Walter Sittler

Verantwortung ist geil.

Schauspieler Walter Sittler über Publikum, TV-Serien, die ZDF-Reihe „Der Kommissar und das Meer“ und warum er mit dem Wort Heimat nicht so viel anfangen kann

Walter Sittler

© Tobias Goltz

Herr Sittler, kurz vor diesem Interview haben Sie von einem weiblichen Fan eine Rose überreicht bekommen. Wie empfinden Sie diese Art der Zuneigung?
Sittler: Es gefällt mir ehrlich gesagt ganz gut. Denn es heißt, dass meine Filme gerne geguckt werden. In einer Zeit, in der die Quote wesentlich ist für die weitere Arbeit, ist es gut, wenn ein Film von vielen Menschen gesehen wird. Es ist auch schön, eine direkte Aussage der Zuschauer zu bekommen. Auf diese Weise sehe ich, dass das, was ich als Schauspieler möchte, nämlich die Menschen zu berühren, über das Medium des Fernsehens funktioniert. Auf der Bühne hingegen merke ich das sofort, aber beim Fernsehen ist man ja normalerweise ganz allein.

Eine Rose ist aber auch etwas sehr Persönliches. Sie werden regelrecht verehrt.
Sittler: Ja. Durch die vielen Jahre, die ich jetzt schon im Fernsehen zu sehen bin und auf Grund der Tatsache, dass ich das Glück hatte, so viele wirklich schöne Rollen spielen zu können, ist es manchmal so, dass einige Menschen das Gefühl haben, mich zu kennen. Weil ich quasi bei ihnen im Wohnzimmer im Sessel sitze. Dabei kommen dann manchmal ganz persönliche Sachen heraus. Viele Menschen kommen auf mich zu, rufen „Hallo Herr Sittler“ und denken, ich müsste sie kennen. Eben weil sie begeistert sind. Wenn jemand von einem Film begeistert ist, finde ich das sehr schön.

Großen Anteil an Ihrer Popularität haben sicherlich die Serienerfolge, die Sie mit „Nikola“ und „Girl friends“ erlebt haben. Bei vielen Schauspielern sind Serien verpönt. Zu unrecht?
Sittler: Das hat sich längst geändert, weil das Fernsehen einen anderen Stellenwert bekommen hat. Ich habe großen Respekt vor einer guten Serie. Die Menschen lieben sie. Sie erkennen die Schauspieler wieder. Sie identifizieren sich mit ihnen. Serien sind ein sehr geeignetes Fernsehformat, aber sie haben eine andere Erzählstruktur als Filme. Es gibt deutlich mehr Figuren. Eine familiäre Konstellation oder ein Beziehungsdrama lässt sich meist nicht auserzählen. Daher sehnt man sich manchmal nach Filmen. Einfach weil man da mehr spielen kann.

Die Gelegenheit haben Sie in der neuen ZDF-Reihe „Der Kommissar und das Meer“, in der Sie einen deutschen Kommissar spielen, der auf einer schwedischen Insel arbeitet. Wie schwer fällt der Spagat zwischen komödiantischen Rollen, die Sie bisher hauptsächlich gespielt haben, und ernsten Rollen wie der des Kommissars?
Sittler: Ich mache das ja schon sehr lange, habe 15 Jahre lang Theater gespielt. Es ist ein Teil des Berufes. Wenn das Buch gut ist, dann ist es ganz egal, was für eine Art Genre es ist. Das spielt sich dann relativ leicht. Wenn man in einem Genre lange sehr präsent war, dann spielt man sehr gerne wieder in einem anderen. Am besten ist es sicherlich, wenn man beides nebeneinander macht.

Wie würden Sie den Kommissar beschreiben?
Sittler: Er ist ein sehr nüchterner Mensch. Jemand, der sagt: Man muss sich die Sachen anschauen, egal wie schön oder scheußlich sie sind. Sein Ziel ist es, Gerechtigkeit herzustellen. Dennoch versucht er ein möglichst normales Leben aufrecht zu erhalten, um seine Vergangenheit, die dem Zuschauer rudimentär vermittelt wird, zu bändigen.

Die Vergangenheitsbewältigung des Kommissars ist ein wesentliches Element der Reihe. Gibt es auch in Ihrem Leben Dinge aus der Vergangenheit, die noch nachwirken, die Sie noch nicht vollständig verarbeitet haben?
Sittler: Mein Vater ist schon seit über 30 Jahren tot. Das ist schwierig für mich, weil ich nicht die Gelegenheit hatte, mich von ihm abzulösen. Eine Auseinandersetzung hat nie stattgefunden. Leider bekomme ich auch nur noch mittelbare Aussagen von seiner Zeit im Krieg. Eben weil die unmittelbaren nicht mehr möglich sind. Das spielt in meinem Leben sicherlich keine unwichtige Rolle. Meine Vergangenheit ist immer da.

Der Kommissar hat eine sehr enge Bindung zu seinem Sohn. Die familiäre Situation bildet den Rahmen für alles Weitere. Warum wird darauf so viel Wert gelegt?
Sittler: Mir hat in diesem Fall sehr gefallen, dass er kein einsamer Wolf ist, der auf Grund seiner schwierigen und häufig unangenehmen Arbeit beziehungsunfähig ist, sondern jemand, der versucht, auf jeden Fall ein Zuhause zu haben. Keiner, der sagt: Die Welt ist so schlecht, ich kann auch kein Zuhause ertragen. Solche gibt es auch. Was gar nicht abwertend gemeint ist. Aber wir wollten das eben nicht.

Ihr Zuhause, wo ist das?
Sittler: Ganz einfach: Mein Zuhause ist dort, wo die Familie ist. Wenn die Familie nach Ghana geht, gehe ich nach Ghana.

Sie haben die ersten Jahre Ihres Lebens in den USA verbracht. Sie haben Geschwister und haufenweise Verwandte, die dort leben. Was für ein Verhältnis haben Sie heute zu diesem Land?
Sittler: Ich bin im Wesentlichen hier in Deutschland und habe meine gesamte berufliche Laufbahn in Deutschland erlebt. Aber wenn ich in die USA fliege, dort aus dem Flugzeug steige und die Luft rieche, empfinde ich durchaus ein Gefühl von…

Zitiert

Meine Vergangenheit ist immer da.

Walter Sittler

…Heimat?
Sittler: Zumindest fühlt es sich im Rahmen dessen, wozu ich zu empfinden in der Lage bin, so an. Ich persönlich kann mit dem Wort Heimat nicht so wahnsinnig viel anfangen, weil ich so viel umgezogen bin. Ich beneide die, die das haben. Das heißt aber nicht, dass ich zu dem Wort Heimat ein schlechtes Verhältnis hätte. Überhaupt nicht. Ich finde, dass es etwas sehr Wunderbares ist. Etwas, das weder moralisch noch ethisch gut oder schlecht ist. Es ist ein Glücksgefühl. Ich habe es jedoch nicht.

Inwiefern hat Sie das viele Umziehen in Ihrer Kindheit geprägt?
Sittler: Weil ich niemals zehn Jahre lang am gleichen Ort gewesen bin, sind die entscheidenden Bindungen in den ersten Jahren ausschließlich innerhalb der Familie entstanden. Als kleiner Junge war die Familie für mich dort, wo auch ich war. Ich kann mich gar nicht erinnern, dass viele Freunde da gewesen wären. Die waren sicher auch da. Aber sie spielten nicht dieselbe Rolle wie heute bei meinen eigenen Kindern. Mit meiner Frau und meinen Kindern bin ich einmal umgezogen. Von Mannheim nach Stuttgart. Da war die Älteste drei. Danach ist sie aber eben 15 Jahre lang am selben Ort gewesen. Und hat jetzt Freunde für immer. Diese jahrelangen Verbindungen habe ich nicht.

Vermissen Sie die?
Sittler: Da ich es nicht kenne, sie zu haben, weiß ich nicht genau, was ich vermisse. Aber ich sehe, was die Anderen dort haben. Sagen wir mal so: Ich vermisse das, von dem ich glaube, was es ist. Aber ich habe Freunde und alles. Ich fühle mich auch wohl.

Der Film hat an bestimmten Stellen etwas sehr Melancholisches, beispielsweise in den Szenen, in denen der Kommissar auf das Meer blickt und die Inselatmosphäre spürbar wird. Überträgt sich diese Melancholie während der Dreharbeiten ein Stück weit auf einen selbst?
Sittler: Die Melancholie ist mal da, mal nicht. Und in diesem Fall gab es etwas mehr davon, weil es insgesamt sehr tragische Geschichten sind, mit denen wir uns beschäftigt haben. Ich finde überhaupt, dass die Melancholie im europäischen Film eine ganz wichtige Rolle spielt, dass sie eine spezielle Farbe hat, dass sie das Gefühl des europäischen Films ausmacht. Der englische Film „Ganz oder gar nicht“ zum Beispiel ist eine sehr gute Komödie. Trotzdem ist er auch traurig. Man kann auch die französischen oder die neuen deutschen Filme wie „Das wahre Leben“ oder „Vier Minuten“ nennen. Was auch immer Sie nehmen: Neben allem Heiteren, Schnellem, Witzigen gibt es immer die Melancholie. Nicht beim „Schuh des Manitu“. Aber das ist eine andere Art Film, da wird etwas komplett Anderes erzählt.

Der Kommissar hat ein sehr gespaltenes Verhältnis zu einem Journalisten, dessen aufdringliche und gewissenlose Art er nicht mag, dem er regelrecht misstraut. Was für Erfahrungen haben Sie mit Journalisten gemacht?
Sittler: Es gibt solche, die schreiben, was sie gehört haben. Dann gibt es solche, die schreiben, was sie gerne gehört hätten und irgendwelche negativen Sachen unterschieben. Die dann so ein Moralzeug daraus machen. Die um jeden Preis irgendeine dunkle Ecke finden wollen, weil sie das spannend finden. Im Prinzip finde ich den Beruf ganz toll. Ich finde auch, dass er ganz verantwortungsvoll ist. Ich stelle aber auch immer wieder fest, dass dieser Verantwortung in einer ganzen Reihe von Fällen nicht gerecht geworden wird. Eine gute Zeitung ist offen und fair. Manche großen Zeitungen tun das nicht – da ist die gewinnträchtigste Schlagzeile jede Verdrehung wert.

Stichwort Verantwortung: Sie haben kritisiert, dass viele Politiker ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen nicht gerecht werden.
Sittler: Wir kriegen in Deutschland nicht einmal einen Mindestlohn. Wir haben Löhne, bei denen ein Familienvater mit zwei Kindern von der gesamten Arbeitszeit, die er hergibt, nicht leben kann. Das geht nicht. Die Tendenz geht dahin, dass beide Elternteile arbeiten müssen. Nicht wollen, sondern müssen. Es gibt im Prinzip genug Leute, die wissen, was getan werden muss. Aber die Durchführung ist das Problem. Es wird gesagt, dass man seine Rechnungen zu bezahlen hat. Aber nicht einmal die Bundesregierung bezahlt ihre Rechnungen! Da gehen Firmen Pleite beim Bau des Reichstags. Das ist unglaublich! Die Lippenbekenntnisse sind da, aber wenn es darauf ankommt, dann drücken sie sich. Weil sie genau wissen, dass die Konkurrenz so groß ist, dass sie es billiger kriegen, als es eingekauft wird. Das ist nicht nur geschäftsschädigend. Das ist auch nicht gut für den Umgang der Menschen untereinander. Ich bin nicht für Heiteitei. Ich bin für Konkurrenz. Das ist überhaupt kein Problem. Aber es gibt eine Grenze. Wenn ich merke, dass ich den anderen schädige, habe ich damit aufzuhören. Ich finde, die Verantwortung besteht darin, dass diejenigen, die diese Gesellschaft prägen, weil sie mehr Geld haben, weil sie besser gebildet sind, den Laden zusammenhalten müssen. Denn sie haben auch Glück gehabt. Es ist nicht nur ihr eigener Verdienst. Auch ich gehöre ganz klar zu den Privilegierten. Ich finde, dass ich gefälligst auch etwas herzugeben habe.

Auf welche Art und Weise?
Sittler: Wir geben immer eine gewisse Menge an Spenden an Organisationen. Nicht nur an welche, die im Ausland tätig sind, sondern auch für Projekte in Deutschland. Wir haben hier leider genügend Probleme. Öffentlich seine Meinung zu sagen, gehört auch dazu. Und dass man nicht das Gegenteil sagt von dem, was man tut. Ich bin verantwortlich für die Atmosphäre, in der ich lebe.

Sie sind ein gern gesehener Gast in politischen Talksendungen und äußern sich zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Warum ist es Ihnen wichtig, hin und wieder klar Stellung zu beziehen?
Sittler: Wenn es um gesellschaftliche Veränderungen geht und um die Prozesse, die dafür notwenig sind, sage ich dazu gerne auch meine Meinung. Ich denke, dass wir alle, die das Glück haben, Arbeit zu haben und gesund sind, eine Verantwortung für die Anderen haben. Verantwortung wird in Deutschland oft gleichgesetzt mit „Oh Gott, jetzt muss ich arbeiten“. Ich sehe das überhaupt nicht so. Verantwortung ist geil, es ist das Beste, was es gibt.

Was bedeutet Verantwortung in Ihrem Beruf?
Sittler: Ich habe das Glück, häufig zentral in einer Hauptrolle spielen dürfen. Also habe ich auch Verantwortung für das ganze Ding. Ich kann nicht sagen: Ich bin so lasch, ich kann jetzt gerade nicht. Das ist absolut dummes Zeug. Das ist einfach nur schlechtes Benehmen. Gutes Benehmen ist für mich, dass man weiß, was notwenig ist, und wie es den Anderen geht. Dass die Atmosphäre so ist, dass man sagt: Wir leben nur einmal, und dass es mir so gut geht, hat nichts damit zu tun, dass ich so toll bin, sondern dass ich auch viel Glück gehabt habe. Viele Andere, die genau dasselbe können wie ich, haben es halt einfach nicht gehabt. Deshalb brauche ich nicht auf sie herunterzuschauen.

Ist eine solche Verhaltensweise charakteristisch für die Gesellschaft, in der wir leben?
Sittler: Es ist ein allgemeiner Trend, der sich auch in der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ niederschlägt. Wie Dieter Bohlen die Leute behandelt, was er da menschlich mit großem kommerziellem Erfolg treibt, halte ich für sehr fatal. Die jungen Leute sehen das und machen es nach. Er geht nach der Sendung nach Hause. Wenn du dich jedoch im Leben so verhältst, kriegst du einen auf die Schnauze. So wird die Atmosphäre immer hektischer, immer brutaler. Entweder du bist der Tolle oder du bist ein Arsch. Das sind die Möglichkeiten, die uns vorgespielt werden. Also habe ich den Stress, immer, immer vorne sein zu müssen. Das ist aus meiner Sicht ein Irrtum.

Inwiefern?
Sittler: Es ist doch einfach nur anstrengend, auf Teufel komm raus alles dafür tun zu müssen, damit man sich irgendwie lebendig fühlt und sagen kann: Ich bin hip, ich bin toll! Deswegen gefällt mir auch diese heitere Melancholie so gut. Weil sie ein wesentlicher Bestandteil des Lebens ist. Momentan wird sie leider von vielen verdrängt, im Besonderen von den kommerziellen Sendern. Ständig heißt es: Wir sind noch neuer, noch schöner. Immer glatte Haut. Immer große Busen… Total langweilig!

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