Kerstin Dombrowski

Bei „Bild“ konnte man die Interviewsequenzen immer ein bisschen an die Geschichte anpassen…

Journalistin Kerstin Dombrowski über die Boulevard-Perspektive, Extremsituationen bei der „Bild“-Zeitung, Gruppendynamik unter Redakteuren und Moral

Kerstin Dombrowski

© privat

Frau Dombrowski, Sie kommen in Ihrem Buch immer wieder auf Ihr schlechtes Gewissen während Ihrer Zeit im Boulevardjournalismus zu sprechen. Warum sind Sie diesem Job trotz schlechten Gewissens zehn Jahre lang treu geblieben?
Dombrowski: Das schlechte Gewissen hatte ich ja nicht permanent. Ich wurde oft raus geschickt, um eine Geschichte zu recherchieren, wo ich dachte: „Das ist furchtbar, das dürfte ich jetzt eigentlich nicht machen.“ Aber anschließend durfte ich dann wieder nach Hawaii fliegen oder eine Woche lang auf Rhodos recherchieren. Es gab also immer wieder auch die netten Seiten. Es war nicht durchgängig gruselig.

Warum haben Sie das Buch geschrieben?
Dombrowski: In gewisser Weise habe ich es zunächst einmal für mich selbst geschrieben, denn meine Sicht auf die Dinge hat sich extrem verändert. Es war für mich sehr spannend, noch einmal in diese Zeit einzutauchen und mir zu überlegen, was ich da gemacht habe und warum ich das gemacht habe. Zudem ist es für diejenigen interessant, die sich momentan in diesem Hamsterrad befinden. Denn wenn man da drin steckt, denkt man gar nicht wirklich mehr drüber nach, was man tut, man hat keinen objektiven Blick mehr darauf.

So extrem ist das?
Dombrowski: Ich nenne Ihnen ein spannendes Beispiel: Man saß in der Redaktion und jemand hatte von irgendeinem Unglücksopfer die Mutter ausfindig gemacht. Alle sagten: „Oh, cool, du hast die Mutter bekommen“. Erst wenn man später zu Hause war und sich nicht mehr im Redaktionsumfeld befand, kam der Gedanke auf, dass man dieser Mutter vielleicht zu nah auf den Leib gerückt sein könnte. Die Wahrnehmung verschiebt sich.
Ich hoffe auch, Protagonisten ermutigen zu können, sich zu wehren und nein zu sagen, wenn sie merken, dass es in die falsche Richtung geht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich viele gar nicht trauen, einen Boulevardjournalisten vor die Tür zu setzen. Ich denke, je mehr man darüber weiß, desto besser kann man damit auch umgehen.

Als Sie als Praktikantin bei der „Bild“-Zeitung anfingen, waren Sie Anfang 20. Wie naiv waren Sie?
Dombrowski: Ich glaube, es ist eine Frage des Selbstwertgefühls. Ich war nicht selbstbewusst genug, um auch mal nein zu sagen, wenn ich etwas nicht machen wollte. Es war absolut spannend für mich, immer wieder Promis zu treffen. Das hatte einen unbestechlichen Reiz für mich. Ich kam dort hin, wo man normalerweise nicht hinkommt. In OP-Säle, zu bestimmten Veranstaltungen, einfach überall. Diesem Glanz bin ich erlegen und ich habe mich auch in der Gruppe erstmal ziemlich wohl gefühlt. Es haben einfach alle zusammengehalten. Das war natürlich naiv.

Sie haben Ihre Artikel damals stolz herumgezeigt.
Dombrowski: Es war eine Prestigesteigerung. Ich war nicht mehr die Reiseverkehrskauffrau Kerstin Dombrowski, sondern ich kam von einem großen Medium. Plötzlich wurde ich ernst genommen, alle hörten zu. Man fühlt sich selbst ein Stück weit prominent, wenn man die ganze Zeit von Prominenten umgeben ist und der eigene Name in der Zeitung steht.

Über Ihre Anfangszeit bei der „Bild“-Zeitung schreiben Sie, Sie hätten ihr Gehirn abgegeben „wie ein Jünger einer Sekte“. Haben Sie Ihre Arbeit damals überhaupt nicht reflektiert?
Dombrowski: Wenn ich einen Auftrag bekam, bei dem ich wusste, dass er verwerflich und unmoralisch ist – etwa zu Eltern zu gehen, die gerade ihr Kind verloren haben – und ich meine Bedenken gegenüber den Kollegen äußerte, hieß es nur „Ja, na und?“ Ich war nicht so gefestigt, bei mir zu bleiben und zu sagen: „Für mich ist das aber schlimm.“ Ich dachte vielmehr: „Vielleicht bin ich zu empfindlich, zu sensibel.“ In diesem ganzen Umfeld greift einfach diese Gruppendynamik wunderbar. Niemand will der Außenseiter sein.

Sie haben alles mitgemacht, haben sich nie verweigert?
Dombrowski: Das war tatsächlich so. Einmal sollte ich mich mit einem Blumenstrauß in der Hand auf eine Intensivstation schleichen, auf der ein Mädchen lag, das ihre Freundin tot gefahren hatte. Da ging es mir wirklich schlecht. Die „Bild“-Zeit war auch wirklich nicht schön. Das hätte ich definitiv keine zehn Jahre gemacht. Aber ich hatte mir fest vorgenommen, wenigstens ein Jahr lang durchzuhalten, weil mir jeder gesagt hatte, danach würde ich auch Jobs in anderen Bereichen finden. Dieses eine Jahr durchzuhalten war allerdings schon sehr, sehr anstrengend. Beim Fernsehen hingegen hatte ich später zum Teil auch wirklich Spaß.

Was für einen Eindruck hatten Sie von Ihren Kollegen bei der „Bild“-Zeitung?
Dombrowski: Es gab Redakteure, die von einer Recherche kamen, sich schief lachten und riefen „Ich hab sie heulend“ oder die nach der Konferenz sagten „Ich hab da noch ´ne Tote nackig am Baum, haha“. Manche waren total sarkastisch. Es gab Sprüche wie „Da ist ein Bus voller Touristen verunglückt, oh super. – Och Mist, waren alles Rentner.“ Sogar die Opfer müssen jung sein! Es gab aber auch andere, die sensibel und vorsichtig waren und mit den Protagonisten ordentlich umgegangen sind.

Was war beim Fernsehen später anders?
Dombrowski: Beim Fernsehen kann nicht so gemauschelt werden. Bei der „Bild“ konnte man die Interviewsequenzen immer ein bisschen an die Geschichte anpassen und dadurch manipulieren. Das geht beim Fernsehen nicht. Man bekommt die O-Töne so, wie sie gesagt werden. Dadurch ist man schon mal ein bisschen eingeschränkt. Wenn die Leute nichts sagen wollen, kann man die Geschichte nicht machen. Für die „Bild“ schreiben kann man sie jedoch immer noch. Fernsehen hingegen funktioniert ohne Bilder einfach nicht, und wenn die Leute nicht mitmachen, kann man die Geschichte nicht machen. Deshalb ist Fernsehen per se schon mal eine gemäßigtere Form. Ich glaube zudem, dass sich durch Kontrollmechanismen wie „Bildblog“ schon vieles verändert hat. Die können nicht mehr so wüten, wie sie es mal gemacht haben.

Was glauben Sie denn, wie „Bildblog“ bei der „Bild“ wahrgenommen wird?
Dombrowski: Ich glaube, so lange kein einzelner Redakteur betroffen ist, fühlen sie sich in ihrer Masse sicher. Da macht man sich über ein kleines „Bildblog“ keine Gedanken. Problematisch wird es, wenn aus der Masse ein einzelner Redakteur herausgerissen und speziell angesprochen wird. Dann wird man sehr, sehr feinfühlig und dünnhäutig.

Und dann greift wieder diese Gruppensolidarität?
Dombrowski: Ja, genau. Da fällt mir ein: Als die Runde gemacht hat, dass ich ein Buch geschrieben habe, wurden auf einmal alle ehemaligen Kollegen ganz, ganz aufgeregt. Bei den Protagonisten wird ja immer ganz schnell gesagt: „Och komm, das versendet sich.“ Da ist man sehr, sehr großzügig. Wenn es auf einmal um einen selbst geht, wird man dünnhäutig und empfindlich. Es war spannend zu erleben, wie Menschen, die sich Tag ein, Tag aus über die Bedenken der Protagonisten hinwegsetzen, plötzlich selbst so besorgt sein können.

Was für Reaktionen haben Sie denn bislang auf Ihr Buch bekommen?
Dombrowski: Ich war erstaunt über viele positive Reaktionen – auch von Leuten, mit denen ich eigentlich wenig zu tun hatte. Viele haben mir eine Sms geschickt und gesagt, dass sie sich sehr verstanden fühlen und dass es ihnen genauso geht. Es gab zwar auch negative Stimmen und den einen oder anderen bösen Kommentar von Kollegen bei Online-Buchhändlern gelesen. Aber insgesamt hätte ich mit mehr Gegenwehr gerechnet.

Sie erwähnen in Ihrem Buch das im Boulevardjournalismus gängige System „Zuckerbrot und Peitsche“. Wie genau funktioniert dieses System?
Dombrowski: Am extremsten war das ausgebildet bei der „Bild“. In den morgendlichen Konferenzen wurde zunächst immer die Blattkritik gemacht. Wer am Vortag ein gutes Stück hatte, wurde in den Himmel gelobt, wurde wirklich sehr gebauchpinselt. Diejenigen, deren Stück nicht besonders gut war oder wo ein Konkurrenzblatt mehr Informationen hatte, der wurde vor der ganzen Mannschaft rund gemacht. So dass man sich ganz, ganz schlecht gefühlt hat. Am nächsten Tag war man bemüht, es besser zu machen. Man wollte wieder zu denen gehören, die gelobt werden.

Wer bei der „Bild“-Zeitung arbeitet, befindet sich also in einer permanenten Extremsituation?
Dombrowski: Ja, es war der Wahnsinn. Ich habe an nichts anderes mehr gedacht. Ich habe nur noch an Themen gedacht, nur noch überlegt, wie man was verwursten kann. Selbst in meinem Freundeskreis drehte sich alles nur noch um Themen. Was ist ein Thema? Was ist keins?

Wie Sie schreiben, funktioniert die Themensuche bei der „Bild“ oftmals auch nach dem Motto „Haste keins, erfinde eins“.
Dombrowski: Ja, was wirklich auch daran liegt, dass die Mitarbeiter relativ schnell rausgeschmissen wurden. Selbst Praktikanten. Wer kein Thema hatte, bekam richtig Ärger. Da herrschte fast Panik, wenn die vorgeschlagenen Themen morgens in der Konferenz schlecht waren und die Chefs gewütet haben. Also dachte man sich in der Not ein Thema aus oder arbeitete mit Halbwahrheiten…

Sie beschreiben in Ihrem Buch einen Fall, wo eine zehn Jahre alte „Bild“-Geschichte ausgekramt wurde und Sie eine Frau, die zehn Jahre zuvor von einem Friseur die Haare ruiniert bekam, ihre Geschichte einfach noch einmal erzählen ließen.
Dombrowski: Genau. Manchmal hat man sich eben etwas ausgedacht, um überhaupt was zu haben. Diese Friseurgeschichte ist da ein gutes Beispiel. Oft lief es so: Man bot Themen an, die noch nicht recherchiert waren und musste später die Geschichte dem Themenvorschlag angleichen. Auch wenn man merkte, dass man keine entsprechenden Protagonisten findet und die Geschichte nicht so erzählen kann, wie man sich das vielleicht ursprünglich gedacht hat. Eigentlich hätte man sagen müssen: Es ist tot recherchiert. Aber das konnte man ja nicht zugeben, also hat man versucht, es so hinzubiegen, dass es irgendwie noch passte.

Zitiert

Wer kein Thema hatte, bekam richtig Ärger.

Kerstin Dombrowski

Zugeben konnte man es nicht gegenüber den Chefs in der Redaktion?
Dombrowski: Genau.

Wurden Sie denn von Ihren Vorgesetzten nie gefragt, wie eine Geschichte entstanden ist?
Dombrowski: Nein. Man hat einfach versucht, den Erwartungen zu entsprechen. Es kam auch vor, dass die Überschriften noch mal verdreht wurden oder am Text gefeilt wurde. Man hatte manchmal ohnehin schon ein schlechtes Gewissen, wenn man einen Text abgeschickt hatte, weil man wusste, dass nicht alles ganz korrekt war. Dann sind aber die Chefs noch mal rangegangen und haben die Schraube noch mal angezogen, haben noch mal schärfer formuliert. So funktionierte das System. Es war egal, ob etwas nicht ganz stimmte – Hauptsache es war nicht ganz falsch.

Ist Ihnen denn auch konkret gesagt worden, dass sie mit Unwahrheiten arbeiten sollen?
Dombrowski: Es wurde nie gesagt, dass ich die Unwahrheit schreiben soll. Es wurde nicht gesagt: „Du musst grenzwertiger, schärfer, oder mit Halbwahrheiten formulieren“, so nicht. Man hat es einfach adaptiert, man hat mitbekommen, was erwartet wurde.

Hatten Sie nie das Gefühl, Ihre Leser zu betrügen?
Dombrowski: Ich muss ehrlich gesagt zugeben, dass man da an den Leser wenig gedacht hat. Man war so damit beschäftigt, die eigene Haut zu retten, dass man wenig darüber nachgedacht hat, was das für eine Außenwirkung hat. In der Redaktion war es eigentlich nie ein Thema, wie ein Artikel bei den Lesern ankommt.

Das ist erstaunlich, dass dies gerade bei der „Bild“-Zeitung so ist – sie wird immerhin von über 10 Millionen Menschen gelesen.
Dombrowski: Ich kann es vielleicht so beschreiben: Man hat das Gefühl, man steckt in einer Lawine drin und kriegt die Füße gar nicht auf den Boden. Man ist so damit beschäftigt, Themen zu finden, die Themen umzusetzen und einem Anpfiff zu entgehen, so dass man das als Ganzes gar nicht sehen kann. Das kommt erst viel, viel später. Wenn man da drin steckt, kann man kaum übern Tellerrand blicken. Das ist zwar erschütternd, aber ich muss wirklich sagen: Solange ich bei der „Bild“ gearbeitet habe, habe ich mir über die Frage nach der Ethik innerhalb der Redaktion keinerlei Gedanken gemacht.

Wie groß ist die Macht hat der „Bild“-Zeitung aus Ihrer Sicht?
Dombrowski: Ich glaube schon, dass sie sehr meinungsbildend ist. Die „Bild“-Zeitung ist in den Boulevardfernsehredaktionen das Standardwerk. Dort wird morgens die „Bild“ durchgelesen und man versucht möglichst viele Themen aus dem Blatt am Abend in der Sendung zu haben. Das heißt, was man in der „Bild“ liest, läuft auf jeden Fall abends auch noch mal im Fernsehen. Von daher haben die Themen, die in der „Bild“ stehen, eine sehr, sehr weite Streuung. Und viele Leute nehmen es für bare Münze, das habe ich in meiner eigenen Familie erlebt. Schon als Teenie habe ich mich über meine Oma gewundert, wie sie diesen ganzen Quatsch glauben konnte. Dass ich Jahre später genau solche Geschichten selber produzieren würde, hätte ich zu dem Zeitpunkt nie gedacht, das ist natürlich abstrus.

Was kritisieren Sie heute an der „Bild“-Zeitung?
Dombrowski: Es ist einfach eine permanente Grenzüberschreitung. Man macht sich keine Gedanken darüber, was es eine bestimmte Berichterstattung bei den jeweiligen Protagonisten bewirkt, was in deren Umfeld passiert, was sie da jetzt ausbaden müssen. Man denkt einzig und allein an seine Geschichte. Dass Menschen damit weiterleben müssen, ist egal.

Stellt die „Bild“ aus Ihrer Sicht eine Gefahr dar?
Dombrowski: Ich glaube, sie kann eine Gefahr darstellen, weil sie von so vielen Leuten gelesen wird. Obwohl inzwischen eigentlich jeder weiß, dass man nicht alles glauben kann, nimmt man trotzdem die Stimmung mit. Von daher kann die „Bild“ schon ziemlich Stimmung machen. Das kann gefährlich sein.

Sie sagen, jeder weiß, dass man nicht alles glauben kann. Sind Sie wirklich dieser Überzeugung?
Dombrowski: Ich glaube schon, dass die allermeisten sagen würden, wenn man sie fragt, dass die „Bild“ übertreibt. Aber trotzdem sind sie verängstigt, wenn da drin steht, dass immer mehr Rentner überfallen werden. Das Gefühl nimmt man mit, auch wenn man nicht alles Wort für Wort glaubt. Man ist in jedem Fall emotional berührt.

In Ihrem Buch stellen Sie sich selbst nicht immer im besten Lichte dar und beschreiben ausführlich, wie Sie für eine spannende Geschichte nahezu alles getan haben, zum Beispiel wie Sie sich in eine Sexsekte einschlichen. Ist Ihnen das Schreiben dieser Passagen leicht gefallen?
Dombrowski: Manchmal war es nicht einfach, weil ich mich so blöd darstelle. Im Grunde ist es mir unangenehm, wenn jemand solche Sachen über mich liest. Aber ich habe gedacht: Wenn ich das jetzt schreibe, muss ich auch ehrlich mit mir selbst sein. Ich habe mich beim Schreiben häufig geschämt. Und auch wenn ich das Buch heute lese, bin ich manchmal richtig schockiert. Es ist von daher also auch eine Abrechnung mit mir selbst, nicht nur mit dem Boulevardjournalismus.

Zuletzt waren Sie Redakteurin des RTL-Magazins „Explosiv“. Wann wussten Sie, dass Sie aussteigen wollen?
Dombrowski: Ich wollte eigentlich schon nach der Geburt meiner Tochter aufhören, aber dann habe ich mich von meinem Mann getrennt und plötzlich war es auch eine Existenzfrage. Ich hab mich einfach nicht getraut, als Alleinerziehende den Job aufzugeben und zu kündigen. Bis ich mich getraut habe, habe ich relativ lange gebraucht. Zum Schluss hatte ich es richtig satt, weil die Themen so banal waren, dass man sie am Tag darauf schon vergessen hatte. Es hat mich überhaupt nicht mehr bewegt. Diese Banalität war zum Schluss der Grund dafür, dass ich dachte: Das geht jetzt einfach nicht mehr.

Wie viele von den Themen haben Sie wirklich interessiert?
Dombrowski: Wenige. Es gab kaum welche, die ich mir übers Wochenende gemerkt habe. Wenn überhaupt. Wenn die Kindergärtnerin meiner Tochter mich fragte, was für ein Thema ich gerade bearbeitet hatte, habe ich es manchmal wirklich nicht mehr gewusst. Man ging aus dem Schnitt raus und hatte es schon vergessen. Es waren vielleicht vier Geschichten im Jahr, die mich bewegt haben und auf die ich auch stolz war. Vier in einem Jahr sind allerdings erschreckend wenig.

Vorhin sprachen Sie von der Gruppendynamik in der „Bild“-Redaktion. Beim Fernsehen haben Sie es anders erlebt – Neid, Missgunst und Intrigen waren an der Tagesordnung.
Dombrowski: Bei RTL kam ich morgens rein und dachte: Die sehen hier alle aus, als würden sie abends weggehen wollen. Viele hatten offensichtlich das Gefühl, dass sie eigentlich vor die Kamera gehören. Das war eine ganz merkwürdige Stimmung, komplett anders als bei der „Bild“. Dort hatte man immer ein Feindbild – die anderen Boulevardblätter. Das hat die Gruppe zusammengerottet. Als Einzelner musste man als ein Teil der Gruppe nicht als Individuum für die Sachen einstehen, die man falsch machte. In dieser Gruppe fühlt man sich stark. Auch wegen der Chefs, die einen großen Druck aufgebaut haben. Deshalb haben die Redakteure untereinander sehr zusammengehalten.

Wenn Sie nach draußen gingen und sich als „Bild“-Redakteurin vorstellten, sind Sie durchaus als Individuum aufgetreten. Sie schreiben, dass Sie zum Teil behandelt wurden, als seien sie „aussätzig“. Sie wurden also auch mit Kritik an Ihrer Arbeit konfrontiert.
Dombrowski: Ja, das konnte einem natürlich schon einmal blühen. Aber man hatte mit den Kollegen ja mehr zu tun als mit den Menschen draußen. Wenn man wieder zurück in die Redaktion kam, war man schnell wieder unter Leuten, die alle gut fanden, was du gemacht hast. Man hat sich gegenseitig gepusht, für moralische Bedenken gab es wenig Verständnis. Klar, die Konfrontation mit Menschen, die dich gehasst haben, hat sich nicht so gut angefühlt. Man hat sich grundsätzlich in der Redaktion immer besser gefühlt als draußen.

Haben Sie als Boulevardjournalistin jemals jemandem Schaden zugefügt?
Dombrowski: Ich glaube nicht, dass ich jemandem wirklich Schaden zugefügt habe. Grundsätzlich möchte ich aber an dem Tag, an dem eine Geschichte erscheint, ans Telefon gehen können und auch die betroffenen Menschen noch einmal treffen können, ohne dass ich hoffen muss, dass sie mich nicht wieder erkennen. Den Anspruch habe ich an mich selbst. Von daher habe ich mich mit manchen Geschichten einfach nicht gut gefühlt. Aber wo fängt es an, jemandem Schaden zuzufügen? Ein Schönheitschirurg hat einer Frau einmal vor laufender Kamera einfach mal die Lippen noch mit aufgespritzt. Da geht man schon so eine unheilige Allianz mit Leuten ein, denen eigentlich das Handwerk gelegt werden müsste. In solchen Fällen befindet man sich in einer Grauzone.

Glauben Sie, dass man sich im Boulevardjournalismus grundsätzlich seine Moral bewahren kann? Oder passiert es automatisch, dass man irgendwann die Grenzen überschreitet?
Dombrowski: In den letzen Jahren, in denen ich Boulevard gemacht habe, habe ich eigentlich niemandem mehr wehgetan. Das waren banale und blöde Geschichten, aber ich musste keinen Unfallopfern mehr auflauern. Ich glaube daher also schon, dass man sich einigermaßen moralisch verhalten kann. Und nicht jede Boulevardgeschichte ist eine schlechte Geschichte. Es gibt auch gute Geschichten, die genauso gut im Öffentlich-Rechtlichen laufen könnten. Tendenziell ist es eher so, dass dadurch, dass mit Emotionen gearbeitet wird, schnell recherchiert werden muss. Morgens wird ein Thema vorgeschlagen, abends muss es im Blatt oder in der Sendung sein. Da bleiben manche Wahrheiten einfach auf der Strecke.

Ist der Hauptgrund für die vielen Fehler und Unwahrheiten in der „Bild“ also mangelnde Recherche? Oder steckt nicht doch auch Absicht dahinter?
Dombrowski: Ich glaube, es ist beides. Für einen Quereinsteiger ist es viel, viel leichter, im Boulevardjournalismus zu landen als im Öffentlich-Rechtlichen. Viele Leute haben keine journalistische Ausbildung. Und das merkt man. Die folgen dem Trott, wissen, was gewünscht ist und bedienen das.

Was für ein Verhältnis haben Sie heute zum Boulevardjournalismus?
Dombrowski: Die „Bild“-Zeitung lese ich gar nicht mehr. Seitdem ich aufgehört habe, habe ich auch nur einmal eine Boulevardsendung gesehen. Da ging um ein sechsjähriges Mädchen, das beschreiben hat, wie ihre Freundin ertrunken ist. Das Mädchen stand alleine neben ihrem Fahrrad, man hat keine Mutter gesehen. Ich habe gedacht: Wie kann man das machen? Ich habe mich gefragt, wie sie die Zustimmung der Mutter dafür bekommen haben. Ich war wirklich entsetzt. Das war vorläufig mein letztes Erlebnis mit dem Boulevardfernsehen.

Heute arbeiten Sie u.a. für den WDR und sind nun also über den „Umweg Boulevardjournalismus“ beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen gelandet. War die Anfangszeit bei der „Bild“ im Rückblick trotz der vielen kritischen Aspekte ein guter Start in den Beruf?
Dombrowski: Was ich wirklich gelernt habe, ist, was eine Geschichte ist und wie man sie erzählt. Da wirst du bei der „Bild“ drauf gedrillt. Und man lernt zu schreiben. Man bildet sich zudem ein, man sei besonders gut in Recherche, weil man sehr schnell einen Artikel nach dem anderen hinbekommt. Dabei blendet man aber aus, dass man einfach nur schlecht recherchiert.

Würden Sie heute einem Journalistenanfänger empfehlen, ein Praktikum bei der „Bild“ zu machen?
Dombrowski: Ich glaube schon, dass man sich das mal angucken sollte. Einfach, um sich einmal bewusst zu machen, wie dort gearbeitet wird. Ein Praktikum reicht aber völlig aus. Im Prinzip reicht schon eine Woche, um sich das mal anzuschauen. Einsteigen wie ich sollte man lieber nicht…

20 Kommentare zu “Bei „Bild“ konnte man die Interviewsequenzen immer ein bisschen an die Geschichte anpassen…”

  1. schmöli |

    bleibt sich treu

    die autorin ist sich mit diesem buch treu geblieben – leserheischender titel, jedoch komplett inhaltsfrei und bild-schlecht geschrieben. weder spannend noch schockierend, einfach nur öde.

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  2. Jürgen |

    Titten, Tiere,Tränen, Tote

    Das ist der Titel des Buches welches ich gelesen habe (so mancher in diesem Forum muss ein anderes Buch gelesen haben). Mich haben die Berichte über den Hautarzt der Prostituierte ermordet hat, eine Jugendliche die ihre Freundin in den Tod gefahren hat, die Recherchen die inkognito in einer Sex Sekte betrieben wurden, usw. sehr bewegt. Auch wie die Boulevardpresse damit umgeht hat mich an mancher Stelle noch überrascht.

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  3. Robert B. Parker |

    Mein liebes Tagebuch!

    Das Buch ist nichts weiter als blöder Büroklatsch mit verfremdeten Namen. Ach, da waren ein paar Kollegen so schrecklich gemein zur kleinen Kerstin? Ach, Gottchen! Ihr Freund hat sie mit einer anderen betrogen? Unfassbar! Die Sekretärin ist hinterhältig? Unfassbar! Unerwähnt bleibt, ob der Kaffee geschmeckt hat, wie das Kantinenessen war und ob der Büro-Nachbar manchmal nach dem Döner-Essen (mit Zwiebel!) gepupst hat. Dann, ja dann, wäre es ein vollkommen rundes Werk geworden.

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  4. Judith G. |

    und noch an Jan Josef

    …mich würde mal interessieren wieso du glaubst beurteilen zu können wie ein Buch geschrieben sein sollte, da vertraue ich doch eher auf die Erfahrung eines seriösen Buchverlags. Du vermittels in deiner Kritik den Eindruck Einblick in die Medienbranche zu haben, kommst du von da wo ich denke? dann wundert mich deine Reaktion auf dieses Buch allerdings nicht.

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  5. Judith |

    Kurzweilig

    Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Nach einem stressigen Arbeitstag genau das Richtige um abzuschalten. Es war kurzweilig und die lebendige Schreibweise der Autorin hat mich ihre Geschichten miterleben lassen. Schockiert war ich auch nicht, aber keinesfalls gelangweilt.

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  6. Pete |

    Alter Wein in neuen Schläuchen

    Abgefüllt von just geläuterten Sündern, die nun den heiligen Weg der Tugend beschreiten und uns allen als leuchtendes Vorbild dienen (wollen).

    Derlei hochgradig charakterbildende Werke sind – ähnlich wie die Ergüsse die für den vorherigen Arbeitgebeber verfasst wurden – das Papier nicht Wert auf dem sie gedruckt werden.

    „Es sieht so aus, als wenn viele von euch in ihrem Job sehr zufrieden sind und nur tun müssen was ihnen zusagt. Da ich diese große Glück leider nicht habe, verstehe ich, dass die Autorin es so lange bei der Boulevardpresse ausgehalten hat und finde es sehr mutig einem so gut zahlenden Arbeitgeber den Rücken zu kehren und noch einmal neu zu beginnen.“

    Ja klar – am Besten wir melden uns alle direkt bei der Fremdenlegion – sichere Jobs auf Jahrezehnte. wtf

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  7. Jan Josef |

    Das Buch ist komplett überflüssig

    Warum nur musste ein renommierter Verlag diesen schlecht geschriebenen Schüleraufsatz als Buch heraus bringen? Die Frau hat laut eigener Aussage zehn Jahre lang als Journalistin gearbeitet. Wie man spannende Geschichten erzählt und packend schreibt, hat sie leider nicht gelernt. Das Buch ist ober-öde. Neues hat es nur dem zu bieten, der nun gar keine Ahnung von den Medien hat oder seine Vorurteile über BILD und das Privat-TV bestätigt bekommen möchte. Mich hat da nichts geschockt, nur gelangweilt. Und die Autorin soll doch ruhig wieder im Reisebüro arbeiten, da ist sie mit ihrer schlichten Art besser aufgehoben.

    Antworten
  8. Christian |

    Blöde Heuchelei

    Es sieht so aus, als wenn viele von euch in ihrem Job sehr zufrieden sind und nur tun müssen was ihnen zusagt. Da ich diese große Glück leider nicht habe, verstehe ich, dass die Autorin es so lange bei der Boulevardpresse ausgehalten hat und finde es sehr mutig einem so gut zahlenden Arbeitgeber den Rücken zu kehren und noch einmal neu zu beginnen.

    Antworten
  9. Blödzeitungsleser |

    Name > content

    aufplustern – aha – soso

    Tjaaa nich überall wo BLÖD drübersteht is auch was für Blöde drin:

    Wie grenzdebil muss man denken um jmnd mit dem Namen Blödzeitungsleser für nen Bildleser zu halten (noch dazu mit dem Textanhang!) ?!?

    Nuja: Deine „Enthüllung“ war nu zwar sehr BLÖDZEITUNGlike (Null Wahrheitsgehalt) dann aber wiederum nich so tierisch „sensationell“! ;P

    roflmaopimp

    PS: täusch ich mich – oder haben wir uns da grade grad selber ein wenig „aufgeplustert“?
    Ich kann beim besten Willen NICHTS konstruktives aus dem Post rauslesen …
    PPS: stich wirt dicke Bücher: manchen Leuten is offensichtlich sogar n 5-Zeilen-Post zu „dick“ – lesen 4tw!

    Lern mal sowas wie Argumente statt Verunglimpfung einzusetzen und eventuell kommt demnächst ja mal was gescheites rüber aus deiner Richtung und nich son armseliger Name-Flame (da hat sogar Blöd ja noch mehr Niveau)

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  10. Robert Finlayson |

    Wozu die Aufregung, BLÖDZEITUNGSLESER

    Ihnen ist doch an sensationellen Enthüllungen so gelegen, was plustern Sie sich so auf. Und von den persönlichen Motiven der Autorin mal abgesehen, wird dieses Dreckblatt daurch besser? Wer sowas seinen Lesern vorsetzt, kann diese nur für Idioten halten, der Text hat ja selten mehr als 20 Zeilen, die dann inhaltlich der gewaltigen fetten Überschrift darüber kaum entsprechen … Aber was soll’s, BILD-Leser, lest nur Euren Mist weiter, aber seit wann regt ihr euch übrigens über Bücher auf, die sind Euch doch sowieso zu dick ….

    Antworten
  11. Blödzeitungsleser |

    PS:

    Eine Dekade lang Leuten sinnloses Unrecht zufügen und deren WIRKLICHES UNVERSCHULDETES Leid damit noch verstärken.
    Sich 10 Jahre lang auf gradezu niederste Weise an derlei Unglück zu bereichern und dann noch den Nerv haben drüber zu schreiben wie schlecht man sich dabei doch teilweise gefühlt hat …

    soviel Heuchelei erweckt Ekel in mir …

    obwohl: Täter und Opfer vertauschen .. das erinnert mich nu aber doch wieder stark an die Arbeitsweise von BLÖD wenn ich länger drüber nachdenk … gelernt is gelernt gute Frau

    Antworten
  12. Blödzeitungsleser |

    Da hätten wir dann:
    1) Karriereförderung durch BLÖD (ausschlachten!)
    2) weiter druff im Fernsehn (ausschlachten!)
    3) nochmal weiter druff im Fernsehn (ausschlachten!)
    4) nu wo man meint schwer seriös geworden zu sein – druff auf die alten Förderer (ausschlachten!)

    Achja – und am Ende nochmal auf den massiv Charakertförderenden Einfluss von BLÖD hinweisen und zu Praktikas bei dem Verein anraten ..
    (riech ich ein wenig Eigenlob in all dieser ach so unbarmherzigen Selbstgeisselung ?)

    kurz gesagt:
    business as usual ;)

    Antworten
  13. Anna |

    Interessantes Thema,

    das so sicherlich nur von einem echten Insider authentisch rübergebracht werden kann. Gut, dass das geschehen ist. Mutig auch die „Abrechnung mit sich selbst“. Ich habe davor wirklich Respekt, und trotzdem, entschuldigen Sie bitte Frau Drombowski, zieht mir der Ekel die Eingeweide zusammen, wenn ich lese, dass es menschlichen Wesen so ohne weiteres möglich ist, jegliche Empathie auszuschalten. Wer sich fragt, ob ein totalitäres, menschenverachtendes System in unserer Gesellschaft noch einmal Fuß fassen könnte, bekommt hier eindrucksvoll demonstriert, dass der benötigte Grundstoff für ein solches noch immer in den Menschen bereit steht.

    Wieso und wozu man allerdings bei diesem Schmierblatt schreiben lernen soll, ist mir nicht klar – bisher ist mir dieses Medium nicht durch besonders kreative, geschickte oder intelligente Texte aufgefallen.

    Antworten
  14. Boxbeutel |

    Oh wie schön …

    Erst das System jahrelang am laufen halten, ständig mit neuem Dreck füttern und toll davon leben. Vielleicht noch auf die Idioten runteschauen denen das eigene Gewissen im Weg steht und die keine (schnelle) Karriere machen, weil Sie noch irgendwelche moralischen Standards haben. Und dann irgendwann, wenn es nicht mehr so gut läuft, den Geläuterten spielen und schnell noch ein paar Euros mit der „Lebensbeichte“ verdienen, um dann „reingewaschen“ die nächste Karriere beginnen. Ja, so geht das!

    Antworten
  15. Paule |

    Ach, und zu Alexander:

    Besser spät als nie… -.-

    Antworten
  16. Paul |

    Kommt ihr kla?!

    Ist doch egal ob die Dame schreiben kann oder nicht, ihre journalistische Qualität steht nicht zur Debatte! Es geht um das Buch das sie geschrieben hat, und darum, dass sie als Insider endlich mal Details aus den Mühlen des Boulevardjournalismus(und insbesondere der Bild) veröffentlicht, darum, dass sie vll auch andere Journalisten die in der branche arbeiten zur Vernuft bringt! Diese werden sicherlich nicht geschlossen ihren job hinwerfen, aber vielliecht hilft es dem einen oder anderem BildReporter einfach mal „über den tellerrand hinaus“ zu sehen und eventuell seine Beruf mit etwas mehr ethik auszuüben!
    Also wirkl

    Antworten
  17. BacKlaSH |

    Als ob es beim ÖR besser wäre…

    Dort gibt es auch genug Boulevard-Sendungen. Selbst die Nachrichten geben nur wieder, was politisch gewollt ist. Von dem „Recht, sich frei zu informieren“ kann man damit gar keinen Gebrauch machen.

    Antworten
  18. Bernd |

    Zehn Jahre…

    …Schund produziert, am Ende lief’s nicht mehr so, nun beim WDR. Toll.

    Antworten
  19. Jeeves |

    „Es war für mich sehr spannend, …“

    Alle Journalisten, denen passende Adjektive nicht einfallen, finden momentan alles „spannend“. Es scheint mir DAS Modewort der Saison zu sein.

    Und zum Kern: diese peinliche Dame kann ja nicht mal gut schreiben. Bei der Blödzeitung war sie offenbar genau am richtigen Platz.

    Antworten
  20. Alexander |

    Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche

    Cool, erst zehn Jahre mitmachen, dann plötzlich alles besser wissen und was von Gewissen faseln. Wer von Zwangsgebühren leben kann, ist natürlich über Nacht dazu berufen, mit seinen Ex-Kollegen und dem Boulevard abzurechnen. Wenn sie nicht beim WDR untergekommen wäre, würde sie wahrscheinlich noch immer bei „Explosiv“ sitzen und darauf hoffen, zwischen den ganzen Hawaii-Reisen auch mal moderieren zu dürfen.

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