Herr Mittermeier, Ihr Privatleben war in den Medien nie ein großes Thema. Warum treten Sie jetzt mit einem so privaten Thema wie Schwangerschaft und Geburt in die Öffentlichkeit?
Mittermeier: Ich mache jetzt nichts anderes als vorher – als Comedian Geschichten über mein Leben zu erzählen: über mich, meine Beziehung, unsere Heirat. Nur eben jetzt in Buchform. So ein Baby ist ja auch ein Riesenkosmos, das wichtigste Thema im Leben von mir und meiner Frau. Vatersein beschäftigt mich ja tagtäglich. Deshalb war uns seit Beginn der Schwangerschaft klar, dies ist das neue Thema. Außerdem beschreiben meine Erzählungen auch nur eine bedingte Privatheit, das Buch ist eine Art Kunstform. Es ist ehrlich geschrieben, aber natürlich auch ein humorvolles Satirebuch. Aber die Grenze zum Privaten ist für mich sehr deutlich, es gibt keine Fotos von meiner Tochter, keine Homestory. Solche Dinge mache ich nicht!
Anders als die abgehalfterten Pop-Prinzessinnen und Ex-Stars, von denen man nicht mal weiß, dass sie berühmt waren, die Sie in ihrem Buch beschreiben.
Mittermeier: Traurig, wenn man seine Kinder so in die Öffentlichkeit zerrt. Wenn ich Geschichten über meine Tochter erzähle, über Themen, die mich umgeben und beschäftigen, dann ist das eine Kunst. Aber eine Dokusoap drehen und Leute mit einer Kamera in mein Haus zu lassen, das ist keine Kunst mehr, sondern eher ein Hilfeschrei. Aber das muss jeder für sich entscheiden, ich will mich nicht als Moralpapst aufspielen.
Geburt und Schwangerschaft sind klassische Frauenthemen. Warum haben Sie sich als Mann dem Ganzen angenähert?
Mittermeier: Es geht nicht um Mann und Frau. Es ist schlichtweg der Kosmos, der mich umgibt und über den rede ich, auf der Bühne und im Buch. Ich habe immer große Überthemen über meine Programme gestellt, bei „Zapped!“ das Fernsehen, bei „Safari“ das Reisen. Und eben jetzt „Achtung Baby“. Aber bei dem neuen Tourprogramm werde ich natürlich noch weiter ausholen als im Buch. Es wird Politnummern geben, Vergleiche mit Kindern und Politikern… Ein anderer Grund für mein Buch ist auch, dass ich von anderen Männern noch nichts Sinnvolles über das Thema gelesen habe, nur verspannte Pseudoratgeber. Da musste einmal ein ehrliches lustiges Buch geschrieben werden, das man gerne liest.
Wussten Sie intuitiv, dieses Buch wird ein Kassenschlager?
Mittermeier: Nein, mit diesem enormen Erfolg habe ich nicht gerechnet. Aber ich bin sehr, sehr stolz, dass mein Buch quasi eine Welle losgeschlagen hat: Seit Wochen ist es auf Platz 1 der Spiegelbestsellerliste. Das heißt für mich, die Leute lesen „Achtung Baby“ und empfehlen es sofort weiter. Sie kaufen es ja nicht, weil der Mittermeier mal im Fernsehen war, sondern weil ein Freund oder Kollege sagt „das ist sehr lustig“. Oder es beim Stöbern in der Buchhandlung selbst feststellen.
Sie schreiben in dem Kapitel Milcheinschuss: Ich lag neben meiner Frau im Bett und starrte auf ihre Brüste. „Hello Dolly, äh Gudrun… .“ Hatte Ihre Frau nie Bedenken oder Einwände, dass sie über so private Dinge schreiben?
Mittermeier: Nein, und zwar deshalb nicht, weil ich nie etwas Respektloses über sie schreiben würde. Wir sind seit 20 Jahren zusammen, ich habe schon viel auf der Bühne über sie und unser Privatleben erzählt, aber sie weiß, dass ich sie nie verunglimpfen oder beleidigen würde. Warum sollte ich es machen? Ich liebe sie. Deshalb bewege ich mich stets auf einem Level des Respekts.
Noch vor einigen Jahren rissen Sie derbe Witze über „Arschlochkinder“, über miese unsympathische Kinder. Denken Sie heute – als Vater – anders über Ihr damaliges Bühnenprogramm?
Mittermeier: Gar nicht, die Arschlochkinder laufen nach wie vor rum. Wenn so ein Zweijähriger zu meiner Tochter hingeht und ihr in die Fresse haut, sie danach an den Haaren zieht und es nach zehn Minuten wiederholt, kann ich doch nicht sagen: „Mei, was ist das für ein nettes Kind.“ Ich habe den Begriff erweitert, es gibt nicht nur Arschlochkinder, sondern auch Arschlocheltern. Die Mutter hat lapidar argumentiert: „Der Kleine rauft einfach gerne!“ Was sind denn das für Eltern, die ihren Kindern keine Grenzen aufzeigen? Der Kleine war zwar erst zwei Jahre alt, aber dennoch kann er begreifen, dass er eine Grenze überschritten hat, weil er einem anderen Menschen weh getan hat. Das nenne ich Respekt. Diesen bringe ich meiner Tochter bei. Respekt vor anderen Menschen, vor der Umwelt, vor dem Leben.
Was beherzigen Sie sonst noch bei der Erziehung Ihrer Tochter?
Mittermeier: Es gibt keine pauschale Erziehungsmethode. Ich habe in die ganzen Bücher mal rein gelesen um mich zu orientieren, was der Markt so hergibt. Aber diese Bücher törnen mich ab, jeder Autor vermittelt, dass er die ultimative Lösung gefunden hat. Aber diese gibt es nicht – keiner kann Eltern eine pauschale Erziehungsmethode empfehlen. Da draußen gibt es scheinbar eine Menge orientierungsloser Eltern, die sich an solchen Büchern festhalten. Ich erziehe Lilly hauptsächlich nach meinem Bauchgefühl, denn darauf verlasse ich mich seit 43 Jahren und fahre damit nicht schlecht.
Sieht Ihre Frau das ähnlich?
Mittermeier: Grundsätzlich denkt meine Frau in dieser Hinsicht wie ich oder ich wie meine Frau. Wir sind uns einig, Erziehung sollte nach dem Gefühl gehen. Unsere wichtigste Erziehungsmethode.
Ich denke, es ist der dümmste Gedanke, der je grassiert ist, dass man sich selbst aufgeben muss, um ein Kind zu erziehen.
Sie sind seit über 20 Jahren im Geschäft – lacht das Publikum noch über die gleichen Witze?
Mittermeier: Der Humor verändert sich immer, sowie sich die Gesellschaft verändert. Aber man kann die Veränderung nicht am Humor festmachen, das ist eine rein gesellschaftliche Entwicklung. Die Sozialisation ist immer im Wandel und so wird automatisch der Humor mit verändert. Es sind andere neue Themen, die die Menschen beschäftigen und natürlich werden die Grenzen immer neu gesetzt. Vor 30 Jahren gab es Nummern, da wurde man vom Fernsehen weggeschaltet, heute würde danach kein Hahn mehr krähen.
Sie schreiben: „Wir wollten immer mehr Kinder haben, aber wir fühlten, dass es noch nicht unsere Zeit war.“ Warum war es plötzlich Zeit für Lilly?
Mittermeier: Ich denke, es ist eine ganz legitime Entscheidung eines Pärchens zu sagen: Wir möchten zusammen sein und es auch bleiben. Möchten auch mal Kinder haben, aber einfach jetzt noch nicht. Wir wollten noch bestimmte Dinge machen und erleben, die mit Kind einfach beschwerlicher gewesen wären – die Karriere von mir und meiner Frau als Sängerin beispielsweise. Mit Kind hätten wir uns sehr einschränken und auch auf manche Dinge verzichten müssen, die wir aber doch sehr gerne erlebt hätten. So haben wir einfach länger gewartet und auf einmal war das Gefühl da, jetzt wäre es schön ein Kind zu haben.
Es hat dann doch anderthalb Jahre gedauert, bis es geklappt hat. Können Sie Paare verstehen, die daran verzweifeln, wenn es einfach nicht klappen will?
Mittermeier: Natürlich kann ich das verstehen. Wenn der Wunsch nach einem Kind dann mal so stark ist, wird es oft zum Lebensziel. Und wenn das nicht klappen will, ist es schon sehr hart für diese Menschen. Da sind unsere Adoptionsgesetze keine Hilfe. Das ist eher eine Tortur, die man den Paaren zumutet. Sobald man 35 Jahre alt ist, zählt man schon zu den Großmüttern – da sind wir in Deutschland noch nicht so weit.
Fühlen Sie sich als 43-jähriger Vater schon „alt“?
Mittermeier: Vor fünfzig Jahren hat jemand festgelegt, dass es am besten ist vor dem 30. Lebensjahr ein Kind zu bekommen. Heute ist 43 doch ein völlig normales Alter um Vater zu sein oder zu werden. Mancherorts wird noch immer mit Statistiken hantiert, die einfach nicht mehr aktuell sind.
Mussten Sie durch Lillys Geburt ihr ganzes Leben umkrempeln?
Mittermeier: Es war eine große Umstellung, man muss sich komplett neu strukturieren und viel koordinieren. Aber es ist nicht so, dass ich jetzt nichts mehr machen kann. Das ist nach wie vor möglich, ich muss es nur besser koordinieren. Aber natürlich mache ich jetzt auch weniger. Ich bin weniger Tage unterwegs und deshalb mehr zuhause.
Hat sich ihre Partnerschaft durch das Kind verändert?
Mittermeier: Ja natürlich, man hat weniger Zeit füreinander – als Paar. Ich bin fest davon überzeugt, wenn man sich nicht ab und an aus der Rolle der Eltern loslöst, hat eine Beziehung wenige Chancen. Mein Kollege, der österreichische Komiker Josef Hader, hat treffend formuliert: „Wenn man einen Babysitter hat, erspart man sich eine teure Scheidung.“
Ein Pärchen aus meinem Bekanntenkreis ist sehr stolz darauf, dass ihr dreijähriges Kind noch nie fremdbetreut wurde – auch nicht von Oma und Opa.
Mittermeier: Das ist kompletter Schwachsinn. Da hört es bei mir echt auf, wenn ich Aussagen von Frauen anhöre, wie zum Beispiel Christa Müller, die Frau von Oskar Lafontaine. Sie sagt, Kinder in Kitas werden psychisch vergewaltigt wie Beschnittene. Kein Kind wird geschädigt, wenn es einen guten Babysitter hat. Wir haben damit schon früh angefangen, wir haben eine feste Betreuerin. Wenn wir zu Lilly sagen, die Barbara kommt, dann jauchzt sie vor Freude. Barbara geht mit ihr auf den Spielplatz, knetet mit ihr, kümmert sich einfach liebevoll um sie. Für Lilly ist sie wie eine gute Freundin. Ich denke, es ist der dümmste Gedanke, der je grassiert ist, dass man sich selbst aufgeben muss, um ein Kind zu erziehen. Wenn ich keine eigene Persönlichkeit mehr habe, mich selbst nicht mehr wichtig nehme, was will ich denn dann meinem Kind beibringen?
Erleben Sie Lilly als kommunikatives Kind?
Mittermeier: Auf jeden Fall. Sie hat in Barbara, der Babysitterin, den Großeltern weitere Bezugspersonen. Ich sehe dies als absoluten Zugewinn. Die leidigen Diskussionen, ob man sein Kind in eine Kita gibt oder nicht, kann ich nicht mehr hören. Dies ist typisch Deutsch – eine Kindertagestätte als Kinder abschieben zu deklarieren. Kinder, die mit vier Jahren zum ersten Mal in einen Kindergarten kommen und vorher nur von Mama und Papa betreut wurden, stehen dann verstört und isoliert in der Ecke, nur weil die Eltern es versäumt haben ihr Kind als soziales Wesen zu begreifen. Schon Kleinkinder suchen den Kontakt zu Gleichaltrigen, sie wollen mit anderen spielen. Genau das ist eine Beschneidung – in der Persönlichkeitsentwicklung der Kinder.
Sie haben ja einige Zeit in den USA gelebt. Wie wird dort mit dem Thema Kinderbetreuung umgegangen?
Mittermeier: Die größten Vorbilder sind Schweden und Norwegen. Solche Länder schaffen es, jedem Kind einen Kindergartenplatz zu Verfügung zu stellen. Nicht wie bei uns, hier muss man sich in acht Kindergärten einschreiben und erfährt dann zwei Tage vorher, ob man einen Platz bekommen hat oder nicht. Das ist doch kein System. Es treibt nur alle reicheren Eltern dazu, ihre Kinder in private Institutionen zu geben. Das heißt im Gegenzug, dass die öffentlichen und staatlichen Einrichtungen dann immer weniger Geld zu Verfügung haben. Sie haben somit weniger Personal und können weniger Angebote machen. In dieser Hinsicht sind wir ein sehr armes Land und haben dazu noch eine völlig unfähige Familienministerin, die von dieser Materie keine Ahnung hat. Würde sie sich in einen siebenwöchigen Urlaub verabschieden – es würde keiner merken.