Nigel Kennedy

Manchmal verlangt die Musik auch einen hässlichen Ton.

Nigel Kennedy über Vielseitigkeit, Musikgeschmack, Erziehung und warum er sich Prince Charles an die Macht wünscht

Nigel Kennedy

© Marc Mitchell/Sony Music

Mr. Kennedy, auf Ihrer neuen CD „Four Elements“ hören wir Klassik, Rock, Funk und Elektronik. Würden Sie sagen, es ist Ihr bislang vielseitigstes Album?
Kennedy: Da bin ich mir nicht sicher, auf meinem Album „Kafka“ von 1996 gab es auch schon sehr unterschiedliches Material. Ich habe mich bei „Four Elements“ darauf konzentriert, die vier Elemente zu beschreiben. Das war für mich eine gute Möglichkeit, mit all diesen verschiedenen Leuten Musik zu machen, mit klassischen Streichern, mit Jazz-Musikern – und dann gibt es elektronische Beats von Damon Reece (arbeitete u.a. für Massive Attack), was für mich eine große Hilfe war, um eine Struktur in die Musik zu bekommen. Die vier Elemente sind ja sehr unterschiedlich, Feuer ist ein großer Gegensatz zu Wasser, das gab mir viel Raum für Kontraste.

Ist Vielseitigkeit für Sie als Musiker so etwas wie eine Grundintention?
Kennedy: Ich mag keine Grenzen und Parameter, die zu eng sind. Vielseitigkeit ist für mich auf einem persönlichen Level sehr wichtig, damit ich Spaß am Musikmachen habe. Ich mag es nicht, genau zu wissen, was ich morgen tun werde, sondern es ist mir lieber, wenn der Tag Überraschungen für mich bereit hält. In Bezug auf die Musik bedeutet das, dass die Dinge sich in eine Richtung entwickeln können, wo der Geist sie hinträgt, anstatt dass alles vorprogrammiert ist. Natürlich bedarf es einer gewissen Struktur. Aber wenn die Musiker in meiner Band heute etwas Neues spielen und nicht dasselbe wie gestern, dann bin ich glücklich.

Als Sie mit 17 parallel zum Studium an der renommierten Juilliard-School in New York anfingen, auch Jazz zu spielen, stießen Sie bei den Professoren auf Ablehnung. Haben Sie das Gefühl, dass Sie auch heute noch um Anerkennung kämpfen müssen, in Hinblick auf die Stilvielfalt?
Kennedy: Ich glaube es gibt immer noch die gleiche Art von Kampf von mir und mit meiner Musik. Heute sind es zwar nicht mehr die Professoren der Juilliard-School, die mir sagen, dass ihnen das nicht gefällt, aber dafür traurig dreinblickende Plattenfirmen, die mich fragen: Warum können Sie nicht wieder so etwas machen wie 1989?

Sie meinen Ihre Aufnahme von Vivaldis „Vier Jahreszeiten.
Kennedy: Ja, und bei EMI fragte man mich, ob ich so etwas nochmal machen könnte. Was doch aber ein dummer Gedanke ist.

Und wenn wir über Publikum und Kritiker sprechen, müssen Sie denen noch erklären, dass Crossover etwas ganz Natürliches ist?
Kennedy: Es ist schwierig, weil Fernsehen und Plattenfirmen Musik sehr eindimensional präsentieren. Das macht es einem Künstler wie mir, der Crossover eben nicht als eine unnatürliche Kombination von Musik begreift, schwer. Es ist einfach meine Musik, es ist das, was natürlich aus mir herauskommt, es basiert auf meinem Background. Der war sehr vielseitig und deshalb ist auch meine Musik sehr vielseitig. Es ist nicht so, dass ich verzweifelt versuche, irgendwie einen Eurodance-Rhythmus unter Bach zu legen, es ist natürliche Musik die auf meiner Kreativität basiert. Für das Publikum ist es schwierig, das so nachzuvollziehen, weil Plattenfirmen und Medien es immer versuchen, auf die einfachste Art und Weise zu verkaufen.

Aber dieser Einfachheit wollen Sie sich nicht anpassen.
Kennedy: Ich fühle keinen Druck, etwas anderes zu tun, als ich selbst zu sein. Das ist ja auch der einzige Weg, den ich kenne. Und jeder in meinem Publikum der halbwegs intelligent ist, wird wissen, dass ich heute nicht das Gleiche wie im letzten Jahr machen werde. Ich bin jemand, der sich fortbewegt, in der Musik gehe ich auf eine Abenteuerreise.
Wenn jemand sich ein Ticket kauft, ohne zu wissen wer ich bin und mich nur als klassischen Musiker sieht, der wird dann im Konzert vielleicht denken: „Oh, mein Gott.“ Aber die anderen wissen, dass ich keine Fließbandmusik mache, es ist immer wieder anders.

Sie haben Alben in den unterschiedlichsten Stilen und Besetzungen aufgenommen – was aber haben all Ihre Projekte gemeinsam?
Kennedy: Ich versuche immer vom Herzen aus zu kommunizieren und meine Musikerfreunde und das Publikum an verschiedenen Emotionen teilhaben zu lassen. So ein Album ist immer eine Reise durch ganz verschiedene Emotionen, Gefühle, Stimmungen.

Zu Vivaldis Zeiten spielte man keine Jazz-Harmonien, drei Jahrhunderte später hat man sich als Hörer an diese gewöhnt. Glauben Sie, dass sich das menschliche Gehör immer weiter entwickelt?
Kennedy: Ich denke schon. Wenn ich jetzt zum Beispiel an Quincy Jones denke, wie er die beiden Jackson-Alben „Thriller“ und davor „Off the Wall“ produzierte, damals war man der Meinung, dass die Produktion sich nicht mehr verbessern könnte. Dann kam Prince, er sang  alles ohne Hall, direkt ins Mikrofon, das war eine neue Art Musik zu hören und man fragte sich: Was kann jetzt noch kommen? Aber dann kommt eine Band wie Outkast, oder Jay-Z und niemand hatte so etwas zuvor gehört. Für mich ist das der gleiche Schritt wie von Beethoven zu Debussy. Die Dinge verändern sich heute sogar noch schneller. Das 20. Jahrhundert war das bislang schnellste, das 21. wird noch schneller.

Aber werden sich die Menschen eines Tages auch an atonale Musik gewöhnt haben?
Kennedy: Ich denke, das ist wie mit einem Pendel in einer alten Standuhr: es schwingt zwischen kompliziert und harmonisch hin und her. Bach war kompliziert, Mozart wieder einfacher, die Romantik war wieder eher kompliziert, Debussy war kompliziert, Strawinsky ging mit der Neoklassik wieder zurück, dann kam Schönberg, der es wieder komplex gemacht hat, bei Steve Reich waren die Harmonien wieder simpler. Komplexität und Einfachheit wechseln sich ab.

Würden Sie denn sagen, die Leute haben sich zwischenzeitlich wirklich an Schönberg gewöhnt?
Kennedy: Ich weiß es nicht. Ich wüsste gerne, wie es war, zur Zeit Schönbergs in Wien zu leben. Es ist nicht so weit gekommen, dass die Menschen in großen Massen ins Konzert gehen um seine Musik zu hören. Andererseits, die Berliner Philharmoniker werden damit fertig, die können Schönberg spielen und kriegen den Saal voll. Insofern denke ich schon, dass sich die Dinge etwas weiterentwickelt haben, wenn auch nicht besonders viel.

Wie hat sich Ihr Gehör weiterentwickelt?
Kennedy: Es gibt ein paar Musikrichtungen wo ich früher dachte „absoluter Mist“, aber wenn ich es heute anhöre…

Was denn zum Beispiel?
Kennedy: „Girls Aloud”, eine Band aus England, fünf gutaussehende Frauen und die Musik ist ziemlich einfach, „Brit-Euro-Disco-Shit“ würde ich es nennen.

Und das mögen Sie?
Kennedy: Manchmal ja, besonders, weil es meine Band ärgert, wenn ich das anmache. Da kann ich mir angucken wie angepisst sie aussehen. Oder wenn ich einen ihrer Songs im Auto höre wenn ich gerade noch 400 km vor mir habe, dann ist das richtig gut.
Was ich aber immer noch nicht hören kann ist Country und Western. Und ich mag Mozart nicht wirklich. Also, es gibt da immer noch ein paar blinde Flecken bei mir. Insgesamt bin ich aber heute viel toleranter als früher. Als ich 20 war dachte ich, John Coltrane, Miles Davis und Roland Kirk sind für mich die einzigen. Ich war damals in New York im legendären Nachtclub Studio54, aber ich dachte, was sie dort spielen, ist keine Musik, sondern John Coltrane ist Musik. Heute bereue ich das, ich hätte dort Musiker wie Velvet Underground kennen lernen können. Aber ich war als Student sehr engstirnig, mich hat das nicht interessiert.

Inzwischen verwenden Sie selbst elektronische Elemente, allerdings haben Sie nie elektronische Beats mit Bach oder Mozart gemixt, wie es Vanessa Mae und David Garrett tun. Warum nicht?
Kennedy: Also, das was ich bis jetzt von Vanessa Mae oder David Garrett gehört habe, scheint mir alles ziemlich banal zu sein. Für mich ist das musikalisch ein Rückschritt. Es hat weniger Anspruch, ist weniger aufregend, weniger radikal.
Ich probiere im Moment tatsächlich Klassik und Beats zusammenzubringen. Damon Reece, hilft mir bei der Struktur von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“….

Sie nehmen eine elektronische Version der „Vier Jahreszeiten“ auf?
Kennedy: Ja, ich arbeite gerade daran, auch für Aufführungen. Ich spiele dabei immer noch Akustik-Geige, aber ich will Beats dazu haben und Sänger. Ich schreibe die Jahreszeiten im Grunde nochmal neu. Weil ich gelangweilt bin, das Stück zum 1000. Mal im Original zu spielen.

Zitiert

In der Musik gehe ich auf eine Abenteuerreise.

Nigel Kennedy

Anne-Sophie Mutter hat sich im Gespräch mit Planet Interview gegen diese Art von Crossover ausgesprochen und gesagt, „man würde doch ein Selbstportrait von Van Gogh auch nicht mit „Hello Kitty“-Ohren versehen“.
Kennedy: Ja, aber warum denn nicht? (lacht laut) Ich verstehe, was sie meint, aber ich denke nicht, dass es unmöglich ist. Busoni zum Beispiel hat von Bachs Chaconne in d-Moll eine neue Version für Klavier geschrieben. Oder nehmen wir Ravels Fassung von Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“. Ich bin mir sicher, dass Anne-Sophie Mutter jemanden wie Busoni respektiert. Wenn Sie sagt, „Hey Mr. Busoni, lassen Sie gefälligst Bach in Ruhe“ wäre das eine dumme Argumentation.
Natürlich, wenn es ganz offensichtlich unterdurchschnittlich ist, wenn es aus Beef McDonalds macht – was man vielleicht über David Garrett und Vanessa Mae sagen könnte – dann sehe ich auch keinen Grund für so eine Neufassung. Aber wenn es wie Pfeffersauce auf einem Steak ist, dann schmeckt das Steak manchmal besser.

Sie gelten vielen als Punk der Klassik. Welche Rolle spielt für Sie Tradition?
Kennedy: Ich denke, Tradition ist sehr wichtig, solange sie dem ganzen nicht die Seele raubt und dich nicht daran hindert, Dinge weiter zu erforschen. Es wichtig um die Sprache der verschiedenen Komponisten zu lernen, die du spielst, egal ob das Jimi Henrix, Miles Davis, Bach oder Brahms ist.
Insgesamt glaube ich aber, dass nur 30 Prozent der Tradition wichtig sind, von den anderen 70 Prozent sollte man sich befreien.

Was meinen Sie damit?
Kennedy: So oberflächliche Aspekte wie Kleidung oder ein bestimmtes Verhalten, dass du nicht lachen darfst auf der Bühne, das finde ich grausam, es tötet den Geist der Musik.
Dagegen die Tradition der Interpretation, was große Musiker wie Fritz Kreisler, Isaac Stern Pablo Casals oder Arthur Rubinstein gemacht haben – das sollten die Leute unbedingt kennen lernen. Ich finde nicht dass es meine Aufgabe ist, den Interpreten der nächsten Generation zu sagen, was sie tun müssen, aber es wäre ein großer Verlust, wenn sie nicht wissen, wie Casals Bach gespielt hat.

Sie selbst haben unter anderem von Yehudi Menuhin gelernt. Gibt es heute noch die genialen Lehrer, die wiederum die Tradition ihrer Lehrer fortführen?
Kennedy: Ich glaube, es gibt ein oder zwei, allerdings habe ich mit der Welt des Unterrichtens wenig zu tun. Im Jazz gibt es zum Beispiel eine Linie von Coltrane über Michael Brecker zu den jüngeren Musikern. Und in der klassischen Musik gibt es Zakhar Bron, der Maxim Vengerov unterrichtet hat, einen Killer-Geiger. Bron kommt von einer Tradition, die zurückgeht bis zu den Zeiten Leopold Auers am St.Petersburger Konservatorium. Ich denke, wir haben heute weniger dieser Traditionslinien, aber es sind immer noch welche übrig.

Was denken Sie über den Nachwuchs?
Kennedy: Das mag jetzt eine grausame Pauschalisierung sein, aber zu viele Interpreten klingen gleich und produzieren nur wunderschönen Klang. Und wenn wir über klassische Musik reden, glaube ich nicht, dass Schönklang der Schlüssel zu einer guten Aufführung ist. Manchmal verlangt die Musik auch einen hässlichen Ton. Wenn Casals Bachs Cello-Suiten spielt: das ist nicht der schönste Klang, das ist nicht Yo-Yo Ma oder einer dieser makellosen Interpreten von heute. Sondern er sagt dir, was in der Musik ist, und das ist auch manchmal hässlich oder aggressiv. Du kannst den Klang von klassischer Musik nicht auf eine prärafaelitische Schönheit reduzieren.

Die Geige wurde vor Hunderten Jahren erfunden. Entdecken Sie noch neue Aspekte am Instrument?
Kennedy: Ja, es gibt immer wieder neue Sachen, die ich entdecke, zum Beispiel mit dem Bogen. Erst gestern beim Üben habe ich etwas ausprobiert, den Bogen auf bestimmte Weise zu drehen, so dass ich einen anderen Sound bekam… Es gibt verschiedene Wege die Geigentechnik zu entwickeln. Ich habe eine neue Geige mit fünf Saiten, die einen größeren Tonumfang hat und dann sind da noch die Möglichkeiten auf der elektrischen Geige.

Was hätten Sie sonst noch gerne für ein Instrument gespielt?
Kennedy: Ich denke Klavier, das hat all die Harmonien… Wenn ich heute Musik schreibe fange ich auch am Klavier an. Die Geige ist sehr melodisch, du kannst sie als Rhythmus-Instrument benutzen, auch ein wenig als Harmonie-Instrument mit kleinen Elementen von Polyphonie. Aber letzten Endes ist es kein Harmonie-Instrument, da würden wir uns nur etwas vormachen. Die Geige ist da wo dein Hals ist, zwischen deinem Kopf und deinem Herzen – wie die Stimme, so fühlt es sich jedenfalls an, wenn du sie spielst.

Wie wichtig ist Tradition in Ihrem Leben?
Kennedy: Als Vater eines Sohnes, der jetzt 14 ist, muss ich sagen, dass eine Struktur wichtig ist. Bei mir gab es diesen festen Halt in der Familie nicht. Meine Mutter hatte wieder geheiratet, es gab Streit, es passierten unschöne Dinge, das war nicht gesund, für niemanden. Wenn die familiäre Situation stabil ist dann kann der Mensch später in eine Richtung gehen wohin er will. Für die junge Generation ist es sehr gut, so eine Familiengemeinschaft im Hintergrund zu haben. Insofern: Halte den Scheiß fern aus dem Leben deines Kindes raus und gib ihm eine Chance ungestört aufzuwachsen. 

Wie sind Sie denn als Vater?
Kennedy: Ich bin mit meinem Sohn sehr streng. Er muss etwas tun, um sich etwas zu verdienen, was das angeht bin ich vielleicht sehr altmodisch. Aber ich denke, das hilft ihm. Er sieht an mir, wie hart ich arbeite, aber auch, wie ich das Leben genieße.

Sie sagen altmodisch, sind Sie in bestimmten Dingen auch konservativ?
Kennedy: Oh…. Ich habe seit kurzem eine Idee, die sehr, sehr konservativ ist: Also, in der britischen Politik sind ja alles solche Arschlöcher, du kannst keinem dieser Politiker vertrauen, es gibt keinen, oder wenn überhaupt nur ganz wenige, die aus altruistischen Gründen in die Politik gehen. Die anderen nehmen alles was sie kriegen können, machen das nur um noch mehr Geld für ihre Familie rauszuschlagen. Deshalb denke ich: Die einzige Person, die England führen könnte, ist Prince Charles. Er wäre perfekt, er braucht das Geld nicht, er kann allein aus Selbstlosigkeit arbeiten, er muss nicht lügen, er kann einfach sagen, was er denkt. (lacht)

Sie mögen die Royals?
Kennedy: Ich habe dieses System eigentlich gehasst, ich denke immer noch, dass es einen schlechten Einfluss auf junge Menschen ausübt, wenn man in diese Position, in den Adel nur hineingeboren werden kann. Weil das den Kindern vermittelt: Egal wie hart du arbeitest, es gibt Dinge, die du nie erreichen kannst. Ich denke, es ist besser für ein Kind zu denken: Wenn ich hart arbeite habe ich eine Chance.
Andererseits mag ich diese neue Theorie irgendwie: Die Politiker in Großbritannien sind so schlecht, dass die königliche Familie dagegen schon wieder sehr gut aussieht.

Sie haben schon früh in Ihrer Karriere sehr viel Geld verdient. Sie haben sich dann eine teure Geige gekauft. Aber was gab es sonst noch für Luxus in Ihrem Leben?
Kennedy: Ich hatte nie ein Haus, das mir gehörte. Also habe ich das nach der Geige erledigt…

Wobei Ihr Manager damals angeblich sehr viel Überzeugungsarbeit leisten musste.
Kennedy: Ja, das stimmt. Ich bin mir immer noch nicht sicher mit Häuserbesitzen und solchen Dingen, das hat sich ja auch dahin entwickelt, dass Leute Häuser nicht kaufen um darin zu leben sondern es als Investition sehen. Da bin ich auch wieder sehr konservativ und denke, ein Haus sollte etwas sein, wo man lebt und nichts womit man spekuliert: Wie viel Geld kann ich damit machen? Wenn du selbst nicht darin wohnst, könnte es doch jemand anders tun. So treiben die  Leute die Preise für Grundstücke nur nach oben.

Aber was besitzen denn richtig Wertvolles?
Kennedy: Die Geige. Und sonst…

Gemälde?
Kennedy: Nein, ich habe nur ein paar Zeichnungen von einem meiner Lieblingsautoren, von Mervin Peake, ich mag seine Sachen wirklich, sein bekanntestes Buch ist „Gormanghast“, sehr englisch… In einem Buch waren Zeichnungen, die fand ich toll…
Ich habe keine Gemälde, tja was habe ich eigentlich? Eigentlich nur die Geige die wirklich viel wert ist. Ich will auch nicht viel besitzen. Als ich New York verlassen habe, habe ich in meiner Wohnung alles zurück gelassen. Das war richtig kathartisch, alles hinter sich zu lassen und von vorne anzufangen, das ist kein schlechtes Gefühl.
Ich bedaure nur, dass ich auch meine Plattensammlung damals dort gelassen habe.

Blue-Note-Platten etwa?
Kennedy: Ja, solche Sachen, noch das schwere Vinyl, nicht die leichten Pressungen. Das war eine Schande. Aber ich habe eben alles zurückgelassen. Die Hifi-Anlage, die Tischtennisplatte – ich nahm die Geige und das war’s.

Haben Sie heute Ihre eigenen Platten im Regal stehen?
Kennedy: Ich bin gerade in das Haus gezogen, in dem früher meine Mutter wohnte. Das ist auf dem Land und ein idealer Ort zum Schreiben. Dort wurde ich in der Tat konfrontiert mit meinen eigenen Alben. Aber das ist nichts für mich, Sie wissen doch wie das ist, wenn man die eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter hört. Das ist nichts, wobei man entspannen kann. Andererseits bin ich froh, dass meine Mutter die CDs gesammelt hat, es bedeutet ja letztendlich, dass sie die Sachen mochte. Ich packe die jetzt in die Garage, vielleicht kommt ja mal jemand vorbei, dem ich sie geben kann.

Besitzen Sie ein Plakat von einem Nigel Kennedy-Konzert?
Kennedy: Nein. Wenn ich morgens die Zähne putze ist das der einzige Moment, in dem ich mein Gesicht sehe. Und das reicht mir schon.

Zum Schluss: Wenn jemand etwas über Ihren Charakter erfahren will, sollte er Ihre CDs hören oder Ihre Interviews lesen?
Kennedy: Puh… möglicherweise… Interviews sind ja oft intellektuelle Gedanken, ein verbaler Ausdruck für etwas. Für mich ist das aber nicht so umfassend wie die Musik. Auf der anderen Seite bist du in der Musik komplett unbeeinflusst von der physischen Wirklichkeit, es ist fast wie eine Reise in eine andere Dimension.
Also, wenn die Leute etwas über den Typen wissen wollen, der auf diesem Planeten lebt, dann sind es vielleicht die Interviews. Wenn sie aber mehr über meine Seele erfahren wollen, dann ist es meine Musik.

Nigel Kennedy wurde am 28. Dez. 1956 in Brighton geboren, seine Mutter arbeitete als Klavierlehrerin, der Vater als Cellist beim Royal Philharmonic Orchestra. Mit 6 Jahren begann er Geige zu spielen, er lernte an der Yehudi Menuhin School in Stoke mehr

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