Herr Bekmambetow , Sie haben gesagt, dass Sie die Filme „Wächter der Nacht“ und „Wächter des Tages“ insbesondere für ein russisches Publikum gemacht haben – können Sie sagen, wie viel Prozent der russischen Bevölkerung sich einen Kinobesuch leisten können?
Bekmambetow: Ich schätze zwischen 15 und 20 Prozent.
Können Sie das Kinopublikum beschreiben?
Bekmambetow: Das sind vor allem junge Zuschauer, unter 30, eine neue Generation, Leute die nach der Perestroika groß geworden sind, die das Geld dafür haben und die die neuen russischen Filme sehen wollen.
Würden Sie sagen, es gibt in Ihren „Wächter“-Filmen so etwas wie eine russische Filmsprache?
Bekmambetow: Also, es gibt natürlich die sowjetrussische Tradition des Filmemachens, Leute wie Eisenstein, Pudowkin, Bondartschuk …
…wovon man in Ihren Filmen aber nicht viel bemerkt.
Bekmambetow: Doch, es ist viel davon in meinen Filmen enthalten. Der Schnitt ist so wie bei Eisenstein, eine besondere Art von Schnitt.
Was auch sehr russisch ist, ist das Existenzdrama: Was geschieht mit einer Person, die einen Fehler gemacht hat? Die Filme sind kein Abenteuer vom Anfang an, sondern zunächst gibt es eine gewöhnliche Geschichte, die erst später zur großen Sache wird.
Es ist auch die Art, wie die Schauspieler spielen: ein sehr realistisches Schauspielen, das auf die Stanislaswki-Schule zurückgeht; alle Schauspieler kommen vom Theater bzw. von Stanislawski-Schulen.
Aber gibt es in den „Wächter“-Filmen auch eine amerikanische Filmsprache – es ist sozusagen ein Dialog der russischen und der amerikanischen Filmsprache.
Was war der erste amerikanische Film den Sie gesehen haben?
Bekmambetow: Das war „Mackenna’s Gold“, ein Western mit viel Bergen, Grand Canyon, Indianern…
Waren Sie mehr Fan von US-Filmen als von russischen Filmen?
Bekmambetow: Ich kannte damals noch gar keine amerikanischen Filme. Die Western, die ich bis dahin gesehen hatte, stammten von deutschen Filmemachen, von der DEFA. Die haben viele Western gedreht, insbesondere mit dem serbischen Schauspieler Gojko Mitic, und von den Filmen war ich als kleiner Junge ein großer Fan. Und dann entdeckte ich „Mackenna’s Gold“, diesen großen amerikanischen Film, der größer und besser war, als die DEFA-Filme.
Schauen Sie sich heute lieber Entertainment-Filme an oder auch politische Filme?
Bekmambetow: Ich mag gute Filme mit einer interessanten Filmsprache. Da ist es egal, ob der Film politisch ist oder nicht. Ich denke, Filme sollten in jedem Fall unterhalten. Ansonsten kannst du ja auch ein Buch lesen; du musst nicht in einem Raum mit 1000 Leuten sitzen, um etwas zu sehen, was du auch lesen kannst.
Unterhaltung liegt für mich in der Natur des Kinos, dass die Leute ins Kino kommen, sich verzaubern lassen… daran glaube ich.
Gibt es in Russland heute eine Bewegung von politischen Filmemachern?
Bekmambetow: Nein. Ich wurde auch schon von einem Journalisten gefragt, ob ich in Russland die Freiheit hätte, einen politischen Film zu drehen und ich habe gesagt: „Ja, ich kann machen was ich will“. Aber am Ende könnte es sehr schwierig werden, den Film zu rauszubringen.
Das heißt aber, dass sie diese Freiheit eben doch nicht haben.
Bekmambetow: Aber das ist in Deutschland doch genauso, das ist doch überall so.
In Deutschland werden schon eine Menge politischer Filme gedreht.
Bekmambetow: Ja vielleicht, das mag sein.
Wer hat den ersten Film „Wächter der Nacht“ finanziert?
Bekmambetow: Das war der „Erste Kanal“ (russ.: Perwy Kanal), der größte TV-Sender in Russland.
Der zum russischen Staat gehört.
Bekmambetow: Es ist kein staatlicher Sender, aber er ist vom Staat sehr beeinflusst (der russische Staat hält 51% der Anteile am Ersten Kanal; Anm. d. Red.). Aber über so etwas denke ich nie nach: Was es bedeuten würde, in Russland einen politischen Film zu drehen und wie erfolgreich er an der Kasse sein würde? Vielleicht wäre ein politischer Film nicht so erfolgreich. Oder doch? Vielleicht sollte ich es mal versuchen.
Ich habe ja auch schon mal einen politischen Film gemacht, eine Fernsehserie, die aber nie gezeigt wurde. Da ging es um den Putsch von 1991.
Und warum wurde die Serie nicht gezeigt?
Bekmambetow: Ich weiß nicht, die Sender wollen sie nicht zeigen. Die Serie war pseudodokumentarisch gemacht. Sie handelte von einem jungen Mann, der Hochzeiten gefilmt hat. Damals hatten ja nur ganz wenige überhaupt eine Videokamera … Er kam aus einer kleinen Stadt, war aber in Moskau um die Hochzeit seines Chefs zu filmen, und plötzlich passiert dieser Putsch. Die Hochzeit wurde abgesagt, er hatte nichts zu tun, er konnte nicht aus Moskau weg. Und dann kommt er mit seiner Kamera zum Weißen Haus in Moskau, wo viele Revolutionäre waren und trifft dort einen ausländischen TV-Reporter. Den fragt er was er verdient, und er ist dann ganz erstaunt über das hohe Gehalt des Reporters. Er beschließt dann, mit seiner Kamera genauso die Ereignisse zu filmen. Das macht er dann zwei, drei Tage, bis er drei Freunde trifft, mit denen er zusammen feiert und trinkt und mit denen er beschließt, dass für sie jetzt ein neues Leben begonnen hat; er war richtig bewegt von der Idee der Revolution usw.
Und dann filmt er, was mit diesen drei Freunden in dem ‚neuen’ Leben in Russland passiert. Die Serie besteht aus acht Episoden, sozusagen jedes Jahr eine Folge, von 1991 bis 1998. Wobei am Ende allerdings rauskommt, dass das Ganze keine Dokumentation war, sondern Fiktion: weil alle drei Freunde gleich in der ersten Nacht getötet wurden und er sich selbst ausgedacht hat, was mit ihnen in dem neuen Leben passiert wäre.
Vielleicht veröffentliche ich den Film ja mal im Internet.
Die westliche Presse kritisiert Russland oft dafür, dass es kaum unabhängige russische Medien mehr gibt. Wie ist es mit der Filmindustrie?
Bekmambetow: Die Filmindustrie ist zu jung, um unter der Kontrolle zu sein. Das Medium Film hat in Russland keine so große Macht; Kino hat in Russland nicht so viel Macht wie zum Beispiel das Fernsehen. Aber auch darüber denke ich nie nach. Weil während der letzten zwei, drei Jahre war es unsere Aufgabe, möglichst viele Leute ins Kino zu holen. Und da politische Themen zu wählen – das ist einfach nicht populär. Weil wenn es politisch ist, dann ist das was fürs Fernsehen, dann ist es nicht unterhaltsam.
Kann man durch Filme in Russland politischen Protest ausüben?
Bekmambetow: Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Weil all die Verleiher Angst haben.
Wir haben in Russland eine Art Diktatur, eine starke Staatsmacht…. Weil in den 90ern haben wir einer Welt gelebt, in der die Oligarchen die Medien dazu benutzt haben, das Land zu kontrollieren. Heute ist das Gegenteil der Fall: weil die einzige Möglichkeit, die Oligarchen zu stoppen, war, dass der Staat die Kontrolle übernimmt.
Natürlich ist das negativ, aber es ist – wie auch in „Wächter des Tages“ und „Wächter der Nacht“ – schwer zu entscheiden, wer hier Recht hat.
Also, ich denke, das ist eine gute Frage, ich werde darüber nachdenken und wir werden versuchen, etwas zu produzieren… Andererseits weiß nicht, wie man protestieren kann, was man sagen kann, wie man es sagen soll: Etwa „Putin ist ein Diktator, er ist schlecht“? – nein, so einfach ist das nicht. In Russland gibt es keine einfachen Antworten.
Die Wächter-Filme spielen in Moskau. Mich interessiert in Bezug auf Moskau Folgendes: Ich habe noch nie eine Stadt gesehen, in der so viele Autos herumfahren mit schwarz getönten Scheiben, wie in Moskau. Warum ist das so?
Bekmambetow: Weil es einen großen Gegensatz gibt zwischen armen und reichen Leuten. Und die reichen Leute müssen geschützt werden, müssen irgendwie separiert werden. Es verängstigt sie, sichtbar zu sein.
Aber sie müssen sich doch nicht verstecken, wenn sie ehrliche Geschäfte machen…
Bekmambetow: Wenn es diesen Gegensatz gibt, dann hast du auf der einen Seite eine Wut, und vor der musst du dich beschützen.
Die schwarzen Scheiben also nur ein Schutz?
Bekmambetow: Das ist ein Schutz, ein geschützter Lebensstil, unsichtbar zu sein… nicht sichtbar zu sein für die gewöhnliche Leute. Ich habe allerdings keine getönten Scheiben, ich habe da keine Angst.
Was ist Ihr nächstes Filmprojekt?
Bekmambetow: Wir haben in Russland einen neuen Film gemacht, der im Januar 2008 rauskommt, für ein breiteres Publikum. Er basiert auf der sehr populären russischen Komödie „Ironie des Schicksals“ (russ. Titel: „Ironija sudby“), eine Weihnachtskomödie, die seit 30 Jahren jedes Jahr im russischen Fernsehen läuft, immer an Neujahr. Jeder bei uns kennt diesen Film, der ist in Russland so etwas wie ein Nationalheiligtum, so wie Kaviar oder der Kreml. Und wir haben davon jetzt eine Fortsetzung gedreht wo es darum geht, was 30 Jahre später aus den Figuren geworden ist.
aaaaa
Ist Bekmambetov behindert??
Es können sich weit mehr als 15-20% der Bevölkerung einen Kinobesuch leisten… locker 75%
meine meinung
Tut mir leid für die Polemik, aber ich muss folgendes hinzufügen, auch wenn das wenig mit Film
zu tun hat.
wer immer auch dieses Interview durchgeführt hat, hat „dumme“ (sorry) Fragen gestellt. Getönte scheiben -.- und in Amerika gibt es sowas natürlich nicht…. Getönte Schweiben haben nichts mit kriminellen Geschäften zu tun. Sie dienen als Schutz vor Kriminellen (Ja in Russland gibt es immernoch starke Kriminalität)…oder (bei den Promis) vor Paparazzi..
Ja, mit der Pressefreiheit läuft es gerade nicht gut, aber das hat seine Hintergründe (wie timur schon sagte: Es ist nicht alles so einfach: Die böse russische Regierung lässt die Armen Leute nicht zu Wort kommen…….von wegen..man kann nicht alles in schwarz und weiß einteilen.
Bedenkt doch mal Russland als Demokratie existiert
gerade einmal 17 Jahre…Das ist nicht genug Zeit um sich vollständig zu formen, seine Werte und Normen zu ordnen. Deutschland hatte mehr als ein halbes Jahrhundert Zeit und es wird immer noch daran gefeilt. Außerdem die ganze Ära des Hummanismus hat Russland nicht so erlebt wie Europa. Es sucht sich seinen Weg und ja es macht dabei auch Fehler, aber was hilft das denn bitte wenn die westlichen Medien immer nur in der Wunde rumstochern, wo bleiben die Konzepte? Was erwartet ihr, dass Putin sagt..oh ich bin ja so böse gewesen…hier ich gebe euch Pressefreiheit und alles andere..Eine 180 Grad Wendung von Putin oder seinem Nachfolger ist eher unwahrscheinlich.
Sehr schönes Intwerview
Ich bin ein riesen Fan von Antoine Monot und habe mich sehr über dieses fantastisch geführte und ausführliche Interview gefreut. Mehr von ihm! Und weiter so.