Marcel Ostertag

Schnelles Shoppen und Wegwerfen finde ich grauenvoll.

Der Münchner Modedesigner Marcel Ostertag spricht im Interview über seine kommende Winterkollektion, den Erfolg von Primark, Mode-Blogger, sein Talent als Modelscout und warum er nur für Frauen schneidert.

Marcel Ostertag

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Herr Ostertag, wie sehen Sie den Sommer 2015 in Bezug auf die Mode?
Marcel Ostertag: Im Sommer bin ich ein Fan von fließenden Stoffen, etwas Seide und Chiffon, gerne auch mit Farbe und Prints. Das schmeichelt sowohl den schlanken als auch den etwas festeren Mädchen. In meiner Sommerkollektion „Bohemian Rhapsody“ haben wir viele Drucke miteinander kombiniert und ganz stark auf Signalfarben gesetzt. Das Thema meiner Winterkollektion (2015/16) ist „Lava“, da wird es also feurig mit vielen Rottönen und Steinfarben. Wir haben zum Beispiel Bilder von fließenden Lavaströmen und explodierenden Vulkanen auf Seide gedruckt. Außerdem haben wir zum ersten Mal eine Strickkollektion entwickelt, die auch in Deutschland produziert wird. Was in keiner Saison fehlen darf, ist ein klassischer Trenchcoat. Den kann man sich sowohl tagsüber drüber schmeißen als auch abends über dem kleinen Schwarzen tragen.

Was hat Sie zum Lava-Thema inspiriert?
Ostertag: An einem „lazy sunday“ kam auf 3Sat eine spannende Reportage über Vulkane, die ich mir von Anfang bis Ende reingezogen habe. Danach hatte ich dann die Idee: Wenn es einem gelingen würde, Vulkanausbrüche und Lavaströme auf Seide zu drucken, wenn die ganze Farbigkeit funktioniert und das wirklich echt wirkt, dann wäre das eine extrem coole Nummer und ein super Print.

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Sie haben zuerst in München studiert und sind dann nach London gewechselt. Kann sich die deutsche Mode im internationalen Vergleich behaupten?
Ostertag: Ich glaube, dass wir in Deutschland sehr viel Potenzial und viele tolle Labels haben, allerdings passiert in der Förderung sehr wenig. In Deutschland wird in alles investiert, nur nicht in die Mode. Gerade die Designer in London oder Paris werden viel mehr vom Staat unterstützt, sodass sie schnell durchstarten können. Was das Design angeht, können wir aber mit den anderen Ländern mithalten.

Wer ist Ihr wichtigster Berater?
Ostertag: Ich tausche mich natürlich regelmäßig mit meinem Management aus und wenn es an eine neue Kollektion geht, arbeite ich ganz eng mit meinem Team zusammen. Mit denen bespreche ich dann, was schnitttechnisch überhaupt möglich ist und wie man das alles umsetzen kann. Sonst sind es eigentlich eher Reisen, die mich inspirieren. Eine fremde Stadt, die Menschen, Ausstellungen, Subkulturen, Musik, Bücher oder – wie erwähnt – ein explodierender Vulkan. (grinst)

Beim kreativen Prozess sind Sie erstmal allein und autonom?
Ostertag: Ich muss meine Gedanken zunächst zu Papier bringen, bevor ich davon erzählen kann. Es gibt viele Leute, die sich nichts darunter vorstellen können, wenn ich da irgendeine Story von Vulkanen erzähle. Also brauche ich erstmal ein bisschen Ruhe und dann bringe ich meine Entwürfe auch meistens in einem Rutsch, in ein oder zwei Schaffenstagen aufs Papier.

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In Deutschland wird in alles investiert, nur nicht in die Mode.

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Sie haben der Männermode den Rücken gekehrt, weil der Mann Ihrer Ansicht nach der schwierigere Kunde ist und Ihnen die Klientel für Ihre Männermode in Deutschland fehlt. Ist dies Männermode für Sie ganz ad acta gelegt?
Ostertag: Es juckt mich immer noch in den Fingern, aber ich bin gerade noch nicht bereit dazu. Das dauert noch.

Warum noch nicht bereit?
Ostertag: Weil eine Männerkollektion nochmal genauso viel Zeit brauchen würde wie meine Frauenkollektion, mit der ich schon so ausgelastet bin. Ich wüsste einfach nicht, wie ich das stemmen sollte. Um beide Kollektionen unter einen Hut zu bekommen, müsste man nochmal alles neu organisieren und umstrukturieren. Dafür habe ich gerade einfach keine Zeit, da brauche ich noch ein paar Jahre.

Kann man Ihrer Ansicht nach an einem Entwurf erkennen, ob er von einem männlichen oder einem weiblichen Designer erschaffen wurde?
Ostertag: Nein, ich glaube nicht. Wenn man sich einen alten Gianni Versace anschaut, dann war das natürlich sehr sexy, gerade die Kollektion mit den Sicherheitsnadeln. Aber Donatella hat das super aufgegriffen und kann genauso sinnliche und weibliche Mode erschaffen, wie ihr Bruder. Das ist einfach eine Einstellung des Labels. Hinter jeder tollen Marke kann sowohl eine Frau, als auch ein Mann als Designer stecken.

Sie haben vor zwei Jahren ein Model an der Lidl-Kasse entdeckt. Haben Sie immer so einen wachen Modelblick?
Ostertag: Das kann schon passieren. In Nürnberg habe ich neulich auch ein ganz tolles Mädchen angesprochen, das vor einem Laden gewartet hat und die läuft jetzt für meine Show. Ich bin nicht auf der Suche und auch kein Modelscout, aber wenn mir jemand Spezielles begegnet, dann bin ich so dreist und spreche die Person einfach an.

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Was haben Sie für eine Beziehung zu Ihren Models?
Ostertag: Mit manchen eine sehr innige und freundschaftliche Beziehung. Es sind ein paar Mädchen dabei, die laufen bereits seit der ersten Show für mich und die ist ja jetzt schon ein Weilchen her. Das fühlt sich dann backstage beinahe ein bisschen wie Familie an.

Wie würden Sie Ihren Modelgeschmack beschreiben?
Ostertag: Ich stehe auf alles was Charakter und Charme hat und diese Mädchen haben mich einfach von Anfang an überzeugt und das tun sie auch heute noch. Ich brauche keine 20 Bohnenstangen, die alle gleich aussehen. Ich will Charakter in den Gesichtern meiner Mädchen.

Ist der Applaus nach der Show ein guter Gradmesser für den Erfolg der Kollektion?
Ostertag: Der Applaus nach der Show ist in erster Linie die Wertschätzung, die ich für ein halbes Jahr Arbeit bekomme. Wenn der lau ausfallen würde, würde mich das glaube ich schon ein bisschen kränken. Für den Erfolg der Kollektion ist er aber kein Gradmesser. Es kommt ja darauf an, was die Boutiquen für Teile ordern. Das heißt, es kann auch passieren, dass das Teil, was mir auf dem Laufsteg am besten gefallen hat, überhaupt nicht produziert wird, weil es keiner bestellt.

In Interviews haben Sie immer wieder betont wie wichtig es Ihnen ist, dass alles in Ihrer Kollektion „Made in Germany“ ist. Warum?
Ostertag: Es ist gut für unser Land und es macht mir Spaß hier zu produzieren. Natürlich ist alles ein bisschen teurer, aber dafür kann man sich auch der Qualität sicher sein. Außerdem bin ich jemand, der gerne kontrolliert und auch öfters mal in die Produktionsstätte flitzt.

Worauf kommt es Ihnen bei der Produktion sonst noch an?
Ostertag: Ich mag Familienbetriebe und es ist mir sehr wichtig zu merken, dass die Leute Bock darauf haben. Die meisten Produktionsstätten produzieren heute nur noch T-Shirts oder schlichte Kleidung, weil alles andere mehr Arbeit macht. Ich suche Leute, die noch gerne Dinge herstellen, für die man ein bisschen mehr ins Detail gehen muss.

In Deutschland hat in den letzten Jahren das Unternehmen Primark 17 Filialen eröffnet, der Kundenandrang ist groß. Was sagen Sie aus Designer- und Produzentensicht dazu, dass sich ein Großteil der Konsumenten offenbar sehr wenig Gedanken über Aspekte wie Nachhaltigkeit und Arbeitsbedingungen macht?
Ostertag: Ich bin ein Mensch der Verbindlichkeit. Dieses schnelle Shoppen und immer wieder wegwerfen finde ich grauenvoll. Ich war auch noch nie bei Primark. Sicher habe ich mir auch schon mal ein Basic-Teil bei H&M gekauft, aber grundsätzlich bin ich gegen diese Wegwerfgesellschaft. Da kauft man sich doch lieber ein teureres Teil, an dem man dann Jahre später noch etwas hat. Ich weiß, dass sich die Jugend die teuren Sachen nicht leisten kann, aber man findet auf jedem Flohmarkt und in jedem Vintage-Laden coolere Sachen als in diesen Stores. Und dank der vielen tollen Filme, die in letzter Zeit im Internet kursieren, weiß man ja jetzt auch, welche Zustände in diesen Produktionsstätten herrschen. So etwas möchte ich bei mir auf keinen Fall.

Sie haben in einem Interview 2013 gemeint, dass Sie die ganzen Blogger, die „Lieschen Müllers ohne Ahnung von Mode“, nicht alle in Ihre Shows lassen. Hat sich Ihre Meinung da inzwischen geändert?
Ostertag: Nein. Es gibt wirklich tolle Blogs, hinter denen Menschen stehen, die super Looks erschaffen und tolle Bilder posten, aber auf der anderen Seite gibt es auch welche, die keine Ahnung von Tuten und Blasen haben. Ich finde sowas schwierig, weil diese Blogs auch mit den ganzen Onlinemagazinen konkurrieren, für die ausgebildete Redakteure arbeiten. Wenn Leute, die keine Ahnung haben, Kollektionen schlecht machen oder Kommentare schreiben, die überhaupt nicht zum Thema passen, dann nervt mich das. Ein Paradebeispiel: Auf einer meiner Shows trug ich mal einen United Nude-Schuh und zwei Bloggerinnen zerrissen sich später das Maul darüber, ob es denn wirklich nötig gewesen wäre, High Heels von Martin Margiela zu tragen. Da kann ich nur sagen: Mädchen, da müsst ihr einfach besser recherchieren. Mittlerweile habe ich zum Glück gar keine Zeit mehr dafür, mich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Ich wünsche denen allen wirklich viel Glück, aber es muss heute nicht jeder Zweite Blogger werden, es gibt auch noch richtige Jobs.

[Das Interview entstand im Januar 2015.]

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