Junkie XL

Mein Verhältnis zu Computern ist nicht immer ein so glückliches.

Tom Holkenborg aka Junkie XL über das Album "Radio JXL", Gemeinsamkeiten mit Norman Cook, seinen letzten Festplattencrash und warum für ihn die beste Musik aus den 60ern und 70ern stammt

Hi Tom, stehst du eigentlich jeden Morgen so früh auf?
Holkenborg: Also, mein Problem ist, dass ich einerseits ein Nachtmensch bin, andererseits aber auch ein Frühaufsteher.

Wie das?
Holkenborg: Ich mag es einfach, am frühen Morgen aufzustehen. Ich gehe aber auch ungern früh ins Bett. Das hat zur Folge, dass ich oft mittags gegen drei, vier Uhr ernste Probleme habe, wach zu bleiben. Aber, ich brauche generell nicht so viel Schlaf.

Trifft man dich nachts dann immer in deinem Studio?
Holkenborg: Nicht unbedingt. Ich bin nicht derjenige, der sagt, die Dinge gelingen einem besser in der Nacht als tagsüber. Es gibt ja Leute, die meinen, sie wären nur in der Nacht inspiriert genug, um Musik zu machen. Das trifft auf mich nicht zu. Ich finde, man kann an einem rockigen Dance-Track morgens um acht genauso gut arbeiten wie nachts um vier. Und wenn ich so spät noch an meiner Musik arbeite, dann mag ich auch einfach diese Idee, dass die ganze Stadt schläft und ich der Einzige bin, der noch wach ist und arbeitet.

Dein neues Album "Radio JXL – A Broadcast From The Computer Hell Cabin" veröffentlichst du zeitgleich in mehreren Ländern und im Moment reist du viel rum, um es zu promoten — machen dir da die unterschiedlichen Zeitzonen Probleme?
Holkenborg: Das ist in der Tat sehr anstrengend. Ich bin die letzten neun Wochen 160.000 Meilen geflogen, um über meine Platte zu sprechen — British Airways wird sich freuen. Aber es ist nicht nur anstrengend, wenn man von Osten nach Westen fliegt, auch von Norden nach Süden, zum Beispiel von Holland nach Südamerika, da merkst du schon sehr, dass das deinem Körper nicht besonders gut bekommt.

Nachdem du bereits zwei Alben veröffentlicht hattest, wurde im Herbst letzten Jahres die gesamte Musikwelt auf dich aufmerksam, durch deinen Remix des Elvis-Songs "A little less conversation". War der Druck auf dich nach diesem weltweiten Charterfolg in Hinblick auf das neue Album nicht ungeheuer groß?
Holkenborg: Nein, überhaupt nicht. Es war eher das Gegenteil, dieser große Erfolg hat mir viel mehr eine große Last von den Schultern genommen, weil ich den Leuten endlich mal zeigen konnte, dass meine Musik Erfolg haben kann. So ein Hit macht das Leben danach schon viel einfacher. Die Verhandlungen mit deiner Plattenfirma werden angenehmer, es können einfacher Auftritte organisiert werden. Und in Hinblick auf das Album hatte ich durch den Elvis-Remix sehr viel an Selbstvertrauen gewonnen.

Hat das vielleicht auch mit dem Song selbst zu tun? "A little less conversation" ist ja schon ein sehr amüsantes Stück.
Holkenborg: Auf jeden Fall, das ist ja einer dieser super-happy Elvis-Songs. Und er ist ja sogar ein bisschen schmutzig, Elvis singt über Sex … das war bei ihm ja eher die Ausnahme.

Du hast mal in einem Interview gesagt, dass für dich die beste Musik aus den 60ern und 70ern stammt. Wieso aus dieser Zeit?
Holkenborg: Was ich so interessant an der Musik der 60er und 70er finde ist, dass damals die meisten Songs etwas sehr Neues darstellten, eine Entdeckung waren. Nehmen wir die "Beatles", die haben mit jedem Song etwas Neues erfunden, es gab keinen Musiker, der schon mal das gleiche oder etwas ähnliches gemacht hatte. Genauso war es bei "Led Zeppelin" oder "The Who". Als die angefangen haben, Musik zu machen, war das etwas noch nie da gewesenes. Die meisten Musiker in der Zeit haben sich also an rein gar nichts orientiert, sie haben einfach immer wieder neue musikalische Bereiche entdeckt.
Heute sieht das ganz anders aus. Inzwischen gibt es so viel veröffentlichte Musik, da herrscht auch eine andere Denkweise. Der größte Teil der Musik, der heute veröffentlicht wird, ist Hit-orientiert, um möglichst viel Geld damit zu machen. In den 60ern, da waren die Leute noch sehr naiv, die wussten ja gar nicht, wohin das mit der Popmusik noch führen würde. Das muss so eine frische, inspirierende Zeit gewesen sein für die Musiker.

Damals waren die Chancen natürlich auch ein bisschen größer, mit einem Song einen Hit zu landen.
Holkenborg: Oh, ich glaube, so haben die damals gar nicht gedacht. Es gab ja noch nicht so viele Bands, weil das damals auch einige Anstrengungen gekostet hat, eine Band zu gründen — wenn ich da an meinen Vater denke, der wurde aus dem Schulunterricht geschmissen, wenn er nur ein bisschen zu lange Haare hatte.
Die wenigen aber, die eine Band gegründet haben, die haben etwas völlig Neues gestartet, was vorher noch nicht da war. Noch mal zu den "Beatles", die haben sich einfach gesagt, ‚wir machen jetzt einen rockigen Song‘ und so entstand "Back to the USSR". Oder sie haben gesagt, ‚wir machen eine Ballade‘ und daraus wurde dann "The long an winding road". Die konnten in jede beliebige Richtung gehen, wie sie wollten. Das geht heutzutage nicht, heute muss eine Band einen bestimmten Stil haben, einen bestimmten Sound produzieren, weil sie sich sonst nur schwer vermarkten lässt.

Nun finden sich auf deinem neuen Doppel-Album aber auch sehr unterschiedliche Stile wieder, von Dub über Reggae, Ska bis Dance und Breakbeat.
Holkenborg: Ja, ich habe generell Interesse an den verschiedensten Musikrichtungen, seit meiner Jugend. Ich habe schon immer sehr unterschiedliche Musik gehört und habe früher auch in sehr unterschiedlichen Bands gespielt. Daher bin ich bei diesem Doppel-Album auch zu diesem Radio-Konzept gekommen. Im Radio hören die Leute ja viele verschiedene Stile hintereinander, was ich in Ordnung finde. Dann kaufen sich die Leute aber ein Album von einer Band, weil sie nur einen ganz bestimmten Sound hören wollen — das allerdings funktioniert nicht immer so.

Ja, ich muss zugeben, dass ich auch eher ein reines BigBeat/Breakbeat-Album erwartet hätte.
Holkenborg: Aber ich habe früher schon mit verschiedenen Stilen gearbeitet, teilweise habe ich zur gleichen Zeit unterschiedliche Musik veröffentlicht, unter verschiedenen Namen.
Bei "Radio JXL" war es auch wegen den unterschiedlichen Gastsängern einfach, in verschiedene Richtungen zu gehen. Aber am Ende wollte ich trotzdem einen eigenen Sound kreieren, den man als Junkie XL erkennt.

Du hast nun unter anderem Anouk, Robert Smith, Chuck D und David Gahan als Gastsänger dabei — wer war für deren Texte verantwortlich?
Holkenborg: Auf die Texte hatte ich keinen Einfluss. Die Sänger auf diesem Album sind sehr starke Persönlichkeiten, Charaktere mit großen Stimmen, denen wollte ich bei ihren Texten alle Freiheiten lassen. Ein Song handelt von einer Drogenerfahrung, ein anderer von einer vergangene Beziehung, Chuck D singt über die aktuelle Video-Kultur und Robert Smith über das Ende der Welt.

Hast du denn — als gebürtiger Holländer — auch schon mal einen Track mit holländischen Texten versehen?
Holkenborg: Nein, noch nie. Ich finde, Holländisch ist eine großartige Sprache, ähnlich wie Deutsch. Aber es gibt nur sehr wenige Leute, die es verstehen, auf Holländisch gute Texte zu machen. Das sind dann meistens Leute aus dem Kabarett-Bereich oder alte Songwriter. In Holland ist es wirklich schwierig, junge Leute mit einer guten Stimme zu finden, die auch noch gute Texte auf Holländisch schreiben.
Es ist aber nicht so, dass ich das prinzipiell nicht machen würde. Wenn ich mal so einen guten holländischen Sänger finde, dann sofort. Das wäre ja auch lustig, auf einer internationalen Veröffentlichung einen holländischen Song zu haben.

Was ist mit Anouk?
Holkenborg: Sie singt nicht auf Holländisch, das hat sie nie gemacht und das wird sie wohl auch nie machen.

Was denken die Holländer darüber?
Holkenborg: Die finden das völlig ok. Es gibt ja nur wenige Bands, die auf Holländisch singen, wir haben nicht so eine große Szene, wie zum Beispiel die deutsche HipHop-Szene.

War das mit Annouk eine besondere Zusammenarbeit, zwei Holländer, die aus zwei verschiedenen Musikrichtungen kommen, zusammen im Studio?
Holkenborg: Also, die Idee hinter dem ganzen Album war ja, mit Leuten zusammen zu arbeiten, die aus den verschiedenen Ecken kommen und mit denen etwas Großes zu schaffen. Was Anouk betrifft — in Holland gibt es nicht so viele Musiker, zu denen ich eine besondere Verbindung habe. Annouk war da die einzige, die ich mir für dieses Album gewünscht habe.

Du hast das Doppel-Album in zwei Teile geteilt, sozusagen in zwei Radiosendungen, und passend dazu wird demnächst radiojxl.com gelauncht.
Holkenborg: Ja, das ist eine Website, auf der es immer wieder Live-Übertragungen geben wird von meinen Konzerten. Die Übertragungen werden zwischen drei und vier Stunden lang sein und die User können später auch auf die alten Übertragungen zugreifen. Zusätzlich gibt es ein komplettes Album online, mit dem Titel "7am".

Du scheinst ja generell ein eher offenes Online-Konzept zu befürworten. Auf deiner Homepage junkiexl.com hast du bereits sehr viel Material zum Download zur Verfügung gestellt.
Holkenborg: Viele Plattenfirmen und Musiker wie Madonna begegnen dem User heute ja á la "Du bist ein Dieb", "Downloaden ist illegal" oder "Du zerstörst die Musikindustrie". Ich versuche mich den Usern von der anderen Seite zu nähern, ich versuche die zu verstehen. Das sind viele Teenager und Leute um die 20, die haben nicht viel Geld, die müssen immer gucken, wo sie was ausgeben — da kann ich es verstehen, wenn die sich Musik runterladen wollen. Also biete ich diesen Leuten so viel Musik wie möglich kostenlos an — aber ich bitte die User auch freundlich, wenn sie sich eine Junkie XL-CD kaufen, dass sie die schön für sich behalten.

In deinen ersten Jahren wurdest du vor allem durch Bands wie die "Chemical Brothers", "The Prodigy" oder Norman Cook aka "Fatboy Slim" beeinflusst. Sind das für dich heute gute Kollegen?
Holkenborg: Norman Cook ist schon derjenige, mit dem ich mich sehr verbunden fühle. Er ist in einem ähnlichen Alter, er hat auch einen ähnlichen musikalischen Werdegang. Er hat in vielen verschiedenen Bands gespielt, hat viele Stile ausprobiert. Wir haben beide Ende der 70er angefangen in Bands zu spielen und in den 80ern unsere grundlegenden Erfahrungen gemacht, der Punk kam auf, es kam das Ska- Reaggae-Revival, später HipHop, Dance-Musik. Das war schon interessant, in der Zeit musikalisch groß zu werden. Und wenn solche Leute wie Norman Cook dann in den späten 90ern anfangen, Dance-Musik zu machen, dann kommt dieser interessante Background zur Geltung.
Ich habe heute natürlich schon viele der Bands getroffen, die mich beeinflusst haben, ich habe mit ihnen auf Festivals gespielt. Und die meisten von denen, das sind wirklich ganz normale Leute.

Das gilt auch für "The Prodigy"?
Holkenborg: Auch die sind supernette Leute. Auf der Bühne sind sie zwar sehr verrückt, aber backstage total normal.

Um noch einmal auf den Titel deines Albums zurückzukommen: "Computer Hell Cabin", bezeichnest du so dein Studio?
Holkenborg: So ist es, das ist ein sehr großer Raum, in dem ich meine Alben produziere, wo ich alles aufnehme, von wo ich auch die Musik für radiojxl.com produziere.

Gibt es denn Tageslicht?
Holkenborg: Nein, das ist ein großer Keller eines sehr großen Gebäudes.

"Computer Hell Cabin" klingt ja auch etwas düster.
Holkenborg: Das ist aber nicht so negativ gemeint. Es beschreibt aber auch, dass mein Verhältnis zu Computern nicht immer ein so glückliches ist.

Ja, ich las da etwas von einem Festplattencrash.
Holkenborg: Nun, ich habe da einmal einen sehr dummen Fehler gemacht — der mich dann letzten Endes 18 Tracks gekostet hat. Tja, das ist eben das Risiko, das man eingeht, wenn man mit Computern arbeitet. Festplatten können crashen, Backupsysteme können Fehler machen — shit happens.

Du hättest den Computer bestimmt gerne …
Holkenborg: … in den Kanal geschmissen. Ja, das hätte ich beinahe gemacht.

Hat dich die Geschichte denn nachdenklich gemacht, was die Arbeit mit dem Computer anbelangt, dass immer mehr Musiker immer mehr dem Computer überlassen?
Holkenborg: Also, dazu muss ich erklären, dass mein Studio zum einen aus viel Elektronik, Computern, Samplern, Drumcomputern und so weiter besteht. Zum anderen habe ich aber auch richtig ‚alte‘ Geräte in meinem Studio, ein großes Mischpult, Tonbandgeräte, Equalizer alte Synthesizern, die man mit den heutigen Computern nicht synchronisieren kann, die man also noch richtig spielen muss. Ich nehme also zum Teil Schlagzeug- und Gitarrensounds mit dem Tonband auf, nur am Ende kommt alles in den Computer.
Natürlich ist es schon ziemlich komisch, dass du viele Monate an einem Album arbeitest, dann plötzlich einen dummen Fehler machst — und auf einmal alle Daten verloren hast. Das ist schon verrückt! Den Fehler macht man aber auch nur einmal. Du musst dir eben einmal die Finger verbrennen, um zu merken, wie heiß das Feuer ist. Ich habe sie mir also schon verbrannt.

Bevor wir zum Schluss kommen: Du hast einmal gesagt, dass Musik zeitlos sein müsste, wie eben zum Beispiel die der "Beatles". Wenn man sich das nun genauer überlegt, dann sind doch die Plattenfirmen von heute eigentlich immer weniger interessiert an zeitloser Musik, weil sie ja in regelmäßigen Abständen neue Musik auf den Markt bringen wollen.
Holkenborg: Ja, die Musikindustrie ist schon sehr Chart-orientiert. Die interessieren sich mehr für Kurzzeit-Projekte, die ein, zwei große Hits landen und dann kommt das nächste Projekt. Ich habe zum Beispiel bei diesem Album gemerkt, wie schwierig das ist, drei Jahre an einem Album mit verschiedenen Musikern zu arbeiten — weil die Plattenfirmen regelmäßig neue Platten rausbringen wollen. In den 60ern und 70ern da konnten sich die Bands noch Zeit nehmen, wie sie wollten. Aber heute, in Zeiten von Format-Radio und computergenerierten Playlists ist das schwierig geworden. Die Musikindustrie hat sich komplett gewandelt, jeden Monat gibt es so viele Veröffentlichungen — das ist kein gutes Klima für einen Künstler, der gute neue Musik schaffen will. Da brauchst du auch einen starken Charakter, um damit umgehen zu können.

Die meisten Bands schaffen es nicht.
Holkenborg: Ja, aber natürlich gibt es auch Ausnahmen wie "Radiohead" oder "Coldplay". Es gibt noch einige Bands, die sich die Zeit nehmen, die sich lange überlegen, wie sie sich weiterentwickeln. Und ich finde es erstaunlich, in dieser — musikalisch gesehen — schrecklichen Zeit, dass Bands wie "Radiohead" so erfolgreich sind. Das sagt uns natürlich auch Folgendes: letzten Endes wollen die Leute einfach gute Musik hören.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic, welche Figur bist du?
Holkenborg: Ich bin Superman oder Goofy. Als Junge träumt man ja immer, fliegen zu können wie Superman und alle Probleme auf der Welt lösen zu können. Und was ich an Goofy so gut finde ist, dass er zwar immer ein bisschen ungeschickt daherkommt, aber trotzdem immer fröhlich ist, egal was passiert. Er macht weiter und man weiß , er wird die Sache schon schaukeln.

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