Silbermond

Hippie sein bedeutet, mutig zu sein.

Mitte November haben Silbermond ihr sechstes Studio-Album „Schritte“ veröffentlicht. Im Interview sprechen Sängerin Stefanie Kloß und Schlagzeuger Andreas Nowak über Hippietum, Fridays for Future, Kritik von Jan Böhmermann und den Zusammenhalt in der Band.

Silbermond

© Jens Koch

Stefanie und Andreas, der Rammstein-Musiker Richard Kruspe erzählte einmal, dass er bei jedem neuen Album das Gefühl hätte, es wäre das letzte Rammstein-Album. Ihr steht schon ähnlich lange wie Rammstein auf der Bühne, habt ihr manchmal die gleichen Gedanken?

Andreas Nowak: Wir hatten nach unserem 2012er Album „Himmel auf“ so eine Phase, wo wir uns als Band gefragt haben: Wollen wir das noch so? Das hatte nicht nur mit uns Bandmitgliedern zu tun, sondern auch mit Umstellungen und Leuten außerhalb der Band. Wir merkten, dass das Gerüst wackelt, dass das Fundament nicht so fest ist.

Hat es sich bis heute wieder gefestigt?

Andreas: Wir sind uns jetzt bei der Albumproduktion wieder bewusst geworden, dass alles fragil ist. Man wird älter, man sieht die Welt anders, man fragt sich, was man im Leben noch erreichen will, was einen glücklich macht. Insofern weiß man nie, ob die nächst Platte vielleicht die letzte ist. So eine Platte ist für eine Band auch immer ein riesiger Schritt, es ist ein dynamischer und spannender Prozess – den ein Solo-Künstler so nicht hat, weil er sich nicht noch mit anderen rumschlagen muss. (lacht) Um so schöner ist dann das Gefühl, wenn das Album im Kasten ist. Aber es ist schon ein Kraftakt.

Ihr spielt bis heute in der Originalbesetzung …

Stefanie Kloß: Wir sind ja im relativ jungen Alter als Band zusammengekommen. Damals sind wir mit viel Energie losgezogen, hatten Bock drauf, haben tolle Leute getroffen, haben auch Schwein gehabt. Aber wir sind durch die ersten Jahre auch wie so ein D-Zug gerannt. Manche Phasen, die andere junge Leute in Ruhe oder mit wilden Partys verbracht haben, haben wir gefühlt übersprungen. Wir haben zusammen als Schülerband gemeinsam die Pubertät überstanden, das Erwachsenwerden durchgestanden, den größten Erfolg zusammen erlebt, genauso wie eine Krise.

Was ist euer Tipp für andere Bands in puncto Langlebigkeit?

Stefanie: Für uns war es wichtig, zu lernen: Wir sind nicht mehr die 15-Jährigen, die alle ausnahmslos dasselbe Ziel haben und immer nur dasselbe tun. Natürlich sind wir noch eine Band, wir stehen zusammen für unser Projekt, aber wir sind eben auch noch Einzelpersonen, die unterschiedliche Träume haben dürfen, unterschiedliche Sachen machen wollen. Das ist, glaube ich, der wichtigste Punkt: Den anderen so sein zu lassen, wie er ist, ihm den Raum zu geben für das, worauf er Lust hat und das auch zu akzeptieren. Am Ende kommt man dann mit noch viel mehr Energie und Inspiration wieder zusammen.

Zitiert

Der Anstand ist ein bisschen flöten gegangen.

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Stefanie, wie ist es mit den Texten, die du singst, muss immer die ganze Band inhaltlich dahinter stehen?

Stefanie: Wir sprechen natürlich über die Texte. Und wenn jetzt zum Beispiel Andreas der Meinung wäre, das mit dem Klimawandel ist nur eine Laune der Natur, alles nicht so schlimm – dann hätten wir darüber diskutiert. Aber im Grunde genommen sind wir uns bei sehr vielen Themen inhaltlich einig. Wir sprechen in der Band manchmal über Formulierungen, wie man sprachlich ein Bild vielleicht noch intensiver malen kann, einen Gedanken noch klarer ausdrücken kann. Und dann gibt es aber auch Songs, die sehr konkret meine persönlichen Geschichten beinhalten, wie „Schritte“, „In meiner Erinnerung“, oder „Hand aufs Herz“.

Andreas: Wenn nicht jedes Bandmitglied hinter einem Song steht, dann würde man das auch merken, dann fühlt sich ein Song nicht wie 100 Prozent an, sondern nur wie 80, wenn man den spielt oder aufnimmt bzw. anhört. Der kickt dann nicht richtig. So ein Song kommt dann auch nicht aufs Album.

Eure erste Single vom neuen Album ist „Träum ja nur / Hippies“ – was bedeutet Hippie-Sein für euch?

Stefanie: Zum Beispiel, mutig zu sein. Ich denke, dass wir bei vielen Themen auf der Platte mutig waren, ehrlich und offen. Manch einer wird sich vielleicht fragen: Warum machst du das? Warum stellst du dich da mit offenem Herzen hin – wo doch jeder nach ein paar Sekunden den Song skippen kann. Aber das ist für mich auch eine Form von Hippietum, sich mit einem sehr ehrlichen Text offen hinzustellen und zu sagen: Nimm ihn und mach‘ damit was du möchtest.

Wo seid ihr noch Hippies und wo konservativ?

Stefanie: Morgens im Sandkasten, wenn ich mit meinem Kind spiele, da bin ich eher Hippie, da ist mir einfach alles egal. Seitdem ich Mutter bin, habe ich mehr denn je gelernt, wieder spontaner und flexibler zu sein. Weil du dich auf nichts wirklich einstellen kannst und einfach jeden Tag so nehmen musst wie er kommt. Das tut mir ganz gut, weil ich sonst eigentlich ein sehr kontrollierter Mensch bin.
Konservativ bin ich, wenn es darum geht, wie Menschen miteinander umgehen oder miteinander reden sollten …

Du meinst Dinge wie Anstand, Höflichkeit?

Stefanie: Ja, gerade in der heutigen Zeit bemerke ich manchmal, dass der Anstand ein bisschen flöten gegangen ist. Man hört sich nicht mehr zu, alles ist emotional sehr aufgeladen – wenn man da wieder ein bisschen mehr Ruhe reinkriegen würde, würde das dem Ganzen wahrscheinlich gut tun.

Andreas: Ich schlafe manchmal ganz gerne auf dem Fußboden, vielleicht ist das Hippie? Konservativ bin ich jedenfalls nicht.

Stefanie: Andreas spielt auch manchmal barfuß.

Andreas: Ich denke, es gibt auf dem neuen Album schon ein paar Hippie-Momente, beim Zusammenspielen und Aufnehmen war ein gewisser Freigeist da.

Stefanie: Einerseits trägt es gewisse konservative Ideen in sich, bestimmte Grundzutaten und dass wir nah am Instrument, nah an uns Musikern bleiben wollten. Andererseits fliegt manchmal auch eine Ukulele oder Trompete rein, wenn wir gedacht haben, dass der Moment das gerade braucht.

© Jens Koch

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Jeder Tag ein Friday for Future“ singt ihr in „Träum ja nur / Hippies“. Wie steht ihr zu der Fridays vor Future-Bewegung? Auch zu dem Umstand, dass Kinder während der Schulzeit demonstrieren gehen …

Andreas: Ich finde es erst mal gut, wenn Schüler oder Jugendliche auf die Straße gehen und ihre Meinung äußern. Mich berührt das. Ich habe früher auch Schule geschwänzt, aber nicht für einen guten Zweck. Insofern finde ich diese Bewegung umso schöner. Wenn sich jetzt Erwachsene beschweren, dass die Kinder nicht zu Schule gehen, finde ich das komisch. Denn das hier ist eine der ersten Jugendbewegungen, die wirklich sehr viel bewegt, die global ein Bewusstsein für den Klimawandel schafft.

Wart ihr selbst zu Schulzeiten rebellisch?

Stefanie: Also, wenn du in einer Kleinstadt wie Bautzen aufgewachsen bist … nein, kann ich mich nicht erinnern. Einmal sollten wir als Hausaufgabe einen Artikel aus einer Tageszeitung raussuchen und darüber schreiben – die Zeitung lag wie ein großer Brocken in meinem Kinderzimmer auf dem Tisch und ist nach zwei, drei Monaten eingestaubt. Ich war überhaupt nicht politisch. Meine größte Sorge war meine erste Liebe, der erste Liebeskummer, wie ich das mit der Schule hinkriege – das waren meine großen Probleme. Und die gestehe ich auch heute jedem Jugendlichen zu. Denn in dem Moment, wo dir das passiert, ist das einfach das Krasseste, was deinen ganzen Tag bestimmt. Da hast du doch keine Zeit, Tageszeitung zu lesen. (lacht)
Allerdings, als wir dann die Band gegründet haben, waren wir immer sofort dabei, wenn es in der Stadt hieß: Komm, wir spielen gegen rechts oder „Bautzen ist bunt“. Das hatte für uns eine gewisse Selbstverständlichkeit.

Am heutigen Interview-Tag blockieren hier in Berlin junge Klima-Demonstranten Straßen und Kreuzungen. Als wie real schätzt ihr die Gefahren durch den Klimawandel ein?

Stefanie: Dass da etwas im Argen ist kann glaube ich niemand mehr leugnen. Und dass wir seit Jahren an Weihnachten keinen normalen Schneemann mehr bauen können. Wobei ich das früher tatsächlich nicht als bedrohlich oder ernstzunehmende Gefahr gesehen habe. Jetzt, als Mutter, hat sich mein Blick darauf geändert, auch durch Bewegungen wie Fridays for Future. Dadurch fängt man an, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Man muss auch klar sagen: Wer behauptet, dass der Mensch keinen Anteil am Klimawandel hat, der ist einfach falsch gepolt.
Wir sollten allerdings aufpassen, dass wir das Thema nicht zu sehr moralisch aufladen. Davor habe ich etwas Sorgen, dass sich jeder sofort persönlich angegriffen fühlt, nach dem Motto: DU willst mir das Autofahren verbieten, DU willst mir das Fleischessen verbieten, oder das Fliegen oder die Kreuzfahrt. Das will übrigens auch Fridays for Future nicht, meiner Meinung nach. Sondern denen geht es darum, dass die Politiker uns helfen, dass es globale Entscheidungen gibt, die wirklich Meter machen. Insofern muss sich da keiner im Kleinen angegriffen fühlen.

Ihr habt in euren Texten nie den moralischen Zeigefinger gehoben, doch das aktuelle Album ist hörbar politischer geworden. Wie schaut ihr jetzt zurück auf jenes Video von Jan Böhmermann von 2017, in dem er neben vielen anderen Musikern auch euch erwähnte und deutschen Pop als „unpolitisch und abwaschbar“ bezeichnete?

Stefanie: Da muss man ganz klar sagen, dass er Recht hatte. Das ist ja so. Auch bei uns gab es viele Songs, die weit weg waren von einem Statement und von einer Haltung. Vieles im deutschen Pop hat sich um Konfetti und ein gutes Leben gedreht. Und wenn das dann zu einheitlich wird, kann ich schon nachvollziehen, wenn jemand wie Böhmermann sagt: Die Popmusik ist mir zu wischiwaschi.

Andreas: Ich finde es okay, wenn jemand seichte Popmusik macht. Es kann doch jeder selbst entscheiden, ob er es hören will oder ob er weiterskippt. Schwierig finde ich vielmehr, wenn das jemand anprangert, der von öffentlich-rechtlichen Geldern lebt und dadurch ein sicheres Einkommen hat. Ein Künstler, der ein Bild malt und davon leben will, hat auf das Thema Geld ganz automatisch eine andere Sicht. Ich denke, jeder Künstler sollte das tun, was er tun kann. Und wenn er leichte Popmusik machen will, dann soll er das tun.

Stefanie, wie schwierig ist eigentlich die Doppelrolle als Mutter und Band-Frontfrau?

Stefanie: Es sind ja beide Elternteile Mitglieder der Band, weshalb wir meistens zur gleichen Zeit am selben Ort sind. Wir haben ein Kindermädchen, das mit uns reist, wenn wir auf Tour sind. Sie ist ein toller Mensch und gehört inzwischen mit zu unserer Silbermond-Familie. Klar bleiben bei dem Beruf schwierige Situationen nicht aus und es kann auch anstrengend sein. Aber ich kenne so viele alleinerziehende Mütter und Väter, die es wesentlich schwieriger haben, da will ich mich gar nicht beschweren.

coverZum Schluss: Das Leben ist ein Comic – welche Figuren seid ihr?

Andreas: Ich wäre Roadrunner.

Stefanie: Ich bin manchmal sehr aufbrausend, das will ich nicht unbedingt sein, aber wenn es dann passiert fühle ich mich ein bisschen wie Hulk.

 

Silbermond Tourdaten:
22.01.2020 Hamburg – Barclaycard Arena
24.01.2020 Hannover-  TUI Arena
25.01.2020 Leipzig – Arena
27.01.2020 Mannheim – SAP Arena
28.01.2020 CH-Zürich – Hallenstadion
30.01.2020 Köln – Lanxess Arena
31.01.2020 Braunschweig – Volkswagen Halle
01.02.2020 Berlin – Mercedes-Benz Arena
03.02.2020 Frankfurt/Main – Festhalle
04.02.2020 Erfurt-  Messehalle
06.02.2020 Dortmund – Westfalenhalle
07.02.2020 Stuttgart – Hanns-Martin-Schleyer-Halle
08.02.2020 München – Olympiahalle
10.02.2020 Nürnberg – Arena Nürnberger Versicherung
11.02.2020 AT-Wien – Wiener Stadthalle Halle D
22.08.2020 Dresden – Filmnächte am Elbufer

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