Stacie Orrico

Ohne den Glauben hätte ich es nicht so weit geschafft.

Pop-Sängerin Stacie Orrico über Promotion-Stress, ihre Liebe zum Jazz, langweilige R’n’B-Stimmen und welche Rolle Religion in ihrem Leben spielt

Stacie Orrico

© Virgin Music Germany

Stacie, du bist gerade auf Promotion-Tour für dein neues Album „Beautiful Awakening“. Wie anstrengend ist es eigentlich, so eine neues Album zu promoten?
Orrico: Promotion zu machen kann schon das Hektischste sein, was ein Künstler macht, das zehrt zum Teil sehr an deinen Kräften. Wobei ich glaube, dass viele Leute, die mal groß raus kommen wollen, einen Plattenvertrag haben wollen, gar nicht an diese Dinge denken: jeden Morgen früh aufstehen zu müssen, bis in die Nacht zu arbeiten, den ganzen Tag Fragen über Fragen zu beantworten, dauernd die Klamotten zu wechseln für verschiedene Foto-Shootings. Die meisten nehmen an, man wohnt als Musiker nur in schönen Hotels, spielt Konzerte und trifft reiche und berühmte Leute – da gehört aber viel mehr dazu.
Nun ist das hier aber nicht meine erste Promotion-Tour, insofern wusste ich, was mich erwartet. Ich habe auch bestimmte Grenzen setzen können. Wo ich früher zu allem Ja sagen musste, kann ich heute selbst entscheiden. Ich kann eine Promo-Tour auch viel besser machen, wenn ich ausgeruht bin. Deswegen gucke ich mir den Ablaufplan heute genauer an.

Du hast bei einem Konzert in Japan einmal den Jazz-Standard „Can’t we be friends“ gesungen, den u.a. auch Ella Fitzgerald gesungen hat. Wolltest du früher Jazz-Sängerin werden?
Orrico: Jazz hat mich immer inspiriert. Und wenn man mich als Kind gefragt hätte, ob ich ein Popstar wie Madonna oder eine Sängerin in einem kleinen Nachtclub werden möchte, dann hätte ich mich definitiv für Letzteres entschieden. Ich war damals nicht wirklich inspiriert von Künstlern wie Madonna oder Janet Jackson. Nicht, weil ich sie nicht mochte, ich finde sie heute großartig und habe alle Platten von ihnen. Aber als ich jünger war, hatte ich dazu keinen Zugang.

Würdest du denn heute noch weiter in die Jazz-Richtung gehen wollen?
Orrico: Ja. Wobei ich mich vorher nicht festlegen will, wie meine nächste Platte sein wird. Ich kann jetzt nicht sagen, in welchem emotionalen, mentalen, kreativen Zustand ich dann sein werde. Weil, wer weiß: wenn ich bis zum nächsten Album viel Zeit in Europa verbringe, vielleicht mache ich dann auf einmal Europop-Dance-Musik !(lacht)
Ich habe nur das Gefühl, je länger ich Musik mache, desto mehr komme ich mit Leuten zusammen, die mir helfen, zu dem Musikstil zu finden, der mir am besten gefällt. Und der ist auf jeden Fall soulig und beeinflusst vom Jazz.

Was würdest du sagen, sind die wesentlichen Unterschiede zwischen Stimmen von Jazz-Sängerinnen und von R’n’B-Sängerinnen?
Orrico: Da gibt es sehr große Unterschiede, vor allem in der Klangfarbe, aber das ist auch eine sehr spezifische Angelegenheit. Es gibt im R’n’B-Bereich heute viele junge Sängerinnen, die wirklich schöne Stimmen haben. Aber denen fehlt es oft an Emotionen und an Soul, wie Billie Holiday oder Ella Fitzgerald es noch hatten. Ich liebe deren Live-Aufnahmen, wo man hört, wie sie zwischendurch mit ihrer Band Witze machen, sich durch ihre Texte lachen oder manche Dinge frei herausschreien. Das ist viel emotionaler, viel leidenschaftlicher als die Musiker, die heute einfach ihre Lieder runtersingen.

Waren die Stimmen damals im Jazz natürlicher als heute im R’n’B?
Orrico: Ja, auf jeden Fall. Es ist heute ja auch so: es gibt sehr tolle Sängerinnen und es gibt welche, die das ehrlich gesagt nicht so gut machen. Das Dilemma ist aber, dass am Ende alle gleich klingen, weil ihre Stimmen alle mit der gleichen Computertechnologie bearbeitet werden, die die Stimmen so fad und langweilig klingen lässt.

Wie war das denn bei deinem aktuellen Album?
Orrico: Das ist diesmal sehr organisch geworden, die meisten der Instrumente wurden live eingespielt und nicht programmiert. Und was meine Stimme betrifft, habe ich zu dem Produzenten gesagt: Ich bin Sängerin, ich verdiene hiermit meinen Lebensunterhalt. Und wenn man meine Stimme erst 20 Stunden durch den Computer jagen muss, damit sie klingt, dann sollte ich für diesen Job nicht bezahlt werden. Wir haben die Vocals also ziemlich roh belassen. Meine Stimme sollte so klingen, wie sie ist, natürlicher und auch ehrlicher. Ich mag das sehr, weil so kann ich mir das Resultat heute anhören und das klingt genau so, wie es sich bei der Aufnahme im Studio angefühlt hat, es hat diese Emotion nicht verloren.

Wenn man es also ‚natürlich’ haben kann, warum benutzen dann viele Produzenten den Computer, um die Stimmen von Sängerinnen und Sängern zu verändern?
Orrico: Ich glaube, dass ist mittlerweile fast zum Standard geworden, niemand verfolgt diese Entwicklung und niemand fragt wirklich, warum. Den Computer zu benutzen ist eine Option, und von der machen die Produzenten Gebrauch. Ich glaube auch, dass das für viele Produzenten zur Gewohnheit geworden ist, weil sie oft mit Sängern oder Sängerinnen arbeiten, die nicht singen können, die keinen Ton halten können und die klanglos sind. Nur bin ich auch der Meinung, wenn man eine Stimme durch einen Tuner schickt, irgendeinen Effekt draufpackt, dann wird dadurch die Stimme des Künstlers nicht wirklich besser. Sie bekommt dadurch nicht mehr Qualität.

Deine Produzenten sind u.a. Dallas Austin, KayGee und Kevin Briggs, die schon eine Menge anderer R’n’B-Musiker produziert haben, darunter Janet Jackson, TLC und Destiny’s Child. Wie groß ist da die Gefahr, dass das eigene Album ähnlich klingt, wie das eines anderen Künstlers?
Orrico: Darum habe ich mir keine Sorgen gemacht. Weil Produzenten wie Kaygee und Dallas, die haben schon von TLC über dreckigen HipHop bis hin zu Korn und Pink so viel Verschiedenes produziert. Und wenn du mit ihnen zusammenarbeitest, merkst du, wie gut sie sich mit den verschiedenen Musikstilen auskennen.
Da liegt es viel mehr an mir, wie mein Album klingt. Wenn ich zu denen gehe und nicht genau weiß, was ich will, dann kann es schon sein, dass man mir einen Song gibt, der nach jemand anderem klingt. Deswegen ist es gut, genau zu wissen, was man will. Ich bin also mit meinen Ideen zu ihnen gegangen, habe ihnen Songs vorgespielt, die mich inspiriert haben, mich ans Klavier gesetzt … Und am Ende haben sie verstanden, was ich wollte. Deswegen arbeiten wir ja zusammen.

Wie viele von den neuen Songs hast du selbst geschrieben?
Orrico: Alle.

Und die Sounds, die Beats…
Orrico: Also, ich spiele zwar Klavier, aber ich bin eben keine Produzentin, da brauche ich natürlich Hilfe. Ich war aber bei jedem Schritt in der Produktion dabei, zum Beispiel als der Gitarrist hinzukam, oder der Schlagzeuger… Ich fand es auch toll, mit Produzenten zu arbeiten, die mir diese Art der Mitwirkung ermöglichen. Und am Ende haben wir alle etwas davon, weil so eine ehrliche Platte entstanden ist.

Du hast zu Beginn deiner Karriere Popmusik mit christlichen Texten gemacht. Hattest du damals auch den Wunsch, den christlichen Glauben zu verbreiten? Und was hat sich bei dir in dieser Hinsicht geändert?
Orrico: Viele Leute beurteilen die Entwicklung meiner Karriere ja anhand der Plattenfirma, wo ich unter Vertrag bin und denken, dass meine Ziele als Künstlerin heute anders sind als früher. Aber meine Ansichten waren immer die gleichen, egal ob ich bei einem christlichen Label war, oder heute bei einem Mainstream-Label. Ich schreibe und singe Musik über mein Leben und alles, was das beinhaltet. Ich schreibe über meinen Glauben, über Beziehungen, Freunde, Familie, die Probleme, die ich gehabt habe im Leben und die Lektionen, die ich hoffentlich daraus gelernt habe. Das ist alles Teil meiner Person und ich verstecke meinen Glauben auch nicht, ich habe diesen Background und schäme mich auch gar nicht dafür. Meine Visionen, meine Ziele haben sich nicht verändert. Ich hoffe, dass ich mit meiner Musik das Leben der Leute beeinflussen kann, dass meine Musik ihnen Hoffnung gibt, ihnen bei Entscheidungen hilft und sie herausfordert, ihr Leben besser zu leben.

Und der christliche Glaube spielt heute in deinem Leben noch eine genauso große Rolle wie früher?
Orrico: Ja, heute eigentlich noch mehr als früher. Ich bin in einer sehr religiösen Familie aufgewachsen, wir sind jeden Sonntag in die Kirche gegangen und ich war auf einer christlichen Privatschule… Ich habe immer an Gott geglaubt und daran, dass es ihn gibt. Ich habe das von Anfang an für selbstverständlich gehalten, auch weil meine Eltern daran geglaubt haben, das war meine einzige Erfahrung. Allerdings ist es schwer zu verstehen, warum man Gott braucht, solange man nicht richtig schwere Zeiten durchgemacht hat. Mein Leben war immer so einfach und großartig, dass ich sagen konnte: Gott ist toll, aber ich muss nicht verstehen, welche große Rolle er in meinem Leben spielt. Ich habe ihn nie wirklich gebraucht.
Doch dann hatte ich auch irgendwann mit Problemen zu kämpfen, in Beziehungen, in der Familie, in meiner Karriere, wo ich anfing zu verstehen, warum ich Gott brauche. Und in dem Moment wurde der Glaube für mich eine persönliche Sache, das war dann nicht mehr allein das Resultat der elterlichen Erziehung. Und heute denke ich, dass ich es ohne den Glauben in meiner Musikkarriere nicht so weit geschafft hätte.

Der US-Präsident George W. Bush beruft sich sehr oft auf seinen christlichen Glauben, was hier in Europa oft mit großer Skepsis aufgenommen wird. Was denkst du darüber?
Orrico: Also, ich weiß ja selbst, wie es ist, wenn dich jemand beurteilt, in dem er dein Leben mit deinen Äußerungen zu Glauben und Religion vergleicht. Ich werde so viel kritisiert! Deswegen will ich jetzt George Bush nicht kritisieren für bestimmte Entscheidungen, die er getroffen hat, ich will auch sein Verhältnis zur Religion nicht beurteilen. Ich habe keine Ahnung, welche Beziehung er zu Gott hat, weil ich ihn nicht persönlich kenne.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Orrico: Oh, in so was bin ich ganz schlecht, weil ich kein Fernsehen gucke. Aber ich fühle mich gerade, als wäre ich der Roadrunner.

Ein Kommentar zu “Ohne den Glauben hätte ich es nicht so weit geschafft.”

  1. Joel |

    :)

    Toll, sie ist eine sehr gute Sängerin!

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