Marie, in dem Film "Der alte Affe Angst" spielst du die Rolle der Marie. Wie kam es dazu, den Namen beizubehalten?
Bäumer: Die Rolle hieß im Buch einfach Marie und Oskar Roehler sagte, das wäre ein schöner Name. Ich habe dann kurz mit ihm drüber gesprochen und fragte mich auch, wie das wohl ist, wenn man über die Rolle spricht, ich aber auch als "Marie" gerufen werde. Aber der Name blieb drin und wir haben immer wenn wir die Rolle meinten "die Marie" gesagt. Ich muss aber auch mal ganz schonungslos sagen, dass ich diesen Namen sehr ok finde.
Aber hast du dich wegen des gleichen Namens vielleicht auch noch mehr gefragt, wie viel von dir selbst in dieser Figur stecken könnte?
Bäumer: Diese Figur war so ohne Abstand, es war keine Figur, der ich mich so langsam angenähert habe, sondern die war so, als wenn sie ein bisschen aus mir herauswachsen würde. Das hatte auch mit dem Arbeitsvorgang zu tun, wir sind da mitten reingesprungen, tief eingetaucht und irgendwann wieder aufgetaucht. Nicht, das die Arbeit kopflos war, aber alles war so emotional und bedingungslos. Ich hatte also gar nicht diesen Ansatz, dass ich mich der Figur annähere mit diesem oder jenem Entwurf. Ich habe immer zu der Arbeit gesagt: das ist sehr persönlich aber nicht privat.
Siehst du "Der alte Affe Angst" mehr als einen Film über die Angst oder als einen Film über die Liebe?
Bäumer: Ich würde sagen, es geht einfach um die Ängste, die eine Liebe reflektiert. Ich finde ja immer, dass sich jeder Mensch ab einem gewissen Alter ganz sicher seiner seelischen Konflikte bewusst wird. Und bei Robert, meinem Partner im Film, ist das auch so. Er wird sich glücklicherweise diesem Konflikt bewusst und möchte ihn auch lösen. Viele haben über den Film ja bereits gesagt, da gäbe es einen schwachen Mann und eine starke Frau – das habe ich aber nie so gesehen. Denn für mich ist es eine der größten Stärken bei einem Menschen, sich so einem Konflikt zu stellen. Deshalb hat diese Liebe auch eine Chance. Wenn das nicht so wäre und Robert sagen würde, "ich bin halt so und du musst damit klar kommen" – dann wäre das sicher der Punkt, wo Marie ausgestiegen wäre.
Marie muss im Film aber schon eine Menge wegstecken. Wo liegt ihr Geheimnis?
Bäumer: Ich denke, ihre Kraft liegt einfach in der Ausschließlichkeit ihrer Hingabe, damit macht sie sich aber auch verletzbar. Sie ist keine Frau, die immer klar kalkuliert, sondern sie gibt sich komplett da rein, sie stellt diese Liebe auch überhaupt nicht infrage. Deshalb kommen auch diese Momente, wo sie wie eine Breitleinwand von Angriffsfläche ist.
Hat dich die Rolle nachdenklich gemacht in Bezug auf eigene Ängste?
Bäumer: Ich habe während des Drehs immer abends im Hotel am Fenster gestanden und gesagt: "Das Leben ist schön, das Leben ist schön, das Leben ist schön."(lacht)
Ich glaube, es fließt einfach automatisch etwas von dir mit in so eine Rolle hinein. Ich denke beispielsweise, dass ich diese Rolle Anfang 20 so nicht hätte spielen können. Andererseits versuche ich aber, so einen Dreh immer als einen klaren, nüchternen Arbeitsvorgang zu sehen. Ich finde es sehr heikel, wenn man dann zu sehr in seinen eigenen privaten Momenten und Geschichten herumwühlt, meine eigenen privaten Tiefen interessieren mich in dem Moment auch gar nicht so sehr. Es war aber so, dass ich später, nach dem Dreh, angefangen habe, darüber nachzudenken, über den Film und was er bei mir ausgelöst hat. Ich dachte zum Beispiel, in der Liebe ist das tatsächlich so: je näher man einem Menschen kommt, desto deutlicher werden die eigenen Konflikte gespiegelt – die werden provoziert durch eine Nähe, durch die Auseinandersetzung mit einem anderen Menschen. Ich habe also nicht mehr nur diese rosarote Wolke gesehen, sondern eben auch die Abgründe. Die gibt es in jeder Liebesbeziehung. Und wenn ich mir sage, ich halte es nicht mehr aus, weil ich denke, es ist der andere, der dieses Problem erzeugt, dann trenne ich mich und begebe mich zum Beispiel in die nächste Beziehung. Wenn ich aber diesen Konflikt für mich selber noch nicht gelöst habe, wird der in der nächsten Beziehung genauso wieder auftauchen. Marie könnte sich im Film ja auch entscheiden, sich von Robert zu entfernen, die Liebe in ihr drin bleibt aber. Das ist ein seelischer Moment, den wir nicht einfach abschneiden können, wir können nicht einfach sagen: Tschüss das war’s.
Das war eine Erkenntnis, die ich sehr schön fand, weil sie einem innerlich so eine Weite gibt, weil sie verhindert, dass man den Hass so tief in sich hineingräbt.
Mitten drin in dieser aufgewühlten Geschichte fährst du dieses rosarote Auto. Stand das so im Drehbuch?
Bäumer: Das kam vermutlich von der Ausstattung. Ich habe auch gedacht, na heissa hussa, die Marie liebt wohl irgendwie bunte Wagen – ok. Oskar hat wegen dem Auto sogar etwas gelitten, weil wir am Set manchmal angefangen haben zu lachen, an Stellen wo das natürlich nicht geplant war – eben weil dieser Wagen auftauchte.
Ich muss ehrlich sagen, der ganze Film hat ja eine leichte Überhöhung, in den Rollen, in der Ausstattung in den Farben. Ich finde, dass Kino das unbedingt darf. Jeder Moment in diesem Film, wo es einen kurzen Lacher gibt – auch wenn der nicht explizit gewollt ist – ist nur zuträglich. Denn sonst könnte man den Film ja keinem mehr so richtig zumuten.
Was fährst du für ein Auto?
Bäumer: Leider im Moment gar keins. Ich liebe ja Autos. Mein erster Wagen war ein Käfer, dann hatte ich einen Renault F6, so einen Kastenwagen. Ich bin halt Fan von so alten Arbeiterautos, Technikerwagen. Dann hatte ich zwei mal einen Suzuki Super-Carry. Kennst du den? Der sieht so aus, wie diese Bosch-Toaster. Eben ein kleiner Kasten, wo die meisten lachen, wenn sie den sehen. Trotzdem ein super Auto. 5-türig, sehr schmal, kürzer als ein Golf – aber du bekommst unheimlich viel rein. Wir sind immer mit hundert Leuten gefahren, hinten noch ein Kinderwagen drin, Umzugskisten …
Wir haben dann aber mit beiden Unfälle gehabt und danach sind beide in den Jemen vertickert worden. Die stehen dort irgendwie total auf diese Autos.
Je näher man einem Menschen kommt, desto deutlicher werden die eigenen Konflikte gespiegelt.
Das hast du nachverfolgt?
Bäumer: Ja, ich habe doch direkt verhandelt mit den afrikanischen Jungs. Und das waren sicher auch filmreife Sequenzen.
Zurück zum Film, Drehort war zum größten Teil Berlin. Deine Stadt, Oskars Stadt?
Bäumer: Oskar ist ja Wahlberliner und ich bin Hamburgerin. Ich finde Berlin im Film als ‚zweite Protagonistin‘ irgendwie ganz gut. Diese Stadt hat eben eine Härte, sie hat etwas Großstadtdschungelartiges, was für diese beiden, sich immer mehr verlierenden Wesen noch mehr die Intensivierung des verlorenen Moments bedeutet.
Hat das die Dreharbeiten auf den Strassen Berlins beeinflusst?
Bäumer: Das war teilweise schon eigenartig, wir waren tagelang auf riesigen Straßen unterwegs, auch in komischen Ecken, wo uns ein paar Straßenjungs hin und wieder ganz schön provoziert haben. Das erfordert dann noch zusätzlich Kraft. Da spielst du den ganzen Tag eine anstrengende Szene auf der Straße und hörst dann rechts und links von dir so semisexy Sprüche. Da verlierst du schnell deinen Schutzraum. Und das Team war dann die ganze Zeit damit beschäftigt, das ganze Chaos drum herum zu bewältigen.
Sind das aber nicht leider ’normale‘ Arbeitsbedingungen, wenn man für TV oder Kino vor der Kamera steht? Oder waren gerade diese Dreharbeiten besonders hart?
Bäumer: Das war schon sehr extrem, dieser Dreh hat schon eine solche Bedingungslosigkeit gefordert hat und eine so enorme Intensität. Da gibt es kaum eine Szene, wo man mal einfach nur durch den Raum läuft oder nur mal von rechts nach links geht. Dadurch ist man dann innerlich schon sehr aufgeknackst.
Die harte Arbeit hat sich gelohnt, du hast für deine Rolle den Bayerischen Filmpreis bekommen, ihr wart mit dem Film im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale – bist du ein wenig mit Stolz erfüllt?
Bäumer: Ja, stolz und vor allen Dingen bin ich so überwältigt, weil wir mit einer wahnsinnigen Kraft und Freude in diese strudelige Arbeit hineingesprungen sind und jetzt alles in einer riesigen Welle zurückkommt. Das Publikum reagiert so direkt, Leute sind nach einer Vorstellung zu mir gekommen und haben mich umarmt. Das ist ja das, wonach man sich selbst immer so sehnt, wenn man ins Kino geht. Man ist gerne wie das Kind im Zirkus, das sofort alles mit nach Hause nehmen und nachspielen will.
Das Schönste am Filmpreis war für mich, dass ich so berührt war und so dankbar. Ich habe mir gedacht, egal welche Szenen ich da für mich selber noch zu kritisieren habe, in diesem Falle kann ich mir das auch mal verzeihen, weil ich weiß, dass ich für diesen Film mein letztes Hemd gegeben habe.
Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Comicfigur bist du?
Bäumer: Virginia Peng, die Gegenspielerin von Nick Knatterton, die ihn immer wieder versucht mit ihren weiblichen Reizen in die Falle zu locken – nein, das war Quatsch. Ich kenne mich mit Comicfiguren so schlecht aus. Gibt es bei "Tim und Struppi" eine Frau?
Gute Frage, ich glaube nicht.
Bäumer: Dann wäre ich wohl Struppi. Ich habe einen guten Geruchsinn. Meine Nase ist mein am besten ausgeprägtes Sinnesorgan. Ich bin sehr kurzsichtig, aber dafür rieche ich ganz gut – also, ich meine natürlich, ich kann ganz gut riechen.
Innerlich schöne Menschen
Sich selbst lernen, besser kenne zu lernen. Zu lernen über die Außeinandersetzung mit einer Schauspielrolle. Seine gewonnenen Erkenntnisse direkt in dieser Rolle im Film tiefsinnig weiter zu geben. Sich dabei dem Mut hinzugeben, dieses alles auch noch in einem Interview mit solchem Tiefgang weiter zu geben, diese Worte zu finden über Ängste, Leben, Liebe und die „Banalität des möglichen Scheiterns von lebenswerten Beziehungen“ : alle Achtung diesem Menschen. Und ein kleines Danke an diese liebe Seele.