Scatman John

Ich bin nicht davon geheilt, daß es mir unangenehm ist zu stottern.

Scatman John über über seinen Lebensweg, den Umgang mit dem Stottern und seine Karriere als Musiker

Konrad Schäfers: Um zunächst einmal die Vorstellung zu erledigen: Diese beiden Damen sind Journalistinnen, das ist der Herr mit der Kamera, das ist Erhard Hennen, einer der großen, altgedienten Leute des deutschen Stotterer-Verbandes und einer ihrer Mitbegründer und grauen Eminenzen. Ich selbst bin ebenfalls Mitglied der Bundesvereinigung [Stotterer-Selbsthilfe], das ist der Name des deutschen Stotterer-Verbandes, der mich gebeten hat, dieses Interview zu führen.
Scatman John: Ich bin dafür sehr dankbar. Ich bin [auch] Vertreter des National Stuttering Project in Amerika, sie nennen mich ihren „reisenden Repräsentanten“.

Konrad Schäfers: Ich möchte ganz kurz den Hintergrund dieses Interviews erklären. Die Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe ist der nationale Stotterer-Verband [Deutschlands] – ganz ähnlich wie das NSP. Die BV ist der Dachverband von etwa 60 lokalen [Selbsthilfe-/Stotterer-]Gruppen; gleichzeitig hat sie eine Geschäftsstelle in Köln, die Dienstleistungen [für Menschen, die stottern] anbietet; dort werden Informationen gegeben und Beratungen durchgeführt. Nun ist eines unserer Probleme, die Altersgruppe der Jugendlichen von 10/12 bis zu 18 Jahren zu erreichen, und deshalb glauben wir, daß wir mit Dir auf Gold gestoßen sind. Du bist jemand, der Zugang zu diesen Jugendlichen hat. Sie hören Deine Musik, und dann sagen sie [vielleicht], „He, der Typ stottert, aber er macht seine Sache fabelhaft, und er scheint glücklich dabei zu sein!“ – und das mögen nicht nur die Jugendlichen sagen, die selbst stottern, sondern auch deren Altersgenossen, und Du weißt aus eigener Erfahrung, daß in dieser Altersgruppe der soziale Druck sehr groß sein kann. Wir glauben also, daß Du eine ganze Menge für diese Kinder und Jugendlichen tun kannst, wenn Du uns die Gelegenheit gibst, Dir einige Fragen zu stellen. Ich dachte, es wäre gut, wenn wir einige Stationen Deiner Stottererkarriere streifen und Du das mit ein paar netten Geschichten und Beispielen illustrieren könntest.
Scatman John: Zunächst einmal: Ich hätte mit dem Scatman-Projekt überhaupt nicht beginnen können, ohne zunächst die Tatsache offen herauszustellen, daß ich ein Stotterer bin. Dazu benutzte ich zwei der Verse im Lied, wie Du wahrscheinlich gehört hast: „Jeder sagt, daß der Scatman stottert, aber niemals, wenn er singt./ Aber was Ihr nicht wißt und ich Euch jetzt sage: Stottern und Scatten ist dasselbe Ding./ Jeder stottert auf die eine oder andere Weise, und deshalb hört jetzt mal genau hin:/ Laßt nur nicht zu, daß Euch irgendwas zurückhält/ wenn der Scatman es fertigbringt, könnt Ihr es auch!“ Das versuche ich vor den Kindern herauszustellen. Ich muß sagen, daß es eine Ehre für mich ist, hier direkten Kontakt mit Leuten zu haben, denen ich vielleicht helfen kann. Normalerweise auf der Bühne oder mit den Medien habe ich nicht solche offenen Gespräche, besonders nicht mit anderen Stotterern; das ist eine Ehre und gibt mir ein gutes Gefühl. Ja, ich versuche gern zu helfen!

Konrad Schäfers: Ich werde Dich nicht fragen, wann und wie Dein Stottern begann, aber erinnerst Du Dich, wie es Dir ging, als du im selben Alter warst, in dem Deine Fans heute sind, also im Teenage-Alter?
Scatman John: Wenn ich ein bißchen weiter zurückgreifen darf: Ich erinnere mich, wie unruhig [meine Kindheit] war. Es war sehr schmerzhaft, denn meine Freunde haben sich über mich lustig gemacht – Kinder können grausam sein! Ich erinnere mich an eine Situation: Ich stand vor dem Haus eines Freundes, und er und zwei andere von meinen Freunden gingen hinein, verschlossen die Türen und machten dort drinnen diese schrecklichen Stottergeräusche: „D-d-d-d-d-d-a-a-a…“, all diese grotesken Geräusche. Das war in meiner Erinnerung das erste Mal, daß ich Wut von dieser Qualität verspürte, ich war so wütend, daß ich sie umbringen wollte – und das war im Alter von etwa acht Jahren! Na ja, ich habe sie dann am nächsten Tag getroffen und sie verprügelt! Ich war noch so wütend, als sie zu mir nach Hause kamen; sie hatten alles schon vergessen, aber ich nicht. Ich erinnere mich, daß mein Vater mir eine knallte, um mich aus dieser Wut herauszuholen. Ich denke auch an eine Begebenheit in der Schule zurück, wo wir regelmäßig über aktuelle Nachrichten aus der Zeitung sprechen mußten, zum Beispiel „Die Regierung gibt bekannt, daß die Zahl der Automobile in Kalifornien…“ usw. An dem bewußten Tag stand ich vor der ganzen Klasse, und ich konnte einfach das erste Wort nicht herausbringe, ich konnte nicht „Die…“ sagen und brach in Tränen aus, als ich zu meinem Platz zurückging und meinen Kopf voller Scham in den Armen verbarg. Das sind so Beispiele, die sich jeden Tag zutragen konnten, wie Du wahrscheinlich selber weißt.

Konrad Schäfers: Wie war es mit Deinen Eltern? War es Dir möglich, mit ihnen über das Stottern zu sprechen?
Scatman John: „Das wächst sich aus..!“

Konrad Schäfers: Warst Du in Therapie?
Scatman John: Ich habe es in frühem Alter mit einer Therapie versucht, aber weil ich mich beim Therapeuten in der Praxis so minderwertig fühlte, habe ich versucht, mit Übertreibungen zu kompensieren und nicht gesagt, wie es wirklich war. Es war einfach alles sehr turbulent, und die übermächtige Angst vor dem Sprechen hielt an bis ich 45 oder 46 war. Ich habe mit Drogen und Alkohol versucht, die Unruhe und den Schmerz zu töten, habe mich fast selber umgebracht, um den Schmerz umzubringen.

Konrad Schäfers: Wurde es noch schwieriger für Dich als Jugendlicher, wenn Du zum Beispiel versucht hast, Dich mit Mädchen zu treffen?
Scatman John: Ich stand meiner Mutter näher als meinem Vater, ich war Johnny-Boy mit dem süßen kleinen Stottern, in dieser Beziehung ging’s mir immer gut. Ich habe mich immer in der Gesellschaft von Frauen wohler gefühlt als in der von Männern, weil mir meine Mutter näher war. Mein Vater war der strenge Zuchtmeister.

Konrad Schäfers: Also war es kein Problem, Dich mit Mädchen zu verabreden?
Scatman John: Ich konnte mich verabreden, aber ich war immer schüchtern.

Konrad Schäfers: Manche Mädchen mögen das, sie mögen Stotterer, aus irgendeinem Grund, ich weiß auch nicht warum…
Scatman John: Ja, das ist gut!

Konrad Schäfers: Du hast mal gesagt, Du hast Dich hinter dem Klavier versteckt. Wann hast Du angefangen, Klavier zu spielen, und was bedeutete Musik für Dich als Mensch mit einem Sprechproblem?
Scatman John: Mich hinter dem Klavier zu verstecken bedeutete, daß ich mehr von meinem Gefühlsleben durch das Klavier ausdrücken konnte anstatt es auszuspucken. Ich begann mit dem Klavierspielen, als ich 14 war, und es hat mich sofort voll gepackt. Meine Mutter hatte das Talent, sie hat es an mich weitergegeben.

Konrad Schäfers: Musik war also ein Weg, Deine Gefühle auszudrücken?
Scatman John: Ja. Ich glaube, mein Kernproblem ist das eines Stotterers. Ich sage das nur, weil ich immer geglaubt habe, daß es wegen der katholischen Kirche war, die mich einen strafenden Gott gelehrt hat. Außerdem wurde ich – nun, da ist noch mehr, aber ich glaube, das sage ich nicht in diesem Interview – jedenfalls habe ich erst kürzlich akzeptiert, daß das Stottern als Symptom mein Hauptproblem ist. Und wer weiß, was dahinter steckt, ich glaube nicht, daß wir das überhaupt herausgefunden haben.

Konrad Schäfers: Zurückschauend auf Deine Teenager-Jahre, glaubst Du, daß es Dir geholfen hätte, wenn es damals einen stotternden Rock’n Roll-Star gegeben hätte, zum Beispiel einen stotternden Elvis?
Scatman John: Ich hätte ihn wahrscheinlich zum Idol erwählt, wer immer es gewesen wäre, er wäre Gott gewesen, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.

Konrad Schäfers: Nun, das ist vielleicht, was [stotternde] Jugendliche heute ein wenig über Dich denken…
Scatman John: Nun, ich hoffe, ich kann helfen; das ist es, was ich tun möchte. Noch habe ich es nicht ganz überwunden, daß ich mich für mein Stottern schäme, aber ich habe die Scham abgebaut, und ich lasse nicht mehr zu, daß sie mich sabotiert. Es ist mir immer noch peinlich, vor Leuten zu stottern, die ich zum ersten Mal treffe; natürlich ist es hier anders, weil ich mich hier sicher fühle. Aber der Punkt, an dem ich im Moment stehe, ist der, nicht zu versuchen, das Stottern selbst zu überwinden – obwohl das der Traum jedes Stotterers ist -, sondern die Scham abzubauen. Wir sind nicht Menschen, die einen Defekt haben. Ich habe irgendwo das Wort ‚behindert‘ gehört – ich ziehe es vor, es als Herausforderung zu betrachten; Menschen mit einer Herausforderung, das ist eine viel gesündere Sichtweise, denn von der spirituellen Ebene her gesehen, gibt es keine mangelhaften Menschen.

Konrad Schäfers: Wie Leonard Cohen es einmal ausgedrückt hat: „There is a crack in everything / and that is how the light gets in.“ (Alles hat irgendwo einen Knacks, und auf diese Weise kommt das Licht hinein.)
Scatman John: Ja, das ist ein sehr schönes Bild: die Wände des Bannes, unter dem wir stehen, haben ein Loch…

Konrad Schäfers: Könnte das eine Botschaft für jugendliche Betroffene sein, ihr Stottern als Herausforderung zu begreifen?
Scatman John: Ja, das versuche ich ihnen zu sagen, es ist eine Herausforderung. Ich denke, was ich den Kids in den Medien zu sagen versuche, ist: Wir alle haben Probleme, einige sind sichtbar, andere nicht, aber wir alle haben Probleme. Sich selbst zu akzeptieren mag schwierig für ein achtjähriges Kind sein, aber daß Gott keinen Abfall macht, das ist vielleicht nicht schwer zu verstehen.

Konrad Schäfers: Bei einem kleinen Kind sind es die Eltern, die dem Kind das Gefühl geben müssen, daß sie ihre Kind akzeptieren wie es ist.
Scatman John: Ja, sehr gut. Das ist etwas, an dem ich noch von meinem Vater her zu tragen habe. Er ist verstorben, aber, verdammt noch mal, ich kann ihn noch dasitzen sehen und den Kopf schütteln: Nie gut genug, nie gut genug… Ich weiß, daß er es gut gemeint und seine Erziehungsaufgabe so gut erledigt hat, wie er konnte. Aber in dem Programm der 12 Schritte, in dem ich bin, hat man mich gelehrt, die Tatsache zu akzeptieren, daß er es falsch gemacht hat. Aber das betrifft nur mich selbst; ich trage da noch Wut mit mir herum, und ich habe noch nicht alle Kindheitsprobleme gelöst. Vielleicht muß ich diese Gefühle behalten wie einen Treibstoff. Denn ich glaube, Zorn kann eine positive Sache.

Konrad Schäfers: Wiederum, wenn Du ihn akzeptierst Teil Deines Gefühlslebens… Wie ich verstanden habe, hast Du dann eines Tages beschlossen, Berufsmusiker zu werden. War das ein Weg, mit Deinem Stottern zu Rande zu kommen?
Scatman John: Damals habe ich nicht darüber nachgedacht, daß das eine Art der Bewältigung sein könnte oder ein anderer Weg zu sprechen. Ich erinnere mich an den Tag im College, an dem ich beschloß, Jazzpianist zu werden – koste es, was es wolle. Ich war die meiste Zeit meines Lebens ziemlich hungrig…

Konrad Schäfers: Auf Deiner CD findet sich eine Widmung, in der es heißt, daß Du Dich vor etwa acht Jahren umgestellt hast von „einem Leben im Problem auf ein Leben in der Lösung“. Was meinst Du damit?
Scatman John: Ich bin zum ziemlich schweren Alkoholiker und zum Drogenabhängigen geworden – aufgrund eines Berufsrisikos und, wahrscheinlicher noch, weil ich mit dem Schmerz, ein Stotterer zu sein, umgehen mußte. Bis zu jener Zeit hatte mich das sabotiert; die Angst zog mich runter und hielt mich davon ab, in meiner Entwicklung zu einem produktiven Mensch voranzukommen. Ich wurde sauber in einem 12-Schritte-Programm, und die Leute in diesem Programm zeigten mir nicht nur, wie man sauber bleibt, sondern auch, wie man ein glückliches Leben führt ohne Drogen und Alkohol. Zu jener Zeit begann ich zu entdecken, was in meinem Innern vorging – ob Du es glaubst oder nicht, Stottern war die letzte Sache, der ich mich gestellt habe. Ich kam zu den „Erwachsenen Kindern von Alkoholikern“ und zu jedem vorstellbaren 12-Schritte-Programm, und ich fand genug über mich selbst heraus, daß ich sagen konnte: Kein Wunder, daß es so gekommen ist. Ich kann für niemand anderen sprechen, aber ich verstehe jetzt, warum ich mich fast umgebracht habe. Aber als die Drogen nicht mehr funktionierten, mußte ich sauber werden, und das alles hat mich fast das Leben gekostet. Ich sage das, weil ich will, daß die Jugendlichen das wissen, denn ich bin nicht nur in Lage, als Stotterer zu helfen, sondern ich kann auch Menschen helfen, die Probleme mit Drogen und Alkohol haben. Was ich also versuche ist zu helfen; das ist das einzige was für mich Sinn macht, denn ich habe eine Menge Brücken hinter mir abgebrochen, bevor ich sauber wurde. Alles, was vorher wichtig gewesen war, hatte keine Bedeutung mehr. Ich bin angekrochen gekommen: Hier bin ich, helft mir, zeigt mir, was ich machen soll. Das haben sie getan, und seitdem ging es mit meinem Leben steil aufwärts. Und das auch, weil ich akzeptiert habe, das ich stottere. Es hat Zeit gebraucht. Ich muß den Kids, die vielleicht nicht verstehen, warum sie in all ihrem Schmerz sind, sagen: Es gibt einen Grund, den Ihr vielleicht jetzt nicht kennt, aber bei mir haben sich all die Probleme meiner Kindheit in eine Quelle der Stärke verwandelt. Die Probleme selbst sind für mich zu einer Art Treibstoff dafür geworden, nicht nur diese, sondern auch andere Probleme zu überwinden.

Claudia Mende: Wie kommunizierst Du mit diesem Publikum, durch Deine Musik, oder gibt es noch eine andere Art der Kommunikation?
Scatman John: Oh, Du solltest sie während der Konzerte sehen, sie sind wunderbar: „Scatman, Scatman…“ Es ist, als ob man unschuldige Wesen erreichen könne. Ich versuche immer, alle ihre Autogrammkarten zu unterschreiben, und wenn ich es eilig habe und keine Autogramme geben kann, oh weh, dann gibt es ein großes Geschrei. Ich habe jetzt etwas arrangiert; wenn ich wirklich gehen muß, zieht mein Tourmanager mich weg, und ich kann sagen: „Ich kann nicht, ich kann nicht, seht mal, wie gemein der ist..!“

Konrad Schäfers: Die Zeit, als Du wechseltest vom Leben im Problem zum Leben in der Lösung, war das auch die Zeit, als Du beschlossen hast, Dein Stottern nicht mehr zu verstecken? Ich meine, die Frage ist, ob man es überhaupt verstecken kann, aber es ist eine gefühlmäßige Sache, ob man es verstecken will.
Scatman John: Sobald ich zu meiner Zeit als Jazzmusiker meinem Publikum sagte, daß ich ein Stotterer bin und daß ich gern helfen wolle, wenn jemand das gleiche Problem habe, wurde es leichter für mich, und mein Sprechen wurde auch flüssiger. Ich fühlte mich entspannter und sagte mir, vielleicht ist es okay zu stottern. Ich bin nicht davon geheilt, daß es mir unangenehm ist zu stottern, aber ich denke, das Wichtige ist, daß ich nicht mehr zulasse, daß es mich sabotiert. Und das meine ich, wenn ich sage, Probleme können eine Quelle der Stärke sein. Ich glaube, die Schöpfung verfolgt eine Absicht damit, wenn sie uns Probleme gibt.

Jutta vom Hofe: Du bist also auch ein religiöser Mensch?
Scatman John: Ich bin nicht religiös, sondern ich versuche, ein spiritueller Mensch zu sein, weil wir das sowieso sind. Ich versuche, dem, was ich unter Gott verstehe, so nahe wie möglich zu sein. Jetzt bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich mich beschützt fühle – früher versuchte ich, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und das ist mir nicht sehr gut gelungen. Irgendwie mußte ich die Bedeutung des Wortes ‚Kapitulation‘ lernen. Kapitulieren ist gewinnen, weil ich es nicht mehr mit allem aufnehmen muß. Alles, was ich jetzt versuche, ist Menschen glücklich zu machen anstatt die bestmögliche Show im Leben abzugeben. Ich glaube, die ganze Scatman-Sache geht in die Richtung der Lösung, und daß Gott dies von mir will, und wenn er das will, wird er da zur Stelle sein, mich zu tragen. Kennt Ihr die Geschichte von den Fußabdrücken im Sand? Sie handelt von dem Kind, das mit Gott durch den Sand geht, und da sind immer zwei Paar Fußabdrücke, und eines Tages schaut das Kind in den Sand und sieht nur noch ein Paar Abdrücke. Es wendet sich an Gott und sagt: „Du hast mich verlassen, Gott, warum hast Du mich verlassen?“, und Gott sagt: „Nein, mein Sohn, ich habe Dich nicht verlassen, ich habe Dich getragen…“

Konrad Schäfers: Die Geschichte von Scatman und Scatish, der Sprache in Scatland, die Harmonie und Glück erzeugt, handelt davon, daß es nicht wichtig ist, wie man spricht, solange man kommuniziert?
Scatman John: Als das Lied aufgenommen wurde, konnte ich nicht alle Worte unterbringen. Der Originaltext lautete: „Die Menschen in Scatland sprechen Scatish, Scatish ist eine Sprache nicht ganz wie ein Kobold. Sie hört sich an wie die Sprache der Menschen auf der Erde, die in ihrer eigenen Zunge stottern.“ Aber als wir die Aufnahmen machten, konnte ich das nicht in einem viertaktigen Schema unterbringen, und sie haben das Wort „Stottern“ herausgenommen.

Konrad Schäfers: In einer Zeitschrift habe ich die Bemerkung gefunden, Du seist ein „schwerer“ Stotterer. Persönlich finde ich, daß Du ziemlich flüssig stotterst. Stört es Dich, wenn Dir so ein Etikett aufgedrückt wird?
Scatman John: Hast Du die Erfahrung gemacht, daß Du für eine Zeitlang flüssig sprechen konntest? Das ist bei mir immer häufiger geworden. Ich habe mal Telefoninterviews in Oslo gegeben, zwölf Interviews hintereinander, und ich kam so in diesen Rhythmus, daß ich flüssig sprach. Der Interviewer fragte mich: „Nehmen Sie uns auf den Arm? Machen Sie sich über die Stotterer lustig? Ich habe Sie überhaupt nicht stottern hören!“ Und ich mußte ihm erklären, daß wir flüssige Perioden haben. Stottern ist so vertrackt!

Konrad Schäfers: Wo wir über Etikette sprachen, findest Du, daß in Deinem Fall das Stottern als Warenzeichen benutzt wird, für Marketingzwecke?
Scatman John: Das kann passieren, aber das ist etwas, worüber ich keine Macht habe.

Konrad Schäfers: Das ist nicht Deine Absicht?
Scatman John: Nein, nein. Ich versuche, Kindern und allen Menschen zu helfen. Das ist das einzige, was für mich Sinn hat im Leben. Natürlich ist es schön, erfolgreich zu sein, aber für mich war sozusagen das Pferd tatsächlich vor dem Auto da, also, ich sagte: „So, Leute, ich bin jetzt sauber und trocken; was soll ich tun?“ Und sie sagten: „Geh‘ raus und versuche, Menschen zu helfen. Wenn Du das versuchst, wird das Verlangen zu trinken und Stoff zu konsumieren niemals zurückkommen – immer für den jeweiligen Tag.“ Und ich sagte, „Okay, ich tue alles, was ihr wollt.“ Ich bin eigennützig, ich habe ein Ego, und ich bin ganz bestimmt kein Heiliger. Ich versuche nur zu helfen. Es gibt sowieso keinen Platz für Heilige heutzutage, sie sind nicht besonders erfolgreich…

Konrad Schäfers: Du bist offensichtlich ein perfektes Beispiel für Selbsthilfe, indem Du Dir selbst geholfen hast. Hast Du Erfahrungen mit organisierter Selbsthilfe, bist Du in einer Selbsthilfegruppe gewesen?
Scatman John: Ja, ich bin sehr aktiv in einer 12-Schritte-Organisation. Die Organisation selbst möchte in den Medien anonym bleiben, aus diesem Grund nenne ich ihren Namen nicht, aber jedenfalls bin ich Mitglied einer weltweiten Organisation.

Konrad Schäfers: Du bist auch Mitglied des National Stuttering Project…
Scatman John: Oh ja…

Konrad Schäfers: Und ich habe von Kontakten zu den Japanern gehört.
Scatman John: Ja, ich habe Leute von dem Verband drüben getroffen. Leider ist der Name in japanisch, und ich kann mich nicht daran erinnern. Jedenfalls habe ich sie getroffen, jetzt treffe ich Europäer, ja, das ist wunderbar.

Konrad Schäfers: Wir können einmal ein europäische Treffen abhalten und Dich dazu einladen…
Scatman John: Das würde bei meinen Plänen ganz vornan stehen. Die Japaner haben ein Treffen im Frühjahr, und ich da würde ich gern teilnehmen.

Konrad Schäfers: Du gehst nächstes Jahr auf Tournee?
Scatman John: Ja, die Scatman-Tournee beginnt hier in Deutschland am 15. Januar 1996 mit einer guten Band, wirklich. Danach wollen wir nach Japan gehen, aber bevor wir dort Konzerte geben, müssen wir die Promotiontour durch Asien beenden.

Konrad Schäfers: Wirst Du über das Stottern sprechen bei Deinen Konzerten?
Scatman John: Normalerweise spreche ich bei Konzerten nicht über das Stottern, außer manchmal, wenn ich einen Block habe. Ich versuche das gewöhnlich auf die Texte zu beschränken, und ich spreche auch meist flüssig auf der Bühne, weil ich so eine erzwungene flüssige Sprechweise anwende, so nach der Art HEY, KIDS, HIER BIN ICH – SKEE BAP BAP DOO… Ich will nicht stottern, es zieht mich immer noch ‚runter.

Jutta vom Hofe: Könntest Du uns eine Kostprobe des Scatgesangs liefern?
Scatman John: Oh ja. SKOO BEE…

Konrad Schäfers: Aber ich nehme an, Du wirst auch zu Talkshows und ähnlichen Dingen eingeladen werden. Könntest Du Dir vorstellen, bei diesen Gelegenheiten zu erwähnen, daß es Organisationen gibt, die Stotterern helfen können.
Scatman John: Ja, wie ist der Name Eures Verbandes…

Konrad Schäfers: Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe… Ja, das ist noch schwieriger als der Scatgesang!
Scatman John: Wäre es in Ordnung, wenn ich sage, daß ich ein Vertreter Eures Verbandes bin?

Konrad Schäfers: Ja, sehr gut, wir können Dich zum Ehrenmitglied machen. Möchtest Du diesen Button? Da steht drauf „Ich stottere – na und?“
Scatman John: „Ich stottere – na und?“ Das ist großartig. Jetzt kann ich sagen, daß ich Vertreter mehrerer Stotterer-Verbände bin…

Konrad Schäfers: Würdest Du Scatten als Therapie für Stotterer empfehlen…
Scatman John: Oh ja…

Konrad Schäfers: Wenn also eines Tages Deine Karriere als Popstar vorbei ist, könntest Du ins Therapiegeschäft gehen – die „Scat-Therapie“.
Scatman John: Ja, es ist tatsächlich eine Art von Scat-Therapie. Wenn Stotterer beim Stottern versuchen innezuhalten und die Silben, bei der sie stottern, weiterzutragen, zum Beispiel: „St-st-st-t-t-t-t st-t-t-tn-tn…., dann frag Dich selbst, an welchem Punkt hörst Du auf zu stottern und beginnst mit dem Scatsing – das ist schon interessant. Ich habe auch immer gesagt, daß ich durch das Stottern gelernt habe zu scatten, und damit meine ich die Aussprache, die Aussprache der Wörter – Skoo Bee Doo Bee… Ja, Stottern hat einen Einfluß auf den Scatgesang gehabt.

Erhard Hennen: Wieviele Stunden am Tag mußt Du das üben? Das ist so unglaublich schnell!
Scatman John: Ja, wieviele Stunden… 1975/76 beschäftigte ich mich mit einer speziellen Klaviertechnik, und während ich spielte, sang ich mit – so verbesserte sich meine Gesangstechnik und die Geschwindigkeit. Außerdem kann ich eine Resonanz in meiner Kehle erzeugen. Ich fand das heraus, als ich auf dem Weg zu einem Konzert in Kalifornien war, da kam das plötzlich heraus, und ich sagte mir: „Was war das, das mußt du machen…“ – Alles, nur nicht stottern… ICH STOTTERE, ABER SEHT WAS ICH ALLES KANN… Ja, es geht sehr darum zu kompensieren beim Scatting. Natürlich ist nicht jeder, der Scat singt, ein Stotterer, aber ICH bin einer…

Claudia Mende: Könntest Du etwas darüber erzählen, wie sich Deine Karriere entwickelt hat?
Scatman John: Aus Angst vor dem Stottern habe ich mich im Verborgenen gehalten, ich habe mich hinter dem Klavier versteckt, wie ich vorhin schon gesagt habe. Um 1980 herum begann ich, auf Kreuzfahrtschiffen zu spielen, und bei diesen Auftritten mußte ich auch singen, und wie man weiß, stottern Stotterer beim Singen nicht, und so kam ich mehr und mehr aus mir heraus. Aber bis vor vier oder fünf Jahren bin ich nicht wirklich mit dem Stottern klargekommen, was das Akzeptieren angeht. Jedesmal wenn ich stotterte, sagte ich mir, ich stottere jetzt im Augenblick, aber das geht vorüber, es ist nicht die lebenslängliche Sabotage, die es in Wirklichkeit ist – oder war.

Konrad Schäfers: Hast Du schon mal dieses Poster gesehen? [Poster der SFA]
Scatman John: Ja, das ist großartig.

Konrad Schäfers: Wir möchten etwas ähnliches hier in Deutschland machen und Dich fragen, ob wir Dich auf einem Poster bringen dürfen?
Scatman John: Ganz bestimmt, das wäre eine Ehre für mich.

Konrad Schäfers: Arbeitest Du an Deinem zweiten Album?
Scatman John: Wir haben einige der Lieder fertig, und das Grundkonzept soll Mitte Januar [1996] stehen. Aufnehmen werden wir das Album aber nicht vor April.

Konrad Schäfers: Wird es vom Stil her anders sein, zurück zu Deinen Wurzeln [als Jazzmusiker]?
Scatman John: Ich wünschte, es würde so.

Konrad Schäfers: Mir persönlich gefallen die Jazznummern am besten…
Scatman John: Mir auch!

Konrad Schäfers: …aber das ist vielleicht eine Frage des Alters.
Scatman John: Aber das ist in Ordnung. Ich mache den Kids immer klar, daß das, was Scatman heute macht, tatsächlich Jazz ist – Pop ist Jazz, Rock ist Jazz. Jedenfalls wird es nicht genau dasselbe sein wie das erste Album, aber ich bin noch nicht ganz sicher, was das heißen wird.

Konrad Schäfers: An einer Stelle hast Du gesagt, daß Du Deiner Frau eine Menge verdankst.
Scatman John: Sie ist diejenige, die mich wirklich vorwärtsgebracht hat. Als ich sie das erste Mal sah, sagte sie: „Du hast Talent, ich werde etwas aus Dir machen!“

Konrad Schäfers: …und Du sagtest: „Ja, bitte, mach‘ etwas aus mir…“?
Scatman John: Im Stillen war es wohl das, was ich sagen wollte, aber weil ich ein männliches Ego habe, sagte ich: „Moment mal, niemand wird mich kontrollieren!“ Aber sie tut es, und ich genieße es. Sie ist es, die mich dazu gebracht hat, mich dem Stottern zu stellen. Sie ist eine großartige Frau.

Konrad Schäfers: Es passiert ganz häufig, daß Ehen zerbrechen, wenn Stotterer ihre Einstellungen zum Stottern zu ändern beginnen…
Scatman John: Ja, wir hatten auch unsere Streitigkeiten! Sie wollte sich nicht nach mir richten, sodaß ich fortgehen mußte, bis mir klar wurde, daß vielleicht ich das Problem war. Ich kenne sie ziemlich gut, aber wer weiß schon, welche Erfahrungen sie gemacht hat in ihrem Leben, in ihrer Kindheit… ich weiß es nicht. Alles was ich weiß ist, daß ich mich ändern kann, immer nur ein kleines bißchen – und das ist genug!

Claudia Mende: Wieviele Platten hast Du weltweit verkauft?
Scatman John: In Japan sind es jetzt 1 Million, mit 1,5 Millionen wird gerechnet. In der ganzen Welt mögen es zwei Millionen sein, und wahrscheinlich werden es 2,5 Millionen. Außerdem vier Millionen Exemplare von „Scatman“. Unglaublich – ich habe das nicht erwartet: Scatsinging, geh‘ mir weg, das ist doch was neues, ich hätte nie erwartet, daß das irgendwo in den Top Ten oder Top Twenty landen würde.

Claudia Mende: Wie erklärst Du Dir diesen Erfolg?
Scatman John: Ich habe es analysiert bis zum gehtnichtmehr, bin auf sechs oder sieben Gründe gestoßen – ich weiß es nicht. Die Kinder mögen Scatman, und immer, wenn ich auftrete, versuche ich, mich auf sie einzulassen – ich liebe sie einfach, vielleicht, weil ich selbst keine Kinder habe und das diesen Teil von mir ausfüllt. Ich muß ihnen einfach sagen: Es ist in Ordnung; es ist in Ordnung, Probleme zu haben.

Erhard Hennen: Die Texte schreibst Du selbst?
Scatman John: Ja, den Text schreibe ich selbst; jedes Wort auf diesem Album ist von mir; wenn Euch der Text nicht gefällt, ist das mein Fehler…

Konrad Schäfers: Noch einmal, es ist einfach fantastisch: All die Popzeitschriften und Magazine, die versuchen, das Bild einer glänzenden und perfekten Welt zu zeichnen; die Popstars, die alle perfekt sind, perfekte Körper, perfekter Geist; und dann kommt da so etwas wie hier in diesem deutschen Magazin, in dem steht „der Stottermann“ – also eine Behinderung wird plötzlich zu einem ganz natürlichen Thema, über das man sprechen kann. Dafür müssen wir Dir wirklich danken!
Scatman John: Oh, bitte sehr. Nun, ich habe erst kürzlich gelernt, auch Komplimente anzunehmen… Ja, dieses Gespräch war sehr, sehr gut. Ich habe mich wirklich darauf gefreut.

11 Kommentare zu “Ich bin nicht davon geheilt, daß es mir unangenehm ist zu stottern.”

  1. Werner S. |

    Eine interessnte Persönlickeit!

    Scatman John oder John Larkin war eine sehr interessante Person und ein symphatischer Mensch. Schade, dass man ihn nicht mehr live erleben kann oder die Gelegenheit haben kann, ihn zu treffen, denn er ist wirklich eine Ikone und ein Symphatieträger für mich.

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    1. Mönchen |

      Erst heute habe ich seinen Riesen-Hit „Ski-Ba-Bob-Ba-Dop-Bop“ wieder gefunden und nach wie vor ist er cool zu hören und ein Ohrwurm…nach sovielen Jahren

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  2. Raphael |

    Ich finde es auch zum heulen!
    Aber wie heissen den all diese Alben?
    Habe nur etwa 12 Lieder vom Scatman, dem guten Sänger.
    Ihr könnt ein Programm bei Google downloden, das wie folgt heisst:
    „Bear Share download“
    Ihr müsst ein wenig suchen, dann findet Ihr ein GRATIS Freeware Programm, bei dem Ihr kostenlos alles Lieder downloaden könnt!
    Es gibt aber auch eine kostenpflichtige Version!
    Würde mich freuen, wenn jemand die Alben oder die Namen aller Songs von Scatman weiss!!!
    Gruss Raphael

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  3. Miehzman |

    Schade

    Ich finds auch schade, dass er tot ist. Es geht ja nich nur um die Musik, es ist insgesamt schade, dass er tot ist, aber man denke nur mal an die Musik die noch von ihm gekommen wäre :-(

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  4. Florian |

    ist richtig. nachdem er mit 3 alben und 7 maxis ca. 20 millionen tonträger verkauft hat stab er an krebs. sehr traurig.

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  5. Anonym |

    Great

    Ich wusste gar nicht dea er ein Stotterer ist, der Typ ist einfach nur cool!!! Ich höre ihn eigentlich gern, auch heute noch. Das Lied „Scatman“ war der Grundschulhit. Schade, ich glaub er ist jetzt tot!!

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  6. Anonym |

    Backstein

    …. wat n cooler Typ….. ne seinerzeit ganz neue Musik, welche Dynamik, viel liebenswertes und gleichzeitig sehr viel Reflektion mit sich bringt……. schade, das er seinen Erfolg nicht ausleben und weiterentwicklen konnte…….

    …. hätte mich über viele neue Aufnahmen und Botschaften über ihn gefreut….. :o)

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  7. Anonym |

    Ne soweit ich gehört habe ist er 99 gestorben mit 57 Jahren so viel ich weiss

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  8. Fang den Keks |

    Mal was Offtopic ;)
    Hab die Musik vom Scatman früher geliebt und hör se mir auch heut noch manchmal an wen ich gute Laune hab. Weiss jemand obs den noch gibts bzw. ober er noch Musik macht? ^^

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  9. Goe |

    Re: PsykoMans comment

    Zumindest war er es.

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  10. Kai G |

    PsykoMans comment

    Dieses Interview ist super ich wusste gar nicht dass der scatman stottert! Abewr egal er ist trotzdem einer der besten sänger dieser welt!!!!!!!!!!

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