Renée Fleming

Ich habe keine Zeit, die Diva zu spielen.

Opernsängerin Renée Fleming über ihre Stimme, Operndiven, das „Goldene Zeitalter“ und die Bedeutung des Marketings

Renée Fleming

© Decca

Frau Fleming, zu welcher Tageszeit fangen Sie für gewöhnlich an zu singen?
Renée Fleming: Das hängt davon ab, ob ich eine Probe am Morgen habe, oder abends eine Vorstellung – es gibt aber keine bestimmte Uhrzeit.

Sie können auch morgens in aller Frühe schon singen?
Fleming: Wenn es sein muss, auch schon um 7 Uhr. Ich singe sogar lieber am Morgen, da bin ich noch frischer. Meine Schallplattenaufnahmen mache ich meistens um 12 Uhr mittags.

Wie lange brauchen Sie denn, um Ihre Stimme vorzubereiten?
Fleming: Das kann zwei Minuten dauern, aber auch eine Stunde. Manchmal ist das sehr leicht, vor allem wenn man jeden Tag singt, geht es sehr schnell. Aber wenn ich mich nicht richtig gut fühle, oder gerade noch unter Jetlag leide, dauert es länger. Es lässt sich auch nicht voraussagen, die Stimme ist jeden Tag anders. Ich habe deswegen diesen Lieblingswitz: Es gibt nur sieben Tage im Jahr, an denen ein Sänger wirklich gut ist – aber an diesen Tagen wird man nicht engagiert. Also, man muss mit der Stimme immer wieder kämpfen.

Welche Dinge beeinflussen noch Ihre Stimme, spielt zum Beispiel das Wetter eine Rolle?
Fleming: Ja, für mich ist es besser, wenn es regnet als wenn es trocken ist. Genauso ist die trockene Luft beim Fliegen problematisch. Aber auch zu viel Kaffee, oder zu viel Alkohol ist nicht gut für die Stimme.

Mit Ihrem aktuellen Album „Homage – The Age of the Diva“ huldigen Sie Sängerinnen des sogenannten „Goldenen Zeitalters“ der Operngeschichte. Gibt es heute keine Diven mehr wie damals um die Jahrhundertwende?
Fleming: Doch, es gibt Kolleginnen, die ich durchaus als Diven bezeichnen würde. Es kommt halt darauf an, was man darunter versteht. Bei uns in den USA gibt es diese Bezeichnung ja auch im Pop-Bereich, Mariah Carey ist für viele eine Diva. Für mich hat Diva viel mit Präsenz zu tun, mit Ausstrahlung. Und ich hoffe, dass ich selbst auf der Bühne auch eine Art Diva bin. Aber ich bin es nicht im täglichen Leben. Ich habe keine Zeit und keine Energie dafür, die Diva zu spielen.

Was war im „Goldenen Zeitalter“ der Oper anders als heute?
Fleming: Es gab sehr viele fantastische Sänger, vor allem für Verdi, für die italienische Oper. Und diese Sänger haben richtig mit den großen Komponisten zusammengearbeitet, die haben die Rollen auf ihre Stimmen, Körper und Persönlichkeiten geschrieben bekommen. Das finde ich interessant, weil heute kommt es nicht mehr so oft vor, dass man mit zeitgenössischen Komponisten zusammenarbeitet.

Wie würden Sie denn den Zustand der Oper heute beschreiben?
Fleming: Mir gefällt es heute sehr gut, es gibt viele wunderbare Sänger. Aber als ich vor 20 Jahren angefangen habe, hat jeder gesagt: „Die gute Zeit ist vorbei, es gibt keine großen Solisten mehr…“ Heute ist man optimistischer. Auch weil es sehr viel begabte junge Leute gibt. Vielleicht nicht für die großen italienischen Werke, aber für Barock, für Mozart, auch für Wagner gibt es gute Sänger. Oder für Liederabende ist es heute eine fantastische Zeit, die Baritöne in Deutschland sind unglaublich.

Könnte man nicht heute mehr denn je von einem „Goldenen Zeitalter“ sprechen, aufgrund des kommerziellen Erfolges, den Opernsänger wie Sie haben?
Fleming: Kommerzieller Erfolg? Vielleicht habe ich den in Europa, ich höre auch immer öfter, dass die Klassik hier inzwischen sehr populär geworden ist. In den USA ist das aber nicht der Fall, da haben wir nur ein sehr kleines Publikum.

Dabei gibt es die großen Marketing-Anstrengungen der Plattenfirmen doch auch in den USA.
Fleming: Klar, Marketing haben wir immer gehabt, aber es hat bisher nicht viel genutzt. Es sind nur etwa drei Prozent, die Klassik hören. So ein Erfolg wie ihn zum Beispiel Caruso damals hatte, so etwas gibt es heute nicht mehr. Sänger wie er waren damals beim Musikpublikum generell bekannt, das ist heute viel begrenzter. Die Leute fragen mich manchmal, ob ich es schwer hätte zu fliegen, weil mich die Leute im Flugzeug erkennen. Aber so ist es nicht, bis auf ein paar junge Sänger erkennt mich normalerweise niemand. Ich bin ja nicht Madonna.

Aber ein bisschen sind Sie doch auch Teil der Popwelt, Sie machen zum Beispiel Werbung…
Fleming: …für Rolex, ja. Wissen Sie, man schimpft auf der einen Seite, dass das Klassik-Publikum älter und kleiner wird – und auf der anderen Seite schimpft man, dass man mit Marketing das Stammpublikum vergrault. Aber da muss man einen Mittelweg finden, so dass es mit der klassischen Musik weitergeht, damit wir auch weiterhin ein Publikum haben. Man kann nicht ständig in dieser kleinen Nische bleiben und hoffen, dass die Leute zu einem kommen, weil wir so wunderbar singen können.

Marketing wird also immer wichtiger?
Fleming: Ja. Die Metropolitan Opera zum Beispiel steckt seit kurzem viel Geld ins Marketing. Früher haben sie immer gesagt: „Wir sind die Met, die Leute kommen zu uns, weil wir so wichtig und perfekt sind“. Aber in den letzten fünf Jahren gab es sehr viele Vorstellungen mit nur 50 bis 60 Prozent Auslastung – furchtbar! Bei „Wozzeck“ von Alban Berg, einem Stück, dass ich liebe, sind die Leute einfach nicht gekommen. Also hat sich die Met gesagt, wir müssen auf die Leute zugehen. Deswegen gibt es jetzt Werbungen auf Bussen oder auf Plakatwänden – einfach, damit das Publikum weiß, dass die Met überhaupt existiert.

Und wie viel hilft Ihnen persönlich das Marketing?
Fleming: Viele kommen deswegen, viele meiner Konzerte sind deswegen ausverkauft, mit Ausnahme vielleicht von New York. Und mir hilft das insofern, als dass ich diesen Erfolg nutzen kann, um Projekte zu realisieren, die mir sehr am Herzen liegen – das ist ein Tauschgeschäft.

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