Thomas Quasthoff

Asterix ohne Zaubertrank

Bariton-Sänger Thomas Quasthoff über über CD-Vermarktung, Opernpläne, die Situation an Musikhochschulen, seine Lieblingsschauspielerin und seine Hass-Band.

Thomas Quasthoff

© Deutsche Grammophon

Herr Quasthoff, ich habe in den letzten Tagen mehrere Interviews mit Ihnen gelesen. Und ich war ein wenig erschrocken, dass es eigentlich bei jedem Interview in erster Linie um Ihre Behinderung ging.
Quasthoff: Nun, ich denke, dass es ja sowieso relativ außergewöhnlich ist, wenn jemand mit so einer schweren Behinderung in eine Region des Sänger-Berufes vordringt, die ja vordergründig sehr viel mit Ästhetik zu tun hat. Insofern finde ich es auch legitim, dass gefragt wird. Natürlich geht mir das manchmal auf den Geist. Als ich voriges Jahr in Amerika auf Tournee war, wollte dort wirklich jeder Journalist ellenlang darauf eingehen. Das ging bis in sehr private Sphären, wo ich dann irgendwann gesagt habe, "Entschuldigung, entweder Sie interviewen mich hier als Künstler, oder sie wollen einen Lebensbericht eines behinderten Menschen haben. Da stehe ich Ihnen aber nicht zur Verfügung." Und wenn es eben zu einseitig ausgerichtet ist, dann breche ich auch mal ein Interview ab, da habe ich kein Problem mit.

Wo wir schon einmal bei Ästhetik sind, heute scheint die Ästhetik ja eine größere Rolle denn je im Klassikgeschäft zu spielen. Plattenfirmen stylen ihre Künstler für ein CD-Cover ohne Ende und scheuen auch nicht davor zurück, statt des Künstler-Konterfei ein Model vorn auf der CD zu platzieren.
Quasthoff: Jede Plattenfirma will Platten verkaufen, das finde ich erst mal legitim. Wie weit man dafür geht, muss erst mal die Plattenfirma wissen, zweitens aber sicher auch der Künstler. Ich würde so etwas mit hundertprozentiger Sicherheit nicht mit mir machen lassen, weder kommt ein Model auf meine Platten, noch würde ich mich irgendwie räkeln oder lasziv, auffällig kleiden. Entscheidend muss immer noch die Qualität dessen sein, was auf der CD zu hören ist. Insofern sehe ich so etwas schon ein bisschen kritisch, ich kann das aber irgendwo auch verstehen. Denn machen wir uns nichts vor, die CD-Branche kränkelt, und da greifen die Plattenfirmen auch zu Mitteln, die manchmal ein bisschen sehr marktschreierisch sind.

Sie haben vor kurzem haben eine Sammlung deutscher Opernarien veröffentlicht. Wie kamen Sie mit Christian Thielemann und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin zusammen?
Quasthoff: Das erste Mal haben wir uns vor drei Jahren in der deutschen Oper getroffen und eigentlich über ein ganz anderes Projekt geredet, nämlich Pfitzner-Lieder, was dann aber aus terminlichen Gründen geplatzt ist. Und dann kam eben die Idee einer Opern-Platte, wo ich gesagt habe, ich würde mit Herrn Thielemann gerne deutsche romantische Oper machen. Und genauso wie die erste Begegnung mit Christian Thielemann war dann auch die Produktion sehr angenehm, offen und entspannt. Wir haben gar nicht so viel über Musik geredet, wir haben sie einfach gemacht.

Es ist wohlgemerkt Ihre erste Opern-CD.
Quasthoff: Ja, das sehe ich auch als etwas besonderes an und es ist richtungsweisend im Hinblick auf das, was in den nächsten zwei Jahren passieren wird.

Wann kam denn bei Ihnen der Wendepunkt, wo Sie gedacht haben, man könnte ja mal die Richtung Oper einschlagen und auf die Bühne gehen?
Quasthoff: Eigentlich habe nicht ich das gesagt, sondern als ich vor zwei Jahren eine Tournee mit Simon Rattle gemacht habe, hat er beim vorletzten Konzert zu mir gesagt: "Tommy, du musst einfach Oper machen". Darauf habe ich geantwortet, dass ich mir das nicht zutraue, worauf Simon aber fragte: "Und wenn ich es dirigiere?" Da habe ich nicht nein gesagt, weil ich einfach weiß, dass Simon Rattle mich nicht für etwas fragen würde, was mich überfordert. Wir sind sehr gut befreundet und ich vertraue ihm musikalisch hundert Prozent. Das war im Grunde genommen der ausschlaggebende Punkt, dann kam auch sofort die Einladung zu den Salzburger Festspielen, 2003 den Minister im "Fidelio" zu machen. Das wiederum hatte zur Folge, dass die Wiener Staatsoper fragte, ob ich nicht Lust hätte, Amfortas in Wagners Parsifal zu machen. Das sind Angebote, wo ich mir natürlich sehr genau überlegen muss, ob das wirklich meine Literatur ist, und ob man das von der Regie her stimmig machen kann – ich habe mich sehr überwinden müssen. Aber Tatsache ist ja, dass ich nie zum Opernsänger werde, sondern einfach mal ein bisschen in diese Welt reinschnuppern möchte. Ich hoffe und glaube, dass das gut geht und freue mich sehr darauf.

Sie sind sehr viel unterwegs, vor allem in den USA – steht Ihnen das amerikanische Publikum anders gegenüber als das deutsche?
Quasthoff: Das Publikum ist generell ein bisschen anders. Die Amerikaner sind eher so wie kleine Kinder – die wollen überrascht werden, die wollen begeistert werden und wollen im eigentlichen Sinne unterhalten werden. Bei uns hat Unterhaltung ja immer so ein bisschen zweitklassigen Charakter. Aber ich selbst lege großen Wert darauf, auch so etwas wie ein Entertainer zu sein – das sind wir einfach, die wir da oben stehen. Und ich möchte dem Publikum vermitteln, dass das, was ich da oben mache, Spaß macht und nicht nur irgendein Job ist, den ich versuche abzuliefern. Die Amerikaner sind auch sehr viel spontaner und begeisterungsfähiger als das deutsche Publikum. Allerdings habe ich zum Beispiel hier in Berlin auch schon so viel Begeisterungsfähigkeit und Herzlichkeit erlebt. Ich glaube, dass die Identifikation, die ein amerikanisches Publikum mit Konzerten hat, wesentlich größer ist als hier bei uns, weil die Amerikaner einfach für ihre Konzerte selbst zahlen. Das New York Philharmonic Orchestra bekommt ja nicht einen einzigen Cent vom Staat, sondern alles ist privat finanziert. Insofern ist die Beziehung, die ein Publikum zu einem Konzert oder Orchester hat, wesentlich intensiver als bei uns.

Das würden Sie wahrscheinlich auch den hiesigen Spielstätten wünschen, oder?
Quasthoff: Ja, ich denke, dass wir in diesen Dingen von den Amerikanern lernen können und auch sollten. Ich glaube, dass das auf Dauer finanziell einfach nicht machbar ist, dass der Staat für fast alles aufkommt, was in irgendeiner Art und Weise kulturell passiert. Ich glaube, dass eine stärkere – auch finanzielle – Identifikation mit Orchestern und Konzertreihen notwendig ist und sicherlich auch zeigt, wie wichtig Kultur für ein Land wie Deutschland ist, das so reich an kulturellem Erbe ist, welches einfach gepflegt werden muss.

Sie haben unlängst innerhalb von sehr kurzer Zeit mit dem Noch-Hausherren Claudio Abbado und dem zukünftigen Hausherren der Berliner Philharmoniker Sir Simon Rattle zusammengearbeitet. Was hat der eine für sie, was der andere nicht hat?
Quasthoff: Claudio Abbado ist im Vergleich zu Simon sicherlich ein introvertierter, scheuer, sehr vom philosophischen Ansatz her kommender Dirigent, der aber – genau wie auch Simon Rattle – ein großartiger Sänger-Dirigent ist. Simon Rattle ist sicherlich ein Mensch mit einer ungeheuren Ausstrahlung, einfach als Mensch mit einer sehr expressiven und offenen Art. Wenn man ihn beim Dirigat beobachtet, sieht man immer seine offene Hand, die zum Orchester geht, wie eine Geste: "Ich bin offen, seid ihr es auch". Und er bekommt dadurch natürlich Dinge vom Orchester zurück, die häufig zu einem musikalischem Expressionismus führen, der einen einfach von den Sitzen fegt.

Nun haben Sie mit Rattle gerade die Bach’sche Johannes-Passion gemacht, sehen Sie bei der Interpretation von Bach diesen Expressionismus auch mit einem kritischen Auge?
Quasthoff: Nein, ich würde es nur dann mit einem kritischen Auge sehen, wenn es für mich keinen Sinn macht. Es gibt ja tausend Möglichkeiten, Dinge zu interpretieren – das ist ja das tolle am Musikleben. Leider aber auch Hunderte von schlechten Möglichkeiten. Ich selber halte die Johannes-Passion von Bach – im Gegensatz zum Beispiel zur Matthäus-Passion – für ein ungeheuer dramatisches Stück, und ich glaube, dem wird Simon Rattles Ansatz absolut gerecht. Er sucht sich seine Künstler auch sehr genau aus, wie eben den Ian Bostridge, der die Rolle des Evangelisten ungeheuer dramatisch und sehr plastisch gesungen hat. Aber selbstverständlich hat das immer mit Geschmack zu tun. Ich habe heute morgen zwei Kritiken zu eben dieser Johannes-Passion gelesen. Zwei Kritiken bedeuten zwei Meinungen, und im Gegensatz zu den Kritikern war die Majorität von der Aufführung begeistert, ich habe selbst mit sehr vielen gesprochen.

Sie lassen sich lieber von anderen Künstlern und Leuten aus dem persönlichen Umfeld kritisieren als von Journalisten?
Quasthoff: Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich habe für meine erste "Winterreise" in München von Joachim Kaiser alles andere als eine gute Kritik bekommen, aber diese Kritik war wohlwollend und diente nicht der eigenen Profilierung, das hat der Mann ja auch nicht nötig. Sondern diese Kritik hat mir im Nachhinein wirklich sehr geholfen, weil ich das auch sehr ernst genommen habe, was er an mir zu kritisieren hatte. Ich möchte immer lernen und wenn ich Kritiken bekomme, von denen ich lernen kann – die können auch absolut negativ sein – dann kann ich damit etwas anfangen. Das passiert aber leider zu selten. Und viele dieser sogenannten ‚wissenden‘ Journalisten, mit Verlaub, haben mir häufig viel zu wenig Ahnung von dem, über was sie schreiben. Ich denke auch, dass Musik-Kritik an sich heute eine wesentlich geringere Bedeutung hat, als noch vor 40, 50 Jahren. Und mein Problem ist heute, dass eine Kritik immer so geschrieben ist, als hätte sie Allgemeingültigkeit, dabei ist es nur die Meinung einer einzelnen Person.

Sie legen sehr viel Wert auf eine klare Diktion, wie man es auch auf Ihrer aktuellen Opern-CD hört. Nun machen aber nicht nur die Laien unter den Operngängern sehr oft die leidige Erfahrung, dass sie vom Gesungenen kein Wort verstehen. Ergeht es Ihnen ähnlich, wenn Sie in die Oper gehen?
Quasthoff: Ja, wobei ich natürlich auch weiß, dass in der Oper für viele Leute die Stimmen zählen und der reine Gesang. Aber es hat ja einen Grund, warum Opernkomponisten wie Wagner, Lortzing, Puccini, Verdi usw. Libretti benutzt haben und keine Vokalisen geschrieben haben. Das Wort hat eine sehr große Bedeutung, man kann Worte auch in tausend verschiedenen Weisen aussprechen, und die unterschiedliche Ausdrucksweise dient der Interpretation. Und da ich vom Lied komme ist für mich das gesprochene oder gesungene Wort zumindest genauso wichtig wie die gesungene Melodie. In der Oper kommt mir das häufig zu kurz, was verschiedene Gründe haben kann. Oft liegt es auch an schlechten Regisseuren, die eher sich selbst verwirklichen wollen als die Oper, die sie inszenieren.

Sogenannte "Kritiker" loben Sie oft für Ihr Timbre und die geistige Tiefe Ihrer Stimme bei der Interpretation geistlicher Werke. Vermissen Sie denn diese, sagen wir ‚geistliche‘ Komponente in der Oper?
Quasthoff: Also, in den Rollen, die ich nächstes und übernächstes Jahr singen werde vermisse ich genau das nicht, weil "Parsifal" wird nicht zu Unrecht die ‚unopernhafteste‘ Oper Wagners genannt, sondern fast eher als ein Oratorium bezeichnet. Und was der "Minister" im "Fidelio" zum Schluss der Oper singt hat einen großen humanistischen ideologischen Hintergrund – ich finde diese Rollen alle beide alles andere als oberflächlich. Ich würde mich auch in Zukunft immer bemühen – wenn denn wieder mal Oper kommt – Rollen zu singen, die genau diese Oberflächlichkeit nicht besitzen, ansonsten interessiert mich Oper nicht. Generell hat Oper natürlich sehr viel mit Wirkung nach außen zu tun, mit Oberflächlichem, Starkult und all diesen Geschichten. Das gehört aber einfach dazu und entweder man spielt dieses Spiel mit oder man steht so ein bisschen am Rand – da würde ich mich sehen – und beobachtet das Geschehen ein bisschen mit Freude und mit Ironie. Ich behalte da meinen kritischen Abstand, weil ich auch nicht alles mit mir machen lasse. Und da ich mich selber nicht für einen oberflächlichen Menschen halte, möchte ich auch durch die Oper nicht zu einem werden.

Sie hielten vor kurzem in Berlin einen Meisterkurs an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Sie selbst sind nicht den Weg über die Hochschule gegangen – wie stehen Sie dem künstlerischen Bereich des Hochschulsystems heute gegenüber?
Quasthoff: Ich denke, dass die Studienzeit an den Hochschulen viel zu kurz ist, so ist es jedenfalls an der Hochschule in Detmold, an der ich unterichte. Ich glaube nicht, dass man in fünf Jahren generell guten oder herausragenden Nachwuchs ausbilden kann, mit ein paar Ausnahmen vielleicht. Des weiteren haben wir das große Problem, dass wir teilweise sogar nach Quoten unterrichten müssen, getreu dem Motto, "nehmt ihr nicht mindestens eine bestimmte Anzahl von Studenten auf, dann kürzen wir Euch die Stellen" – das ist natürlich ein Teufelskreis. Die Hochschulen haben aber nur dann eine Berechtigung und auch eine Chance, wenn sie den höchsten Qualitätsanspruch an sich und auch an ihre Studenten stellen. Niemand hat etwas davon, wenn man sich durchweg in einem gesunden Mittelmaß bewegt, was meines Erachtens bisher zu wenig erkannt wurde. Man muss schon einen hohen Qualitätsanspruch an die Studenten herantragen, damit sie überhaupt eine Chance haben, in dieser musikalischen Welt ihren Weg zu finden.

Aber schon heute wird an den meisten Hochschulen nur ein äußerst kleiner Teil der Bewerber aufgenommen.
Quasthoff: Ja, und wenn man sich nun kritisch äußert, aber eigentlich auch klar sagt, wo die Perspektiven sind, bekommt man sehr schnell den Ruf, knallhart und extrem streng zu sein. Aber ich gehöre nun mal zu den Leuten, die beides kennen, die Lehrtätigkeit und die Praxis – und ich weiß, wie wahnsinnig schwer es überhaupt ist, ein Bein an die Erde zu kriegen. Ich bin aber auch der festen Überzeugung, wenn jemand wirklich die Begabung hat, dann wird er seinen Weg finden. Damit meine ich jetzt nicht nur eine schöne Stimme, sondern um erfolgreich in diesem Beruf zu sein, gehört sehr viel mehr dazu. Man braucht ein relativ gesundes Selbstbewusstsein, man braucht Ausstrahlung und man muss – so glaube ich – relativ intelligent sein, um in diesem Geschäft bestehen zu können. Es sind also viele Komponenten, die dazugehören, und wenn jemand all diese Qualitäten besitzt, dann bin ich überzeugt, dass der seinen Weg gehen wird, ob nun mit oder ohne Hochschule. Ich bin dafür auch ein gutes Beispiel, ich habe zwar nie an einer Hochschule studiert, aber bin dann doch künstlerisch sehr konsequent meinen Weg gegangen und habe es mehr oder weniger geschafft. Nicht jeder braucht die Hochschule, allerdings glaube ich, dass man durch die Betreuung und den Wettbewerb innerhalb einer Hochschule schon auch sehr viel lernen kann. Und vor allem müssen die Studenten viel lernen, was mit ihrem eigentlichen Beruf nachher überhaupt nichts mehr zu tun hat.

Versuchen Sie in Kursen gerade diese Dinge den Studenten zu vermitteln?
Quasthoff: Ich versuche das sowohl in den Meisterkursen als auch in meiner eigenen Klasse zu vermitteln, klar. Es wäre ja traurig, wenn ich – aus der Praxis kommend – so etwas meinen Studenten vorenthalten würde.

Es wird im Unterricht also nicht immer nur gesungen, sondern auch viel geredet.
Quasthoff: Ja, ich glaube, dass wir sowieso viel intensiver über praxisorientierteres Studieren nachdenken müssen. Da passiert im Augenblick noch zu wenig und ich glaube, dass man da in den nächsten Jahren sehr viel tun kann und muss.

Die Musik, das Singen scheint im wesentlichen das Leben des Thomas Quasthoff zu bestimmen. Aber wo trifft man Sie, wenn Sie eben icht gerade proben oder Konzerte singen?
Quasthoff: Ja, wenn Thomas Quasthoff denn mal Zeit hat, wird er sich in Zukunft um sein neuerworbenes Haus kümmern. Ich habe mir damit einen Wunschtraum erfüllt, weil ich schon immer ein kleines Häuschen mit Garten haben wollte – jetzt habe ich sogar das große Glück auch ein Schwimmbad zu haben, wirklich sehr, sehr schön. Dann wird man Thomas Quasthoff in Kneipen treffen, wo er in aller Ruhe mit Freunden redet. Freunde spielen in meinem Leben sowieso eine ganz besondere und große, wichtige Rolle. Dann findet man mich ganz privat mit Büchern zu Hause auf dem Sofa liegend, in Konzertsäälen und Theatern, aber sicherlich nicht auf Massenveranstaltungen wie Rockkonzerten etc., obwohl ich diese Musik auch höre und nicht zu diesen Klassik-Puristen gehöre. Ich habe eine große Vorliebe für Jazz, gehe auch in Jazz-Konzerte – und wenn alles klappt werde ich im nächsten Jahr mit Bobby McFerrin zusammen auftreten.

Da wird sich Ihre Plattenfirma aber freuen, schließlich wird heute ja immer mehr zu Crossover-Projekten gegriffen.
Quasthoff: Wir haben im Augenblick noch keine Crossover-Pläne, und ich gedenke auch nicht innerhalb der nächsten zwei Jahre – jedenfalls nicht bei Universal – auf diesen Zug aufzuspringen. Ich bin auch der Meinung, dass ein Großteil der Crossover-Projekte einfach schlecht gemacht ist und im Grunde genommen nur das Interesse dahintersteckt, eine Mark mehr zu verdienen. Ich denke, wenn man Crossover macht, dann muss es Sinn machen und dann muss es gut sein. Wenn die Zeit kommt, wo ich vielleicht so ein Projekt in Angriff nehmen werde, dann werde ich auf diese Dinge ganz bestimmt Acht geben.

Bei Bobby McFerrin fällt mir ein, dass er – auch wenn er dirigiert – selten im traditionellen Frack erscheint. Würden Sie auch manchmal lieber in zivil singen?
Quasthoff: Schwierige Frage. Für mich hat das Umkleiden unmittelbar auch mit Ehrfurcht und Respekt gegenüber dem zu tun, was man interpretiert, Ehrfurcht gegenüber der Musik. Aber es ist für mich kein "verkleiden", bei meinen Liederabenden trage ich auch weder ein weißes Hemd, noch eine Fliege, weil ich das am Hals grauenhaft finde und ich trage keinen Frack, weil das bei meinem Gang wohl eher dazu führen würde, dass man Fische auf die Bühne schmeißt – na gut, Scherz beiseite. Ich mache es mir schon so bequem wie möglich. Und nur wenn die Klamotten ’stärker‘ sind als die musikalische Spannung und Wirkung, die ein Künstler erzielt, dann finde ich die Konzert-Kleidung schlecht. Wenn ich aber auf einem Podium stehe und mir, noch weit über die Spannung und Emotionalität hinaus, eine geistige Durchdringung zum Publikum gelingt, dann ist es im Grunde genommen egal, ob ich da in Jeans stehe oder sonst irgendwie. Mich persönlich stört die Konzert-Kleidung nicht, das hat für mich auch etwas mit einem schönen Ritual zu tun. Ich finde es sowieso ganz angenehm, wenn ein Konzert in einem etwas festlicheren Rahmen stattfindet, und man sich dementsprechend kleidet.

Aber ich nehme an, den festlichen Rahmen ziehen Sie vor aufgrund des Respekts gegenüber dem Komponisten und seiner Musik.
Quasthoff: Absolut, nicht weil das Publikum das erwartet. Ich ziehe mich sicherlich nicht um, weil das Publikum erwartet, dass ich da mit Smoking auf der Bühne stehe. Was diese Dinge angeht, ist mir das Publikum ziemlich wurscht.

Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie bereits eine Reihe von Preisen bekommen – was bedeuten Ihnen Auszeichnungen?
Quasthoff: Vor allem Platzmangel im Regal. Sie lachen jetzt vielleicht, aber ich habe zwei Echo-Preise bekommen, die gehören mit zum hässlichsten was man sich vorstellen kann, die sehen aus wie dieses Luftbrückendenkmal in Berlin, in Silber – furchtbar. Nichts gegen das Denkmal aber… Den Grammy dagegen, den finde ich wirklich ganz hübsch, so ein goldenes Grammophon auf einem Holzsockel. Ich freue mich natürlich drüber und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, Auszeichnungen wären mir egal. Aber wenn ich mich einmal darüber gefreut habe, dann ist auch gut. Es ist nicht so, dass Auszeichnungen mein Leben in irgendeiner Weise verändert hätten oder verändern würden. Allerdings hat der Grammy sicher dazu beigetragen, dass ich in Amerika populärer geworden bin, und man die Auszeichnung auch als Werbung für Schallplatten nutzen konnte. In Deutschland wiederum hat die Grammy-Auszeichnung dazu geführt, dass die Medien etwas aufmerksamer wurden. Man hat sich ja hier schon immer schwer getan, jemanden mit einer Körperbehinderung in eine Fernsehsendung zu nehmen, die nicht die Thematik der Behinderung behandelte. Inzwischen weigere ich mich ganz strikt, in solche Sendungen zu gehen, weil ich in dem Sinne nicht repräsentativ bin. Ich lebe nicht das Leben eines Behinderten, sondern ich lebe das Leben eines Künstlers mit einer körperlichen Behinderung. Ich glaube, dass Menschen, die zum Beispiel in betreuten Werkstätten Fußmatten knüpfen, wesentlich prädestinierter sind, in solche Sendungen zu gehen, um über das Behindertsein in diesem Land zu sprechen. Insofern haben Preise für mich einen Freudenfaktor, der sehr hoch ist, aber der nicht lange anhält.

Der Applaus vom Publikum zählt mehr.
Quasthoff: Der Applaus vom Publikum zählt sicherlich mehr und auch die Meinung von Menschen, die mir persönlich sehr wichtig sind.

Kleiner Themensprung: Was haben Sie zuletzt im Kino gesehen?
Quasthoff: Vanilla Sky – ziemlich großer Mist, aber man hätte es wissen müssen. Denn so viele gute Filme mit Tom Cruise gibt es eigentlich nicht.

Und was wäre Ihr aktuelles Urteil zum deutschen Film?
Quasthoff: Ich finde, der deutsche Film ist wieder ziemlich gut geworden und wird noch weit unter Wert gehandelt. Und nicht zuletzt hat er zugelegt dank Schauspielerinnen wie Christiane Paul oder auch Franka Potente, die ich beide superklasse finde. Franka Potentes Lebenspartner Tom Tykwer ist außerdem ein fantastischer Regisseur mit tollen Arbeiten. Allerdings, dass jetzt Wim Wenders ausgerechnet einen Film über BAP machen musste – damit habe ich so meine Probleme. Fehlt uns nur noch, dass Schlöndorff einen Film über die Scorpions macht, damit wäre der Gipfel echt erreicht. Ich habe heute mit Grauen gelesen, dass die Scorpions ein Musical schreiben wollen, sie verschonen uns wirklich mit gar nichts.

Und Ihre Freunde von den Berliner Philharmonikern haben ja mal mit den Scorpions…
Quasthoff: …ja, ich habe dem Orchester auch ganz klar gesagt, "Seid mir nicht böse, aber dass ihr das gemacht habt, dass ist ein schwarzer Fleck in eurer Geschichte". Ich kenne die Band und gönne ihr den Erfolg von ganzem Herzen, nur verstehen kann ich ihn nicht. Das ist doch wirklich absolut schlechte Musik. Es gibt ja richtig gute Rockgruppen wie Marillion oder Fleetwood Mac, aber die Scorpions machen so einen eingepoppten Deutschrock-Mist, mit einem Sänger, der noch nicht mal die englische Aussprache beherrscht – da kriege ich wirklich die Krise. Ich habe die Scorpions 1992 bei der EXPO in Sevilla erlebt, wo sie aufgetreten sind wie Diven – grauenhaft – und sich nicht zu schade dafür waren, unplugged Elvis-Lieder zu spielen. Ich glaube Elvis hat sich damals torpedomäßig im Grab umgedreht. Na ja, das ist jetzt meine ganz subjektive Meinung, es gibt genügend Leute, die die Scorpions mögen, und das ist in Ordnung.

Aber in Ihrem CD-Regal wird man also keine Scorpions finden.
Quasthoff: Nein, ich höre verstärkt Jazz, auch alte Sachen wie Miles Davis, John Coltrane, Eric Dolphy und Cecil Taylor. Ich höre Freejazz, kann auch sehr viel mit den alten Cooljazz- und Bebop-Platten anfangen und hin und wieder kommen James Brown oder Curtis Mayfield dazu.

Was halten Sie denn von Robbie Williams‘ jüngstem Sinatra-Cover?
Quasthoff: Ich finde, die Platte von Robbie Williams ist gar nicht schlecht gemacht. Man kann die Lieder bestimmt besser singen – aber das ist Geschmackssache. Ich glaube aber auch, dass Frank Sinatra einfach unique war. Und da finde ich es nicht ungefährlich, diese berühmten Stücke nachzusingen. Denn da muss man schon sehr gut sein und das Gefühl habe ich bei der Platte von Robbie Williams nicht immer.

Das Leben ist ein Comic, welche Figur sind Sie?
Quasthoff: (lacht) Asterix, ohne Zaubertrank!

Sie haben früher viele Comics gelesen?
Quasthoff: Klar, ich habe alle gelesen, wahrscheinlich auch Hefte die Sie gar nicht mehr kennen. Kennen Sie zum Beispiel die Bessy-Hefte?

Nein.
Quasthoff: Das war so ein Western-Lassie-Verschnitt und die Hefte habe ich regelrecht gefressen. Ich lese auch heute noch gerne Comics, es ist nur schade, dass die Qualität der Asterix-Hefte nicht mehr so ist wie früher. Asterix und Obelix sind schon ziemlich klasse. Und Asterix, das würde mir sogar ganz gut stehen – aber ohne Zaubertrank, den brauche ich nicht.

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