Mr.Glass, wie viele Stunden haben Sie heute schon komponiert?
Glass: Wenn ich auf Reisen bin, wie jetzt gerade, ja, dann schreibe ich schon relativ oft und viel. Aber, selbst wenn ich ein ruhiges Hotelzimmer habe, schaffe ich es kaum, mehr als vier Stunden am Tag zu komponieren.
Gibt es ein Tagespensum, das Sie sich vorschreiben?
Glass: Nein, ich schreibe mir nichts vor, aber ich habe eben viel zu tun. Ich muss meine Werke immer zu einem bestimmten Zeitpunkt abliefern, da führt kein Weg dran vorbei. Wenn ich zu Hause in den USA bin, dann arbeite ich normalerweise zehn bis zwölf Stunden am Tag. Ich beginne morgens um 8Uhr und höre abends etwa um 11Uhr auf. Aber ich esse mit meiner Familie zu Mittag, zu Abend – für mich ist das ein normales, angenehmes Familienleben.
Zwölf Stunden, jeden Tag ist nicht wenig.
Glass: Ja, vielleicht. Seit letzten Dezember waren es vier Projekte, die ich fertig geschrieben habe. Die Filmmusik zu "Naqoyqatsi", dem dritten Teil der Trilogie von Godfrey Reggio, ein Stück für den Broadway "The Elephant Man", dann die Musik zu "The Hours", ein Film mit Nicole Kidman, eher ein bisschen Mainstream. Und gerade habe ich die Arbeit an meiner Oper "Galileo Galilei" beendet. Das mag nun sehr viel sein, aber Tatsache ist, dass ich all diese Projekte sehr mag. Ich hätte ja auch ein Projekt streichen können, aber nein, ich wollte sie alle machen. Da bin ich bin wie das Kind auf dem Kindergeburtstag, das immer den ganzen Kuchen alleine essen will.
Wenn Sie komponieren, neue Werke schaffen, sind Sie dann stets auf der Suche nach einer neuen Musiksprache?
Glass: Ich denke, ich hatte schon sehr früh eine ausgeprägt Musiksprache, die sich dann immer wieder verändert hat. Wenn Sie sich 1969 angucken "Einstein on the Beach" und dann Musik, die ich heute schreibe, da besteht schon ein enormer Unterschied. Wenn ich heute zum Beispiel die Filmmusik "Naqoyqatsi" schreibe, dann ist das eine Herausforderung, weil sie anders sein muss, als meine Musik zu "Koyaanisqatsi" oder "Powaqatsi". Andererseits habe ich immer meine gleichen Arbeitsmittel, die ich für jeden Film wieder ein wenig ändern muss. Oder nehmen wir "The Elephant Man", ein sehr spezifisches Bühnenstück, was für mich eine große Herausforderung ist. Denn jedes Theaterprojekt hat seine spezifische Anforderung und die Musik muss bei jedem Projekt wieder anders funktionieren. Die Arbeit am Theater gibt mir also immer wieder die Möglichkeit, eine neue Herausforderung anzunehmen und das erfordert, dass ich meine Musiksprache immer wieder ein bisschen neu forme. Mit anderen Worten, meine Musik zu "The Elephant Man" würde überhaupt nicht auf ""Galileo Galilei" passen, das würde schlicht nicht funktionieren. Als ich mit Galileo anfing, da hatte ich gerade ein Stunde vorher meine Arbeit am "Elephant Man" beendet, aber ich hatte sozusagen schon ein ganz anderes, neues Hemd an.
Und gab es Momente in Ihrer Komponistenlaufbahn, wo das Hemd nicht gepasst hat?
Glass: Ja. Aber das sage ich jetzt im Nachhinein. Ich spiele im Jahr ja etwa 40 Konzerte mit jenem Ensemble, mit dem ich das erste Mal bereits 1968 gespielt habe. Da nutze ich oft die Möglichkeit, meine frühen Werke zu spielen. Und ich merke dann, dass diese Musik zwar eine gewaltige Energie besitzt, aber dass sie auf eine Art und Weise geschrieben ist, wie ich es heute nicht mehr könnte. Da hat sich mein Gehirn verändert. Meine frühen Werke zu spielen ist für mich immer wie eine Zeitreise, wo ich allerdings auch merke, dass sich das Publikum heute wesentlich mehr für meine alte Musik interessiert, als es das zu dem Zeitpunkt getan hat, als ich die Stücke geschrieben habe.
Welche Erwartungen hatten Sie denn damals in dieser Hinsicht?
Glass: Als ich "Einstein on the Beach" in meinen 30ern geschrieben habe, da hatte ich ein relativ großes Publikum. Darüber war ich sehr froh, hatte das aber überhaupt nicht erwartet. Ich habe ja mit meinem Ensemble 1969 vor sehr kleinem Publikum angefangen. Ich habe nie erwartet, einmal ein berühmter Komponist zu werden. Ich glaubte mehr an das Dasein eines Underground-Komponisten, eben der Typ, der sein Leben lang für einen kleinen Kreis leidenschaftlicher Fans schreibt, nicht mehr. Das war mit 32. Als dann "Einstein" kam und später "Koyaanisqatsi", da war ich schon 41, und die Aufmerksamkeit immer größer wurde, war ich wirklich überrascht. Ich war natürlich sehr froh, weil das bedeutete, dass ich ein Leben als Komponist führen konnte. Denn bis zu meinem 42. Lebensjahr hatte ich einen Nebenjob, für die Verhältnisse in den USA eigentlich auch nichts ungewöhnliches. Ich hatte mich entschieden, kein Musiklehrer oder Professor zu werden, obwohl ich den nötigen akademischen Grad besaß. Das hätte mich zu sehr von meiner Tätigkeit als Musiker abgebracht. Ich sage das für mich. Andere können Musik schreiben und gleichfalls unterrichten, manche sogar sehr gut. Aber mir ist das zu schizophren. Also musste ich mir mein Geld anders verdienen, und ich war der Auffassung, dass ich das mein ganzes Leben lang tun müsste. Die Auffassung hat sich das erste Mal geändert, als ich von der Niederländischen Oper Rotterdam den Auftrag zu meiner Oper "Satyagraha" bekam und kurz darauf den Auftrag für "Akhnaten" aus Stuttgart. Erst da hab ich gesehen, dass ich vom Komponieren leben kann. Aber, ich war mir noch nicht sicher. Also habe ich noch zwei Jahre, bis ich 43 war, meinen Taxischein verlängert.
Wow!
Glass: Nein, ich musste ihn zu der Zeit schon nicht mehr gebrauchen, aber ich hatte ihn immer in der Tasche – zur Sicherheit. Die nächste Verlängerung war dann fällig, als ich 45 war – da hab ich es gelassen.
Würden Sie heute einem jungen amerikanischen Komponisten den Taxischein empfehlen?
Glass: Ja, das ist einer der besten Wege. Die Strassen sind natürlich ein bisschen gefährlich, das stimmt. Aber du kannst deine Stunden fahren, wann du willst. Ich war zwar als Taxifahrer gemeldet, aber wenn ich für drei Wochen auf Tournee gehen wollte, dann hab ich das einfach gemacht, die Taxizentrale hat das nicht gekümmert. Das ist ja auch kein besonders fester Job. Wenn ich Geld gebraucht habe, dann bin ich halt zur Zentrale gegangen und hab mir die Schlüssel geben lassen. Als Taxifahrer hast du außerdem keinen Chef, außer natürlich die Fahrgäste. Aber wenn ich die nicht mochte, bin ich auch manchmal einfach ausgestiegen, habe abgeschlossen und bin gegangen – ich hatte meine eigene Strategie. Ich habe das Taxifahren gemocht, ich konnte auch nachts Taxi fahren, was ich sehr oft gemacht habe. Nur, New York, die Stadt und die Straßen sind nicht ungefährlich. Da war ich auch froh, nicht mehr fahren zu müssen.
Mit was für einem Auto fahren Sie heute am liebsten?
Glass: Oh, da habe ich keine Ahnung. Bei uns gibt es andere Autos als bei Euch in Europa, soviel weiß ich noch. Aber meine Frau lässt mich seit einiger Zeit nicht mehr ans Steuer, sie nimmt mir immer die Schlüssel weg. Sie meint, ich wäre ein schrecklicher Autofahrer. Und ich muss sagen: sie hat Recht. Wenn Sie mal nach New York kommen, dann fahren Sie mal mit dem Taxi.
Ich werde sicherlich eine Reihe von Komponisten kennen lernen.
Glass: Nicht nur Komponisten, in New York fahren auch viele Autoren, Schauspieler und Filmemacher die Taxis.
Ich war zwar als Taxifahrer gemeldet, aber wenn ich für drei Wochen auf Tournee gehen wollte, hat das die Taxizentrale nicht gekümmert.
Ein Kompositions-Student sollte sich also keine zu großen Hoffnungen auf einen Fulltime-Job als Komponist machen?
Glass: Es ist möglich, aber sehr schwierig. Ich würde den Studenten auf jeden Fall ermutigen, es zu versuchen. Aber ich sage ihm auch, dass er immer, an jedem Punkt zu jeder Zeit, Freude haben muss an seiner Arbeit, an der Musik und Freude am Leben als Komponist. Denn wenn ihm nur der Erfolg – insbesondere der finanzielle – Freude bringt, dann wird er nicht weit kommen. Vor allem rate ich den jungen Komponisten, dass sie immerzu ihre Musik spielen sollen. Ich denke, dass ist die einzige Möglichkeit für einen Komponisten, in irgendeiner Weise Aufmerksamkeit zu erlangen, die Musik muss aufgeführt werden, die Leute müssen sie hören. Wenn wir diese Entscheidung, ob unsere Musik gespielt wird, anderen überlassen, dann wird sie niemand hören. Dann musst du deine Musik an die Orchester schicken, du musst auf die Antwort warten, das dauert sehr lange und bringt nichts. Mein Sohn ist übrigens auch Musiker. Ich habe ihm gesagt, dass er an dem, was er macht unbedingt Gefallen finden soll. Denn es könnte sein, dass aus der großen Karriere nichts wird. Ob er eines Tages entdeckt wird als großer Sänger oder Songwriter – wir wissen es nicht.
Einige Ihrer Zeitgenossen unter den Komponisten schreiben sehr viel, allgemein über Musik, aber auch speziell über ihre Werke. Schreiben Sie gerne über Musik?
Glass: Nein, nicht unbedingt. Manche Komponisten können das ganz gut, ihnen gefällt das auch, Bücher über Musik, auch speziell über ihre Musik zu schreiben. Ich habe nur ein Buch geschrieben und heute schreibe ich hin und wieder ein paar Artikel. Das Schreiben kostet sehr viel Zeit. Und wenn ich mir die Frage stelle, ob ich nun ein Buch oder ein neues Stück Musik schreiben soll, dann ist die Antwort schnell gefunden.
Sind Sie denn der Auffassung, dass ein Konzertpublikum jedes neue Werk verstehen sollte, auch ohne Erläuterungen durch den Komponisten?
Glass: Was heißt ‚verstehen‘? Nehmen wir Repertoiremusik, Schubert, Brahms oder Mahler, wenn du die Zuhörer fragst, ob sie die Musik ‚verstehen‘ – die meisten können zunächst einmal keine Noten lesen, und wenn du sie konkret auf ein Werk ansprichst, wissen sie vielleicht kaum etwas darüber. Das mag in Europa vielleicht ein bisschen anders sein, in den USA jedenfalls ist das Publikum nicht so sehr gebildet. Aber das Publikum kann die Musik sehr mögen. Mein Vater ist das beste Beispiel: er hat Musik sehr geliebt, die verschiedensten Stile, aber er konnte weder Noten lesen noch wusste er irgendetwas über Musik, im technischen Sinne. Was nun das Schreiben anbelangt, besonders das ideologische, das ist in Deutschland ja eine kleine eigene Industrie, oder nicht?
Wieso ausgerechnet in Deutschland?
Glass: Keine Ahnung, aber wenn ich reise, dann sehe ich viel, wie Leute leben und wie sie arbeiten. Und in Deutschland habe ich bemerkt, dass es viele Wissenschaftler gibt. die über Musik schreiben, nicht nur an den Universitäten und Hochschulen. Warum nicht, schließlich gibt es auch ein Publikum dafür. Wenn du aber in den USA ein Buch über die Theorie der Minimal Music rausbringen würdest, dass würde kaum einer Lesen.
Und es stört Sie nicht, dass man sich in Ihrem Heimatland für diese Aspekte nicht so sehr interessiert?
Glass: Nein, das macht mir nichts aus. Im Gegenteil, es bedeutet ja auch, dass ich diese Bücher nicht schreiben muss. Darüber bin ich eigentlich froh, so habe ich schließlich mehr Zeit, um zu komponieren. Ich denke, man muss diese Dinge auch im Kontext der sozialen Umgebung sehen. Wenn ich in Deutschland Komponist wäre, dann müsste ich wahrscheinlich auch etwas über Musik schreiben, damit die Leute nicht glauben, ich wäre ein Idiot. Bei mir zu Hause erwartet das aber niemand von mir. Außerdem habe ich auch gar kein natürliches Bedürfnis, dies zu tun. Das Schreiben ist vielleicht ganz gut, um das Gehirn zu trainieren, aber ein besserer Komponist werde ich dadurch auf keinen Fall.
Wer sind für Sie die einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts?
Glass: Zu Beginn waren es definitiv Debussy, Schönberg und Strawinsky, diese drei. Und jeder war gleichermaßen wichtig. Für mich persönlich hatte Debussy einen größeren Einfluss als Schönberg, aber alle wollten sich dem Problem annähern, eine Ordnung zu schaffen in der Welt der Tonalität – das Ende der Romantik, die Auflösung der Tonalität, das hatte alles viel Verwirrung gebracht. Jeder hat verschiedene Wege gefunden, neue Wege der Komposition. Es folgte dann eine Periode von 50, 60 Jahren, in der die Leute an diesen Ideen arbeiteten und viele wunderbare Werke entstanden. Wichtig und einflussreich finde ich als nächstes John Cage. Er hat in den 60ern eine neue Diskussion über Musik eingeleitet, die die Musik sehr verändert hat. Seine eigene Musik wurde ja kaum gespielt – er war eben einer von denen, die Bücher über Musik geschrieben haben. Und wir Komponisten haben diese Bücher gelesen, weniger das normale Publikum. Seine Komponisten-Generation wurde sehr durch seine Gedanken beeinflusst.
Angekommen im 21. Jahrhundert, arbeiten die bekanntesten und vielschaffendsten Komponisten der klassischen Musik vor allem in Hollywood. Würden Sie denen auch in irgendeiner Art Einfluss bestätigen?
Glass: Nein. Wir reden hier doch von Komponisten, die etwas neues entdecken, erfinden, die eine neue Musiksprache entwickeln.
Und Williams, Horner, Zimmer?
Glass: Nein, nein. Die verpacken die Dinge nur neu, sie rekombinieren. Erfinden und Rekombinieren sind aber sehr unterschiedliche Dinge. Das ist in der Popmusik genauso, nicht jeder rekombiniert nur, auch da gibt es Erfinder, man muss nur den Unterschied kennen. Bob Dylan, das ist ein Erfinder. Genauso Paul Simon, die Beach Boys in den 60ern/70ern oder Frank Zappa – da wurde wirklich etwas neues erfunden. John Williams, James Horner, die sind sehr talentiert, aber sie sind keine Erfinder, sie schreiben ihre Musik, indem sie nur neue Verpackungen schaffen.
Gucken Sie sich denn die Filme an, die diese Musik verwenden? "Titanic" zum Beispiel, haben Sie den gesehen?
Glass: Nein. Über "Titanic" habe ich mich sowieso sehr geärgert, weil das jenes Jahr war, wo "Kundun" für vier Oscars nominiert war, auch für meine Filmmusik. (James Horner gewann den Oscar für die beste Filmmusik mit seinem Score zu "Titanic", Anm. d. Red.). Ich habe James schon viele Male getroffen, genauso Danny Elfmann oder Elmar Bernstein. Ich spiele jedes Jahr auch Konzerte in L.A., in den letzen Jahren waren das vor allem Projekte, wo wir Live-Musik zu Filmen gespielt haben. Da kommen sie oft zu meinen Konzerten. Ich kann ihnen dann auch nicht aus dem Weg gehen, will ich auch gar nicht, denn wir haben ein gutes freundschaftliches Verhältnis. Sie beherrschen ihr Handwerk sehr gut, aber sie erfinden nichts.
Als ich mich vor etwa zwei Jahren mit Michael Nyman unterhielt, da hat er sich sehr enttäuscht darüber geäußert hat, dass er noch keinen Oscar für seine Filmmusiken bekommen hat.
Glass: Ich glaube, Michael war bisher noch nicht einmal nominiert.
In der Tat, aber warum sind Komponisten wie Herr Nyman oder Philip Glass so scharf auf den Oscar?
Glass: Sie wissen es nicht? – Sie wissen es wirklich nicht? Da geht es doch ganz klar um Geld, Geld und nochmals Geld (lacht). Folgendes, nehmen wir mal mein Studio in New York, da gibt es ein Aufnahmestudio und da gibt es den Verlag, zehn festangestellte Mitarbeiter. Mein Studio ist für mich ein sehr produktiver Ort geworden, um Filmmusik zu schreiben, ein Bühnestück zu realisieren, eine Oper – aber da brauche ich Assistenten und Leute, die sich um das ganze drum herum kümmern. Das ist mein kleiner Betrieb, den ich letzten Endes durch meine Musik finanziere. Ich bekomme ja kein Geld von der Regierung, doch nicht in den USA, da gibt es kein Geld, was uns Komponisten zur Verfügung stehen würde. Das Geld kommt also rein durch Aufträge, Aufführungen, meine ganzen Aktivitäten. Und Filmmusiken – ich habe nun schon ein paar geschrieben – die benötigen viel weniger Zeit, als zum Beispiel eine Oper. Aber sie bringen genauso viel Geld. Dafür ist es aber beim Film sehr selten der Fall, dass man musikalisch frei ist. "Kundun" war so ein Film, wo ich musikalisch absolut freie Hand hatte und machen konnte, was ich wollte. Martin Scorsese gab mir sozusagen einen Blankoscheck. Eine ideale Situation, ich arbeitete im kommerziellen Kontext, hatte aber meine künstlerische Freiheit. Nur kommt so etwas leider nicht sehr häufig vor.
Ich will aber noch einen anderen Aspekt beim Oscar für Filmmusik erwähnen: im vergangen Jahr hat man Tan Dun für seine Musik zu "Tiger & Dragon" ausgezeichnet, ein chinesischer Komponist vom Beijing Konservatorium. Das Jahr davor hat John Corigliano gewonnen, ein Kompositionslehrer der Julliard School, eine sehr bekannte Musikhochschule in USA. Das sind also Komponisten, die mit Hollywood nicht viel zu tun haben. Aber der Academy Award ist ja nun Bestandteil der populären Kultur. Und nicht viele Komponisten betreten diese Welt und verlassen sie wieder. Was Tan Dun geschafft hat respektiere ich sehr, denn er hat einerseits diesen Preis gewonnen, schreibt aber andererseits weiterhin Opern. Es ist einfach nach Hollywood zu gehen und dort zu bleiben. Zu kommen und zu gehen wie man es möchte, das hingegen ist äußerst schwierig.
Kritiker haben auch Sie schon in die Ecke der populären Kultur verwiesen, hin und wieder liest man vom ‚Popstar‘ Philip Glass. Haben Sie sich je als Popstar gesehen oder gefühlt?
Glass: Das ist ganz einfach. Wenn zum Beispiel Paul Simon 2.000.000 Platten verkauft, dann verkaufe ich 20.000. Da bin ich also zwei Kommastellen von Paul entfernt, zwei Nullen. Mag sein, dass ich in der Zeitung genauso viel Platz bekomme, aber an den zwei Kommastellen ändert das nichts. Wenn ich 200.000 verkaufen sollte, dann wäre das immer noch eine Kommastelle. Ein paar meiner CDs habe ich sogar schon über 200.000 mal verkauft, aber nur wenige. Yo-Yo Ma, wenn der eine Platte rausbringt, dann verkauft er sicher 200.000 Stück. Ist er nun ein Popstar? Ja, er ist ein populärer Interpret klassischer Musik. Er ist ja auch ein sehr interessanter Mann, der versucht, neue Wege zu finden für die Interpretation klassischer Musik. Oder Gidon Kremer, ein Popstar? Ja, vielleicht, gucken Sie, wie er das Repertoire für die Geige neu erfindet, jene Sachen, die er mit Piazzolla gemacht hat und die er mit mir gemacht hat. Da gibt es offensichtlich Ambitionen, etwas neu entwickeln, beim Instrument und bei der Interpretation. Aber niemand von uns hat je so viele Platten verkauft wie U2 – das ist die Realität. Wenn U2 nur 200.000 Platten verkaufen würde, dann würde doch deren Plattenfirma den Vertrag im Nu kündigen. Also: wir übertreiben. Aber wir übertreiben, weil uns das Spass macht. Es macht doch Spaß zu sagen, Philip Glass wäre ein Popstar, lustige Idee eigentlich. Aber letzten Endes bin ich ein Komponist dergleichen, dass die Leute zwar den Namen kennen, aber nicht die Musik, oder dass sie die Musik kennen, aber nicht wissen, wer sie geschrieben hat. So ein Popstar bin ich.
Der amerikanische Ligeti
Im Prinzip ist die Minimal Music doch abgekupfert vom europäischen Sonorismus der 60`er Jahre – in beiden Stilgattungen geht es um den Begriff „Sound“ der die Melodie eliminiert. Patternmusik finden wir also sowohl bei Ligeti, dessen Musik ja auch für den Film verwendet wurde, bsp. bei 2001 – Odyssee im Weltraum, als auch bei Eyes whide Shut. Diese Musik besteht genauso wie die von Glass oder Steve Reich aus sich überlagernden Patterns- bei Glass aus tonalen, bei Ligeti aus frei tonalen. Jedoch ist Glass über die Jahre sehr viel mehr Pop und Jazz beeinflußter geworden, währenddessen sich Ligeti mehr in Richtung B?rtok entwickelte, man denke an die Etüden, z.B. die erste aus dem ersten Band.