Herr Graf, wie würden Sie jemandem, der Sie nicht kennt, in einem Satz Ihre Musik erklären?
Der Graf: Meine Musik ist die Sprache des Herzens. Das stammt nicht von mir, sondern ein Fan hat das mal zu mir gesagt und ich finde das sehr passend.
Wie hätten Sie sie vor zehn Jahren beschrieben?
Der Graf: Ich habe früher so wie auch heute einfach nur Musik gemacht, weil es mir Spaß gemacht und mir gut getan hat. Vor zehn Jahren hätte „Musik des Herzens“ sicher genauso gepasst, aber darüber war ich mir damals noch nicht so bewusst. Es hat musikalisch definitiv eine Veränderung gegeben, was in diesem Zeitraum aber ja auch völlig normal ist. Ich bin ja auch älter und reifer geworden (lacht). Und darum habe ich heute mehr Mut zum Gefühl, was ich durchaus positiv finde. Vor zehn Jahren hätte ich mich sicher nicht getraut, einfach mal „Ich liebe Dich“ zu singen. In meinen Liedern verarbeite ich sozusagen mein Leben, direkt und ungeschminkt. Ob das der Tod meines bestens Freundes ist oder andere Erlebnisse. Ich schreibe quasi ständig an einem vertonten Tagebuch.
Es hat zehn Jahre gebraucht, bis Sie mit „Unheilig“ erste Preise und Auszeichnungen einheimsen konnten. Kurz auf den Sieg von Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest“ folgte ein „Bambi“ und natürlich einige goldene Schallplatten – Was bedeutet Ihnen das alles?
Der Graf: Am Anfang dachte ich immer, es wäre mal schön, irgendwann einen Goldene zuhause hängen zu haben. Einfach als Bestätigung, dass man sich als Musiker entwickelt und ein gewisses Niveau erreicht hat. Das ist ja eine Auszeichnung. Preise haben mir bis zum „Bundesvision Song Contest“ allerdings nie etwas bedeutet. Aber in dem Augenblick, als ich das Ding in der Hand hielt, wurde mir plötzlich bewusst, was in den ganzen Jahren alles so passiert ist und vor allem wo die Reise hingegangen ist. Ich hatte plötzlich eine Bestätigung für meine Arbeit, eine Bestätigung zum Anfassen. Genauso war’s beim Bambi. Und wenn ich morgens zu Hause aufstehe und die beiden da stehen sehe, dann macht das immer gleich ein gutes Gefühl.
„Große Freiheit“ ist das am längsten auf Nummer Eins platzierte deutsche Album aller Zeiten. Was haben Sie gedacht, als Sie die Nachricht vom Rekord erreichte?
Der Graf: Ganz im Ernst: Ich hab das eher nebenher wahrgenommen und mir erst recht nix darauf eingebildet. Damals habe ich allerdings noch nicht gewusst, wie wichtig das ist. Die Erkenntnis kam dann aber schnell: Plötzlich wurden wir noch mehr im Radio gespielt, es gab mehr Interviewanfragen, mehr Einladungen ins TV und so weiter. Die Medienlandschaft braucht anscheinend einen Aufhänger wie diesen Rekord, um sich jemandem noch stärker zu widmen. Daher war das schon wichtig für „Unheilig“. Das ist ja auch alles neu für mich: All die ganzen TV- und Radio-Auftritte, die vielen Interviews … Plötzlich befindest du dich in der Medienpräsenz auf einem Level mit all den anderen Künstlern, von denen du selbst Platten im Schrank stehen hast.
Sie sprechen oft von „wir“ und betonen stets, dass „Unheilig“ ein ganzes Team ist, nicht nur was die Musiker angeht. Fühlen sich Ihre Kollegen manchmal etwas im Schatten, weil der Graf letztendlich als einziger im Rampenlicht steht?
Der Graf: Ich versuche es immer so hinzubekommen, dass das nicht der Fall ist. Zum einen wissen diese Leute alle, wie wertvoll sie für mich sind und dass ich sie sehr schätze. Und zum anderen sind das alles Menschen, die das Rampenlicht auch gar nicht suchen, sondern eher zurückhaltend sind. Mit „wir“ meine ich den harten Kern um mich, vom Management bis zu den Musikern auf der Bühne, die übrigens auch hin und wieder wechseln. Mir ist klar, was ich denen alles zu verdanken habe und daher sage ich auch oft „wir“.
„Unheilig“ kommen aus der Gothic-Szene und laut Ihrer Aussage gehören sie da auch immer noch hin. Mit dem großen Erfolg haben sich aber sicherlich einige eingefleischte Fans von Ihnen abgewendet, oder?
Der Graf: Richtig. Das war eine von den vielen komplett neuen Erfahrungen, die ich in letzter Zeit gemacht habe. Ich habe nie verstanden, dass es Fans gibt, die es nicht gut finden, wenn ein Musiker plötzlich eine größere Masse erreicht. Ich versuche mir das so zu erklären: Man geht ja in eine Szene hinein, um sich vom normalen Mainstream abzuwenden. Und dann ist es für manchen in dieser Szene blöd, wenn „einer von ihnen“ plötzlich im Mainstream Erfolg hat.
Und hätten Sie jemals gedacht, dass Sie sich auch irgendwann mal mit einer solchen Entwicklung konfrontiert sehen?
Der Graf: Nie. Ich dachte immer, wenn sich meine Musik nicht grundlegend ändert, und ich mich als Mensch sowieso nicht, dann wird sich auch an der Akzeptanz der Szene mir gegenüber nichts ändern. Aber es scheint doch einige zu geben, die Unheilig jahrelang nur wegen des Geheimtipp-Status gehört haben. Mochten die jetzt meine Musik oder wollten sie einfach Insider sein? Das sind jedenfalls die Leute, die sich jetzt daran stören, dass ich plötzlich so viel verkaufe, öfters im Fernsehen zu sehen bin und so weiter. Da muss ich leider ganz klar sagen: Ich kann es nicht allen Recht machen.
Kommt es denn vor, dass Ihnen Fans der ersten Stunde ins Gesicht sagen, dass Sie sie verraten hätten?
Der Graf: Ja, klar, das kommt vor. Ist aber OK für mich, jeder soll ja frei seine Meinung äußern. Die Frage ist, ob ich es mir dann zu Herzen nehme oder nicht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich mich ernsthaft gefragt habe, ob da was dran ist. Aber inzwischen bin ich mir sicher, dass ich mich in keiner Weise als Verräter sehen muss. Meine Musik ist für jeden, dem sie gefällt. Ich kann die Gothic-Szene nicht anhand von ein paar Leuten identifizieren, die das anders sehen. Und ich kann beim Songschreiben auch nicht danach gehen, ob jemand schwarz trägt oder nicht. Zu unseren Konzerten kommen immer noch Tausende Leute aus der schwarzen Szene. Und in den ersten Reihen sehe ich immer noch viele Gesichter, die ich schon seit Jahren kenne.
Im Herbst 2010 waren Sie in der ZDF Musiksendung „Willkommen bei Carmen Nebel“ zu sehen. Ein sehr ungewohntes Umfeld für „Unheilig“, trotz aller Erfolge in der jüngsten Zeit …
Der Graf: Ja, aber das war wirklich mal eine spannende Erfahrung! Ich hab zwei Minuten darüber nachgedacht ob ich das machen kann, dann stand meine Entscheidung fest und ich hab mich echt drauf gefreut. Denn eigentlich habe ich schon immer gesagt, dass ich überall dort auftreten werde, wohin man mich einlädt. Unseren allerersten TV-Auftritt hatten wir auch erst in 2010, das war bei „Big Brother“. Wir waren auch in der „Deutschen Hitparade“ zu Gast. Warum auch nicht? Was soll es auch ernsthaft für Gründe geben, solche Angebote auszuschlagen und nicht dort zu spielen?
Vor zehn Jahren hätte ich mich sicher nicht getraut, einfach mal „Ich liebe Dich“ zu singen.
Vielleicht die, über die wir schon gesprochen haben. Um alte Fans nicht vor den Kopf zu stoßen, für die man dann vielleicht plötzlich zu kommerziell wirkt.
Der Graf: Aber wo fängt man dann an und wo hört man auf? Wenn man als Künstler Musik macht, dann will man auch gehört werden. Und wenn man gehört werden will, darf die Musik nicht ewig ein Geheimtipp sein, das wäre Blödsinn! Ich höre öfters in letzter Zeit, dass wir ja jetzt von einer großen Plattenfirma abhängig seien die uns sicher diktieren würde, wo wir überall zu spielen haben. Das ist Quatsch – Das allerletzte Wort habe ich. Und mir ist immer wichtig, dass der Auftritt so abläuft, wie ich ihn mir vorstelle. Unser Bühnenbild, unsere Kerzen, eben alles womit wir uns identifizieren muss da sein, das ist die Bedingung. Man muss uns so nehmen wie wir eben sind, dann sind auch solche TV-Sendungen OK. Wenn ich als „Unheilig“ irgendwann mal in einem rosa Anzug vor einer Bergromantik-Kulisse bei Carmen Nebel auftreten sollte, dann darf man mir gerne sagen, dass das wirklich nicht geht. Das würde ich akzeptieren.
Sie haben in einem Interview einmal denkwürdige Fanpost erwähnt. Mehrere Menschen hatten Ihnen geschrieben, dass ein bestimmter „Unheilig“-Song sie davon abgehalten hätte, sich umzubringen. Spüren Sie angesichts solcher Reaktionen eine Art Verantwortung beim Songschreiben?
Der Graf: Ich denke beim Schreiben tatsächlich darüber nach, ob ich es so schreiben kann. Sicherlich weiß ich, dass viele Menschen meine Texte ganz genau lesen und interpretieren oder auch auf sich beziehen. Dieser Verantwortung bin ich mir ganz klar bewusst. Die Geschichte, die du da ansprichst, war mir dabei eine große Lehre. Und nicht erst seitdem hinterfrage ich die Dinge die ich schreibe nach dem „Darf man das so sagen?“. Und um noch mal zum Anfang zurück zu kommen – Vor zehn Jahren habe ich an so etwas zum Beispiel noch überhaupt keinen Gedanken verschwendet.
Viele erfolgreiche deutsche Künstler drehen ihrer Heimat nach dem großen Erfolg den Rücken zu, vielleicht um „näher dran“ zu sein, vielleicht aus Statusgründen. Sie allerdings sind sehr heimatverbunden und halten Aachen die Treue. Warum?
Der Graf: Es ist tatsächlich so, dass ich nach jedem Auftritt wann immer es möglich ist versuche, wieder nach Hause zu kommen (lacht). Ich liebe es einfach und fühle mich dort am wohlsten. Ich bin in Aachen geboren, hab dort meine Kindheit verbracht, all meine Erinnerungen haben mit dieser Stadt zu tun, meine gesamte Familie lebt hier – Warum sollte ich weg gehen? Ich verspüre einfach keinerlei Drang, wegzuziehen. Es ist ja wirklich so wie du sagst – Viele Künstler, die plötzlich erfolgreich werden, freuen sich dann schon, dass es jetzt endlich nach Berlin geht. Oder nach Hamburg. Aber ist doch Quatsch – wenn sie ehrlich sind, sitzen sie in ihrer Freizeit auch meistens in ihrer Wohnung vor ihren E-Mails.
Wie wichtig ist Ihnen Ihr Image, vor allem auch äußerlich?
Der Graf: Für mich als Graf ist es schon gut so, wie es ist. Wie viele wissen grenze ich mein Privatleben komplett von meinem künstlerischen Leben ab, darum ja auch das Pseudonym „Der Graf“, die Klamotten und der Bart. Als Graf sehe ich eben so aus und privat trage ich auch Jeans und T-Shirt, wie alle anderen auch.
Privat sind Sie also nie als „Der Graf“ unterwegs?
Der Graf: Himmel hilf – Nein, das wär’ mir viel zu anstrengend. Wenn keine öffentlichen Termine anstehen kann es auch mal vorkommen, dass ich mich eine Woche lang nicht rasiere, also weder auf dem Kopf noch am Kinn. Das ist nicht nur bequem, sondern auch sehr erholsam für die Haut. Es kann nämlich durchaus auch mal weh tun, sich jeden Morgen den Schädel zu rasieren (lacht).
Ist der „Graf“ also eine Art Verkleidung?
Der Graf: Jein. Er ist der Teil von mir, der für die Öffentlichkeit da ist. Wobei wir jetzt nur über das Äußere reden. Menschlich bin ich natürlich immer der Gleiche, egal in welchen Klamotten ich stecke oder ob ich Glatze oder Stoppeln auf dem Kopf trage. „Verkleidung“ gefällt mir daher als Begriff nicht so ganz …
Uniform?
Der Graf: Nein, gefällt mir auch nicht.
Dienstkleidung?
Der Graf: Darauf könnten wir uns einigen. Ich sage ja auch selber über mich „Ich bin dann mal wieder als Graf unterwegs“. Viele bezeichnen den Grafen auch als eine Kunstfigur. Aber das ist genauso falsch, denn er ist ja niemand Erfundenes in dem Sinne, sondern mein zweites Ich. Und da ich privat menschlich der gleiche bin, ist er auch keine Kunstfigur.
Sie sind gottesfürchtig, verurteilen aber die Kirche. Wie leben Sie Ihren Glauben?
Der Graf: Halt, Moment – ich verurteile die Kirche nicht, auch wenn das oft behauptet wird. Die Kirche ist für viele Menschen ein wichtiger Teil ihres Lebens, ohne den sicherlich eine Welt für sie zusammenbrechen würde. Ich habe nur für mich selber entschieden, dass ich eine solche Institution nicht brauche. Obwohl ich noch Mitglied bin und auch noch brav meine Kirchensteuer zahle, denn manche kirchlichen Einrichtungen wie zum Beispiel Kindergärten machen ja durchaus Sinn. Meinen Glauben lebe ich ganz frei, ich kann mit dem lieben Gott sprechen wo immer ich auch bin. Ich brauche dafür nicht irgendein Haus oder einen bestimmten Ort, das geht überall. Ich stelle mir aber schon alles so vor, wie ich es von Klein auf mitbekommen habe. Ich meine, ich komme aus Aachen … (lacht) Also bin ich römisch-katholisch erzogen worden und glaube an das klassische Bild von Gott und dem Paradies. Aber nicht an die ganzen Regeln, Verbote und Gebote, die Religionen aufstellen. Jeden Sonntag irgendwo hin zu gehen und zu beten, einfach nur, weil man das ebenso macht, ist in meinen Augen falsch.
Früher hatten Sie große Probleme mit Ihrem Handicap, dem Stottern. Im normalen Gespräch bemerkt man heute kaum mehr etwas davon. Haben Sie das alleine in den Griff bekommen oder haben Ihnen Logopäden geholfen?
Der Graf: Ich habe in meiner Kindheit gefühlt eine Million Psychologen und Ärzte erlebt, die alle ihre eigene Meinung hatten, woran es liegen könnte. Da war von Zwerchfellverengung bis hin zu den absurdesten Ideen alles dabei, was man sich vorstellen kann. Wirklich helfen konnte mir damals niemand, also musste ich selber ran. Irgendwann war der Punkt da, an dem ich einfach keine Lust mehr hatte, ständig vor mir selber wegzulaufen. Seitdem gilt für mich: Angriff ist die beste Verteidigung. Es gibt so viele Angstschwellen, die ich im Alltag zu meistern habe, zum Beispiel ein Interview wie dieses hier. Noch schlimmer ist es natürlich vor laufender Kamera. Und um die Angst vor dem hängenbleiben zu überwinden, hat sich das alte „Augen zu und durch“ am besten bewährt. Aber ich habe immer noch ein Sprachproblem, ganz klar. Es ist halt da und ich akzeptiere es. Früher habe ich mich oft darüber aufgeregt, aber seitdem ich es akzeptiere und offensiv damit umgehe, klappt es viel besser.
Und auf der Bühne haben Sie gar kein Problem damit?
Der Graf: Wenn ich Singe gar nicht, nie. Aber wenn ich dem Publikum etwas erzählen will, muss ich auch immer diese Schwelle überschreiten von der ich gerade sprach. Und es ist immer toll, wenn ich das dann geschafft habe. Das fühlt sich dann an wie ein kleiner Sieg. So wie jetzt auch. Ich weiß: Dieses Interview hast du wieder gut gemeistert – und das ist ein gutes Gefühl.
твоя песня Винтер взорвала мозг она великолепна,ты чудо ,что спел ее, тебя благодарит весь мир, она волшебная,я русская ,но слушая тебя,мне хочется плакать и радоваться одновременно ,ты чудо,дай бог тебе дальше дарить нам такие песни, люблю тебя,дай бог тебе здоровья и счастья