Martin Sonneborn

Ich glaube nicht, dass es hier nur um Spaß geht.

Titanic-Chef Martin Sonneborn über den Erfolg seiner „Partei“, populistischen und schmierigen Wahlkampf, Machstspiele nach der Bundestagswahl, seinen Job als Satiriker und was er mit der „Partei“ noch vor hat

Martin Sonneborn

Herr Sonneborn, wenn man sich die Aktivitäten Ihrer „Partei“ in den letzten Wochen anschaut, lässt sich das gut als eine Art Fortsetzung des Titanic-Stils auf Partei-Ebene verstehen. Inwiefern steckt aber hinter der Parteigründung auch Ihre persönliche Unzufriedenheit mit der politischen Situation in Deutschland?
Martin Sonneborn: „Die Partei“ hat ja ein sehr starkes satirisches Moment. Und alle Satire geht natürlich von persönlicher Unzufriedenheit aus. Es gibt eben verschiedene Methoden, mit der immer irrer werdenden Umwelt umzugehen, darauf zu reagieren: man kann Alkoholiker werden, man kann in den bewaffneten Widerstand gehen, man kann Politiker werden – oder man kann versuchen, sich satirisch mit den Dingen auseinander zu setzen und einen guten Witz zu machen, über Dinge, die einem nicht gefallen. Letzteres ist das Vorgehen der Redakteure bei der Titanic, wir setzen uns mit einer Politik auseinander, die uns ja auch selbst betrifft.

Sie sind quasi von Berufswegen Satiriker – was hat Sie zur Satire gebracht?
Sonneborn: Ich habe mich immer für komische Dinge interessiert, ich habe auch immer Titanic gelesen, seitdem ich Schüler war. Und für mich bestand die einzige Möglichkeit, sich konstruktiv, aber auf eine komische, satirische Art und Weise mit der Umwelt auseinander zu setzen, in diesem Magazin.

Einen anderen Berufswunsch hatten Sie demnach nicht?
Sonneborn: Nein, es gibt nur einen einzigen Job, den ich in Deutschland fest machen wollte, und das war Titanic-Redakteur. Es gibt danach auch nichts mehr für mich, was noch kommen könnte.

Auch kein politisches Amt?
Sonneborn: Nein, ich habe ja immer gesagt: sobald „Die Partei“ an der Macht ist, würde ich persönlich zurücktreten. Weil, mir persönlich ist die Politik ein zu schmutziges Geschäft.

Sie haben in Berlin und Hamburg rund 10.000 Wähler für sich gewinnen können. Wie hoch ist Ihrer Meinung nach der Anteil derer, die mit ihrer Stimme für „Die Partei“ ernsthaft Protest ausdrücken wollten?
Sonneborn: Wie viele von unseren Wählern nun echte Protestwähler sind, kann ich nicht genau sagen. Ich sehe aber an vielen E-Mails und Anrufen, die wir bekommen, dass es einen hohen Prozentsatz gibt von Leuten, die einfach sympathisch finden, was wir machen und die keine andere Partei gefunden haben, die sie hätten wählen können. Das sind überwiegend intelligente, politikinteressierte Leute, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen durch Parteien wie der SPD.

Waren Sie beim jüngsten Wahlgang denn nun auch Protestwähler?
Sonneborn: Ich bin in den letzten 11 Jahren nicht zur Wahl gegangen, aber diesmal habe ich gewählt, weil es mir Spaß gemacht hat, meine eigene Partei zu wählen. Andererseits ist das natürlich keine Lösung: nicht jeder, der unzufrieden ist, kann einfach eine Partei gründen – da hätten wir ja sofort Weimarer Verhältnisse.

Der Wahlkampf der „Partei“ richtete sich zu großen Teilen gegen Angela Merkel. Da stellt sich die Frage: ist Gerhard Schröder für einen Titanic-Redakteur denn wirklich so viel besser?
Sonneborn: Schröder ist mir sympathischer.

Auch noch nach dieser unsäglichen Schlammschlacht, wie sie selbst am Wahlabend noch fortgeführt wurde?
Sonneborn: Ja. Wir leben doch in einem Milieu, das eher linksorientiert ist, und ich kann es nicht verstehen, dass die Deutschen eine schlechte Regierung abwählen, um eine noch schlechtere zu bekommen. Insofern halte ich es mit dem kleineren Übel. Und die Primitivität, mit der Schröder in die „Elefantenrunde“ gegangen ist, diese Dumm-Dreistigkeit gefällt mir dann schon wieder. Wenn die konservative Seite so etwas gemacht hätte, wäre ich hoch empört – bei Schröder ist mir das aber schon wieder unterhaltsam genug, um es positiv zu bewerten.

Würden Sie nicht am liebsten den Politikern zurufen: jetzt nehmt euch mal zusammen und redet ernsthaft miteinander?
Sonneborn: Nein, das würden wir nie tun. Wir kommentieren doch Wirklichkeit, auf eine satirische Art und Weise. Und das Interessante ist ja, dass wir dabei so manche Diskussion mit unserer Partei vorweggenommen haben. Wir sind die Ersten gewesen, die im letzten Jahr – mit dem Motiv der Mauer – thematisiert haben, dass es weiterhin eine Spaltung gibt in Deutschland. Das wurde in den Feuilletons erst Wochen und Monate später thematisiert. Und Peer Steinbrück hat erst noch gesagt, mit dem Thema dürfe man auf keinen Fall Wahlkampf machen. Vier Wochen später haben SPD und CDU das Thema dann jeweils für sich aufgegriffen.
Wir haben auch von Anfang an einen populistischen und schmierigen Wahlkampf angekündigt, den wir dann auch – sofern wir Geldmittel u.a. dank HLX zur Verfügung hatten – geführt haben. Wir sind natürlich die einzige Partei, die das offen zugibt. Aber einen schmierigen Wahlkampf haben doch alle geführt. Das ist doch nur noch eine mediale Präsenz und Darstellung von Nicht-Inhalten, die in der Politik stattfindet und das haben wir mit unserer Partei doch sehr schön vorexerziert.

Und wo sehen Sie Gründe für die Art, wie heute Wahlkampf geführt wird – mehr bei den Politikern oder mehr bei den Medien?
Sonneborn: Ich glaube nicht, dass man das trennen kann. Ich glaube, dass wir in diesem Punkt viel von Nord-Amerika lernen und der entfesselte Kapitalismus hier eine Richtung eingeschlagen hat, die sich nicht mehr kontrollieren, steuern und ändern lässt.

Der Kapitalismus als Hauptursache für den ausgeuferten Medienwahlkampf?
Sonneborn: Ich glaube schon. Die kapitalistische Gesellschaft und die Medien, die medial geprägte Gesellschaft von heute sehe ich als klare Ursache dafür.

Wie beurteilen Sie das aktuelle Schachern um die Macht, welches nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses begonnen hat?
Sonneborn: Für mich ist das alles in keinster Weise noch ernst zu nehmen. Ich habe mir früher schon meine Gedanken darüber gemacht und habe mich ja auch deswegen die letzten Male der Wahl enthalten. Weil ich finde, das ist nur noch Schaumschlägerei. Es gibt keine Inhalte mehr, es gibt nur noch aufgebauschte Darstellungen und Präsentationen von Nichts. Und alles, was man meines Erachtens tun kann, ist, das Ganze satirisch aufzufassen. Wir wollten deshalb allen Leuten, die das ähnlich sehen, eine Möglichkeit bieten, dem Dilemma der Wahl zu entkommen und ihnen eine satirische Protestmöglichkeit an die Hand geben. Das haben wir mit der „Partei“ auch getan.

Zitiert

Mir persönlich ist die Politik ein zu schmutziges Geschäft.

Martin Sonneborn

Aber wozu soll Ihre „Protestmöglichkeit“ dann führen?
Sonneborn: Ich hoffe, dass wir die Macht übernehmen in diesem Land.

Sicher. Und der „Partei“-Wähler hat seinen Spaß dabei.
Sonneborn: Ich glaube nicht, dass es hier nur um Spaß geht, ich glaube, dass es um die Ausformulierung von Protest geht. Und wenn man sieht, dass uns schon über 10.000 Leute gewählt haben, dann ist das für die etablierten Parteien doch ein bedenkliches Signal.

Haben Sie denn mal mit Politikern der etablierten Parteien gesprochen, bzw. Reaktionen von solchen bekommen?
Sonneborn: Ich habe zum Beispiel mit Wolfgang Tiefensee in einer Talkshow gesessen und ich konnte diese ehemaligen SPD-Hoffnung vor laufender Kamera mit dem Satz konfrontieren: „Ich geben Ihnen mein Ehrenwort, dass mit uns an der neuen Mauer, die wir errichten werden, kein Schießbefehl zu machen ist, Herr Tiefensee.“ Da ist es natürlich interessant, zu beobachten, wie die Politiker damit umgehen, das fällt denen ja sehr schwer, weil in diesem Moment ihr ganzer Inhalt ad absurdum geführt wird. Ich finde es auch hochbrillant, wenn Leute wie der senile Minister Stolpe in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf die Bemerkung des Reporters, dass die „Titanic“ eine Partei gegründet hat, die die Mauer wieder aufbauen will, sagt: „Aber es wird gottlob nicht für den Einzug in den Bundestag reichen.“ Das sind für mich alles so schöne Momente, dass sich allein dafür die Parteigründung gelohnt hat.

Und wie weit wollen Sie noch gehen?
Sonneborn: In Berlin werden sich mehrere kleine Parteien unter dem Dach der „Partei“ zusammenschließen. Wir haben ja im Oktober 2006 die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und ich glaube, dass wir da schon andere Ergebnisse erzielen werden.

Dann wird es ernst.
Sonneborn: Das kann ich Ihnen nicht versprechen, aber ich denke, dass wir da schon andere Prozentzahlen erreichen werden. Ich glaube, dass hier eine neue, oppositionelle Kraft entsteht. Das Interessante ist ja auch, dass wir zum Beispiel in Bayern Leute in der Partei haben, die das alles komplett ernst sehen. Die sind in die Partei eingetreten, aus dem Überleggrund heraus, dass es hier noch lockere Strukturen gibt, wo es noch nicht viele Leute gibt, die über einem stehen und wo man noch Ideen einbringen und verwirklichen kann. Und diese Leute werden die Partei auch weiter treiben.

Aber Sie persönlich bleiben dabei: wenn Ihre Partei eines Tages an die Macht kommt, treten Sie aus.
Sonneborn: Ja. Wobei, möglicherweise als Bundeskanzler, könnte man da etwas… also, das könnte reizvoll sein. Aber alles andere ist glaube ich viel zu sehr an Sachzwängen behaftet und wäre mir viel zu schmierig und langweilig.

Aber das Amt des Kanzlers bringt ja auch enorme Anstrengungen mit sich. Man hat die Strapazen in den letzten Wochen und Monaten ja förmlich an Schröders Gesicht ablesen können…
Sonneborn: Dazu kann ich wenig sagen, da ich über keinen Fernseher verfüge und Schröder eigentlich nur aus den DPA-Archiven und Zeitungen kenne. Und da habe ich eigentlich weniger die Veränderungen bei Schröder beobachtet, als dass man gesehen hat, wie Angela Merkel sich verändert. Da hat sich selbst die Auswahl der eigentlich unabhängig agierenden Nachrichtenagenturen verändert. Da werden plötzlich ganz andere Fotos von Angela Merkel angeboten als früher.

Und Sie wittern nun CDU-hörige Medienmacher…
Sonneborn: Ich habe von Leuten gehört, die für so etwas zuständig sind, die gesagt haben: Die Bilder, die wir früher von Angela Merkel veröffentlicht haben, passen nicht in die heutige politische Landschaft. Sie wurde jetzt als gutaussehende, strahlende Hoffnungsträgerin gebraucht und so auch präsentiert.

Die hohe Zahl der Wechselwähler in Deutschland und die Tatsache, dass die SPD im Wahl-Endspurt, auch dank guter PR-Arbeit, noch so viele Prozentpunkte rausschlagen konnte – wie kritisch sehen Sie solche Entwicklungen?
Sonneborn: Uns freut das, weil wir ja genauso agieren, wie die SPD, nur in etwas kleinerem Rahmen, weil man uns die Sendezeit noch nicht zur Verfügung stellt. Aber es sind die gleichen Mechanismen, die machen wir sichtbar und auf die bauen wir.

Aber würden Sie persönlich nicht auch einen Wähler bevorzugen, der die Lektüre der Parteiprogramme einem TV-Duell der Kanzlerkandidaten vorzieht?
Sonneborn: Nein, das würde ich nicht. Denn man weiß ja, dass die Programme der Parteien ganz andere Dinge enthalten, als die, welche sie dann in der Politik umsetzen. Ich habe mir mal spaßeshalber das SPD-Programm angeguckt, als wir abgeschrieben haben, für unsere Partei. Und das fand ich schon erstaunlich. Ich glaube, das würde zur Verwirrung des Wählers führen. Wenn die SPD-Wähler ein SPD-Programm lesen würden, dann würde es zu gravierenden Verstimmungen in der Wählerschaft kommen, das würde alles ganz unübersichtlich machen.

Parteiprogramme also raus aus dem Wahlkampf?
Sonneborn: Nein, das wäre eine merkwürdige Forderung. Ich sage: den Zustand der Welt, wie er ist, den schätze ich als komisch und satisfaktionsfähig für Satire. Das ist doch herrlich, dieser komplette Schwachsinn und diese kindische Politik, die da betrieben wird.

Aber wenn Politik eines Tages nur noch aus PR-Arbeit besteht, wird man doch irgendwann nicht mehr weiterkommen, oder?
Sonneborn: Ich bin zwar optimistisch und positiv denkend, aber ich glaube nicht, dass sich das umkehren lässt, was wir im Moment erleben. Das würde mich sehr überraschen. Und insofern konstatiere ich das und ziehe meinen satirischen Mehrwert aus dieser Situation.

Herr Sonneborn, unsere Schlussfrage lautet: Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Sonneborn: Ich bin meine eigene. Ich werde ab und zu karikiert und dann meistens glaube ich als Ente dargestellt, zumindest hatte ich in der letzten Karikatur einen großen Schnabel und große Füße.

Vielleicht hat das mit der anderen Wortbedeutung von „Ente“ zu tun? Im Sinne einer falschen Zeitungsmeldung, meine ich.
Sonneborn: Das ist natürlich eine schöne Assoziation – und insofern auch gerechtfertigt.

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