Wolfgang Becker

Mein Leben ist doch kein Genre.

Regisseur Wolfgang Becker über seinen Film "Good bye Lenin!", die Arbeit mit Filmkomponist Yann Tiersen und warum er nicht das ewige Klagelied deutscher Regisseure mit anstimmt

Wolfgang Becker

© Christine Fenzl/X Verleih

Herr Becker, Ihr neuer Film "Good Bye Lenin!" läuft neben zwei weiteren deutschen Filmen im Wettbewerb der Berlinale und konkurriert mit Filmen wie "Solaris" mit George Clooney oder "Adaption" mit Nicolas Cage. Wie schwer ist es für den deutschen Film, gegen solch große amerikanische Produktionen anzutreten?
Becker: Die Situation für den deutschen Film hat sich gebessert, seit dem Dieter Kosslick Chef der Berlinale ist. Zu Moritz de Hadelns Zeiten hatten wir ja fast das Gefühl, dass man den deutschen Film verstecken wollte und nur manchmal hat man einen deutschen Film sozusagen als Alibi mit in den Wettbewerb genommen.
Die USA sind eine große Kinomacht, da werden mit ganz anderen Summen Filme gemacht, Hollywood ist ein wesentlicher Teil ihrer Exportware, die haben ein Starssystem und dominieren überall auf der Welt die Kinos. Klar, ein Festival wie die Berlinale braucht natürlich auch Stars und die Amerikaner können, wenn sie wollen, auch erpressen und sagen, "wenn ihr unseren Film nicht ganz besonders auf der Berlinale hervorhebt, dann kommen unsere Stars eben nicht." Aber ich kann mich heute nicht beklagen, dass der deutsche Film klein gehalten wird. Der deutsche Film muss sich einfach selbst behaupten und dafür haben wir mittlerweile ganz gute Möglichkeiten. Wir sind im Wettbewerb, die Öffentlichkeit weiß Bescheid. Nur werden wir nie die mediale Aufmerksamkeit haben, wie sie ein Leonardo DiCaprio oder ein Richard Gere bekommt, das ist klar.

"Good bye Lenin!" erzählt eine Geschichte, die zwar nach dem Mauerfall spielt, aber jede Menge Details des Lebens in der ehemaligen DDR aufgreift. Wie haben Sie sich – als ehemals Westdeutscher – dieses Wissen angeeignet?
Becker: Wenn man als West-Regisseur einen Film macht, der nicht nur von der DDR-Geschichte, sondern auch von der Lebensbefindlichkeit der Bürgern in der Ex-DDR berichtet, dann muss man über diese Zeit schon etwas genauer Bescheid wissen, denn da kann man sich leicht blamieren. Die Dinge der Alltagskultur, wie die knappen Lebensmittel oder das DDR-Fernsehen, die im Film ja eine große Rolle spielen, waren relativ einfach zu recherchieren. Schwieriger war es dagegen, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie das eigentlich war, in so einem Land gelebt zu haben, dort aufgewachsen zu sein, seine Jugend dort verbracht zu haben. Und wie war das Lebensgefühl eines 20-Jährigen zum Zeitpunkt des Mauerfalls? Solche Dinge kann man ja nicht rein faktisch recherchieren, man muss sie eher sinnlich recherchieren. Deshalb haben wir, der Autor Bernd Lichtenberg und ich, uns mit vielen Leuten getroffen, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung so alt waren wie unsere Hauptfigur und haben uns deren Geschichten erzählen lassen. Dadurch bekamen wir schließlich ein sicheres Gefühl beim Drehen. Außerdem waren im Filmteam einige Leute, die lange in der ehemaligen DDR gelebt haben – die hätten interveniert, wenn etwas nicht gestimmt hätte.

Aber an sich ist es doch eine gewagte Sache, wenn ein West-Autor zusammen mit einem West-Regisseur einen Film über den ehemaligen Osten macht.
Becker: Das wird von den Journalisten so unheimlich hoch gehängt. Ich muss ehrlich sagen, für mich ist es zum Beispiel schwieriger, als Mann einen Film über die Emotionalität einer Frau zu machen, als wenn ich als Wessi einen Film über einen Ossi drehe. Viele ostdeutsche Regisseure sind ja gleich nach der Wende ins westdeutsche Fernsehsystem reingegangen und die hat man auch nicht immer gefragt, wie sie denn – im Osten sozialisiert – einen "Tatort" oder eine Vorabendserie drehen können.
Sicher, manchmal hört man den Vorwurf, dass wir jetzt den Ex-Ostlern ihren eigenen Stoff weggeschnappt haben. Aber es sind doch schon so viele Jahre vergangen, ich selbst habe für diesen Film fünf Jahre gebraucht – in der Zeit hätte ja auch jemand anders diesen Stoff verfilmen können.

Was denken Sie, wieso ein Film wie "Good bye Lenin!" erst über ein Jahrzehnt nach der Wende in die Kinos kommt?
Becker: Es dauert doch immer eine gewisse Zeit, bis man sich zurückbesinnt und sich sagt "da gab es ja auch noch die DDR". Am Anfang habe die Leute ganz schnell ihre alten Möbel weggeworfen, sind zu Ikea gegangen und haben den alten Trabbi gegen einen West-Wagen getauscht. Irgendwann fällt einem dann aber voller Wehmut ein, dass der Trabbi eigentlich ein ganz schönes Auto war. Wir haben viel im Berliner Osten gedreht, auch in einer Wohnung am Alexanderplatz, die komplett im DDR-Stil eingerichtet war, mit Originalmöbeln und Utensilien aus den 70ern. Mittlerweile werden ja Gegenstände aus der Zeit in manchen Läden wie Designerstücke verkauft – die sind so wertvoll geworden, weil man damals viele Gegenstände einfach sehr schnell weggeworfen hat.
Die Wiedervereinigung hat für die DDR-Bürger wegen der schnellen Umgewöhnung viele Probleme mit sich gebracht, den Leuten wurde ein gewohnter Boden einfach entzogen. Die DDR hatte ja auf jeden Fall auch etwas von Heimelichkeit und Gemütlichkeit, in der Datschenkultur konnte man sich ja sehr ins Private zurückziehen – im Gegensatz zu den öffentlichen Plätzen wie Kneipen, wo der Staat immer Angst hatte, dass die Leute zu viel über die gesellschaftlichen Verhältnisse reden. Manche erinnern sich heute mit Wehmut an die vermeintlich besseren und sicheren Zeiten, schwelgen in Nostalgie. Aber dafür bedarf es auch einer zeitlichen Distanz. Und jetzt nach über zehn Jahren kann man auch ein bisschen frecher, frischer und mit mehr Ironie von dieser Zeit erzählen, man kommt aus dieser Verkrampftheit heraus.

Nun lautet der Titel "Good bye Lenin!" – haben Sie sich schon mal mit Lenin beschäftigt und wie ist Ihr Standpunkt zum Sozialismus?
Becker: Ich habe mich mit Lenin beschäftigt, schon bevor ich mit dem Filmen angefangen habe. Ich war ja Student in Geschichte, Politikwissenschaft und Germanistik, da habe ich mich auch sehr stark mit der sozialistischen und Marxschen Thesen beschäftigt. Für den Film hat das aber nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Denn ich bedaure es überhaupt nicht, dass die DRR untergegangen ist, weil sie moralisch wie ökonomisch völlig am Ende war. Es wäre nur interessant gewesen, wenn sie weiterbestanden hätte, als eine reformierte, wirklich demokratische Republik. Aber dazu kam es nicht, weil der Drang zur westlichen Warenwelt so groß war und das Land nach der Wende sowieso ausgeblutet wäre.
Ich empfand den real existierenden DDR-Sozialismus als eine komplette Pervertierung der ursprünglichen sozialistischen Idee. Im Film sieht es dann ja so aus, dass Alex die DDR für seine Mutter wiederaufleben lässt. Aber das tut er nicht nur für seine Mutter, sondern er schafft auch sich selbst eine DDR, wie er sie vielleicht besser gefunden hätte.

Würden Sie den Film eigentlich als eine Komödie bezeichnen?
Becker: Man könnte sagen, dieser Stoff ist sehr geeignet, um eine richtige Klamotte zu erzählen. Aber wir haben nicht rein additiv die DDR-Gags wie an einer Perlenschnur aneinandergereiht. Das ganze sollte, wie bei jeder guten Komödie, auf einer ernsten Basis stehen. Die Schauspieler spielen das auch auf eine ernste Weise und nicht komödiantisch. Und während wir Zuschauer über die Protagonisten lachen ist denen ja nicht eine Sekunde zum Lachen zumute.

Zitiert

Für mich ist es schwieriger, als Mann einen Film über die Emotionalität einer Frau zu machen, als wenn ich als Wessi einen Film über einen Ossi drehe.

Wolfgang Becker

Eine Komödie, bei der so manche Träne kullern könnte.
Becker: Also, es ist schon komisch, dass diese Genre-Frage immer geklärt werden muss. Mein Leben ist doch auch kein Genre, niemand folgt in seinem Leben einem Genre. Ich habe jetzt keine Probleme mit Genre-Filmen, ich würde auch gerne mal einen echten Genrefilm, im Sinne eines Thrillers oder Horrorfilms, drehen. Aber Filme, die aus dem Leben um mich herum erzählen, die haben beide Elemente, Tragik und Komik, weshalb ich mir die Genrefrage gar nicht stelle. Bei mir kann das Ernste und das Komische nebeneinander existieren und macht sich nicht gegenseitig kaputt. "Good bye Lenin!" ist eine Achterbahnfahrt – aber dieser Achterbahn kann man folgen.

Die teils traurige Stimmung des Films entsteht nun auch aufgrund der Musik. Sie haben ja Yann Tiersen für den Soundtrack bemüht, …
Becker: … der bis auf einen Song alle 27 Stücke für diesen Film komponiert hat – was ja bei "Amelie" ganz und gar nicht der Fall war. Leider ist er beim 27. Titel krank geworden. Wir hatten sogar während der Weihnachtsfeiertage aufgenommen, im Studio auf dem Boden geschlafen, bis zur Erschöpfung abgemischt – das war eine absolute Tour de Force.

Und wie sind Sie auf Yann Tiersen gestoßen?
Becker: Das ist ein Glücksfall gewesen, eine Geschichte voller Umwegen. Ich war letzten Sommer auf einem Konzert von ihm in Berlin. Er schreibt eine Musik, die mir sehr nah ist, die melancholisch ist, aber nicht depressiv macht, weil sie auf dem Boden steht. Ich bin nach dem Konzert zu ihm, hab ihm eine Kassette mit meinen Filmen gegeben und meine Telefonnummer – er hat sich nie wieder bei mir gemeldet. Später stellte sich heraus, dass er meine Nummer einfach nur verloren hat. Er hatte sich meine Filme angeguckt, er fand die sogar toll. Eines Tages flatterte dann unaufgefordert eine CD in unser Büro wo draufstand "14 Titel für Good Bye Lenin!" und dazu ein Brief, in dem er schrieb, dass er eigentlich gar kein Filmkomponist sei und überhaupt nicht bildgenau komponieren könnte. Ich habe ihm dann in Paris den Film gezeigt – unsere Kommunikation war zwar ein bisschen problematisch, mein Französisch ist schlecht, sein Englisch nur passabel – und wir haben sehr schnell festgestellt, dass es schwierig ist, über Musik zu reden. Da hat er gesagt: "Ich ziehe mich 14 Tage zurück, du wirst nichts von mir hören, du wirst mich nicht anrufen können." Danach hat er mir eine CD zugeschickt, die nicht nur auf die Sekunde, sondern auch auf das Frame genau komponiert war mit einer fantastischen emotionalen Musik. Und auf einmal fühlte ich mich erkannt, er verstand was ich wollte – ich jetzt bin ich wirklich sehr glücklich mit dieser Musik.

Würden Sie denn sagen, "Good bye Lenin!" hätte Chancen im Ausland?
Becker: Ich denke schon, weil der Film nicht den Fehler macht, zu sagen, ich erzähle euch eine Geschichte über die Wiedervereinigung und nehme dafür so ein paar prototypische DDR-Bürger, die quasi als fleischgewordener Vorwand etwas über die deutsche Geschichte erzählen. Das macht der Film genau nicht, sondern wir erzählen eine ganz einfache, universelle, nachvollziehbare Geschichte zwischen einer Mutter und ihrem Sohn. Es wird erzählt, was der Sohn aus der Liebe zu seiner Mutter alles macht, welchen Wahnsinn er betreibt, ihr nach dem Aufwachen aus dem Koma eine andere Welt vorgaukelt, um bloß zu verhindern, dass sie erfährt, dass es die DDR nicht mehr gibt. Er kämpf um ihr Leben, denn jegliche Aufregung könnte ihren Tot bedeuten. Und so baut er eine Welt auf, die schon längst Vergangenheit ist.

Wie würden Sie als deutscher Regisseur Ihre Arbeitsbedingungen einschätzen, im Vergleich zu Ihren europäischen und amerikanischen Kollegen?
Becker: Ich denke, auch für einen Regisseur in den USA ist das Leben nicht einfach. Wir haben hier zum Beispiel den Vorteil, dass es eine staatliche Filmförderung gibt, dass Leute, mit einer guten Idee, aber ohne eigenes Geld und ohne ein finanzielles Risiko eingehen zu müssen, tatsächlich einen Film machen können. Da sieht die amerikanische Independent-Szene schon ganz anders aus, da müssen die Leute das Risiko selbst tragen, sie müssen Kredite aufnehmen und das Geld von allen Seiten zusammenkratzen. Und was wir hier mitbekommen ist ja meistens das große Produzenten-Kino aus Hollywood. Aber wie viele Filme sind das dann, die mit diesem Geld gemacht werden? Und ich möchte nicht wissen, unter welchem enormen Druck die Regisseure dieser Filme stehen. Selbst ein Martin Scorsese hat ja Probleme, wenn es um die Finanzierung seiner Filme geht.
Und die Franzosen, die bündeln ihr Geld ein wenig mehr. Da werden Filme, von denen man sich finanziell etwas mehr verspricht auch etwas besser ausgestattet.
Wir sind mit "Good Bye Lenin!" etwas über 3 Millionen Euro, für einen Geschichtsstreifen mit sichtbaren und unsichtbaren Special-Effects relativ niedrig budgetiert gewesen. Auf der anderen Seite muss ich sagen, sind 3 Millionen Euro eine Menge Geld, da trägt man eine enorme Verantwortung.

Sie würden sich also nicht beklagen, wie es viele Ihrer Kollegen hierzulande immer wieder tun, wie schwer es doch sei, in diesem Land Filme zu machen?
Becker: Also, ich bin nie angetreten mit dem Gedanken, das wäre leicht. Es war mir immer klar, dass es schwer ist, einen Film auf die Beine zu stellen. Aber ich glaube, dass sich eine wirklich gute Idee am Ende auch durchsetzt und nicht auf der Strecke bleibt. Es gibt einfach sehr viele Menschen, die Filme machen wollen, Schauspieler oder Regisseure werden wollen. Vor zehn Jahren hatten wir nur zwei Filmschulen in Deutschland – wie viele haben wir jetzt? Immer mehr wollen zum Film, aber der Markt kann so viele Leute gar nicht aufnehmen. Und wenn man an der amerikanischen Markt denkt, in Los Angeles ist ja mittlerweile jeder Kellner, jeder Tankstellenwart ein Schauspieler, der keinen Job gefunden hat.

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