, denn ich erwarte von einem gebildeten Menschen in einer verantwortungsvollen Position, dass er sich selbst reflektiert, bevor er sich zu einem Thema auslässt, von dem er selbst weiß, dass er eventuell keine Ahnung hat. Dass gerade Menschen mit wenig Kompetenzen sich darin selbst maßlos und arrogant überschätzen, ist jetzt kein Grund, das als „Fehler“ abzutun. Es ist und bleibt im Grunde eine Lüge, so etwas ist gesellschaftlich nicht hinnehmbar und das hat auch Herr Fiedler so beschrieben.
Das was sie also herzergreifend „Fehler“ nennen, nenne ich in einer solchen verantwortungsvollen Position katastrophal.
Man sollte da bitte noch unterschiede machen. Damit will ich nicht sagen, dass schwere Fehler gar nie passieren.
Ich will damit sagen, sie dürften eigentlich nicht passieren und es muss ein Kontrollinstrument geben, um grobe Fehler auszuschließen. Gerade in der Wissenschaft gibt es dieses Instrument durch Veröffentlichungen schon einmal. Daher halte ich es für absurd, heute Herrn Fiedler zynisch eine „Lüge“ zu unterstellen, nur weil er sich in der Vergangenheit aus Ihrer Sicht vielleicht vertan haben könnte.
Das wäre ihm schon längst um die Ohren gehauen worden.
Sobald Ideologien und Populismus ins Spiel kommen, wird es aber schwieriger mit dem Kontrollinstrument. Man kann sich als Unwissender heute auch Kreise suchen, in denen Wissenschaft, Bildung und Aufklärung sowieso nicht so im Vordergrund stehen, wo ein solches Kontrollinstrument dann auch schnell versagen wird. Dann wird es mit der Wahrheit eh nicht mehr so genau genommen. Das ist dann der Hort dieser steilen verschwörungstheoretischen Thesen, die sich argumentativ selbst immunisieren. Die haben in unserer Zeit leider Hochkonjunktur.
Wenn eine Merkel sagt: „mit mir wird es keine Maut geben“, dann ist das aber genau so eine sogenannte „Politikerlüge“, von der Herr Fiedler sprach: der Fraktionszwang wird der persönlichen Meinung heute legal übergeordnet. So entstehen Widersprüche, welche aber heute als solche anerkannt und geduldet sind, weil halt der „Fraktionszwang“ heute gerne immer im Vordergrund steht.
Das kann aber dazu führen, dass Politiker dazu neigen können, mehr zu lügen, weil sie sich eben später prima dahinter verstecken können.
Der „Fraktionszwang“ ist in der B-DDR eindeutig illegal (Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG). Deshalb ist dies hier nur belangloses Gewäsch.