Sido, bei den Interviews, die du heute schon gegeben hast – wie viele Journalisten haben dich gesiezt?
Sido: Keiner. Zum Glück. Ich hätte denen auch gleich eiskalt beim ersten ‚Sie’ das ‚Du’ angeboten. Es gibt auch kaum Leute… einer war so höflich, wie heißt der noch…, wie heißt denn dieser Jude hier? Michael…. du weißt doch, wen ich meine.
Michel Friedman?
Sido: Ja, der hat mich gesiezt. „Sido, können Sie…“ hat er immer gesagt.
Kann man einen Rapper eigentlich siezen?
Sido: Klar, wenn er das möchte – gefälligst! – dann hat man ihn zu siezen (lacht).
Ich habe keinen Vor- und Nachnamen, ich heiße einfach Sido. „Herr Sido“ geht nicht, für mich gibt es kein „Sie“, das fällt bei einem Künstlernamen sowieso schon weg.
Ist das nicht auch eine Frage des Alters?
Sido: Nein, finde ich nicht.
Du rappst auf deinem aktuellen Album zusammen mit Samy Deluxe über den „Seniorenstatus“ – wann ist man für die Rolle als Rapper zu alt?
Sido: Irgendwann ist man zu alt, bald bin ich zu alt. Ich mache noch drei Alben. Gib mir noch fünf, sechs Jahre.
Und dann?
Sido: Danach ist es für Rappen und auf der Bühne stehen auf jeden Fall zu spät.
Das nehme ich dir jetzt aber nicht ab, dass du in fünf Jahren Schluss machst.
Sido: Wieso? HipHop ist doch eine Jugendkultur. Du kannst gerne weiterhin HipHop sein, aber wenn Grandmaster Flash ein neues Album rausbringt, oder ein KRS-One Album – das würde ich mir nicht mehr kaufen. Der ist mittlerweile 45 – das interessiert mich nicht, der hat nichts über die Jugend zu sagen. HipHop ist am Ende des Tages eine Jugendkultur. Ich würde mir dann nicht mehr anmaßen, über die Jugend zu urteilen, oder zu sagen, was ihr gut tut und was nicht – das müssen andere Leute machen.
Aber selber Musik machen, das werde ich bestimmt noch weiterhin. Aber nicht mehr HipHop, nicht mehr in so einer Jugendkultursprache, auf keinen Fall. – Das hat dich jetzt ganz schön schockiert, oder?
Ich habe mich nur gefragt, ob du das jetzt ernst gemeint hast.
Sido: Warum nicht? Was sollte ich daran nicht ernst meinen?
Immerhin sehen viele Musiker ihre Kunst als alterslos.
Sido: Die Musik ist mir wichtig, aber das Sprachrohr Rap – darüber kann ein ausgewachsener erwachsener Mensch nicht…
Das heißt, in 6-7 Jahren…
Sido: Bin ich zu alt für HipHop.
Und dann?
Sido: Ich würde andere Musik machen. Oder gar nicht mehr Musik machen, wahrscheinlich nur noch schreiben, für andere Leute.
Bist du dann bürgerlich?
Sido: Wie meinst du das?
Haus und Familie, lebst im Berliner Speckgürtel…
Sido: Dann würde ich sogar sagen „spießig“. Das ist das, was Leute mir und meinem Traum immer gerne vorwerfen – aber den Traum hat jeder aus dem Viertel. Ich kenne keinen Jungen aus dem Viertel, nicht einen einzigen, der mir auf die Frage „Hast du Bock auf ein Haus, Kinder und Grundstück am Wasser“ antworten würde: „Nein, niemals“. Alle würden sagen: „Natürlich, denkst du ich will hier wohnen bleiben, mein ganzes Leben, ich bin hier bald weg, ich bleibe hier nicht, das ist doch nicht mein Leben“ – würde dir jeder sagen.
Also, was ist daran so verwerflich, das ein Junge, der sein ganzes Leben lang, wirklich Scheiße gefressen hat, dem es scheiße ging, der es irgendwann geschafft hat sich ein idyllisches kleines Leben aufzubauen – ob man sich am Ende mit seinem Doktor-Nachbar so gut versteht, weil man jeden Tag Partys wirft im Garten, das ist dann die Frage. Aber trotzdem, am Ende wünsche ich mir genau das. Genau so ein Leben.
Und dir würde es nicht schwer fallen, irgendwann auf das Sprachrohr Rap zu verzichten?
Sido: Nein. Ich würde mich freuen, wenn es bald mal jemanden gibt, der mir das Wasser reichen kann. Der mir eine Konkurrenz ist, eine ernstzunehmende. Bushido ist eine Konkurrenz, von seinem Image her, das ist dieser Kanacke eben, dieser Typ, den man cool findet in seiner Klasse, den verkörpert er. Die Mädchen stehen immer auf den Kanacken in der Klasse – und den verkörpert er einfach. Aber für mich ist er kein ernst zu nehmender Musiker. Ganz im Gegenteil, das Musik-Ding ist bei ihm wirklich scheiße.
Also, für mich gibt es in Sachen Musik keine Konkurrenz. Das ganze Paket muss stimmen, die Musik muss gut sein, dann musst du die Promo-Sache unterhaltsam verpacken können – so einen Rapper gibt es leider noch nicht. Aber ich würde mir wünschen, dass der bald kommt. Allein für HipHop würde ich mir das wünschen, für die Sache. Damit ich dann auch in Ruhe abtreten kann, eines Tages.
Ich meine, ich kann mich nicht beschweren – ich könnte morgen aufhören und von meinen Immobilien leben, was auch immer – ich müsste nicht weiter rappen. Ich mache das tatsächlich für die Sache. Ich brauche auch diesen Fame nicht, ganz ehrlich, ich muss nicht im Fernsehen sein und auf jeder Party rumrennen und mich zeigen und Schulterklopfen und Gratulation hier und da – ich brauche das alles nicht. Das ist mir alles scheiß egal.
Du hast noch vor der Bundestagswahl eine Sendung moderiert, „Sido geht wählen“ – warum glaubst du, ging die Wahlbeteiligung zurück?
Sido: Keine Ahnung. Das ist wirklich ein großes Problem. Erstmal ging die Wahlbeteiligung zurück, weil wahrscheinlich haben die – also ich wusste auch, wie es ausgeht. Und für mich war es auch eine große Überlegung: Wen wählst du überhaupt? Am Ende habe ich dann auch pferdewettenmäßig gewählt. Wenn du weißt, welches Pferd gewinnt, musst du auf andere Sachen setzen. Du kannst ja nicht nur auf den Gewinner setzen, du kannst ja auch auf – dann ist ja die Quote nicht so hoch. Wenn du weißt, das Pferd ist das stärkste und gewinnt sowieso…
Du hast also die Piratenpartei gewählt.
Sido: Nein, das wäre nicht logisch, du willst ja trotzdem oben irgendwo mitkämpfen. Und wenn du weißt, welches Pferd gewinnt, musst du auf eine andere Strategie setzen.
Ich wusste: Meine Stimme für die SPD ist eine vergebene Stimme, dann haben sie statt 21,4 21,43789 – oder hast du an die große Koalition geglaubt – wir wussten alle, dass es schwarz-gelb wird am Ende.
Deshalb musst du wählen gehen für eine bestmögliche starke Opposition, und wenn ich mir Wahlsendungen angeguckt habe, von wo kamen die besten, aufmüpfigsten… Also, Steinmeier steht da, hält gerade seine Rede, und wenn einer aufsteht, was dazwischen ruft, ob es qualifiziert ist, was derjenige sagt oder nicht – wo kam das her? – Aus der linken Ecke.
Ich lasse mal außen vor wie qualifiziert das ist, was die Linken sagen, wie gut das ist – aber die stehen wenigstens auf und bringen da irgendwie Wind rein in die ganze Nummer, Und Sachen müssen auf jeden Fall erstmal diskutiert werden, länger. Bevor sie dann entschieden werden können, weil da so ein starke Opposition ist, darum ging es mir.
Und Grüne kommt für mich nicht infrage, weil die nicht mehr die aufmüpfige Partei sind, die sie mal waren. Das sind nur noch die Linken, die sind die Aufmüpfigen. Wobei ich nicht in den Vordergrund stelle, wie qualifiziert das ist, was sie sagen. Und wenn ich merken würde, Gysi hätte eine Chance Bundeskanzler zu werden, würde ich ihn nicht wählen.
Aber nochmal, warum sind so wenig am Ende zur Wahl gegangen?
Sido: Weil die beiden Kandidaten nicht interessant sind und weil viele Leute schon wussten wie es ausgeht. Die wussten, die SPD ist nicht zu retten, die CDU-Wähler gehen sowieso alle wählen, für die ist die Wahl glaube ich nur gemacht – dann waren eben die kleinen Parteien, die linken… viele Leute die das erste Mal wählen gehen, wählen die Linke.
Also, ich würde schon sagen, die Wahlbeteiligung bei den jungen Leuten ist gestiegen, das würde ich schon sagen.
Wie war denn Steinmeier, als du ihn für deine Sendung gesprochen hast?
Sido: So wie du dir das vorstellen kannst: Da kamen fünf Autos mit Polizisten im Studio vorbei, haben alles nach Wanzen abgesucht, dann kam er, hat seine Rede geschwungen – das Gespräch mit ihm ging noch ein bisschen länger. Auf die Frage: „Was machen Sie, wenn Sie Bundeskanzler werden, die erste Handlung“ – da hat er mir nicht richtig geantwortet, er würde das Parlament usw. Da habe ich die Frage wiederholt und drei Minuten, bis sein Berater schon dem Produzenten in die Hacken getreten hat ganz doll – es stand auch auf der Kippe, dass es überhaupt gesendet wird. Wir mussten es dann so kurz schneiden, dass man das alles nicht mehr mitkriegt, dass er ein bisschen sympathischer ist, als er da in Wirklichkeit war, als er da auf der Couch saß.
Weil die SPD da ein Mitspracherecht hatte?
Sido: Jeder Politiker. Die haben die Rechte auf ihre eigenen Bilder, die lassen sich das zeigen, wenn sie es nicht freigeben, darf es nicht gesendet werden.
Und ihr habt es so weit gekürzt, dass ihr eine Freigabe bekommen habt.
Sido: Ja.
Sido, angenommen du wärst jetzt Kanzler, was würdest du in die Hand nehmen?
Sido: Das Thema Bildung war für mich ein großer Schwerpunkt. Die Klassen sind viel zu groß, die Lehrer können sich nicht mehr drauf einstellen, das ist immer noch das alte, verfaulte Schulsystem, das ich damals hatte. Die Englischbücher, die ich hatte, waren schon vor 100 Jahren, und mein Sohn hat dieselben Englisch-Bücher wie ich, immer noch. Das ist doch unverschämt.
Und das Problem ist, dass die Leute, die die Lehrer ausbilden das auf dem selben Niveau machen und die Lehrer arbeiten dann auf dem selben Niveau, es gibt zu wenig Lehrer, die Klassen sind zu groß, es ist alles zu unübersichtlich. Wenn du der dumme Schüler bist, der sich dafür schämt, dass er Legastheniker ist, nicht richtig lesen kann, dann setzt du dich ganz nach hinten in die Klasse, kein Lehrer kriegt das mit – du brauchst dich dann nicht melden, du bist dann einfach in der Klasse.
Glaub mir, wenn du hinten rechts sitzt, da, wo ich immer saß, hast du mit dem Unterricht nichts zu tun. Keiner erwartet von dir, dass du damit zu tun hast, du bist einfach da. Da bist du eine verlorene Seele und niemand wird je im Leben rauskriegen, dass du Legastheniker bist – weil die Klasse viel zu groß ist.
Also: Mehr Lehrer, mehr in die Bildung investieren, Bücher und Schulsachen müssen umsonst sein, damit unterbemittelte Kinder genauso viel lernen können, wie die Kinder, die die Bücher bezahlen können. Am Schulsystem sollte man am wenigsten von allen sparen.
Hast du auch Ideen beim Thema Jugendgewalt?
Sido: Jugendgewalt resultiert nur aus Armut, der Eltern.
Wie hoch ist die Jugendkriminalität in Berlin-Zehlendorf und wie hoch ist sie in Neukölln? Dort wohnen eben unterbemittelte Menschen – auch noch sehr viele Einwanderer, mit denen noch beschissener umgegangen wird als mit Arbeitslosen. Und dann sammelt sich das. Du hast kein Geld, du sammelst dich in Gruppen, du siehst die Leute aus deiner Schule echte Levi’s anhaben, du musst gucken, wo du deine Levi’s herkriegst, damit du nicht ausgelacht wirst von anderen Leuten – dann kommst du auf dumme Gedanken. Und so entsteht Jugendkriminalität.
Aber die Jugendlichen, die in Deutschland am meisten Menschenleben auf dem Gewissen haben, kamen glaube ich nicht aus armen Elternhäusern.
Sido: Also, die Leute, denen es wirklich scheiße geht, die aus dem Viertel – ich glaube schon, dass im Viertel mehr Action ist. Also ich kenne es aus keinem guten Bezirk, dass eine Polizeistreife ins Viertel kommt – das ist hier in Kreuzberg passiert – eine Polizeistreife kommt ins Viertel, hält zwei 15-Jährige fest, will sie durchsuchen, wird ein bisschen grob zu denen – auf einmal kommt die ganze Straße auf die zugestürmt, verprügelt die Bullen, macht den Bullenwagen kaputt – und das war’s. Das gibt es in Zehlendorf wahrscheinlich nicht.
Vielleicht waren die Typen in München, die die beiden Leute auf der Straße totgetreten haben ein bisschen bemittelt und darüber redet man dann am Ende des Tages. Aber die richtige Jugendkriminalität passiert da, wo es den Leuten nicht gut geht. Da müsste man anfangen. Bevor es denen nicht besser geht und so eine Ghetto-Attitüde cool wird – und der Typ aus dem Ghetto ist der coolste in der Schule, deswegen fangen die Typen, denen es gut geht auch an Scheiße zu bauen … solange das nicht abgebaut wird.
Wenn der Typ aus dem Ghetto nicht mehr in der Schule ist, weil es das Ghetto nicht mehr gibt, oder weil es denen besser geht, als den Leuten im Viertel – dann findet den auch keiner cool und macht dem das nach. Und ich glaube nicht, dass Leute „Menace to Society“ gucken, und deswegen in Berlin anfangen, Leute zu verprügeln – obwohl sie aus einem guten Elternhaus kommen. Ich glaube nicht daran, dass die höhere Jugendkriminalitätsrate in gut bemittelten Elternhäusern ist.
Hast du für Amokläufe Erklärungen?
Sido: Das sind immer Persönlichkeiten, das hat nichts mit der Gesellschaft zu tun. Das hat vielleicht mit dem persönlichen Umfeld von dem Typen zu tun und wie der aufgewachsen ist, aber das sind immer individuelle Menschen – ich glaube nicht, dass ich oder du oder jeder normale dazu getrieben werden kann, so was zu machen.
Erst mal musst du schon mal so ein Mensch sein, der solche Züge hat, dir muss so was Schreckliches widerfahren sein, dass du auf alles scheißt, ein Menschenleben für dich nichts mehr wert ist. Das sind persönliche Sachen, das hat nichts mit Videospielen oder mit irgendwelchen Rappern oder mit sonst irgendwas – das ist das Umfeld in der Schule: der Junge wird nicht gemocht, hat nicht genug Selbstbewusstsein, sich zu wehren, was auch immer. Und dann fängt er an, das Leben und die Welt zu hassen.
Gibt es Dinge, die du verbieten würdest, wenn du Kanzler wärst.
Sido: Ich würde nichts verbieten. Auf keinen Fall. Jedes Verbot schränkt die Leute ein, in ihrer Freiheit, ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch. Und ich finde, Leute sollten frei entscheiden können, was sie wollen, also ab einem bestimmten Alter sollten sie frei entscheiden können, was sie wollen. Und davor sollten das auch nicht die Lehrer für einen übernehmen sondern die Eltern.
Was ist mit den Sido-Songs, die indiziert wurden? Bist du nach wie vor dagegen, dass die indiziert wurden?
Sido: Von mir wurde nur ein Song indiziert, nicht mal die Platte, nur ein einziges Lied, „Endlich Wochenende“. Der „Arschficksong“ wurde nicht indiziert, weil er vorher von der FSK freigegeben wurde auf einer DVD – die durften den nicht indizieren. Und wenn die FSK den einmal freigibt, dann kann die BPJM nichts mehr machen.
Dennoch, würdest du den Song als jugendgefährdend bezeichnen?
Sido: Den „Arschficksong“? Nein. Als kindergefährdend. Aber nicht jugendgefährdend. Bei Jugend fangen wir bei 14 an, und ab da gefährdet das niemanden.
Und dass der andere Song indiziert wurde, da stehst du kritisch dazu.
Sido: Ja, die haben den falsch verstanden.
Glaubst du, dass Jugendliche deine Songs falsch verstehen können?
Sido: Bestimmt. Aber damit habe ich dann nichts mehr zu tun.
Wie siehst du dann deine Funktion als Rapper?
Sido: Musikmachen, Leute unterhalten. Ich möchte Leute unterhalten und zum Nachdenken anregen. Aber ich habe nicht die Intention, jemanden zu erziehen, oder Sonstiges in der Richtung. Meine Musik soll niemanden beeinflussen – macht sie bestimmt hier und da, aber dann muss ich nicht mehr dafür sorgen, ob sie es tut, oder nicht. Das müssen die Leute selber oder die Eltern oder wer auch immer.
Ich meine, wenn du dir ein Bild in deine Wohnung hängst, kann auch jeder, der zu dir nach Hause kommt, das Bild anders definieren und assoziieren mit was er möchte. Das können die Leute mit meinen Songs auch. Ich schreibe doch nicht vorne rein in meine CD: dieses Lied ist so und so zu verstehen – das wäre ja auch bescheuert von mir. Das macht ein Maler auch nicht, der schreibt auch nicht drunter: das Bild heißt dies und das. Es hat einen Titel und dann machst du dir gefälligst selber deine Gedanken dazu.
Und ich finde, bei mir ist es nicht mal schwer, sich seine Gedanken dazu zu machen. Weil ich die Sachen ganz gut erkläre in meinen Liedern. Ich mache den Leuten schon ganz gute Bilder im Kopf. Wenn jemand das falsch versteht ist das nicht meine Schuld.
Auf dem aktuellen Album „Aggro Berlin“ gibt es wenig frauenverachtende Texte. Das war früher mehr, oder?
Sido: Ja.
Ich würde mich freuen, wenn es bald mal jemanden gibt, der mir das Wasser reichen kann.
Wie kommt das?
Sido: Äh.. ich habe eine gute Frau. Ich habe mittlerweile auch gute Frauen kennen gelernt. In der Zeit früher, da hat dieses Groupie-Business für mich angefangen und ich habe das erste Mal Frauen kennen gelernt, die sich so hergeben. Da kam mein Bild von Frauen her. Damit meinte ich natürlich auch nicht alle, aber das war das erste Mal… Also, ich war schon ein bisschen schockiert davon. Nutten, Prostituierte fand ich schon immer sehr nachdenkenswürdig, warum macht jemand so was? Warum spielen die den Männern so was vor, warum geben die sich her? Bei Groupies war das genau dasselbe. Und in der Zeit hatte ich einfach sehr viel mit so was zu tun. Deshalb habe ich den Text gemacht.
Mittlerweile lebe ich in einer Beziehung, von der ich glaube, dass es eine Beziehung ist, die sie ziemlich lange halten kann. Dann habe ich keinen Grund mehr, so zu denken. Also: Ich habe früher nicht über Frauen schlecht geredet, weil ich dachte, das kommt gerade bei den Leuten gut an, sondern weil ich so gedacht habe. Ganz einfach. Und heute denke ich nicht mehr so.
Wenn jetzt ein Teenager so redet wie du vor ein paar Jahren über Frauen gerappt hast –würdest du ihm sagen: „Hey, Frauen sind eigentlich viel geiler als du denkst“?
Sido: Wenn er neben mir steht, dann würde ich ihm das sagen. Aber ich würde keinen Song machen, in dem ich sage: „Ich meinte das früher alles nicht so.“
Aber ist es so, dass du es zumindest nicht mehr gut findest, wenn im HipHop nur von „Schlampen“ und „Huren“ die Rede ist?
Sido: Nee. Ich finde das gut, wenn von Schlampen und Huren die Rede ist. Aber das heißt ja nicht, wenn im HipHop von „Schlampen“ und „Huren“ die Rede ist, dass es auf der Welt nur „Schlampen“ und „Huren“ gibt. Es heißt nur: die gibt es – und die gibt es ja tatsächlich. Nicht mehr in meinem Leben, deswegen rede ich darüber nicht, aber die gibt es doch immer.
Und wenn ein 13-Jähriger darüber redet, dann ist das schon komisch. Aber der Rapper, der darüber rappt, der weiß bestimmt schon, warum er das tut. Viele Rapper werden nicht darüber rappen, ohne davon eine Ahnung zu haben. Wir Rapper wissen, was wir da sagen.
Worüber auch häufig gerappt wird, ist, dass man der Beste ist. Das ist in anderen Musikrichtungen ja nicht so oft der Fall – woher kommt das eigentlich?
Sido: Bei uns ist das, weil man sich behaupten muss. HipHop ist… auch wenn du rausgehst und die Wand volltagst, dann ist das auch ein sich-bemerkbar-machen. Und ein sich-bermerkbarer-machen als der Typ, der daneben steht. Dein Tag muss schöner aussehen und besser sein, du musst mehr Eier zeigen, was auch immer.
Und dann gibt es Breakdance, da haben die Crews, um rauszufinden, welche Crew besser ist, als die andere – warum auch immer die das interessiert, das ist so ein Ansehen-Ding. Im Viertel ging es darum, dann bist du die Angesehen-Crew, das war alles, was die Leute hatten, ein bisschen Ansehen. Darum hast du gekämpft. Also haben die Battles gegeneinander gemacht, gegeneinander getanzt… Bei den Rappern war das genauso.
Aber ist dieses Dissen heute nicht manchmal wahnsinnig aufgeblasen?
Sido: Also, es ist schon ein bisschen aufgeblasen. Aber es ist auch sehr ernst. Ich meine, dass Fler fast abgestochen wird, ist ernst, dass er mit einer Pistole angeschossen wird ist ernst, dass Bushido von der Bühne geboxt wird ist ernst, dass Massiv in die Fresse kriegt und angeschossen wird ist ernst – also, ich weiß nicht, wie lustig so was ist. Wie man darüber lachen kann. Es mag für die breite Masse aufgebauscht klingen, aber es wurde wirklich geschossen. Der hat ein Einschussloch im Arm.
Ich finde, das ist ein ernstes Thema, und das wird von Leuten immer ein bisschen zu kleingeredet, weil sie es lächerlich finden und nicht glauben, dass es so ist. Aber es ist so. Das Problem ist, dass es nicht die Rapper sind, die miteinander Faxen machen.
So Verbrecherleute haben mittlerweile mitgekriegt, dass du mit Rappern Geld verdienen kannst, wenn du auf die aufpasst. Und dann sind es die Verbrecherleute, die sich eigentlich gegenseitig bekämpfen wollen und den anderen Verbrecherleuten zeigen: Guck mal, du kannst nicht so richtig auf deinen Typen aufpassen – bang. Dann wird er angeschossen. Das war bei Massiv der Grund.
Da gibt es also eine Szene der ‚Beschützer‘, die sich untereinander bekriegen.
Sido: Jeder Rapper in Berlin – ich habe auch einen Bodyguard – aber keinen Berliner Bodyguard, aber ich habe auch einen aus einer Familie. Die haben ein ganz normales Business. Bushido hat auch einen Bodyguard, der ist auch mit einer Familie zusammen. Massiv ist auch mit einer Familie zusammen.
Und „Familie“ heißt?
Sido: Das sind meistens arabische Familien. Aber viele von denen sind nicht ganz koscher. Aber die haben dann ihr Security-Business gemacht, meine Leute werden ganz normal von mir bezahlt, wie es sich so gehört – ich brauche den Schutz. Gerade in Berlin brauche ich das. Ich brauche den nicht umsonst, das ist kein Spaß.
Weil du diese Musik machst?
Sido: Ich brauche diesen Schutz, weil mit dieser Musik Geld zu holen ist. Zumindest bei manchen Leuten. Und gerade in Berlin – ich komme ausm Viertel, ich hänge nur in solchen Gegenden rum, wenn ich in Zehlendorf leben würde, hätte ich mit so was keine Probleme, aber ich bin viel in so Gegenenden… Und dann sitzt du beim Friseur, und dann kommt ein Typ zu dir und sagt: „Mein Cousin mag dich nicht, der ist voll krass – aber wenn du nicht willst, dass der dir was tut, kann ich dich beschützen, du musst mich nur bezahlen.“ So was passiert dir.
Dir konkret auch.
Sido: Das ist mir zu meinen Block-Zeiten alle fünf Minuten passiert.
Und ich weiß nicht, ob du mitgekriegt hast, dass Fler einmal bei MTV war und dann während der Sendung etwas über Bushido gesagt hat – und nach der Sendung kommen Leute mit einem Messer bei MTV reingestürmt. Es gibt Aufnahmen davon von Überwachungskameras wie die da reinstürmen und mit dem Messer und wollen Fler abstechen. Das war echt.
Und die Feindschaft zwischen Bushido und Fler ist auch echt?
Sido: Die sind ja jetzt wieder Freunde.
Weil die Banden sich jetzt verstehen?
Sido: Nein, Fler ist jetzt bei denen.
Du hast einen Song „Henker und Richter“ auf deinem neuen Album, du erzählst in Ich-Perspektive einen Amoklauf nach, dazu gibt es viele Sounds, Polizeigeräusche, Atmer, Schüsse…
Sido: Ja, so hörspielmäßig.
Siehst du dich ein Stückweit in der Verantwortung wenn du so ein typisches Amokszenario nachstellst?
Sido: Ich will damit nur sagen: Wenn mir das passiert wäre… Wenn es an einem gewissen Punkt nicht anders gelaufen wäre als für den Typen in dem Song… bei mir ist es dann ab einem gewissen Punkt in eine andere Richtung gelaufen. Aber bis zu einem gewissen Punkt sind ich und der Typ genau derselbe – und wenn ich diese Richtung gegangen wäre, wäre es genauso gelaufen wie auf dem Song.
Ich bin ein sehr ehrlichkeitsliebender Mensch – und wenn ich merke, ich werde über den Tisch gezogen, von Leuten, von denen ich es nicht geglaubt hätte, dann schaltet sich mein Gehirn ab.
Trotzdem hat so ein Song ein riesiges Publikum – machst du dir darüber Gedanken?
Sido: Warum? Nein, mache ich nicht. Ich glaube nicht, dass deswegen Leute losgehen… Man versteht das schon. Meine Fans und Leute, die sich für mich interessieren und sich mein Album potentiell kaufen, das sind Leute, die Sachen von mir kennen, die wissen, dass Aggro Berlin jetzt vorbei ist, dass der Song mit mir zu tun hat, weil ich so einen Song schreibe, weil ich Streit mit Aggro Berlin hatte – die wissen das schon. Und wenn einer das nicht versteht ist mir das scheiß egal. Ich muss meine Bilder nicht erklären. Die sind da gemalt, die kannst du dir hinhängen, und dran vorbeilaufen oder dir angucken oder was auch immer du damit machst. Aber ich werde sie dir nicht erklären.
Es gibt Richtlinien von der Polizei, die besagen, dass man nach einem Amoklauf so wenig wie möglich Details über Täter und Tathergang an die Presse geben soll. Kannst du das nachvollziehen?
Sido: Klar.
Warum glaubst du, wird das gemacht?
Sido: Erstmal, damit es keine Nachahmer gibt, die das auf die gleiche Art und Weise machen, weil solche behinderten Leute gibt es tatsächlich auch. Und damit Leute mit Täterwissen nicht informiert werden.
Das heißt, die Nachahmungsgefahr siehst du schon?
Sido: Dass Leute dasselbe dann auch machen…
…weil sie es in den Medien gesehen haben…
Sido: Ja. Aber da sind tatsächlich Leute gestorben. Wenn jemand das im Film sieht, wenn du dir „Bowling for Columbine“ anguckst, gehst du deswegen nicht los und knallst jemanden ab. Wenn du im Fernsehen siehst, wie Leute da heulen… das ist real. Nachrichten sind real, das weiß jeder. Wenn du das guckst, ist das was anderes, als wenn du dir einen Film anguckst, über einen Amoklauf – und davon gibt es so viele Filme. Und anders musst du dir meinen Song auch nicht vorstellen. Das ist auch nur ein Film über einen Amoklauf.
Du hast auf deinem aktuellen Album ein Intro, in dem es um die Maske geht, im Schrank…
Sido: Du bist nicht so in der Materie, wa? Deswegen hast du das auch nicht verstanden mit der Maske.
Ich bin nicht 100 Prozent in der Materie, aber ich kann dir sagen, wie ich das Intro verstanden habe: als Zwiegespräch zwischen dem Rapper der du heute bist, und der, der du früher warst – und der eine muss im Schrank bleiben.
Sido: Nein, es ist ein Zwiegespräch zwischen mir und der Maske. Und die Maske ist die Aggro-Berlin-Zeit, alles, was ich mit Aggro Berlin hatte, das, wie du Sido kennst von Aggro Berlin, und der andere bin ich.
Auf dem letzten Album gibt es auch einen Song, wo ich ein Zwiegespräch mit der Maske habe auf dem Lied. Da hört man zum ersten Mal diesen Unterschied, dass ich der Maske die Schuld für alles böse an mir gebe. Und genauso ist das gemeint, damit meine ich eigentlich, dass ich Aggro Berlin damit in den Schrank stelle, mit der Maske, symbolisch.
Interessiert es dich, wie du in den Medien wahrgenommen wirst?
Sido: Nein. Immer wenn ich versucht habe, da etwas zu manipulieren… Wir haben mal so ein Lied gemacht haben, das hieß „Wahlkampf“, da haben wir im Video Schauspieler mit Stoiber- und Merkel-Masken eine Bank überfallen lassen, wo wir dachten: „Oh, damit werden wir ein Gerede lostreten vom Feinsten“ – das ist nicht passiert, es hat keinen Menschen interessiert.
Aber wenn ich dann mit einem Glas Jägermeister oder einem Joint über einen Roten Teppich gehe, weil ich in dem Moment Bock drauf habe, weil ich Sachen machen möchte, die mir Spaß machen, dann wird ein großes Gerede draus. Also, Sachen, die ich nicht plane, machen eher mein Image als Sachen, die ich plane. Also habe ich gelernt mittlerweile, dass ich mich um so was gar nicht kümmern brauche. Das machen so Leute wie du für mich.
Und die Frage, wie verstehen die Leute Sido …
Sido: Ich gucke mir keine Sendung an über mich, keine Sendung mit mir, ich lese keine Interviews von mir, mich interessiert das alles nicht. Ich bin sehr uneitel. Im Moment kotzt es mich schon an, dass ich mir meinen Scheitel jeden Morgen machen muss. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich so eine Frisur habe, und ich kämpfe jeden Morgen mit der Strähne hier (greift sich in die Haare). Wirklich, jeden Morgen, das kotzt mich tatsächlich voll an, weil ich so uneitel bin wie niemand. Ich hasse das, so lange vorm Spiegel zu stehen, und so viel Zeit zu verbringen im Bad. Wofür? Ich bin doch trotzdem derselbe, egal was für Klamotten – das ist doch scheiß egal.
Und der Bart…
Sido: Den habe ich wachsen lassen, weil ich keinen Rasierer dabei hatte, in L.A. Dann habe ich nicht wieder abgemacht, nur gestutzt.
Gibt es noch Sachen, an denen du merkst, dass du heute ‚erwachsener’ bist?
Sido: Ich habe jetzt eine Krankenversicherung, ich habe einen Ausweis, der gültig ist, ich habe einen Reisepass, ich vereise des öfteren einfach mal, ich habe sonstige Versicherungen, ich fahre ein Auto, ich kann alles bezahlen, ich kenne mich mit Steuersachen aus, ich war wählen. Ja, das sind so alles Attribute, die mich wahrscheinlich ein bisschen erwachsener machen.
Und was glaubst du kommt noch, wenn du zehn Jahre älter bist…
Sido: Ein Häuschen, und hoffentlich sehr viel Ruhe und Idylle.
Und hörst du dir dann noch Nachwuchsrapper an?
Sido: Voll gerne. Auf jeden Fall, ich werde mir die alle reinziehen. Da bin ich auch voll gespannt drauf, was da alles noch passiert. Der momentane Stand der Dinge in Sachen Deutsch-HipHop ist sehr miserabel, ich freue mich sehr auf meinem Album.
Wie findest du Kitty Kat… du arbeitest ja mit ihr zusammen.
Sido: Ich finde, dass sie sehr gut rappen kann, und sie schreibt alles selber, weiß genau, wie sie was macht und so – von der Technik her ist sie sehr, sehr gut. Sie muss sich jetzt erstmal finden. Sie muss erstmal wissen, was sie machen soll, wo sie hingehört – das war ihr Debüt-Album. Und nach drei Jahren hat sie endlich mal ein Album rausgebracht. Wir mussten einfach mal ein Album rausbringen, damit wir gucken, wo sie überhaupt steht.
Kann man sich in diesem Umfeld, bei Universal, so gut selbst finden, sich selbst definieren?
Sido: Sie ist bei mir im Management. Das sind so Sachen, um die kümmere ich mich. Das war jetzt wichtig, dass die Platte erstmal rauskommt, dass ein bisschen Geld reinkommt und die ganzen Sachen, aber mit dem nächsten Album wird auf jeden Fall, müssen wir uns Gedanken machen, in welche Richtung das alles gehen muss, weil es alles noch ein bisschen zu durcheinander ist. Aber es ist auf jeden Fall ein gelungenes Debüt-Album.
Die Single von Kitty Kat hieß „Bitchfresse“ – ist es so, dass man sich noch sehr überlegen muss, womit man Aufmerksamkeit erregen kann?
Sido: Wie gesagt: bei mir war es immer der Fall, wenn ich mir überlegt hab, womit ich Aufmerksamkeit erregen kann, dass es nicht funktioniert hat.
Also mir kommt es so vor, dass man auf dem heutigen Musikmarkt schon einen Songtitel wie „Bitchfresse“ braucht, damit da überhaupt jemand drauf anspringt.
Sido: Ich finde den Titel jetzt gar nicht so krass. Nein, der Titel macht da nix, der ist voll harmlos finde ich.
Wo wir grad beim Nachwuchs sind, du rappst auf dem aktuellen Album ja auch über Stefanie Heinzmann. Stichwort Casting – es gibt immer wieder viel Kritik an den Shows. Was ist dein Standpunkt?
Sido: Ich glaube nicht, dass es das Schlimmste überhaupt ist. Da werden tatsächlich Talente gefunden, Aber die müssen auch gefördert werden am Ende des Tages. Daran liegt das. Und es müssen auch die richtigen Leute gefunden werden. Bei TV Total funktioniert das ja auch, die machen ja auch so eine Casting-Sendung. Und Max Mutzke war ein großartiger Musiker und Stefanie Heinzmann auch. Also, es kann klappen – wenn dein Hauptziel nicht Ausbeutung ist. Dann kann es funktionieren.
Das System ist ja auf den schnellen Erfolg angelegt…
Sido: …und auch nur für die Sendung. Es geht nicht mal um den Künstler, nach der Sendung geht es gar nicht mehr um den Künstler. Da kümmert sich dann eine Plattenfirma ganz semimäßig darum, das ist voll schlecht.
Warum gibt es da eigentlich keinen HipHop?
Sido: In meiner Sendung, beim Casting waren welche dabei.
Du warst in der Jury von „Popstars“.
Sido: Da waren bei dem Casting Mädchen dabei, die so über Ficken gerappt haben, da musste alles – piep piep – rausgepiept werden.
Aber die haben keine vordere Platzierung erwischt.
Sido: Nein, die sind natürlich gleich rausgeflogen, die waren ja auch schlecht.
Und es ist bisher bei den Casting-Shows am Ende nie ein HipHop-Act groß rausgekommen, oder?
Sido: Nein, ist ja auch besser so. Ich meine, wie soll das denn funktionieren? Das wäre dann so ein politisch korrekter Rapper, und ich finde, Rap muss nicht politisch korrekt sein. Ganz im Gegenteil. Kann politisch korrekt sein – muss aber nicht.
Welche Grenzen gibt es dann eigentlich für Rapper?
Sido: Keine Grenzen, gibt es für Kunst überhaupt nicht. Und ich zähle die meisten Rapper, mich zum Beispiel, zähle ich in die Richtung Kunst, in die Kategorie, die Schublade Kunst. Wir sind die neuen Poeten, würde ich sagen. Damals gab es Goethe, der hat seine Gedichte geschrieben und die Gedichte wurden berühmt, und der wurde gefeiert für seine Gedichte. Und Goethe war auch umstritten, manche Sachen von dem waren auch ein bisschen sexuell anders. Deswegen kann man schon sagen, dass wir das heute sind. Alle Musiker. Außer diese flachen Popleute, die machen das tatsächlich nur, für den Song, für den Moment. Wir Rapper… – da kann man auch nicht alle dazuzählen. Du siehst wahrscheinlich Rap als „ich fick deine Mutter bis in die Urinblase“ usw….. Aber das ist Rap nicht. Das ist nur ein Teil davon…
Ich habe vor deinen Texten schon Respekt, aber wenn du jetzt sagst: wir sind die Schillers und Goethes von heute…
Sido: Wer macht denn so was noch? Wer ist es denn sonst?
Es gibt ja immer noch Lyriker im klassischen Sinne.
Sido: Jaja, genau, die alten, die immer noch denken, dass sie es sind, das muss auch alles erneuert werden. Das sind die nicht mehr. Die haben auch nicht mehr diesen Ruhm, den ein Goethe hatte, Goethe war berühmt zu seiner Zeit. Der war ein Star, weil es keinen anderen gab. Schiller und so, die waren Stars. Welcher Lyriker ist denn heute ein Star? Welcher Lyriker wird für seine Texte so starmäßig angesehen, das sind wir. Glaub mir. Das mag für dich jetzt hochgegriffen klingen und was auch immer, aber wir sind es. Es müssen nicht mal alle wir Rapper sein – aber so ein Samy Deluxe – hör dir mal seine Texte an. Die sind krass, das ist poetisch, das ist Lyrik. Und bei mir ist das genau dasselbe. Und dann eben noch mit Musik verpackt, schön unterhaltsam. Hätte Goethe die Chance gehabt, seine Sachen mit Musik zu verpacken hätte er das auch gemacht.
Das heißt, um an den Anfang des Gesprächs zu kommen: Wenn du die Altersgrenze überschritten hast…
Sido: Dann werde ich Lyriker. Im klassischen Sinne (lacht)
….und dann kommt irgendwann der erste Roman.
Sido: Nein, so was traue ich mir nicht zu, das ist zu viel Arbeit.
Wieso? Ein Sido-Album ist doch auch tierisch viel Arbeit...
Sido: Ich mache am Tag einen Song. Ich brauche nicht länger als einen Tag, für den Text zumindest. Der Aufnahmeprozess kann ein bisschen länger dauern. Aber für den Text brauche ich nicht länger als einen Tag. Sonst ist er scheiße, wenn ich merke ich brauche länger höre ich auf, dran zu arbeiten. Ich kann mich konzentriert hinsetzen und einfach schreiben. Und wenn du konzentriert dasitzt und schreibst, dann muss doch irgendwann – dann darfst du nicht länger als einen Tag brauchen. Ich habe bei mir gemerkt, wenn ich länger als einen Tag brauche wird es scheiße. Dann habe ich mich irgendwo drin verrannt, verfangen, dann ist das schlecht.
Kriminalität
… hört in der Jugend in der Tat ja nicht auf: \“…bis sein Berater schon dem Produzenten in die Hacken getreten hat ganz doll!\“ Und schön auch, dass Sidos Sprachstil nicht gebügelt wurde!