Hilliard Ensemble

Ich versuche wenig zu schreien

Gordon Jones vom Hilliard Ensemble über die Arbeit mit Jan Garbarek und Arvo Pärt, Repertoire und seine Vorstellung von Urlaub

Hilliard Ensemble

© ECM

[Das Interview hat noch nicht begonnen, da klingelt im Raum ein Nokia-Handy.]
Jones: Oh, diese Nokia-Melodie, schrecklich!

Was macht denn Ihr Handy für Töne?
Jones: Das beste was ich habe ist mein SMS-Sound. [Er holt seinen Palmtop raus, ein Hahnenkrähen ist zu hören, breites Grinsen.]

Und was denken Sie über den Gebrauch von Melodien Bachs oder Mozarts auf Mobiltelefonen?
Jones: Da habe ich überhaupt nichts dagegen. Das ist auf jeden Fall besser als diese grausame Nokia-Melodie.

Nun gut. Sie sind nun schon eine ganze Weile, seit 1990 beim Hilliard Ensemble dabei – wie kam es zum Schritt in das Ensemble?
Jones: Mit dem Singen habe ich in einem Knabenchor angefangen und später am College habe ich mich dann entschieden, Sänger zu werden. Dann habe ich später gelegentlich mit dem Hilliard Ensemble zusammengearbeitet, wenn sie einen weiteren Sänger brauchten. Wir waren ja alle in London und in der Musikszene kennt jeder jeden. Als sie dann einen neuen für das Ensemble suchten haben sie mich gefragt.

Ist da ein Traum wahr geworden?
Jones: Ja, ich war sehr glücklich mit der Entscheidung, da ich wusste, dass ich mich nun sehr intensiv mit Musik beschäftigen würde.

Die Besetzung ist seit Ihrem Eintritt ins Ensemble sehr lange die gleiche geblieben…
Jones: …hat sich aber vor kurzem geändert. Steven Harrold hat John Potter abgelöst.

Ein großer Teil des Erfolgs des Hilliard Ensembles gründet sich auf die Zusammenarbeit mit dem Saxofonisten Jan Garbarek, mit dem Sie auch noch heute auf Konzerttourneen gehen. Ich habe ein wenig über das erste Treffen gelesen, es war in einem Kloster, oder?
Jones: Ja, in St. Gerold in Österreich, da, wo wir auch jetzt noch die meisten unserer Aufnahmen machen. Es war eigentlich ein sehr kurzes Treffen. Wir hatten ein paar Noten dabei, von denen wir dachten, dass könnte zu Garbarek passen. Und als wir verschiedene Stücke ausprobiert haben war schnell offensichtlich, dass die Verbindung mit Garbareks Musik funktionieren würde. Dann haben wir noch gemeinsam Kaffee getrunken und sind ein paar Monate wieder dorthin gefahren um mit ihm „Officium“ aufzunehmen.

War es denn genauso schnell offensichtlich, dass sich die CD so gut verkaufen würde und die ersten Konzerte schnell ausverkauft waren?
Jones: Nein, das kann man doch nie voraussehen, ich bin ja auch nicht das CD-kaufende Volk. Wenn man das vorher wüsste, dann würden wir ja nur noch erfolgreiche CDs rausbringen. Vielleicht lag es an diesem neuen Sound, den gab es ja vorher noch nicht.

Aber wie erklären Sie sich denn den Erfolg der Zusammenarbeit mit Garbarek?
Jones: Diese Erfolgsgeschichte ist interessant, da wir ja aus sehr verschiedenen musikalischen Richtungen kommen, Jan mit freien Improvisationen und wir als Interpreten alter und zeitgenössischer Musik, die immer jede Note zur Zeit singen müssen. Aber wir arbeiten in sehr ähnlicher Weise. Jans Arbeit hängt sehr von einem guten Gehör ab und er muss schnell auf das reagieren, was um ihn herum passiert. So arbeiten auch wir, wir proben unsere Musik nicht besonders oft, sondern lernen viel mehr die Noten und legen uns so nicht von vornherein bei der Interpretation fest. Wir haben auch keinen Leiter der das festlegen würde. Jedes Konzert ist für uns eine neue Interpretation, mal variiert das Tempo, mal die Phrasierung. Wir brauchen also auch ein sehr gutes Gehör, jeder muss gut auf den anderen hören. Daher haben Jan und wir gut zueinandergefunden, jeder ist daran gewöhnt zu hören und im nächsten Moment zu reagieren.

War es für Sie einfach diese Grenzen zu überschreiten?
Jones: Ich finde gar nicht, dass wir da Grenzen überschreiten. Wir dringen nicht auf sein Gebiet und er nicht auf unseres. Viel mehr lassen wir die Grenzen verschwimmen und mixen ein bisschen die Stile. Die Sache die wir mit Jan machen unterscheidet sich sehr von dem was wir sonst machen, der Sound ist wichtiger als die Worte. Normalerweise sind ja die Wort schrecklich wichtig

Wo fühlen Sie sich wohler, bei weltlicher oder geistlicher Musik?
Jones: Für mich gibt es da kaum einen Unterschied, gute Musik ist gute Musik und fantastische Musik ist fantastisch, egal ob geistlich oder weltlich. Ich persönlich bin allerdings der Meinung, das ernste Musik leichter zu interpretieren ist als lustige. Humorvolle Musik ist sehr schwer immer wieder aufzuführen – wenn wir mit Jan humorvolle Musik machen würden, müssten wir wohl sehr oft das Programm ändern. Ich habe ein paar Probleme mit Witzen in der Musik, die sind oft sehr platt. Ein ernster Inhalt ist dagegen facettenreicher und man kann ihn von verschiedenen Standpunkten betrachten.

Das Hilliard Ensemble ist bekannt für die Interpretation von Werken des Mittelalters und der Renaissance und von zeitgenössischen Komponisten. Wie sieht es mit den Epochen dazwischen aus?
Jones: Ja, da gibt es eine große Lücke in unserem Repertoire vom Ende der Renaissance bis zu den Zeitgenossen. Barock-Musik passt nicht zu uns, benötigt ja auch meistens Instrumente und die Besetzung ist meistens Sopran, Alt, Tenor, Bass, da würden wir mit dem großen Unterschied zwischen den Oberstimmen nicht klarkommen. Musik der Klassik fällt auch ganz raus, dafür haben wir den völlig falschen Sound.

Was ist mit der Romantik?
Jones: Ja, wir haben tatsächlich mal etwas aus der Romantik gemacht, es gibt eine CD mit Romantic Partsongs von Schubert, Schumann, Cornelius, Reger und Strauss. Aber das ist nicht das Gebiet, wo wir am besten sind. Da gibt es andere Epochen die wir besser beherrschen. Und auch die Stimmenaufteilung der Romantik passt nicht ganz aufs Hilliard Ensemble. Da geht es jetzt nicht um unseren persönlichen Geschmack. Wir mögen alle Musik des Barock, der Klassik oder der Romantik. Aber wir müssen das machen, was zu unserem Ensemble passt. Wir können ja nicht alles singen, was wir toll finden. Dafür gibt es eben zu viel Musik, die unserem Ensemble passt und die wir noch nicht aufgeführt haben. Ich mag zum Beispiel Rachmaninov Klavierwerke sehr, hab aber leider noch keine gespielt – und die Öffentlichkeit sollte froh darüber sein.

Es gibt eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen dem Hilliard Ensemble und dem estländischen Komponisten Arvo Pärt, der dem Ensemble auch schon Werke gewidmet hat. Wie ist das Verhältnis zu ihm? Pärt ist einer der Komponisten, der sich den Medien sehr verschließt, kaum Interviews gibt…
Jones: Wir sind mit Arvo sehr gute Freunde geworden und wir haben über ihn und die Arbeit in Tallin viele estnische Musiker und Komponisten kennen gelernt. Und wenn Du einen Komponisten triffst kommt man eben manchmal auf die Idee, dass er für Dein Ensemble ein Stück schreibt. Er ist ein sehr guter Freund. Ein Gentleman, auch sehr ruhig, freundlich. Und er hat einen gewaltigen Sinn für Humor. Er hat ein sehr gutes Gehör und weiß welcher Sound zu seiner Musik passt. Mit ein Grund, wieso er irgendwann auf uns zukam.

Die aktuelle Veröffentlichung ist „Morimur“ auf der Sie mit dem Barockviolinisten Christoph Poppen Werke von Bach interpretieren.
Jones: Ja, die CD entstand auf der Grundlage von Forschungen der Düsseldorfer Violinprofessorin Helga Thoene, die sich vor allem mit Zahlensymbolik und Verschlüsselungstechniken in Kompositionen Johann Sebastian Bachs befassen. Wir bekamen von Helga Thoene das Material mit dem wir uns lange auseinandergesetzt haben. Getroffen haben wir sie aber erst als die CD bereits fertig war. Der erste Kontakt kam von Christoph Poppen, der Helga Thoene schon lange kennt und sich ihre Arbeit angeschaut hat. Er fand es interessant und hat es dann erst mit ein paar Knabenstimmen versucht und dann uns kontaktiert. Ich fand die Arbeit an „Morimur“ sehr interessant, man hatte das Gefühl etwas neues zu entdecken, was aber schon immer in dieser Musik existierte. Helga Thoene hat sich das ja nicht ausgedacht. Uns hat das sehr bewegt.

Ist die Arbeit an Bachs Werken für Sie etwas besonderes?
Jones: Bach ist von der Epoche her eigentlich schon zu ’spät‘ für uns. Als Solisten haben wir sicher schon oft Bach gesungen, aber mit dem Ensemble – da gibt es kaum Werke die wir aufführen können.

Außer der Musik gibt es bei Ihnen ja hoffentlich noch etwas Freizeit. Wir haben in einem Interview mit den King’Singers festgestellt, dass die Sänger alle große Fußballfans sind. Wie sieht das beim Hilliard Ensemble aus?
Jones: Also David und Steven sind große Fußballfans, Rogers mag Fußball aber überhaupt nicht. Ich selbst bin auch nicht der große Fußballer und ich gucke mir im Fernsehen viel lieber Ski Alpin an. Sowieso, Ski fahren, das ist für mich der perfekte Urlaub. Denn beim Ski musst Du alle Gedanken loslassen weil du dich auf deine Skier konzentrieren musst. Am Strand in der Sonne zu sitzen finde ich dagegen schrecklich, weil dir immer irgendetwas durch den Kopf geht.

Und was sagt die Stimme dazu?
Jones: Ich fand Ski fahren nie ein Problem für die Stimme, wobei ich natürlich nicht an ein und demselben Tag Ski fahren und singen würde.

Gibt es denn Dinge, denen Sie gerne nachgehen würden, die Stimme es Ihnen aber verbietet?
Jones: Nein, wenn ich mir immer Sorge um meine Stimme machen müsste – dann hätte ich ja gar keine Hobbys mehr. Aber … ich trinke wenig Whiskey, und ich versuche wenig zu schreien.

Die King’Singers meinten ihre Stimmen auch ab und zu mit Bier zu pflegen.
Jones: Bier und Rotwein – sehr gut, da kann ich nichts gegen sagen.

Wie bereiten Sie Ihre Stimme auf ein Konzert vor?
Jones: Überhaupt nicht, wir müssen das nicht, weil wir unsere Stimmen ja in viel geringerem Maße benutzen als zum Beispiel ein Opernsänger. Wir behandeln unsere Stimme mit viel Präzision und sehr konzentriert. Man muss einfach wissen wie man singt und wie man mit seiner Stimme umgeht.

Angenommen das Leben wäre ein Comic, welche Comicfigur wären Sie?
Jones: Weiß ich nicht, seit meiner Kindheit habe ich keine Comics mehr gelesen. Dan Dare, der Raumschiffpilot? Ja, der ist cool.

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