Herr Haussmann, sowohl in Ihrem letzten Film "Herr Lehmann" als nun auch in "NVA" haben Sie die Hauptrolle mit einem Debütanten besetzt. Macht das für Sie einen bestimmten Reiz aus?
Haussmann: Meine Geschichten sind ja immer etwas undramatische, alltägliche Geschichten, wo sich so ein paar Gammler durch eine Geschichte gammeln. Dafür brauche ich Leute, die so sind, wie du und ich. Das sind sie natürlich immer nur, solange sie nicht wirklich bekannt sind, solange kann man sich noch mit ihnen identifizieren. Weil sonst wird daraus für den Zuschauer schnell dieses "den-Stars-bei-der-Arbeit-zugucken".
Ein Star war Kim Frank, der den Henrik spielt, allerdings schon.
Haussmann: Ja, aber auf einem anderen Gebiet. Er hat schon eine Biografie, was ich auch ganz interessant finde. Für mich sah das auf einmal so aus wie: "Der Sänger von "Echt" muss jetzt zur Armee." Das finde ich in Ordnung, ich musste schließlich auch zur Armee. Er wird da nun reingeworfen und muss sich genauso orientieren wie wir damals – und dabei kann man ihn beobachten, wie er langsam zum Soldaten wird. Aber er tritt nicht als Schauspieler an, sondern er ist immer noch für viele Kim Frank. Er hat auch diesen romantischen, zerbrechlichen, diesen letzten Endes auch vollkommen unschauspielerischen Gestus drauf.
Verfolgen Sie denn als Regisseur mitunter auch den Gedanken solch einen ungelernten Schauspieler während der Arbeit ein wenig zu ‚formen‘?
Haussmann: Also, dazu muss man wissen, dass es nicht so ist, dass man jemanden für eine Rolle castet und am nächsten Tag beginnt der Dreh. Kim Frank hat vor dem ersten Drehtag 10 Castings gemacht. Das sind dann allerdings keine Auswahl-Castings mehr, sondern da wird derjenige bereits ausgebildet. Mit ihm zusammen wird die Figur entworfen, das heißt also nicht, dass er nur geformt wird, sondern er formt genauso auch die Figur. Deshalb hat die Figur des Henrik auch sehr viel mit dem Typus zu tun, den Kim Frank dort mitreingerbacht hat. Und oft kann sich meine Fantasie an so jemandem viel mehr entzünden, als an einem Schauspieler, den ich schon oft gesehen habe.
Andererseits finden sich in "NVA" auch eine Reihe Schauspieler, mit denen Sie bereits zusammengearbeitet haben.
Haussmann: Das ist dann die sichere Bank. Durch diese werden die Neuen mitgezogen und eingebettet. Außerdem arbeite ich immer gerne nicht nur mit guten Schauspielern sondern auch gerne mit guten Freunden zusammen. Das sind dann meistens auch Lebensfreunde, mit denen ich schon viel gemacht habe, mit denen mich einiges verbindet, mit denen man offen sprechen kann und wo der Druck am Set, durch Freundschaft, durch ein persönliches Miteinander rausgenommen wird.
Wenn man einen Komödie über die NVA dreht, wirft das natürlich die Frage auf: wie lustig war es denn wirklich in der NVA? Sie haben ja selbst 18 Monate lang gedient.
Haussmann: Also, natürlich war es nicht lustig. Wobei, von außen betrachtet, in der Erinnerung, ist es das schon. Und um Dinge für die Zukunft zu verhindern, benutze ich das Mittel der Lächerlichmachung. Ich kann einen Offizier, ausgestattet mit den Insignien der Macht, der dir praktisch alles befehlen kann, was er von dir will – den kann ich nicht ernst nehmen. So ein Offizier ist für mich der kleine Zauberer von OZ, das kleine Männchen an den großen Hebeln. Und zurzeit fällt mir kein anderes Mittel ein, als das lustig darzustellen. Ich denke auch, dass das die einzige Möglichkeit ist, Leute für dieses Thema zu interessieren. An sich wissen wir ja alle, dass Armee scheiße ist. Und überall ist es genauso scheiße wie in der NVA, da nehmen sich die Armeen dieser Welt nichts. Nur, es gibt die NVA nicht mehr, da muss ich keine Schlachten mehr gewinnen, die schon gekämpft sind.
Für mich sind die NVA und die DDR heute Kunsträume, vergleichbar vielleicht mit dem Wilden Westen. Wir wissen ja, dass der Wilde Westen so nicht war, wie er uns gezeigt wird – ganz im Gegenteil, der war um einiges brutaler, böser und expansionistischer als die DDR jemals sein konnte, das war ein großes Völkermorden. Und trotzdem ist der Wilde Westen für uns ja ein herrlicher Kunstraum, für Klischees, für Geschichten, die wir immer wieder gerne hören. Und die DDR eignet sich natürlich hervorragend für einen poppigen Raum.
Aber nun haben Sie ja selbst lange Zeit in diesem "Kunstraum" gelebt. Insofern haben Sie in NVA sicher auch Autobiografisches eingebracht.
Haussmann: Ja, damit halte ich ja auch nicht hinterm Berg. Aber gerade deswegen darf ich ja eine Komödie drüber machen – ich habe es ja erlebt. Und was meine Zeit in dem Staat DDR anbelangt, da bin ich der Letzte, der darüber positiv berichten müsste, sollte, könnte. Aber wenn wir übers Filmemachen reden, muss ich sagen, mir fällt nichts anderes ein, als es komödiantisch darzustellen. Ich kann einfach nur darüber lachen. Sicher auch aus der Perspektive heraus, dass mir an Leib und Seele nicht wirklich etwas passiert ist. Ich will natürlich die anderen schlimmen Dinge, die in diesem System passiert sind, nicht ignorieren. Nur, davon erzähle ich nichts, das lasse ich bewusst aus, weil natürlich die Foltern, die Inhaftierungen und nicht zuletzt auch die Toten an der Mauer nicht lustig sind. Die gehören auch nicht in eine Komödie.
In einem Interview haben Sie einmal gesagt, mit dem Zusammenbruch der DDR wären auch sämtliche Ideale weggebrochen…
Haussmann: …und das nicht nur in der DDR, sondern überhaupt die Ideale der sozialistischen Staatengemeinde. Das sollte immer die Alternative zum Kapitalismus sein, eine bessere Gesellschaft sollte geschaffen werden… Das war mir schon immer suspekt und ich habe das auch nicht geglaubt. Aber immerhin gab es dieses Ideal, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, mit Volkseigentum an Produktionsmitteln, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Nur ist man beim Durchsetzen dieser alten Ideale der französischen Revolution in der Praxis massiv gescheitert. In der Theorie gibt es so ein Ideal meines Erachtens noch, viele junge Menschen denken links und denken in Idealen. Aber dadurch, dass das in der Praxis gescheitert ist, hat man damit heute natürlich einen sehr schweren Stand.
Würden Sie denn sagen, in "NVA" geht es um diese Ideale?
Haussmann: Das Hauptthema von "NVA" ist eher die Mittelmäßigkeit, diese Schrebergartenmentalität. Da geht ein großer Gedanke, für den Menschen schon in der Oktoberrevolution ihr Leben gelassen haben, zugrunde in so einem Schrebergartensystem. Das hat schon auch eine gewisse Tragik.
Der eher zarte Henrik freundet sich im Film mit dem etwas ruppigen Krüger an. Welchem der beiden waren Sie damals ähnlicher?
Haussmann: Beiden ein bisschen. Ich war natürlich vernünftiger und klüger als der Henrik, nicht so ängstlich und auch mehr ironienbehaftet. Ich habe aber, wie der Henrik, sehr viele Briefe geschrieben und mich in diesen Briefen ausgelebt. Und ich habe versucht mich mit Musikhören bei Laune zu halten, habe versucht mich ein bisschen wegzuträumen aus dieser merkwürdigen Realität, in der man war. Auf der anderen Seite war ich aber sehr cholerisch und sozusagen in der Lage mir selbst zu schaden, wie es dann bei Krüger in manchen Szenen der Fall ist.
Und heute, welche Eigenschaften prägen Sie heute als Regisseur, wie sehen Sie sich am Set? Sind Sie aufbrausend, streng…
Haussmann: Ich bin im Theater aufbrausender, weil im Theater ist alles mehr auf den Regisseur abgestellt. Und es ist Tradition, dass man da brüllt, das gehört praktisch zum Berufsbild des Theaterregisseurs dazu, das ist das Erste, was man nach drei Tagen Regie-Ausbildung gelernt hat.
Beim Film ist es einfach Team-Arbeit und du bist immens angewiesen auf andere, auf den Kameramann, auch auf den Regie-Assistenten, der eine viel verantwortungsvollere Aufgabe hat als am Theater, der praktisch das ganze Set organisiert. Und mit Schreien kommst du beim Film einfach überhaupt nicht weiter. Ich höre immer von Regisseuren, die am Set schreien… Ich versuche das zu vermeiden und ich bin am Set eigentlich immer sehr glücklich, weil ich so viele Leute sehe, die wahnsinnig motiviert arbeiten.
Während Henrik einer Angebeten Briefe schreibt, versucht Krüger es mit Kontaktanzeigen. Wie sahen denn in der DDR diese Kontaktanzeigen aus?
Haussmann: Also, es gab die Zeitung "Das Neue Leben", das war so ein Jugendmagazin und da waren hinten Kontakt-Anzeigen drin, die hatten immer vier Punkte: Interessen, Geschlecht, Größe, und noch was. Bei 1 stand dann meistens "Lesen" usw. Ja, und dann kam es vor, dass du eben ganz viel Post gekriegt hast, wie im Film der Krüger.
Sie auch.
Haussmann: Nein, ich habe so etwas nicht gemacht. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich nicht bei den Landsern war, sondern bei der Marine…
Da war es dann schwieriger mit der Post.
Haussmann: Nein, da war es einfacher mit den Mädchen. Ich war ja nicht auf dem Schiff sondern an Land, in Warnemünde, Hohe Düne. Wir hatten alle diese weißen Hemden an und die blauen Hosen, also keine typische NVA-Uniform. Wir sahen aus wie bundesdeutsche Matrosen, wie Matrosen dieser Welt. Und wenn Touristinnen da waren, ist man halt rausgegangen…. Und das war denen doch egal ob wir bei der NVA waren. Wir waren Matrosen, wir gehörten zum Stadtbild dieser Hafenstadt und da war das alles ein bisschen einfacher.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur sind Sie?
Haussmann: Es gab in der DDR ja einen Comic und ich war und bin immer noch ein begeisterter Sammler dieser Serie: das waren die Mosaiks mit den Digedags. Und ich wäre gerne der Digedag selbst gewesen. Der war praktisch der Führer von den anderen zwei, von Dig und Dag. Erst mal waren die unsterblich, was natürlich einen bestimmten Reiz hatte. Aber die waren nicht nur unsterblich, sondern die konnten praktisch von einer Zeit in die andere reisen. Mal waren sie in der Ritterzeit, später waren sie in der Western-Zeit, dann reisen sie durchs alte Rom, fliegen dann mit einem Raumschiff in die Zukunft…
Und der Digedag war der Schlaueste von den dreien, der wurde dann glaube ich auch über 200 Hefte lang gesucht, weil der verschollen war. Er war aber inzwischen in China gelandet, als chinesischer Gesandter…. Wenn wir als Kinder Digedags gespielt haben, dann wollte ich jedenfalls immer Digedag sein.
Also sind Sie schon früh in die Anführerrolle geschlüpft… die Sie heute als Regisseur eines Films einnehmen.
Haussmann: Ja, möglicherweise liegt dort eben alles da begründet, wie die Psychologen schon sagen – in der Kindheit.