Herr Wong, die Bilder in "2046" sind überwältigend. Aber so schön Ihr Film auch sein mag – er wirft tausend Fragen auf. Wie viel erwarten Sie von Ihrem Publikum?
Wong: Ein Film ist für mich nie eine Antwort. Erst recht nicht, wenn es wie in "2046" um die Liebe geht. Denn das ist immer eine große Frage. In erster Linie kann ein Film nur Möglichkeiten anbieten und Fragen aufwerfen anstatt Antworten zu geben. Ich möchte keine Schlussfolgerungen vorgeben. Die Antworten hängen vom Publikum ab, die Zuschauer müssen ihre eigenen Lösungen finden.
Aber die komplexe Struktur des Films birgt doch die Gefahr, orientierungslos zu werden. Denken Sie beim Drehen an Ihr Publikum?
Wong: Ja, natürlich. Ich bin ja sozusagen mein "erster Zuschauer" und muss mich selbst von dem überzeugen, was ich tue. Für das Publikum geht es in diesem Film aber eigentlich nicht um die Story. Die ist ganz einfach – fast wie ein Tagebuch eines Mannes. Die Zuschauer sollten sich wie die Passagiere des Zuges fühlen: Sie reisen mit diesem Mann und gehen mit ihm durch jede Periode seines Lebens, die gleichzeitig Szenarien einer Beziehung sind. Die meisten Zuschauer, die jemals in ihrem Leben geliebt haben, werden sich in einer der Episoden wiederfinden.
Wo würden Sie sich denn gern wiederfinden: in der Vergangenheit oder in der Zukunft? Wann würden Sie leben wollen, wenn sie wählen könnten?
Wong: In der Vergangenheit und in der Zukunft. In der Vergangenheit fühlt man sich sicher, denn man kennt die Erlebnisse schon. Aber weil man dort nichts mehr verändern kann, wird es schnell sehr langweilig. Da muss man in die Zukunft gehen, um dort etwas Neues auszuprobieren.
Wie fühlt sich Ihr Protagonist aus "2046" denn zuhause?
Wong: Dieser Mann hat ein Problem mit der Gegenwart. Die Vergangenheit oder die Zukunft sind nur Fluchtpunkte für ihn. Er ist unglücklich in der Gegenwart, denn er hat nicht die Frau, die er möchte. Und so muss er sich etwas schaffen, um vor sich selbst zu flüchten. Zuerst geht er zurück in seine Erinnerungen, um diese Frau zu finden. Und dann kreiert er seine eigene Fantasie: eine futuristische Geschichte, in der er sich frei fühlt und alles so anordnen kann, wie er es möchte.
Das Bild, das Sie in dieser Geschichte von der Zukunft malen, ist in der Tat sehr futuristisch. Das Jahr 2046 ist aber gar nicht mehr so weit entfernt von heute.
Wong: Die sogenannte Zukunft im Film ist die Fantasie eines Mannes, der im Jahr 1966 lebt. So etwas wie "The Matrix" hat er damals natürlich noch nicht sehen können. Vielleicht hat er aber "Barbarella" oder "Metropolis" gesehen und sich davon inspirieren lassen. Und das Modell der Zukunftsstadt, wie sie im Film zu sehen ist, basiert auf einer Kombination von unterschiedlichen Entwicklungsphasen Hongkongs.
Wie stellen Sie sich denn persönlich das Leben im Jahr 2046 vor?
Wong: Woher soll ich das wissen? (denkt nach) Ich denke, dass viele Dinge sich ändern werden. Aber einige grundsätzliche Sachen wie Neid, Hass, aber auch Liebe wird es immer geben.
In "2046" geht es um einen Mann, der nicht den richtigen Zeitpunkt für die Liebe findet. Auch Ihre beiden vorherigen Filme handelten von unerfüllten Beziehungen. Woher kommt diese Faszination für die unmögliche Liebe?
Wong: Ich denke, es geht mehr um die dramatischen Elemente, als um persönlichen Geschmack. Eine unmögliche Liebe ist etwas, was einem das Herz brechen kann. Manchmal erinnert man sich an solche Filme, und sie bleiben einem lange im Kopf.
In erster Linie kann ein Film nur Möglichkeiten anbieten und Fragen aufwerfen anstatt Antworten zu geben.
Warum machen Sie nicht mal einen Film über eine glückliche Liebe?
Wong: Ich könnte das tun, aber ich denke nicht, dass die Leute das sehen wollen. Wir können einen Film darüber machen, wie zwei Personen sich während eines Interviews ineinander verlieben und danach für immer glücklich sein werden. Aber das ist sehr langweilig, oder?
Also interessieren Sie sich nicht für das Happy End, wie man es aus vielen Hollywood-Filmen kennt?
Wong: Nein, das ist nicht realistisch. Außerdem finde ich, dass ein Film auch ohne das sogenannte Happy End sehr positiv sein kann. Der Mann in "2046" hat zwar viele Frauen, die er letztendlich gar nicht möchte, weil er eigentlich diese ideale Frau sucht, die er aus seinen Erinnerungen kennt. Aber am Ende wird ihm bewusst, dass dies ein Problem für ihn ist und er etwas dagegen tun muss. Und die Frauen gehen ihre eigenen Wege; eine von ihnen wird zum Beispiel mit einem anderen Mann glücklich. Das ist doch eigentlich sehr positiv, nicht?! Und auch das Publikum fühlt sich besser so, denn sie sind viel glücklicher als dieser Mann. (lacht)
Ein Happy End bedeutet für mich jedenfalls nicht, dass die Story zu Ende ist. Ich will wissen, was danach kommt.
Ist das bei Ihrem Film jetzt auch so? Gibt es noch ein Danach, eine weitere Fortsetzung von "In the mood for love" und "2046"?
Wong: Nein, es gibt schon viel zu viele Fortsetzungen. Und für mich ist das keine Fortsetzung, was wir versuchen in diesen beiden Filmen. Das eine ist eine Liebesgeschichte und das andere ist eine Liebesgeschichte danach. Ich wollte zeigen, welche Auswirkungen und Folgen Beziehungen mit sich bringen.
Neben der Liebe geht es auch um die Schreibblockaden eines Schriftstellers…
Wong: Ich wusste, dass Sie mir diese Frage stellen würden. Ob ich dieser Schriftsteller bin, richtig? (lacht)
Ja, kennen Sie solche Blockaden?
Wong: Ja, natürlich. Die einfachsten Szenen des Films waren für mich diejenigen, in denen er seine Geschichte nicht fortsetzen konnte. Diese Szenen gingen sehr schnell, denn ich kenne dieses Gefühl sehr gut.
Was brauchen Sie denn, um kreativ zu sein?
Wong: Wenn ich einen neuen Film mache, kann mich sehr viel dazu inspirieren. Es kann eine Geschichte sein, die mich reizt, oder eine Person. Manchmal ist es auch nur ein Bild. Ich habe letztes Jahr einen Kurzfilm mit Gong Li gemacht, für ein Projekt namens "Eros". Bei unserem ersten Treffen haben wir uns die Hände zur Begrüßung gegeben. Da habe ich sofort gemerkt, dass ihre Hand sehr sinnlich ist. Und es wurde der Anfang einer Geschichte.
Was bedeutet das Filmemachen generell für Sie?
Wong: Das Filmemachen ist für mich etwas Einzigartiges. Es ist für mich eine Kombination aus Romanen, Bildern, Musik… Ich liebe diese Sachen. Und ein guter Film ist für mich wie gutes Essen: Danach bleibt ein Nachgeschmack im Mund, den man nicht mit Worten beschreiben kann. Es ist wie bei einem sehr schönen Stück Fleisch – wie kann man das beschreiben? Aber irgendwie kann man sagen, "dieser Geschmack war Steak". Und das ist für mich Kino, das ist ein guter Film.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Wong: Ich wäre Monkey King (lacht).