Markus Lanz

Eine Reise zu den eigenen Dämonen.

TV-Moderator Markus Lanz über seine Grönlandbesuche, die Anpassung ans Eis und Halluzinationen

Markus Lanz

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Herr Lanz, stellen Sie sich vor, Sie wären im Reisebüro und Sie – als Reiseleiter – wollten einem typischen Mallorca-Urlauber eine Fahrt in die Kälte verkaufen. Wie überzeugen Sie ihn?
Lanz: Will er diese Reise denn wirklich machen?

Noch ist er auf dem Balearen-Trip.
Lanz: Dann werde ich auch nicht versuchen, ihn davon abzuhalten. Ich würde sagen: Fahren Sie auf die Balearen, und auch die Kanaren haben viel Schönes. Denn Kälte muss man schon auch wollen. Würde ich ihn einfach so dorthin schicken, würde er mich vermutlich für den Rest seines Lebens verfluchen.

Und wenn er doch ein wenig abenteuerlustig ist?
Lanz: … würde ich ihm erzählen, dass es großartig sein kann, mal abseits der großen Touristenströme unterwegs zu sein. Und dann würde ich ihn noch fragen: Hätten Sie Lust auf einen Sonnenuntergang, der fünf Stunden dauert?

Bestimmt.
Lanz: Ja, dann würde ich ihm eine Reise nach Grönland verkaufen. Oder nach Nordkanada. Oder nach Alaska. Oder nach Lappland. Auf jeden Fall würde ich ihn in ein Gebiet nördlich des Polarkreises schicken. Da haben Sonnenuntergänge Farben, die sind einmalig!

Für eine solche Reise braucht man aber sicher noch ein bisschen mehr als nur Abenteuerlust. Welche Eigenschaften muss man mitbringen, welche vor der Reise besser noch ablegen?
Lanz: Sie müssen bereit sein, Ihre Vorstellung von einem mitteleuropäischen Klo abzulegen. Außerdem müssen Sie bereit sein, Ihre Komfortzone zu verlassen und auch mal ein bisschen zu leiden. Dafür kriegen Sie dann aber ja den Sonnenuntergang und faszinierende, fast unwirklich erscheinende Landschaften und Farben, die Sie in Ihrem Leben noch nicht gesehen haben. Sie werden zum Beispiel erfahren, dass es zwischen dunklem und weißem Schnee noch unglaublich viele Schattierungen gibt. 

Sie haben mal gescherzt: „Fragen Sie mich nach elenden Orten – ich kenne Sie alle.“ Wann haben Sie angefangen, sich für diese Orte zu interessieren?
Lanz: Vor fünfzehn Jahren bin ich das erste Mal nach Grönland gereist und habe mich damals einfach in das Land verliebt. Diese Zuneigung hielt an, wurde sogar intensiver. Wenn man einmal da war, ruft einen die Arktis immer wieder zurück. Und damit meine ich auch Nordalaska, Nordkanada. Wunderschön ist es da.

Konnten Sie die Stille und Weite in Grönland schon bei Ihrem ersten Besuch genießen? Viele Menschen müssen sich daran ja erst mal gewöhnen.
Lanz: Man muss einen Sinn dafür haben. Wenn Sie gerne am Ballermann feiern, haben Sie in Grönland eher weniger verloren. Wenn Sie aber ein Mensch mit einem Sinn für Natur und Landschaften sind, werden Sie das dort atemberaubend finden. Ich habe noch nie einen Touristen gesehen, auch nicht im Flugzeug, der hinunter auf Grönland guckte und nicht sofort seine Kamera zückte. Da holen selbst hartgesottene Businessleute schnell ihr iPhone raus. Das hängt auch damit zusammen, dass sich mehr und mehr Menschen der Tatsache bewusst werden, wie fragil das alle ist. Da findet gerade ein Umdenken statt.

Werden solche Reisen ins Eis manchmal auch erst danach schön? Wenn man die Entspannung merkt – und es nicht mehr so kalt ist?
Lanz: Ich bin 2003 mit Skiern zum Nordpol gelaufen, letztes Jahr zum Südpol. Und wenn man so was macht, ist das in dem Moment tatsächlich ziemlich hart. Genau das sind die Reisen, die erst im Nachhinein schön werden. Weil Sie währenddessen an die Grenzen Ihrer Belastbarkeit stoßen. Es kann zum Beispiel passieren, dass Sie halluzinieren, plötzlich Dinge oder Tiere sehen, wo keine sind. Das Gehirn spielt Ihnen Streiche. Das ist unheimlich, und Sie bekommen es auch mal mit der Angst zu tun. Aber deswegen ist es ja auch so spannend: Weil es eine Reise zu den eigenen Dämonen ist.

Hatten Sie selbst auch schon Halluzinationen im Eis?
Lanz: Ja. Vor allem am Südpol. Das liegt an den Bedingungen dort. Sie haben zwischen minus 30 und 40 Grad Außentemperatur und laufen etwa 15 Stunden am Tag auf 3.000 Meter Meereshöhe. Dazu kommt ein Schlitten, den Sie ziehen, zwischen 60 und 70 Kilo, der Puls ist zu hoch. Dann fängt man plötzlich an, Dinge zu sehen, die da nicht sind.

Was zum Beispiel?
Lanz: Zum Beispiel Gesichter.

Bekannte Gesichter?
Lanz: Nein, einfach irgendwelche Gesichter, wenn auch schon sehr konkrete. Das Eis hat ja Formen, immer wieder andere, zum Teil tiefe Furchen und Gräben. Das machen die extremen Stürme dort. Ich hatte auf einmal ständig das Gefühl, links neben mir würde ein schwarzer Vogel fliegen. Ich wusste aber, dass da nichts sein konnte, weil die Gegend um den Pol eine Art Todeszone ist. Da gibt es keine Tiere mehr – anders als zum Beispiel am Nordpol, wo kurz vor dem Ziel eine kleine Robbe auftauchte und den Aufbau unseres Zeltes verfolgte. Andere haben erzählt, dass sie Häuser und Zäune gesehen haben.

Zitiert

Das Grönland, das ich mit meinen Fotos dokumentiert habe, erscheint sogar manchem modernen Grönländer exotisch.

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Während Ihrer Reisen haben Sie auch regelmäßig den Kontakt zu Einheimischen gesucht. Auf Ihren Bildern und in Ihren Filmen werden beispielsweise grönländische Jäger detailliert porträtiert. Haben Sie die Nähe zu ihnen auch gesucht, weil Sie Angst vorm Alleinsein hatten?
Lanz: Nein, das nicht. Mich faszinieren diese Jäger und ihre Art, zu leben. Es ist eine zivilisatorische Meisterleistung der Inuit, dieser Eiswüste im hohen Norden seit Jahrtausenden eine Existenz abzuringen. Zwei Gebiete reizen mich besonders: Der extrem isolierte Osten, an dessen Tausende Kilometer langen Küste nur etwas mehr als 3000 Menschen und vermutlich ähnlich viele Eisbären leben. Und der äußerste Nordwesten, wo die letzten Polar-Inuit noch eine ganz besondere Hundeschlittentradition pflegen. Dort kann man erleben, wie Mensch und Tier zusammenarbeiten und gemeinsam Techniken entwickeln, um sich an die Landschaften anzupassen. Das ist das, worum es immer geht in der Arktis: die perfekte Anpassung. Wir leben in ja in einer Welt, in der wir häufig das Gefühl haben, dass sich am Ende immer der Stärkere durchzusetzt. Das ist diese Ellbogenmentalität, die auch häufig beklagt wird. In Grönland habe ich gelernt, dass es eigentlich um etwas ganz anderes geht: Es geht nicht um Kraft und Stärke, sondern um perfekte Anpassung. Das bedeutet: auch mal nachgeben, kompromissbereit bleiben. Es war diese Kultur der permanenten Veränderung, des Wandels, die die Menschen dort überleben ließ.

Sind Ihnen vielleicht auch manche Seiten der Kultur in Grönland fremd geblieben? Ich denke etwa an die Robbenjäger, die in Polarnächten zielstrebig über die Eisschollen wandern.
Lanz: Wir haben durch eine teilweise medial befeuerte Hysterie eine völlig falsche Vorstellung von der Robbenjagd. Das, was Inuit machen – und das sagen auch Menschen von Greenpeace, die sich damit auskennen -, hat nichts mit Schlachterei und Gemetzel zu tun. In Wahrheit ist es ein ungeheures Geduldspiel. Im Winter sind die Robben unterm Eis und halten sich darin winzige Atemlöcher frei, die nicht größer als eine Zwei-Euro-Münze sind. In dieser weißen Einsamkeit muss man also erst mal ein solches Atemloch finden. Dort warten die Jäger dann mit einer unglaublichen Fähigkeit zur Konzentration und genauso erstaunlichen Geduld. Ohne sich zu bewegen stehen sie teilweise acht, neun Stunden am Stück an ihren Löchern, und das im Wind, bei minus 40 Grad. Manche gehen tagelang zum selben Loch zurück und fluchen nicht mal, wenn sie danach wieder ohne einen Fang nach Hause kommen. Denn Schimpfwörter sind nicht Teil ihrer Kultur. Das alles hat meinen Blick auf Jagd und Jäger verändert. Natürlich kennt man die Robbe als süßes Tier mit Knopfaugen, aber ohne sie, den Seehund, das Walross und den Eisbären wäre die Inuit-Kultur undenkbar.

Wenn Sie nach Grönland fahren, schleppen Sie immer eine bemerkenswert große Fotoausrüstung mit sich. Befürchten Sie nicht manchmal, dass Sie durch das ständige Abfotografieren der Welt die Nähe zu ihr verlieren?
Lanz: Es stimmt schon, man sieht Dinge nur noch ausschnittsweise. Auf der anderen Seite: Ich war jetzt etwa 20mal dort, da bleibt genügend Zeit, um in Situationen auch mal einzutauchen. Aber es gibt auch Dinge, die ich so faszinierend finde, dass ich sie einfach festhalten muss. Das Grönland, das ich mit meinen Fotos dokumentiert habe, erscheint sogar manchem modernen Grönländer exotisch. Die schauen dann manchmal mit großen Augen auf diese Bilder und sind überrascht, dass das in ihrem riesigen Land aufgenommen wurde. Ich habe es vor allem deshalb dokumentiert, weil ich fürchte, dass es vieles davon in 20, 30 Jahren nicht mehr geben wird.

Was haben Sie neben Kameras und Objektiven auch immer im Gepäck?
Lanz: Einen warmen Schlafsack, weil es immer sein kann, dass man in brenzliche Situation wie Schneestürme gerät. Es kann zum Beispiel passieren, dass man sich im Schnee eingraben muss. Deshalb ist es gut, einen warmen Daunenschlafsack zu haben und noch besser, auch ein kleines Zelt mitzunehmen. Das beides ist die Minimalausrüstung, die Sie im Zweifelsfall davor schützt, umzukommen.

Markus Lanz wurde am 1969 in Bruneck/Südtirol geboren. Nach dem Besuch einer Klosterschule wurde er beim italienischen Militär als Funker und Gebirgsjäger ausgebildet. Seine Medienlaufbahn führte ihn vom Hörfunksender Radio Holiday über Radio mehr

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