Tom Tykwer

Zwei unglaublich energetische Subjektivitäten

Regisseur Tom Tykwer über seinen Film "Heaven"

Tom Tykwer

© Berlinale

Herr Tykwer, Sie haben zum ersten mal nicht Ihr eigenes Drehbuch verfilmt – was hat Sie an der Geschichte von Krzysztof Kieslowski Krzysztof Piesiewicz gepackt?
Tykwer: Ich habe ein Buch vorgefunden, dass in einem Stadium war, dass geradezu beeindruckend stabil stand und das mich überzeugt hat durch die Schlichtheit seiner Konzeption und durch den Horizont, der sich dahinter auftat. Ich habe auch in ganz kurzer Zeit das Buch gelesen und nach wenigen Momenten schon begriffen, dass das etwas ist, was mich ganz zutiefst betrifft, womit ich mich wirklich auskenne und auch hoffe, mich richtig ausdrücken zu können.

Der Film behandelt theologische, philosophische Frage, es geht um Schuld, Sühne, Verbrechen, Erlösung durch die Liebe. Würden Sie sagen, auch angelehnt an den Titel "Heaven", dass sie ein religiöser Filmemacher sind, oder dass sie diese Fragen in einer besonderen Weise ansprechen?
Tykwer: Es war nicht zu übersehen, dass die Kraft des Drehbuchs auch aus seiner komplizierten moralischen Konzeption herausstrahlte und dass ich selber mich in solchen Filmen und Themen sehr stark wiederfinden kann, weil ich mich selber allerdings eher als Atheisten bezeichne, aber sozusagen als spirituellen Atheisten. Und diesen Widerspruch muss es ergeben, dass ich einerseits immer wieder versuche, die Welt zu pragmatisieren, dann aber im selben Augenblick auch sehe, dass es Kräfte gibt, die uns antreiben, die für mich überhaupt nicht fassbar zu sein scheinen. Das Göttliche, das ich in diesem Film entdecken kann, kommt für mich dennoch immer aus den Menschen und aus den Figuren und das was sie über sich selbst hinauswachsen lässt ist die Kraft der Liebe, die sie zueinander entwickeln, und nicht die Liebe, die ihnen jemand fremdes einpflanzt. Das ist für mich auch der entscheidende Punkt, den das Buch für mich schon klar machte, dass die Liebe als eine alles überwältigende Kraft selbst Menschen aus der tiefsten Verzweiflung herauszureißen in der Lage ist und aus Negativität Positivität herausholen kann, das fand ich ein starkes Ding.

Zum 11.September 2001 war der Film schon fertig abgedreht. Trotzdem die Frage, hatten die Ereignisse vom 11.September Einfluss…
Tykwer: Wir haben den Film 1 Jahr vor dem ganzen Ungeheuerlichen gedreht. Und als das Geschah, war der Film eigentlich schon in seiner Endfassung, wir haben noch an Details geschnitten, aber wir haben jetzt nicht, gerade was die Eröffnungssequenz des Filme betrifft nicht s gemacht und auch nichts machen müssen, weil wir ja schon versucht haben, den Fokus des Films überhaupt nicht auf die Ebene des Terrorismus zu legen. Es ging uns nicht darum einen Film über Terrorismus zu machen. Wir haben ja auch die Tat der Hauptdarstellerin nicht als eine extrovertierte spektakuläre Situation inszeniert sondern eigentlich als etwas, was schon in dieser Situation selbst nach innen gewandt ist. Wir sind innen drinnen geblieben in dem Haus und haben gezeigt, dass es auch etwas ist, was auch nach innen hin zerstört. Und das hat einfach damit zu tun, dass es uns darum ging, den Film von Anfang an über Subjektivität zu erzählen und eine Subjektivität zu schaffen in die Geschichte hinein und gar nicht erst zu behaupten, dass wir eine objektive Beschreibung einer politischen Situation wagen, sondern wir haben zwei unglaublich energetische Subjektivitäten, die aufeinanderprallen. Und die finden einen Weg zueinander und das ist das, was und geleitet hat, auch im Umgang mit der Situation mit der Bombe.

Wer ist für die Musik von "Heaven" verantwortlich?
Tykwer: Die Musik stammt zum überwiegenden Teil aus der Feder von Arvo Pärt, ein Komponist der übrigens auch in Berlin lebt, den ich sehr verehre und von dem ich auch schon in einem anderen Film Musik benutzen durfte. Es war ein ganz eigenartiger Prozess, die Musik für diesen Film zu entwickeln, weil wir am Anfang eigentlich eine Musik gesucht haben, die der Schlichtheit des Konstrukts so sehr entspricht wie der Poesie, die wir dahinter auch nicht verstecken wollten. Und diese beiden Elemente in Musik wiederzufinden ist unheimlich schwer und auch die Stille des Films nicht zu stören. Und dann haben wir Pärts Musik gefunden, die wir zum Teil sogar schon kannten, und die haben wir mal angelegt, um einfach zu testen. Das war wie ein Wunder und die Musik fügte sich mit den Bildern so zusammen, dass sie uns eigentlich einen der endgültigen Wege in den Film hinein gewiesen hat und uns auch gezeigt hat, wo wir noch schlanker und noch klarer werden können und wo wir uns noch mehr konzentrieren müssen, weil eben die Musik so konzentriert ist. Es gibt einige Stücke, die wir noch hinzukomponiert haben, einfach, weil wir da kein verfügbares Material von Pärt hatten. Aber wir haben uns immer eindeutig an seiner musikalischen Linie und These gehalten.

Es wurde in Turin gedreht, wie hat Sie diese Stadt bei der Arbeit am Film beeinflusst?
Tykwer: Für mich war das ganze evident, dass das Turin ist, aber natürlich auch erst nach einer Weile, wo ich mich noch mehr mit der Stadt beschäftigt habe. Turin hat eine ganz faszinierende Aura. Krzysztof hat mir erzählt, dass er und Kieslowski eine Reise druch Italien gemacht haben, bei der die ersten Ideen für diese Art von Geschichte. Und dass Turin als Ort insofern so sich geradezu aufdrängt, weil das eine Stadt ist, die einerseits, etwas repräsentiert, was den Anfang des Film sehr stark prägt, nämlich eine bestimmte Art von Enge und Finsternis, obwohl es eine wunderschöne Stadt ist. Das ist ja das Irre, was wir entdeckt haben, als wir mit dem Helikopter drüber geflogen sind, dass es eine unglaubliches topographisches, enorm geometrisches Muster gibt eine Art von Gitter, dass fast wie ein Gefängnis auf den Protagonisten lastet. Ich bin ein großer Fan davon, wenn man in der Lage ist, Topographien, Landschaften den Figuren zuzuordnen die sozusagen topographische Entwicklung eines Films der Entwicklung der Figuren unterordnen. Wenn man Turin ins Verhältnis setzt zur Toskana ist das in etwa die Entsprechung des inneren Zustands unserer Protagonisten und der Entwicklung, wo sie hinkommen.

"Heaven", ein internationaler Film, aber trotzdem die Frage: Wie ist Ihr Verhältnis zu Berlin?
Tykwer: Das ist meine Heimat, das ist der Ort, den ich mir irgendwann ausgesucht habe, wo ich sein will und ich kann mir inzwischen kaum vorstellen, dass sich das mal ändert.

Was bedeutet es für Sie, dass "Heaven" die 52. Berlinale eröffnet?
Tykwer: Das bedeutet primär ein großes Vergnügen, weil ich nicht verreisen muss und weil ich abends nach Hause fahren kann, was unheimlich entspannend ist. Und zweitens ist es so, dass wir große Lust hatten zur Berlinale gehen, weil wir hier mit X-Filme schon sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Und dass es jetzt zum ersten Mal so scheint, dass man auch nicht in der Position ist, dass man als deutscher Film die ganze Last der deutschen Verantwortung eines Festivals auf seinen Schultern trägt, sondern dass man ganz klar Teil einer Mannschaft ist. Wir sind der erste von vier deutschen Filmen, die im Wettbewerb laufen, dann läuft noch einer außerhalb des Wettbewerbs und es laufen noch zehn in einer anderen wichtigen Reihe – das heißt es gibt wirklich ein großes Team deutscher Filme, die hier versuchen klarzumachen, dass einiges los ist im deutschen Film. Sehr unterschiedliche Formen, sehr unterschiedliche Ästhetiken, sehr unterschiedliche Budgets. Und, dass man natürlich entspannen kann, dass man sich willkommen fühlt, dass man in einer Gruppe etwas gemeinsam repräsentiert in aller Unterschiedlichkeit.

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