Herr Heye, Sie kritisierten die Bundeskanzlerin mehrmals öffentlich scharf für ihre Haltung in der Flüchtlingskrise. Beurteilen Sie Angela Merkels Politik der letzten Wochen anders?
Uwe-Karsten Heye: Sagen wir mal so: Ich hatte ja nicht oft die Gelegenheit, Frau Merkels politischen Überzeugungen zu folgen, im Gegenteil. Aber in der Frage der Flüchtlinge hatte sie meinen Respekt. Um die CDU/CSU zusammenzuhalten, ist sie aber leider dabei, ihre Position Schritt für Schritt zurückzunehmen.
Woran machen Sie das fest?
Heye: Schäuble und De Maziére bestimmen das Klima der Debatte. Und die Kanzlerin schweigt dazu. Jeden Tag neue Vorschläge, die alle wenig durchdacht sind und doch beitragen, aus dem „wir schaffen das“ ein „wir schaffen das doch nicht“ zu machen. Die CSU, die sogar von katholischen Kirchenoberen kritisiert wird für die Haltung Bayerns in der Flüchtlingsfrage, hält die Politik der Kanzlerin für rechtswidrig, ohne dass dem aus Berlin widersprochen wird.
Die CSU gibt doch seit jeher den renitenten Zwischenrufer – oder war es diesmal mehr als das?
Heye: Herr Seehofer meinte, es als einen Verfassungsbruch zu sehen, wenn Frau Merkel sagt, ‚wir können das schaffen‘ – das ist doch unglaublich. Darin zeigt sich, dass die CSU gleichzeitig Biedermann und Brandstifter spielt. Und sie will immer wieder den Eindruck erwecken, als ob hier durch die Bundesregierung etwas absolut Ungerechtfertigtes passiere, noch dazu in einem rechtsfreien Raum. So etwas ist in dieser Form im Laufe der Geschichte dieser Republik – selbst in der Adenauer-Ära – meines Wissens nach, nicht vorgekommen.
Der innere Friede wird nicht durch Flüchtlinge sondern durch Rechtspopulismus bedroht.
Innenminister Thomas de Maizière befürwortet eine Abschiebung von Flüchtlingen auch nach Afghanistan und sagt: „Es sind viele Summen von Entwicklungshilfe nach Afghanistan geflossen, da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben.“ Wie beurteilen Sie dies?
Heye: Die Sicherheitslage in Afghanistan wird als zunehmend verheerend eingeschätzt. De Maiziéres Forderung wäre für manchen abgeschobenen Rückkehrer ein Todesurteil.
In den letzten Wochen hat vor allem der Vorschlag von CSU und CDU, sogenannte Transitzonen einzurichten, für Diskussionen gesorgt …
Heye: Ich glaube, das war eher ein politisch-ideologisches Manöver, das wären auch völlig unnötige Maßnahmen. Vielmehr muss das zuvor beschlossene Gesetzespaket schnell umgesetzt werden. Zudem steckt doch hinter dieser Idee von Transitzonen nichts anderes als die Absicht, die Grenzen abzuschließen. Wer so etwas aber wirklich durchsetzen will, der muss den Schießbefehl miteinbeziehen.
Aber gewiss ist zu fragen, wie es gelingen kann, diese Flut von Flüchtlingen einzudämmen. Sie ist ja kein über Nacht entstandenes Phänomen. Vielmehr tragen die Industrienationen daran durch ihre aggressive Außenwirtschaftspolitik eine Mitschuld.
Auch die EU und ihre Mitgliedsstaaten?
Heye: Ja, die EU subventioniert den Lebensmittelexport massiv. Deshalb kann beispielsweise irische Butter auf afrikanischen Märkten so billig angeboten werden, dass kein afrikanischer Bauer das unterbieten kann – und dann ist doch klar, was dort passiert. Wenn die Küstengewässer Afrikas von Fabrikschiffen Japans und der Europäischen Union leer gefischt werden, dann sind die Fischer vor Ort ihre Arbeit los und zu Seeräuberei geradezu gezwungen.
Das ist doch eine seit langem bekannte Entwicklung.
Heye: Ja, aber das ist einer der Gründe für diese Massenflucht. Auch deswegen hält sie ja schon seit mehr als fünf oder sechs Jahren an, mit unterschiedlichen Wellenbewegungen. Wollen wir die Fluchtgründe minimieren, sollten wir dort beginnen, wo wir selbst Schuld die Gründe liefern– statt über das Abriegeln von Grenzen und kaum realisierbare Transitzonen nachzudenken.
Eine Rolle bei den Fluchtursachen spielen auch Deutschlands Waffenexporte. Entgegen Sigmar Gabriels Ankündigungen sind die Exporte, auch in die arabischen Länder, gestiegen, ein Regierungssprecher spielte Panzerverkäufe an Katar unlängst mit den Worten „So ein Panzer ist ja nicht wie ein Kühlschrank, wo man den Zündschlüssel reinsteckt und dreht, und schon läuft das Gerät“, herunter. Handelt die Bundesregierung in puncto Waffenausfuhren richtig?
Heye: Deutschland steht weltweit an dritter Stelle bei den Waffenexporten. Die Lieferungen an die arabischen Golfstaaten zumal zeigen unmittelbar, wo das hinführt. Da liefern wir in Spannungsgebiete, und wir übersehen, dass Saudi Arabien im Krieg mit dem Jemen liegt. Menschenrechte sind im saudischen Königreich ohnedies nicht vorgesehen.
Sie sagten kürzlich, das Freihandelsabkommen TTIP würde weitere Flüchtlingsbewegungen zur Folge haben. Wieso das?
Heye: TTIP führt zu neuen Handelshindernissen zwischen dem Norden und dem Süden auf diesem Planeten. Der Norden diktiert, wo es lang geht. Es geht bei TTIP darum, dass sich die beiden größten Volkswirtschaften, die USA und die Europäische Union darauf verständigen, ausschließlich untereinander für Erleichterungen im Handel zu sorgen. Da fallen ja nicht nur Zollschranken. Allein sein Zustandekommen in Geheimverhandlungen macht misstrauisch und stärkt den Verdacht, dass es nur den Konzernen nutzen wird, nicht aber den Menschen.
Für solche wirtschafts- und außenpolitische Debatten scheint es derzeit kaum großes öffentliches Interesse zu geben, angesichts der akuten Probleme, wie man mit der Unterbringung der Flüchtlinge und dort entstehenden Konflikten zurecht kommen kann.
Heye: Ja, leider. Aber nicht die Flüchtlinge sind es, die den inneren Frieden gefährden. Es sind mittlerweile, den jüngsten Polizeistatistiken zufolge, etwa 500 Anschläge auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte aus dem Umfeld der rechtsextremistischen Szene registriert worden. Fünfhundert, und davon allein 20 Brandanschläge. Ich befürchte, dass wir bald die ersten Toten auf der Seite der Flüchtlinge zu beklagen haben.
Meinen Sie damit, dass gegen den Terror von rechts nicht konsequent genug vorgegangen wird?
Heye: Seit dem Fall der Mauer hat rechtsextremistische Gewalt etwa 180 Todesopfer gefordert. Dies ist tatsächlich die große, innenpolitische Herausforderung, mit der wir es zu tun haben.
Nicht die Flüchtlinge, die wir unterbringen und deren Sicherheit wir garantieren sollten, sind das Problem. Es ist der rechtsextremistische Bereich, der Fremdenfeindlichkeit und Rassismus schürt, und dieses Denken längst bis in die Mitte der Gesellschaft getragen hat. Diese Debatte müssen wir führen.
Warum wird sie nicht geführt?
Heye: Weil die Union ganz offenkundig ideologisch ein Problem damit hat. Und deswegen ist es notwendig, klar zu machen: Nein, es sind nicht die Flüchtlinge, es sind diejenigen, die von Rechtsextremen aufgehetzt werden und die Hoffnung mindern, dass Flüchtlinge hier in Sicherheit und in Frieden leben können.
Es geht aber auch um die Belastungsfähigkeit von Städten und Gemeinden, wie viel Flüchtlinge zu bewältigen und zu verkraften sind – da muss man doch schon über konkrete Zahlen und Obergrenzen reden, oder?
Heye: Ich finde, es kommt zuerst darauf an, ob man mit der Einstellung herangeht, ‘Es sind sowieso zu viele‘ oder ob man sagt, ‘Wir schaffen es‘. Letzteres hat die Kanzlerin der Politik auferlegt: Wir können das schaffen, wenn wir es denn schaffen wollen. Ich glaube außerdem, dass kein Einziger in Deutschland Sorge haben muss, auch nur einen Cent weniger zur Verfügung zu haben, als bisher. Wir haben in der Bundesrepublik momentan Steuermehreinnahmen in einer Größenordnung, wie es sie bisher noch nicht gab. Mit anderen Worten: Wir sind reich genug, um auch damit umzugehen.
Dennoch scheint die Sorge vorhanden, wenn man die großen Demonstrationen sieht.
Uwe-Karsten Heye: Die Debatte um die verkraftbare Menge an Flüchtlingen ist nur angstgeleitet. Sie stellt nicht die Frage, was wir eigentlich tun müssen, um im Nord-Süd-Verhältnis der Erde so etwas wie soziale Gerechtigkeit herzustellen, die es den Ländern auf der Südseite des Planeten ermöglichen würde, aus eigener Kraft eigene Perspektiven zu entwickeln. Dazu brauchen sie Hilfe, das können sie nicht alleine schaffen. Sie sind auf internationale Solidarität angewiesen.
Sie sagten, dass man als Einzelner in Deutschland keine Angst vor finanziellen Mehrbelastungen haben müsste. Doch wenn es in den Großstädten nicht mehr ausreichend bezahlbaren Wohnraum gibt und die Armutsquote steigt – können Sie dann nicht nachvollziehen, dass bei den Leuten angesichts großer Zuzugsströme die Hoffnung auf verbesserte Lebensumstände schwindet?
Heye: Dass wir in Deutschland eine Spaltung der Gesellschaft haben, in der wenige immer reicher werden und immer mehr in die Armutsfalle geraten, hat nichts mit Flüchtlingen zu tun. Vielmehr liegt das an einer Politik, die daran nichts ändert. Jedes fünfte Kind in Deutschland wird unterhalb der Armutsschwelle groß. Die OECD beklagt, dass in Deutschland Kinder aus sozial schwachen Familien nur geringe Bildungschancen haben. Es gibt bekanntermaßen große Infrastrukturprobleme in diesem Land, von maroden Straßen und Brücken über verfallende Schulen bis zum öffentlichen Nahverkehr. Überall wurde staatliches Handeln zurück gedrängt und wurden Investitionen unterlassen. Das gilt auch für bezahlbaren Wohnraum.
Nun sagen manche, die wachsende Anzahl derer, die in prekären Umständen leben, sind im Grunde eine Folge der Agenda 2010, die die Regierung Schröder verabschiedete, deren Sprecher Sie waren.
Heye: Diese Agenda wurde zu einem Zeitpunkt angestoßen, als wir fünf Millionen Arbeitslose hatten. Und die sind, wenn ich das richtig sehe, zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf weniger als drei Millionen gesunken. Ich glaube, dass es notwendig war, den Arbeitsmarkt so zu strukturieren und zu organisieren, um den wirtschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden. Dass die wirtschaftliche Lage derzeit insgesamt gut ist, hat eben auch mit der Agenda zu tun. Das heißt aber nicht, dass seinerzeit nicht auch Fehler im Detail gemacht wurden.
Inwiefern?
Heye: Dazu gehört beispielsweise die Auslagerung von Produktionsschwerpunkten, mit Löhnen unterhalb der Stammbelegschaft, dazu Leiharbeit und der Abbau von sozialpflichtigen Arbeitsverhältnissen. Lohndumping war eine Folge. Eine Antwort darauf war die Einführung des Mindestlohns. Durch die Hintertür soll dieser Mindestlohn für Flüchtlinge wieder ausgesetzt werden, wenn es nach der Wirtschaft geht.
Ich denke, die weltweiten Flüchtlingsströme sind auch eine Folge der Globalisierung und eines entfesselten Kapitalismus. Für alle, die politische Verantwortung tragen ist seine Überwindung eine ähnlich große Herausforderung wie seinerzeit die Ostpolitik für die Regierung Willy Brandt, die die Aussöhnung nach Osten in Gang setzte und die Spaltung in Europa zu überwinden half.
Damals gab es aber auch den kalten Krieg zwischen Staatenbünden mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen – ist die heutige Zeit wirklich vergleichbar?
Heye: Heute ist es an der Zeit, darüber nachzudenken, wie wir mit einem völlig entfesselten Kapitalismus umgehen. Nehmen Sie die Deutsche Bank, die handelte wie eine kriminelle Vereinigung, die mit vergifteten Finanzprodukten Milliarden Gewinne machte, und die heute Milliarden Euro Rückstellungen für Prozesskosten braucht. Oder der Autobauer Volkswagen, bei dem es in den Chefetagen ganz offenbar komplett an dem fehlt, was ich Verantwortungsethik oder auch Sinn für gesellschaftliche Mitverantwortung nenne. Millionen manipulierte Autos werden auf den Markt gebracht, deren Abgase die Atemluft verpesten.
Wir sollten also nicht so tun, als sei bei uns im Land alles in Ordnung, außer das weltweit 60 Millionen Flüchtlinge in Bewegung sind – woran wir aber nicht schuldlos sind.
Sie erwähnten bereits die Zunahme von Angriffen auf Flüchtlingseinrichtungen. Hier hat die Kanzlerin an unser aller „Geduld“ appelliert. Hat sie diese Geduld womöglich nicht nur auf das Greifen asylpolitischer Maßnahmen bezogen, sondern auch auf das Umdenken bei den Menschen, die heftige Abwehrreflexe gegen Zuzug zeigen?
Heye: Ja, ich denke schon, aber ich sage noch einmal: Der innere Friede, die innere Sicherheit wird nicht durch die Flüchtlinge bedroht sondern durch den Rechtsextremismus und den Rechtspopulismus, der nicht nur in Deutschland sondern in ganz Europa zu finden ist.
Die europäische Union steht vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits muss sie den Reichtum bewahren, der sich über den gemeinsamen Markt entfaltet, dafür sind Kompromisse notwendig. Andererseits darf sie die erwähnte Spaltung der Gesellschaft nicht vertiefen.
Was heißt das für unsere Gesellschaft – und für die aktuelle Diskussion über die Flüchtlinge?
Heye: Wir haben ein Bildungsproblem, das zugleich dazu beiträgt, dass der Anteil derer, die keine eigene ökonomische Perspektive haben, immer größer wird. Das zu ändern ist die Aufgabe, vor der Politik steht. Vielleicht ist der Zustrom von Flüchtlingen ein zusätzlicher Anstoß, damit endlich zu beginnen. Dafür gibt es keinen Knopf, den man nur zu drücken brauchte. Die linken Parteien waren einst angetreten, „die Verdammten dieser Erde“ zu schützen. Diese Verdammten brauchen internationale Solidarität.
Sie haben es mehrfach abgelehnt, mit Vertretern von Pegida oder ähnlichen Bewegungen öffentlich zu reden. Warum?
Heye: Ich habe mit großer Freude das Ergebnis der Wahlen in Wien zur Kenntnis genommen. Der sozialdemokratische Kandidat, der alte und neue Oberbürgermeister hat durch seine klare Haltung deutlich gemacht, worum es geht: „Gesicht zeigen“, im besten Sinne des Wortes. Dies hat meiner Ansicht nach dazu beigetragen, dass die SPÖ in der Hauptstadt relativ schmale Verluste hinnehmen musste. Der Versuch der faschistoiden Kräfte, in Österreich die Zeit umzudrehen, ist misslungen.
Das wünschte ich mir in gleicher Weise auch von der deutschen Sozialdemokratie: Haltung zu zeigen und klar zu machen, dass sie nicht einer scheinbaren oder wirklichen Stimmungsmache folgen wird.
Meine Frage war, ob man mit den Vertreterinnen und Vertretern jener rechtspopulistischen Gruppierungen redet und sich mit ihren Argumenten oder Argumentationen in öffentlichen Diskussionen auseinandersetzt?
Heye: Ich glaube nicht, dass dies sinnvoll wäre. Noch mal: ich denke, es ist wichtiger, Haltung zu zeigen. Man muss klar machen, wo man steht, und man darf nicht schwanken. Wer schwankt, der verliert.
Pegida ist ja nicht zufällig in Sachsen entstanden und gewachsen. Diese Entwicklung hat auch damit zu tun, dass über viele Jahre, etwa in Dresden, der bürgerliche Widerstand gegen die jährlichen Aufmärsche als Störung der öffentlichen Ordnung angesehen wurde. Nicht die Rechtsextremen hatten mit polizeilichen Maßnahmen zu rechnen, sondern die, die sich gegen Neonazis stellten.
Sie beklagten bereits häufiger institutionellen Rassismus, auch innerhalb der Polizei. …
Heye: Ich glaube, es ist kein Zufall, dass bislang nicht ein einziger Verdächtiger angeklagt werden konnte, für Brandanschläge oder Überfälle auf Flüchtlingsunterkünfte verantwortlich zu sein. Es gab nach meiner Kenntnis nur eine Verhaftung. Wir haben das ja schon beim NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) erleben müssen, dass dessen Mordserie nur deswegen aufgeklärt wurde, weil sich die Beteiligten selber verraten haben. Es war jedenfalls nicht das Ergebnis kriminalistischer Arbeit. Die Berichte der Untersuchungsausschüsse in den Landtagen in Thüringen und Sachsen geben zudem ein schauerliches Bild ab über die Landesämter für Verfassungsschutz. Einer Fallstudie des Landeskriminalamts Baden-Württemberg ist zu entnehmen, wie dieses Versagen zustande kam. Die Ermittler waren jahrelang davon überzeugt, dass der Täterkreis für die Mordserie nur außerhalb Deutschlands zu finden sei. Die Begründung: in Deutschland sei Mord tabuisiert. Die daraufhin gegründete Sonderkommission „Bosporus“, war die größte Sonderkommission in der Bundesrepublik. Die Täter wurden dabei vornehmlich in den Familien der Opfer gesucht, die über Jahre mit diesem Verdacht leben mussten.
Und daran ist für Sie ein generelles Manko bei den Behörden erkennbar?
Heye: Ja, hierin zeigt sich ein massiver institutioneller Rassismus. Warum sollte bei den Polizeien in Bund und Ländern eine andere Vorurteilsstruktur herrschen als in der übrigen Gesellschaft?
Ich glaube daher, dass es notwendig ist und bleibt, politische Aufklärung in diese Institutionen zu tragen. Man kann es nicht einfach laufen lassen sondern muss deutlich zu machen, dass wir auf Verfassungsschutzämter wie die in Sachsen oder Thüringen gut verzichten können. Deren Schutz kann die Verfassung entbehren.
Die Sprecher der Bundesregierung sehen sich in der Bundespressekonferenz (BPK) zunehmend kritischen Fragen ausgesetzt, dokumentiert auch auf zahlreichen Youtube-Videos. Was denken Sie als ehemaliger Regierungssprecher, wenn Sie sehen, wie heute in der BPK um Antworten gerungen wird?
Uwe-Karsten Heye: Ich begebe mich ungern in die Rolle, andere zu bewerten oder gar Noten zu verteilen an die, die es heute machen, da bitte ich um Nachsicht. Insofern sage ich dazu nur, dass ich hoffe, dass der Regierungssprecher und die Sprecher der Ministerien Manns und Frau genug sind, Agitation und Information nicht zu verwechseln.
Der Verein ‚Gesicht zeigen‘, den Sie mitbegründeten und dem Sie vorstehen, hat kürzlich in Berlin eine große Anzahl Flüchtlinge eingeladen, um ihnen ein Varieté-Unterhaltungsprogramm zu bieten. Welche Erkenntnisse konnten Sie daraus mitnehmen?
Uwe-Karsten Heye: Wir haben das in Zusammenarbeit mit der Varietébühne Tipi am Kanzleramt gemacht. Es waren ungefähr 500 Flüchtlinge, Familien, Kinder und viele freiwillige Helfer dabei. Wir wollten diesen Menschen, die so schweres ertragen mussten, ein paar Stunden bieten, in denen sie ganz losgelöst vom Alltag in der Unterkunft einfach nur Spaß haben. Und das ist, glaube ich, gelungen. Es geht darum, diesen Menschen nicht das Gefühl zu geben, dass sie uns zur Last fallen, sondern dass wir mit ihnen zusammen so etwas wie eine Veränderung in der Welt in Gang setzen können.
Ein Durchatmen für die Flüchtlinge und eine Belohnung für’s ehrenamtliche Helfen?
Heye: Ja, nichts weiter als das.
Eine weitere Aktivität Ihres Vereins ist ein „digitales schwarzes Brett“, nennt sich ‚Helpto‘ und vermittelt als Online-App zwischen Gesuchen und Angeboten für Flüchtlingshilfen. Das scheint eine gute Idee zu sein – gleichwohl drängt sich bei solchen Angeboten der Eindruck auf, dass ehrenamtliche Tätigkeiten die Löcher stopfen, die durch Nachlässigkeit oder politischen Unwillen von staatlichen Einrichtungen hinterlassen werden.
Heye: Naja, das erinnert mich an den Spruch, dass es nicht nur einen Aufstand der Anständigen sondern auch einen Aufstand der Zuständigen geben sollte. Ich glaube, es ist beides notwendig. Wir brauchen den zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen Rechts. Das heißt nicht, dass man die politisch Verantwortlichen aus ihrer Pflicht entlässt. Es heißt aber sehr wohl, aktiven Anteil zu nehmen. Die Bereitschaft der Zivilgesellschaft, sich einzubringen, halte ich für nötig, damit wir nicht das wiederholen, was wir in Weimar und danach hinter uns gebracht haben: eine Republik ohne Republikaner oder eine Demokratie ohne Demokraten.